Den 28. Julius

Den 28. Julius brachten wir den Vormittag mit Besehung der Merkwürdigkeiten in und außer der Klausur zu. Das Gebäude ist weitschichtig verworren, Neues und Altes in- und durcheinander. Doch trifft man hier eine recht merkwürdige Menge Statuen, Grabmonumente, Basreliefs und Holzgemälde aus dem fünfzehnten, Sechszehnten und sogar noch aus dem vierzehnten Jahrhundert an. Ich will einige der Sonderbarsten anzeigen. In der sehr tief gelegenen und eben darum auch sehr feuchten Kirche stehen um den Hochaltar zu beiden Seiten die Monumente des Stifters, seiner Gemahlin und eines seiner Nachkömmlinge; Statuen aus Einem Stücke ausgehauen in Lebensgröße und der Pracht, die damals beim Adel herrschend war. Mehrere dergleichen sind auf dem Freythofe unter den Grabmonumenten alter Äbtissinnen, im Kapitelhause und in noch einer andern Kapelle. In einer dritten oder sogenannten alten Kapelle ist in einem Nebenzimmer Sozusagen ein ganzes Kabinett von allen Arten Basreliefs, Gemälden und Statuen in diesem Geschmacke. Vor andern ist ein ungeheuer großer Grabstein sehenswert, worauf zwei Klosterfrauen eingehauen sind; sie waren Schwestern, und dies war ihr gemeinschaftlicher Grabstein. Die Umschrift gibt ihre Namen an. Im Kapitelhause ist das ganze Leben des Heilandes auf vielen Tafeln in alter, halb, erhabener Arbeit zu sehen. Andere Stücke, welche zerstreut bald da, bald dort vorkommen, übergehe ich, so wie auch die Stücke, welche in der alten Kapelle selbst aufbehalten werden, desgleichen die Holzgemälde, die hier nicht selten sind. Aus einer nahe an der alten Kapelle angebrachten Jahreszahl findet sich, daß diese Kapelle 1490 eingeweiht wurde, und an. einer Mauer sieht man noch die Zahl von tausenddreihundert, das Übrige ist unleserlich. Die Abtei ist neu gebaut, schön geräumig und nimmt ein ganzes Stockwerk der Länge nach ein. Noch besahen wir die übrigen Gebäude und allerlei Gattungen der Gärten. Ein großer Brunnen, dessen Bassin ganz aus gegossenen eisernen Platten verfertigt ist, kann auf gewisse Art auch zu den Seltenen Sachen gehören.

Bald fuhren wir durch die allerelendesten Straßen, die man sich auf dem lieben Gotteserdboden nur denken mag, über Pfermloch, Stermeningen, Uhmenheim auf das Reichsstift Neresheim und erreichten nach so vielen Umschweifen endlich das Ziel unserer Pilgerschaft. Das Kloster liegt auf einem erhabenen Hügel und hat von weitem schon ein artiges Aussehen. Ich werde die umständliche Beschreibung unten liefern.


Der Herr Reichsprälat Benedict Maria1) war eine Stunde zuvor auf ein Landhaus (Nietheim) abgereist, und wir wurden mit lebhaften Freudenbezeugungen aufgenommen. Flüchtig übergingen wir das schöne Kirchengebäude und ein Expresse wurde noch diesen Abend an den gnädigen Herrn abgeschickt, ihm unsere Ankunft anzuzeigen und seine Befehle uns darüber zurückzubringen.

1) Benedict Maria Angern (Angehrn), geboren 1720 zu Hagenwil, einem Sankt-Gallischen Dorfe an der Grenze des Kantons Thurgau, war ein Verwandter des fünf Jahre jüngern Abtes Beda Angehrn von St. Gallen. Erst 35 Jahre alt und der vorletzte unter ben Priestern, wurde er 1755 zum Abt gewählt. Er starb den 24. Juli 1787. Über seine ausgezeichnete Regierung wird unten noch gehandelt, und ist zu vergleichen: Reichsstift Neresheim. Eine kurze Geschichte dieser Benediktiner-Abtei, 1792, S. 105-114. — Lang, Kurze Geschichte des Reichsstiftes Neresheim S. 38—44. — Lindner a. a. O. IV (1885) 2. 14.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Süddeutsche Klöster vor hundert Jahren