Den 27. Julius

Den 27. Julius besahen wir die Kirche, ein schönes gotisches Münster, welches von Außen ein weit schöneres Ansehen gewinnt, als jenes von Salem. Es ist ganz mit lasierten Ziegeln bedeckt und enthält 20 Altäre. Einige Holzgemälde von Holbein (vermutlich dem Ältern, der in Augsburg wohnte), die an der Seitenmauer bei der Sakristei hängen, sind recht schön; die Altäre empfehlen sich durch ihre Kunst oder guten Geschmack keineswegs. Nur muß man da eine Ausnahme mit jenem Altar machen, der am Rücken des Choraltares steht, und auf welchem das heilige Sakrament zur immerwährenden Anbetung ausgestellt ist; er ist sehr zierlich aus kostbarem Ebenholze verfertigt und mit Silber verziert, ein geistliches Denkmal der Pracht des verstorbenen Prälaten, welche in allen seinen Unternehmungen hervorstrahlte.

Wir hatten noch einige Zeit übrig, und die mußte auf die Bibliothek verwendet werden. Sie steht in einem großen Saale; die Kästen sind, wie bei uns, mit hartem Holze furniert. Schade, daß dieser Saal nur von einer Seite her Licht hat, und auch nur auf einer Seite mit einer halben Galerie versehen werden konnte. Der Auswahl und der Menge der Bücher nach zu rechnen, muß Studieren hier sehr Mode sein. Man wird nicht bald, besonders im Fache der Geschichte, ein merkwürdiges Buch nennen, das man hier nicht anträfe. Die Kollektionen von Geschichtsschreibern ganzer Nationen sind besonders stark, und im historischen Fache ist hier so wie in einigen andern Klöstern Schwabens ein eigener Lehrer aufgestellt. Das antiquarische Fach und die Naturhistorie waren die Lieblingsfächer des verstorbenen Prälaten, und da ist die Sammlung also sehr vollständig; man darf nur nicht fragen, ob Linné, Réaumur, Rösel, Buffon, Haller, der Naturforscher u. s. w. hier sind. Kurz, in diesem Fache besonders kann man sich nicht viel mehr hinzu wünschen. Auch der jetzige Herr Prälat hat schon während seiner kurzen Regierung eine Bibliothek meist historischen und literarischen Inhalts ankaufen lassen, welche gegenwärtig in Ordnung gebracht wird. P. Michael steht dieser ganzen Sammlung vor und beschäftigt sich aufs neue damit, diesen schönen Schatz in eine noch kömmlichere Ordnung zu bringen. Mit Missvergnügen verließ ich diesen Ort, wo ich mir mit guter Muße so vieles zur Erweiterung meiner geringen literarischen Kenntnisse hätte merken können. Die Lage dieses Ortes ist auch darum merkwürdig, weil er an den Grenzen zweier Bistümer liegt, so daß ein Teil des Klostergebäude zur Augsburger und ein anderer Teil, welcher mit der gleichen Mauer umschlossen ist, zur Regensburger Diözese gehört. An Prozessen sollen diese Herren, wie ich vermute, keinen Mangel haben, denn ihre weitläufigen Besitzungen sind wenigstens in fünf Bistümern, dem Augsburgischen, Konstanzischen, Würzburgischen, Bambergischen, Regensburgischen und noch einem andern Bistume zerstreut, ohne von weltlichen Souverainen zu reden, in deren Hoheit ihre Ländereien liegen. Die Beobachtung der Disziplin soll hier unter dem verstorbenen Herrn nicht die beste gewesen sein, worüber ich manches partikulär bemerken könnte, das ich über diesen Punkt in Neresheim vernahm; jetzt aber wird nach und nach alles wieder durch die guten Einrichtungen des jetzigen Prälaten Xaver, der sich durch seine herrlichen Eigenschaften in so kurzer Zeit großen Ruhm erworben hat, ins Gekeife gebracht.


Nun kamen wir über Berg, Ebermergen ins fürstlich Wallersteinische. Hartburg ist hier ein wenig merkwürdig. Es ist ein ziemlich großer Markt, an einem Felsen, der alle Augenblicke Einsturz zu drohen scheint, hingebaut, an einer ziemlich schmalen Straße, neben welcher unten die Wernitz vorbeirinnt und die sonst milde Gegend durchschlängelt. Das möchte wohl der schlechtest gebaute Ort sein, den die liebe Sonne anblickt, so elend, so unreinlich sieht alles da aus. Auf dem Berge steht ein herrschaftliches Schloß. Jetzt eröffnet sich das schöne sogenannte untere Ries, eine unübersehbare Ebene mit den schönsten Dörfern, Märkten übersät und dem schon reifen Jahressegen vergoldet, in der Ferne der hohe Nördlinger Turm, von dem man über 90 Dorfschaften und einige Städte übersehen kann. Ehe man in diese alte finstere Reichsstadt (Nördlingen) kommt, fährt man dicht an dem berühmten Schlachtfelde vorbei, wo die zum Entsatze dieser Stadt eilenden Schweden einst eine Hauptschlappe kriegten1).

1) Sieg der Kaiserlichen unter König Ferdinand und Gallas über Bernhard von Weimar und Gustav Horn 5. und 6. Sept. 1634.

Die Stadt ist etwas befestigt, ziemlich groß, aber nichts weniger als schön. Zur Krone, wo man sehr gut bedient ist, nahmen wir unsere Absteigeherberge, besuchten den Buchhändler Beck, welcher einen ziemlichen Verlag unterhält. Hier läßt sich eben passend anmerken, daß sich nicht weit von dieser Stadt auf dem Lande unter fürstlich Wallersteinischem Schutze der berufene Satiriker Weckerlin aufhalte. Er ist durch seine Chronologen, durch sein graues Gespenst und die Schriften über den Glarner Hexenprozess und noch darum bekannt, daß die Herren Glarner auf seinen närrischen Kopf 100 neue Thaler zu setzen beliebten. Sonst ist er ein Mann von schlechtem Charakter, der sich mit Büchleinschmieren Gold macht, es verprasst und dann, wenn sich der Hunger meldet, wieder schmiert, und vor dessen Feder selbst seine besten Freunde keinen Augenblick sicher sind. Doch wird man seinen Produkten das Witzige und Launige gewiß nicht absprechen1). Herr Beck war so gefällig, uns die Münsterkirche zeigen zu lassen. Wieder ein gotisches Wesen, inwendig ganz mit alten Holzgemälden überhängt, an allen Pfeilern und Seitenmauern mit Sterbemonumenten besetzt. Das Merkwürdigste davon besteht in Folgendem: Vor dem Chore steht nahe am Speisetische eine Gattung eines kleinen Altares, welchen man, wie es vor Altem Mode war, aufmachen kann. Auf den innern Seiten der Türlein sind der König David und der Apostel Paulus hingemalt. Das Mittelstück ist eine Grablegung Christi, herrliche und recht sorgfältig aufbewahrte Stücke von der Meisterhand Albrecht Dürers2). Sie werden nur an Festtagen geöffnet. Die übrigen meisten Gemälde sind von Hans Schäuffelin, einem der besten Lehrlinge Dürers, unter welchen sich die an der Rückwand des Hochaltares angebrachten Geheimnisse des Lebens unseres Heilandes vornehmlich auszeichnen. Der Choraltar ist mit Leuchtern und einem großen Kreuzbilde geziert, und auf seinen Enden stehen noch die Statuen St. Jörgens und St. Magdalenen, der vormaligen Patrone dieser Kirche. In und um den Chor sind wichtige Grabsteine; einige sind noch vor der Reformationszeit hergelegt worden, und von diesen ist der Grabstein des letzten katholischen Pfarrers am Ende des Chores zur linken Seite, wenn man herausgeht, einer der schönsten; er ist aus außerordentlich hartem Marmor mit einer Mönchsschrift umgeben. Auch sind hier eine Menge Offiziere, die im Treffen aus dem Schellenberg geblieben, begraben, von welchen einige Grabsteine zu sehen sind. Im Sakristeigewölbe zeigte man uns noch alte Kelche, einige silberne Geschirre, derer man sich zum Taufen bediente, neue silberne Kelche zum Gebrauche beim Abendmahle, das man hier alle Sonntage nach vorhergegangener Beichte empfangen kann. Diese Beichte ist in eine gewisse Formel gebracht, die unserer offenen Schuld gleich sieht, und der Beichtende entrichtet, wenn er die Absolution empfängt, seinem Herrn Pastor den sogenannten Beichtpfennig. Das Abendmahl wird auch den Kranken in einer silbernen Kapsel gebracht, und die Oblaten sind, wie bei uns, aus ungesäuertem Brode und den unserigen an ihrer äußerlichen Gestalt vollkommen ähnlich. Der Aufzug der Messner ist hier ganz außerordentlich; man hätte Versuchung, sie für geistlich zu halten. Ihre Kleidung ist ganz schwarz, und auch die herabhängenden sogenannten Mosestäfelchen vergessen sie nicht mitzunehmen, wenn sie Jemandem die Kirche zeigen. Sie machen ein recht ernsthaft gelehrtes Aussehen und dann einen schulmeisterischen Scharrfuß, wenn sie ein schönes Trinkgeld erhalten. Der Kirchturm ist außerordentlich hoch.

1) Wilhelm Ludwig Weckerlin (Wekhrlin), geboren 1739 zu Bothnang im Württembergischen studierte in Tübingen die Rechte, ging 1777 nach Wien, wurde aber von dort wegen einer Schmähschrift verwiesen und lebte seitdem als .Journalist in Regensburg, Augsburg, Nördlingen und dem wallersteinischen Dorfe Baldingen. Er wurde 1788 verhaftet und starb den 24. November 1792. — Der letzte Hexenprozess fand 1783 im reformierten Glarus statt, wo eine Anna Göldin mit einer Mehrheit von zwei Stimmen verurteilt und hingerichtet wurde. Glarus erntete damit viel Schimpf und Spott. So von Weckerlin in den Chronologen X, 213—224. Glarus ließ diese Schrift durch Henkershand verbrennen und auf des Verfassers Kopf einen Preis von 100 französischen Laubthalern setzen. Weckerlin antwortete darauf sehr beißend in seinem „Grauen Ungeheuer“ 1784 April. 127—136. Haller, Bibliothek bei Schweizer-Geschichte 6, 1508.

2) P. Gall Morel bemerkt in einer Randnote zu dieser Stelle, daß das Gemälde von Dürers Schüler Schäuffelin stamme und die Jahrzahl 1521 mit dem Monogramm ISI trage. Vgl. auch Sighart a. a. O. 607.


Nicht gar weit von hier liegt das Benediktinerkloster Deckingen (Deggingen), das wir nicht besuchten. Wir hatten auch im Sinn, den hiesigen gelehrten Superintendenten zu sprechen, allein er liegt krank darnieder, und Besuche sind selbst seinen besten Freunden verboten, weil ihm bei seinen Umständen alles Gespräch zur Folter wird. Die ganze Stadt ist protestantisch, das Posthans, Deutschordenshaus und ein paar Höfe, welche Klöstern gehören, ausgenommen. Die Kaisersheimer haben in ihrem Hofe das Recht, an Sonn- und Feiertagen, aber nur für das Hausgesinde, Gottesdienst zu halten, und der wohlweiße Magistrat findet es auch heute noch für gut, an diesen Tagen eine Soldatenwache hin zu postieren, damit ja Niemand die schreckliche Sünde begehen könne, die Messe anzuhören. Unvergleichlich schön. Das Bürgerrecht muß hier in dieser reichsfreien Stadt nicht viel zu sagen haben, oder die Stadt muß sehr im Verfalle sein, oder es muß sich vielleicht Niemand darum bewerben. Der ganze Aufwand, den Herr Beck darauf zu verwenden hatte, waren — 40 Fl., und das kleine Städtchen Wyl vergibt doch sein Bürgerrecht als große Gnade einem Manne, von dem es sich Vorteil versprechen kann, nicht unter 1000 baren Gulden.

Nachmittags über Baltingen und Goldbergshausen in die Zisterzienserfrauen-Abtei Kirchheim, wo drei Herren von Kaisersheim die Pfarrdienste versehen. Das hieß einige Schritte zurückgehen. Herr Beda hatte hier Verwandte, und wir wollten ihm die Freude, sie besuchen zu können, nicht missgönnen. Auf dem Marsche ließen wir den Markt und das Residenzschloss Wallerstein, das auf einem Berge hingebaut ist, liegen. Die gnädige Frau Äbtissin Violantia nahm uns mit allen Höflichkeitsbezeugungen auf.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Süddeutsche Klöster vor hundert Jahren