Den 25. Julius

Den 25. Julius besuchte Herr Pankraz die Domkirche und wohnte da einer Predigt des Herrn P. Merz und dem übrigen Gottesdienste bei. Im Vorbeigehen bemerke ich, daß nach dem Zeugnis des Herrn Herzogs der Nachmittagsprediger im Dom, Hr. Zeiler, auch ein Ex-Jesuit, seiner Deutlichkeit und schönern Ausdrücke halber von den Augsburgern mit größerem Beifall gehört wird, als Herr P. Merz, dem wir aber durch diese Note im geringsten nichts wollen benommen haben. Oben habe ich vergessen anzuzeigen, daß wir aus Mangel an Zeit die berühmte Kollegiums-Bibliothek, welche etwa 30.000 Bände Bücher meist theologischen und polemischen Inhaltes in sich schließen soll, nicht sehen konnten.

Ich verfügte mich nun meinem, dem P. Wikterp gegebenen Versprechen gemäß in das St. Ulrichsstift, las Messe und besah dann seine Merkwürdigkeiten. Die Kirche gleicht einem alten Dom1), und ist ganz im gotischen Geschmack gebaut; sie steht am erhabensten Orte der ganzen Stadt, auf einer ziemlichen Anhöhe, und ist über 300 Schuhe lang. Der Turm hält in der Höhe 320 Schuhe und gibt die schönste Aussicht auf den größten Teil der Stadt, auf die benachbarten Gegenden, den Lechfluss und das berühmte Lechfeld, wo die wilden Hunnen im 10. Säkulum aufs Haupt geschlagen wurden. Vom Turme stieg ich wieder in die Sakristei hinab, worin vorn ein Altar zu sehen ist, in welchem das Kreuz des h. Ulrich verschlossen ist, das nämliche, das ihm ein Engel vor der erwähnten Schlacht zum Zeichen des Sieges überbrachte. Jetzt ist es in Gold eingefaßt und mit den prächtigsten Edelsteinen besetzt, um diesen Altar stehen vier h. Leiber berühmter Augsburgischer Bischöfe, deren die meisten auch in den Geschichten unseres Stiftes vorkommen, Wikterp, welcher dem h. Magnoald Erlaubnis gab, Füssen zu erbauen, Tosso, welcher auf Anraten des nämlichen Magnoald zum Bischof erwählt wurde, Nidgarius, vormals Abt in Ottobeuren, Adalbero, ein Vetter des h. Ulrich und unser Frater conscriptus, von dessen Taten unsere alten Chronisten mögen nachgeschlagen werden2). In der Mitte liegt der Leib der h. Digna aus der Gesellschaft der h. Afra. Der h. Simpert hat eine eigene Kapelle, wo seine h. Überbleibsel ruhen. Der Kirchenschatz ist sehr reich, obgleich einige der besten Sachen wegen misslicher Umstände veräußert oder verpfändet wurden. Man sieht noch eine überaus große Menge silberner Bildsäulen, Brustbilder, Leuchter, großer und kleinerer Lampen hier; eine von diesen letztern ist mit etlichen Engelsstatuen und in der Mitte mit der großen Bildsäule der h. Asra geziert. Von Überbleibseln des h. Ulrich sind nebst oben erwähntem Kreuze noch zu sehen: sein silberner Messkelch, Messgewand. Stola, Manipel, Dalmatik; sein und des h. Konrad Kämme von Elfenbein und sein Schweißtuch 3). Von der Größe seiner Kleidung auf seine Statur zu schließen, muß man annehmen, daß er von einer außerordentlichen Leibesgröße müsse gewesen sein. Über die Kämme wird sich Niemand wundern, welcher weiß, daß die Priester sich vor Zeiten derselben, gerade, ehe sie Messe hielten, nach der Vorschrift des Rituale bedienen mußten. Noch sind von diesem Heiligen drei hölzerne Schüsseln vorhanden, deren er sich beim Speisen bediente und in welchen wirklich noch am St. Ulrichstage dem Bischofe oder seinem Stellverwalter und dann einem Ratsherrn an des Kaisers Statt Speisen aufgetragen werden. Wenn man zur Sakristei herauskommt, so ist gleich beim nächsten Altare die Konfessio ober der Begräbnisort der h. Afra, welche in Augsburg mit noch vielen Andern zu Diokletians Zeit (im Jahre 303) durchs Feuer die Martyrerpalme errang. Gegenüber steht der Altar des h. Ulrich, bei welchem man durch eine Treppe in eine kleine Gruft hinabsteigt. Dort ist das alte Grabmonument dieses Heiligen, ein weißer Stein, über welchem der Heilige im bischöflichen Ornate liegend vorgestellt wird. Das Bild und der untere Stein ist nur ein Stück, und unter demselben ist sein heiliger Leib hingelegt und die Türe dazu mit dem doppelten Siegel des Domstiftes sowohl als des Konvents zu St. Ulrich verschlossen, so daß keine Partie ohne die andere dieses Grab öffnen kann.


1) Sighart, Gesch. d. bild. Künste im Königr. Bayern 459.

2) Adalbero, Bischof von Augsburg 887 bis 910. S. Ekkehart Casus S. Galli. cap. 4. 7. 50. Ed. Meyer v. Knonau pp. 16. 18. 191.

3) Der Kamm des h. Ulrich abgebildet bei Sighart a. a. O. 108.


Ich ließ mich hernach in die Bibliothek führen, worin schätzbare Druckdenkmale von jenen Büchern, besonders welche in diesem Stifte beim Anfange der Augsburger Druckerei sind ausgegeben worden, vorhanden sind. Auch findet man in andern Fächern gute und kostbare Bücher, allein jetzt sind die Umstände dieses Stiftes bekanntlich in keiner solchen Lage, daß man wirklich viel darauf verwenden könnte. Die Manuskripte sind meist aus jüngerer Zeit und auf Papier geschrieben. Auf der Kanzlei aber habe ich ein sehr wichtiges, auf Pergament geschriebenes altes Diplomatarium oder Codex traditionum von diesem Stifte bemerkt. Doch finden sich unter den Bibliothek Handschriften auch gute, aus Papier geschriebene historische Werke eines einheimischen Skribenten, welche zur Aufklärung der Augsburgischen, schwäbischen und überhaupt der deutschen Geschichte vieles Licht verbreiten könnten. Viele tausend illuminiere Wappenschilde, die darin vorkommen, könnten noch als Beiträge zur Heraldik manchen Nutzen schaffen. Schade, daß mir der Name dieses arbeitsamen würdigen Ordensmannes, der dies und noch mehrere andere Werke schrieb, entwischt ist1). Auch weiset man noch einen Pergamentband aus dem 16. Jahrhundert, von einem dasigen Mönche geschrieben, welcher 100 Arten lateinischer Vorschriften enthält; dieser Mönch heißt Leonhard Wirstlin, und das Buch ist dem Kaiser Maximilian dediziert worden; die Schriften sind eben so gut durch ihre Niedlichkeit als die Abwechselung merkwürdig. Auch werden auf der Bibliothek verschiedene Seltenheiten, als Zusammensetzungen von Muscheln, Samenkörnern und andere dergleichen Sachen aufbehalten. Unter den großen Büchern fand ich den unendlichen, in, was weiß ich wie vielen Foliobänden bestehenden Oceanus Juris, und unter den sehr seltenen die Originalausgabe des berühmten Buches, welches Theuerdank heißt. Es ist von 1517, nicht mit beweglichen Buchstaben gedruckt, sondern ganz in Tafeln eingeschnitten, wie eine Kupferplatte. Es enthält in alten deutschen Reimen unter dem Scheine eines Romans und unter erdichteten Namen die Taten Kaiser Maximilians I., der darin unter dem Namen „der blanke König“ vorkommt. Einige schreiben es diesem Kaiser als Autor selbst zu, andere aber, die es besser wissen wollen, geben andere Autoren an, mit dem Zusatze, daß der Kaiser in seinen Gesprächen den Stoss zu diesen Reimen hergegeben und andere dieselben ausgearbeitet haben. Zuletzt besah ich noch die Klostergebäude, eine Wohnung eines Paters, die Kanzlei, das Refektorium, die Peristylien, wo man noch einige schöne und wichtige alte Grabmonumente sehen kann, alles lauter alte Gebäude, fest, dunkel, unkömmlich, von schlechtem Aussehen, mit einem Worte, Gebäude, so wie sie im lieben Altertume Mode waren. An einer Ecke des Vorhofes steht eine seit etwa 260 Jahren unausgearbeitete Statue zu Pferde; sie war dem Kaiser Max I. gewidmet, welcher 1517 St. Ulrich in Augsburg besuchte. Kurz, bevor die Bildsäule, die aus einem einzigen Ungeheuern Steine besteht, an dem Standorte ausgearbeitet war, entstanden die Reformationstroublen in Augsburg; das Kloster wurde bestürmt, und die Statue blieb Sodann zum Andenken bis auf den heutigen Tag unausgearbeitet2).

1) Es durfte vielleicht Sigmund Meisterlin gemeint sein, der etwa von 1420—1490 lebte und bedeutende historische Werke verfasste.

2) Erst als Bayern das Kloster in eine Kaserne umschuf, wurde dies Monument entfernt und an einen Steinmetz verkauft. Kalender f. kath. Christen, 1873. Sulzbach S. 103. — Die Stiftskirche ist noch katholische Pfarrkirche und wurde vor einem Jahrzehnt renoviert.


Auch ich besuchte noch die Domkirche, welche bei weitem nicht so schön ist, als andere Gebäude von dieser Art zu sein pflegen. Die Basreliefs aber, welche über und um die zwei Seitenpforten und um das Hauptportal angebracht sind, sind sehenswerte Kunststücke gotischer durchbrochener Arbeit. Sonst ist diese Kirche, ein paar schöne bischöfliche Sterbemonumente am Anfange des Chores ausgenommen, eine alte, auch in Rücksicht auf gotische Schönheiten, sehr mittelmäßige Domkirche mit zwei Helmtürmen, welche ihr gar kein schönes Ansehen geben. Der Konstanzer Dom ist weit majestätischer und prächtiger. Noch eine Visite bei den Herren Buchhändlern Rieger, welche sich durch ihre Gebetbücher und Predigten nach und nach das Bürgerrecht, etliche Paläste und einen schönen Verlag, der in etwa 8—10 Gewölben ruhet, zu Stande gebracht haben. Bei Gelegenheit dieser Visite sah und hörte ich arme Studenten von beiden Religionsparteien vor den Häusern vornehmer Bürger Lieder absingen. Sie erhalten dafür ein jährliches Almosen. Ich für meinen Teil gäbe ihnen gern etwas, wenn sie mir nur schwiegen, So unharmonisch fiel mir ihr Gesang (besonders der Psalmton der einen) in meine an diese Art Musik ungewöhnten Ohren.

Nachdem wir noch von unserm Guttäter Abschied genommen und uns für die vielen empfangenen Höflichkeiten bedankt hatten, nahmen mir unsern Weg über Oberhausen, Langweiden, Hermetschhofen, Lohndorf, Treisheim, Mertingen auf Donauwörth. Auf dem Wege sahen wir das schöne Frauenkloster Holzen und die bayerische Abtei Thierhaupten. Zu Treisheim säumten wir uns bei einem Kämmerer eines Ruralcapitels in Rücksicht auf den Herrn Beda so lange, daß wir erst spät in Donauwörth eintrafen. Wir wollten da unsern Mitbrüdern beim h. Kreuze so spät nimmer beschwerlich fallen und nahmen unser Absteigequartier zur Krone, woselbst der an Kindern gesegnete Wirt sehr gut mit Kontomachen umgehen kann.

Ehe ich von Donauwörth etwas sage, will ich noch einige Bemerkungen über Augsburg machen. Erst von den Einwohnern überhaupt, dann von der Religion und dem literarischen und auch vom Kunstzustande. Den eigentlichen Bevölkerungsstand konnte ich nicht erfragen; der Stadtmagistrat weiß ihn selbst nicht pünktlich, weil sich darin eine große Menge bischöflicher und domkapitelscher Untertanen aufhält, welche nicht gezählt werden. Ich glaube nicht, daß ich Augsburg unrecht tune, wenn ich die Anzahl seiner Einwohner etwa auf 30.000 herabsetze und also einige Tausend weniger als für München ansetze. Der Stadtmagistrat ist hier, so wie alles übrige, bekanntlich paritätisch. Die Patrizier sollen, wie man sagt, über ihre andern Mitbürger ein bißchen mehr vermögen, als was Aristokratie heißt; doch sagt man ihnen auch zum Ruhme nach, daß sie diese Gewalt nicht missbrauchen oder überspannen. Die katholischen Patrizier stehen, etwa zwei ausgenommen, nicht am besten, und die Protestantischen haben es ihnen an Glücksgütern weit zuvor, hingegen sind mehr wichtige Wechsel, und Handelshäuser auf der katholischen Seite, und diese letztern sind auch die stärkern an der Zahl. Auch in der Religion ist die vollkommene Parität eingeführt, doch haben beide Parteien gewisse Rechte gegeneinander, welche auf eine Art den wechselseitigen Gottesdienst stören und mit beiderseitiger Einwilligung wohl möchten gehoben werden1). Den Katholischen ist z. B. erlaubt, während dem Gesänge oder Predigt der Protestanten mitten durch ihre Kirche, die an St. Ulrich angebaut ist und auch vor Zeiten diesem Stifte gehörte, durchzugehen, um ein Kind zur Taufe zu tragen, oder auch wieder heimzubringen, obgleich sie durch einen andern Weg eben so gelegentlich zur Taufkapelle hinkommen könnten. Die Protestanten hingegen haben das Recht, mitten unter der h. Messe mit Körben, Handwerks-Instrumenten, Fischen u. dergl. durch die Domkirche, gleich als eine öffentliche Straße einzeln oder truppweise durchzuspazieren, welche Dinge notwendig beiderlei Religionsverwandten beschwerlich fallen müssen.

1) Vgl. Riehls Augsburger Paritäts-Schilderung in „Culturstudien aus drei Jahrhunderten“ 317-330.

Sonst sollen sie, so sagten mir glaubwürdige Zeugen, sich in diesem Punkte sehr verträglich miteinander aufführen, ob man gleich in den neuesten Reisebeschreibungen das Widerspiel liest. Was die Studien der Katholiken angeht, so werden dieselben von den Ex-Jesuiten noch immer auf ihrem alten Gymnasium gegeben, und die Protestanten werden auf der St. Annaschule gelehrt, über welche Heer Rektor Mertens die Oberaufsicht hat. Was übrigens die Literatur betrifft, so wird heutigen Tages Niemand in Augsburg Welser, Wolf, Pentinger weder suchen noch finden, und katholischer Seits, einige Ex-Jesuiten, besonders den P. Zallinger, den bischöflichen Bibliothekar Obladen1) und die Gebrüder Beith weggerechnet, werden die Literatoren bald gezählt sein. Von Protestanten sind mir in diesem Fache nur Herr Paul von Stetten der Jüngere, Herr Rektor Mertens und der Polygraph Zapf2), der viel projektiert und vielleicht wenig zu Stande bringen wird und sich noch obendrein mit fremden Federn ein zierliches Ansehen machen will, bekannt; man müsste denn auch den Mechaniker Höschel in dieses Fach einschließen wollen. Vor einigen Jahren erschienen etliche Hefte einer Augsburgischen Monatsschrift, allein einige Monate, und sie war nicht mehr. Ob nun die Autoren, oder die Leser, oder die Drucker daran schuld sind, kann ich eigentlich nicht bestimmen.

1) Peter Obladen, geb. zu Augsburg 1717, gest. daselbst 18. Aug. 1801, ein fruchtbarer Übersetzer, der einige der bessern ausländischen Theologen, z. B. Liguori, dem katholischen Deutschland zugänglich machte. Allgem. deutsche Biogr. 24, 113.

2) Georg Wilhelm Zapf, geb. zu Nördlingen 1747, seit 1773 Notar in Augsburg, 1786 kurfürstlich mainzischer Geheimrat), machte verschiedene literarische Reisen und gab zahlreiche bibliographische Werke heraus. Er starb am 29. Dezember 1810. Meyer von Knonau wirft Zapf vor, er habe die Handschriften von P. Moriz Hohenbaum van der Meer „in unverschämt lügnerischer Anmaßung eigennützig gegen alles Recht ausgebeutet“. Allgem. deutsche Biographie 12, 658.


Jetzt noch ein Wort von den bildenden Künsten. Man weiß, daß Augsburg vor Zeiten in diesem Fache die Diktatur in Deutschland mit Recht ausübte. Küssel, Kustos, Bauer, Herz, Heiß, Ridinger, Wolfgang, Kilian, auch Götz, Klauber und Andere; von Malern aber Holbein der Aeltere, Bergmüller, Götz usw. geben noch Zeugnis davon. Man weiß aber auch, wie tief es hernach in den sogenannten Muschelgeschmack hinabgesunken ist; jetzt aber scheint die Kunst auch hier — einige Kupferstecher, die alle Tage ihr Brot herausstechen müssen und die halbe Welt mit Brevierbildern versehen, ausgenommen — ihr stolzes Haupt wieder zu erheben und sich in ihrem alten Wohnsitze Ehre zu machen. Ich würde unrecht tun, wenn ich hier nicht vorzüglich den Johann Elias Haid1) nennte, der sich in der sogenannten Schwarzkunst mit jedem Engländer messen kann. Auch wird hier, was Goldschmiede-Arbeit ist, nicht viel zu rügen sein, vorausgesetzt, wenn man sich um gute Meister aussieht; denn Pfuscher gibt es doch, gleich den Insekten, überall, und nach diesen wird Niemand Vernünftiger eine Kunst beurteilen wollen.

Jetzt nach Donauwörth, Wörth ist eigentlich der Name dieses Städtchens, welches an der Donau, die hier die Werniz in sich aufnimmt, liegt. Es ist weder groß noch fest, ob es gleich einige Besatzung hat. Ehemals war es eine Reichsstadt; nun steht es unter baderischer Botmäßigkeit, und Pfalzbayern kontribuiert an seiner Statt zu Reichs- und Kreis-Anschlägen. Wir besahen noch das Äußere dieser Stadt und machten bei dem kaiserheimschen Oberbeamten eine kleine Visite. Es ist ein feiner Mann, der uns in Rücksicht auf den Vetter des P. Beda viele Höflichkeiten erwies.

1) Geboren 1739, gest. 1809. Allgem. d. Biogr. 10, 379.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Süddeutsche Klöster vor hundert Jahren