Den 24. Julius

Es mochte etwa 12 Uhr sein, als wir bei Dachau anlangten. Hier ist wiederum ein kurfürstliches Schloß, das wir aber natürlicher Weise, da es eine dunkle, regnerische Nacht war, nicht sehen konnten. Es liegt aus einer Anhöhe. Nun nehme ich mir die Freiheit, noch einige Bemerkungen über München und den kleinen Strich Bayerns, den mir durchwandert haben, zu machen1). Vom Nationalcharakter eines Volkes läßt sich nicht viel sagen, wenn man nur einige Tage in einer Hauptstadt zugebracht, und nur mit einigen Personen Umgang gepflogen hat. Reisebeschreibungen über diesen Stoff kopieren und von einer Nation vom Hörensagen urteilen, beides ist ungerecht. Daß die Bayern überhaupt keine Freunde der Österreicher sind, das merkt man ihnen aus jeder Rede an, wenn man mit ihnen über diesen Gegenstand spricht, und sie mögen zu dieser Abneigung Ursache genug haben; denn nur in diesem Jahrhundert hat Österreich ihnen so derbe Streiche versetzt, woran sie noch lange werden zu denken haben; eben dies mag auch Zeuge sein, wie sehr der daher Patriot ist; der Ausländer ist sonst bei ihnen wohl gelitten. Wir wurden auch von kurfürstlichen Bedienten, wenn wir sie nötig hatten, allemal höflich behandelt; daß sie aber, nachdem sie einige Zeit mit Weisung der Seltenheiten bei einem Fremden zugebracht haben, auf eine Belohnung harren, das ärgert gewiss Niemanden; aber grobe Begegnung (wie es an einem andern deutschen Hofe geschehen soll) der Bedienten noch belohnen müssen, das wäre mir ärgerlich. Der Bayer ist auch in den geringsten Sachen seiner Religion eifrig und gegen jede Aufhebung einer Nebensache darin unbeugsam; Verordnungen, welche nach seinem Begriffe der Religion zu nahe kamen, möchten da wohl mit Gewalt durchgesetzt werden müssen. Ein Beispiel davon ließe sich von der Abschaffung oder vielmehr Umschaffung des Wetterläutens anführen.

1) Zu vergleichen ist hier, jedoch mit Vorsicht, eine kulturhistorische Skizze: Pfalz-Bayern gegen Ende des 18.Jahrhunderts in Räumer’s... Histor. Taschenbuch. Vierte Folge. Sechster Jahrgang (1865), S. 362 ff.


Die Kleidung ist, was die Hauptstadt anbetrifft, bei jungen Herrchen so wie aller Orten abwechselnd und unbestimmt. Bald behagt es ihnen, engländisch einher zu gehen, und dann äffen sie wieder andere Nationen nach. Der ältere Bürger und der Bauer bleiben in diesem wie im übrigen allem gerne beim Alten.

Was Industrie im Feldbaue anbelangt, so ist’s in der Tat schade, daß so ein Land, welches alle Früchte hervorbringen könnte, wenn man nur wollte, in vielen weitläufigen Strecken ungebaut daliegt. Man kann davon vornehmlich zwei Ursachen angeben: die übertriebenen Abgaben sind eine davon; sie sind so übertrieben, daß man uns versicherte, es lägen, ich weiß nicht wie viel Tausend ganze Bauernhöfe wirklich darum öde, ohne daß sich Jemand darum bewerben sollte, weil Niemand im Stande wäre, die Beschwernisse und Abgaben davon zu ertragen. Ein ganzer Bauer heißt in Bayern ein Bauer, welcher so viel zu bearbeiten hat, daß er zu seinem Dienste wenigstens 10 und auch 18 bis 24 Pferde brauchen muß. Die zweite Ursache ist, weil keine große Aufmunterung zur Industrie da ist; man mag sich für das Vaterland interessieren oder nicht, es gilt gleichviel; der untätige und derjenige, der sich nm das Wohl seines Vaterlandes, seines Nächsten und für Ausnahme nützlicher Produkte bewirbt, beide sind gleich angesehen. So sagten mir einsichtige Ehrenleute, welche aus der Erfahrung von der Sache reden konnten. Sie sind hin, fuhren sie fort, die Zeiten des besten Max Joseph, wo man auf diese Sachen Bedacht nahm und die Industrie tätig unterstützte. Daher mag es vielleicht kommen, daß man mitten in München, und so zu sagen unter den Augen des Hofes, auch von braven Männern nicht die besten Bemerkungen über die jetzige Regierung machen hört und auch überhaupt bei dem Volke nicht mehr jene feurige Anhänglichkeit zu seinem Regenten verspürt, welche sonst bis dahin allezeit der auszeichnende Charakter der Bayern in Rücksicht auf ihre Fürsten war. Vielleicht, daß die Beförderung vieler, besonders adeliger ausländischen Familien, welche sich bei der Gelegenheit, da der jetzige Kurfürst zur Regierung kam, in Bayern landsässig machten, den Bayern nicht am besten gefällt, weil sie sich lieber von ihren eigenen Landsleuten und nicht von Ausländern, besonders Pfälzern, gegen welche sie überhaupt eine eingewurzelte natürliche Abneigung hegen, regieren ließen. Sie zittern, wenn sie daran denken, daß bei der nächsten Regierungsveränderung eine noch so große Anzahl Fremdlinge und Ausländer anrücken wird, um den Eingeborenen das Fett ihrer Erde, worauf sie von dem präsumtiven Erbe schon Anwartschaft haben, wegzuschnappen.

Literarische Bemerkungen kann ich hier aus Erfahrung keine machen. Man weiß überhaupt, daß der verstorbene Kurfürst sehr auf Verbreitung der schönen und nützlichen Wissenschaften hielt. Die besonders auf Vaterlands-Geschichte abzielende, von ihm errichtete bäuerische Akademie erhält sich noch, unser verdienstvoller und nur allzu früh verstorbener Bibliothekar P. Pins Kolb1) war bekanntlich ein Mitglied derselben. Der herrschende Geschmack des jetzigen Regenten sind die bildenden Künste: Opern, Musik usw. Die höhern und niedern Studien auf dem kurfürstlichen Lyceum in München werden meist von regulieren Chorherren und Theatinern gegeben, welche man zu diesem Ende aus verschiedenen bayerischen Klöstern und Kollegien aushebt. Nebst diesen sind in München noch einige weltliche Professoren angestellt, überhaupt werden alle bayerischen Studien seit einigen Jahren von Ordensgeistlichen verschiedener Klöster auf ihre eigenen Kosten besorgt.

1) P. Pins Kolb, geb. zu Füssen am Lech 1712, ward 1731 Kapitular von St. Gaben, 1739 Priester, 1748 Bibliothekar und starb am 22. April 1762. Weidmann, Gesch. b. Bibliothek v. St. Gallen, 219-359.

München hat in seinem umfange 5.800 gemeine Schritte; darin sind 1.488 und mit den Vorstädten 1.676 Häuser, und in allem 8.829 Feuerherde. Die Anzahl aller Personen, so nach München gehörten, war im Jahre 1783 40.379 Seelen, wovon aber wirklich nur 37.840 damals in München wohnten. Das Personal des Hofes und seiner Diener allein macht schon-4.100 Seelen aus. Von jeder Feuerstelle bezahlte man früher unter dem Titel Herdfeuer 25 Kreuzer; unter der jetzigen gnädigsten Regierung darf man von jedem Feuerherde nur 50, sage fünfzig Kreuzer abgeben. Wollte man, sagt Westenrieder, auf jeden dieser Feuerherde fünf Seelen nehmen, so müßten 44.145, rechnete man aber nur vier, so würden in allem 35.316 Seelen herauskommen, und auch so wäre München im Verhältnis mit andern Städten gleichen Umfanges noch stark bevölkert, weil die weitläufigen Kirchen und Klostergebäude wenigstens den fünften Teil der Stadt einnehmen.

Und nun genug von München; ich fahre mit Erzählung unserer Nachtreise wieder fort. Wir reisten die ganze lange Nacht über Schwabhausen und andere Orte fort und kamen am folgenden Morgen zu Friedberg, dem letzten bayerischen Orte, an. Das Städtchen ist etwas befestigt und liegt an einer ziemlich steilen Anhöhe, wohin man die Pferde, wenn sie mit einer Last beschwert sind, nur mit übersetztem Vorspann und wütendem Tumulte hinaufbringt. Wir sahen 18 bis 20 Pferde eine nicht besonders große Last hinausarbeiten. Auf der Lechbrücke statteten wir der bayerischen Hoheit die letzte Gebühr ab und übergaben zugleich das Zertifikat unserer Ehrlichkeit, das uns ein Mauthner in München mitgab, seinem hier lauernden Mitbruder wieder.

Wir kamen nun durch und zwischen lauter Wasserkanälen und ungebauten Moosen durchs rote Tor in das schöne Augsburg, welches von Ferne schon einen herrlichen Anblick bietet. Vor der Stadt zeigt sich die berühmte Fabrik des Herrn von Schühlin, ein Gebäude, das dem schönsten Fürstenpalaste an Pracht nichts nachgibt. Die Stadt hat schöne Wälle und einige Festungswerke, die nicht zu verachten sind. Wir ließen uns sogleich zum Herrn Herzog führen, um ihm Visite zu machen. Er ist Stubenmeister oder einer der Vorsteher der Kaufmannschaft, Stadtrichter und ein berühmter Banquier und Kaufherr. Das Haus, das er bewohnt, war einst der Sitz der Fugger von Welleuburg und hat gegen dem Haupteingange schöne alte Gemälde. Herr Herzog läßt gerade zur Vervollkommnung des Innern stark daran bauen; das ganze Gebäude ist ins Gevierte, wie ein Kloster, gebaut und hat einen geräumigen Hofplatz. Er nahm uns mit aller nur möglichen Freude und Höflichkeit auf und zwang uns nach einigem Widerstande von unserer Seite, bei ihm zu verbleiben. Die Stadt liegt auf einer kleinen Erhöhung und ist rings umher mit einigen Alleen von Weiden umgeben; daß sie die schönste und größte Stadt in Schwaben sei, ist bekannt, und das wissen auch die Augsburger gar gut. Sie ist aber nicht so sehr bevölkert wie München, ob sie gleich dasselbe an Weitläufigkeit des Umfanges übertrifft. Die vielen Gärten, die innert der Stadtmauer liegen, tragen vieles zur Vergrößerung bei.

Die Haupt- oder Weingasse vom St. Ulrichsstifte weg bis zum Rathause ist von beiden Seiten mit den prächtigsten Gebäuden ausgeziert. Sehr breit und gewiß eben so schon, als je eine Hauptgasse in München. Die schönsten unter diesen Gebäuden sind: das Rathhans selbst, und von Partikularhäusern das berühmte Hotel zu den drei Mohren, die Häuser der Herren Obwexer, Banquiers, des Herrn Kobres u. a. Schade, daß der sogenannte Weinstadel, der mitten durch diese Gasse gebaut ist und eine ansehnliche Strecke einnimmt, den ganzen Prospekt verdirbt; schon 10 Jahre beraten sich die Väter im hohen Rathause über seine Wegschaffung und noch streut der Genius des Eigennutzes Zwietracht über diesen Punkt unter ihnen aus. An dieser Gasse stehen zwei schöne Brunnen, wahre Denkmäler der Pracht und des ehemaligen guten Geschmackes dieser Stadt und ihrer Oberhäupter. Der schönste steht vor’m Rathhause und ist dem Kaiser Augustus, dem vermutlichen Erbauer dieser Stadt, gewidmet. Der (Brunnen-) Kasten ist aus Marmor, mit unvergleichlichen metallenen Statuen verschiedener Götter, Delphinen und Flussbildern geziert, welche sich alle mit Ausspritzung des Wassers beschäftigen. Augustus’ Bildsäule steht oben im römischen Paludamente (Feldherrenmantel) aus dem nämlichen Metalle. Das Wasser, welches die Statuen ausspritzen, kreuzet sich auf eine sehr künstliche Weise durcheinander. Der zweite steht an der Weingasse, oben die Statue des Herkules, wie er mit der Keule das neunköpfige Ungeheuer bekriegt; die drei Grazien aus Bronze verfertigt, waschen sich am herabsetzenden Wasser. Der Kasten ist wieder von Marmor. Die Stadtpfleger Johann und Marx Welser, Kehlinger usw., auf deren Zutun diese Kunstbrunnen aufgestellt wurden, haben sich dadurch ein ewiges Denkmal gestiftet.

Wir gingen dann in Begleitung des Oberschreibers bei Herrn Herzog in die Wasserwerke, vermittels welcher ganz Augsburg mit Wasser versehen wird. Sie sind bei zwei Türmen beim roten Tore angebracht, davon wir in der Folge einen bestiegen. Wir besichtigten allererst die Pumpwerke, welche an einem aus dem Lechflusse hergeleiteten Kanale angebracht sind. Das Wasser wird an einem Orte mit 8 und an einem andern mit 16 Pumpen aufgefangen, und durch kupferne Röhren in eine Höhe von etwa 200 Schuhe getrieben; die Pumpwerke selbst werden von Mühl- oder Wasser-Rädern bewegt. Die Kolben und die Röhren, worin die Kolben laufen, sind von Erz, und die Stangen daran von Eisen, unten an den großen Röhren sind Ventile, durch deren Aufhebung das Wasser hineinbringt und dann von der Gewalt des allerorten hermetisch schließenden und niederdrückenden Kolbens in die Höhe getrieben wird. Auf jeden Druck wird ein ganzer Eimer Wasser in die Höhe getrieben. Die Röhren und Kolben, deren immer vier neben einander stehen und vom nämlichen Rade getrieben werden, wechseln vermittels der künstlich angebrachten eisernen Stangen also ab, daß davon immer einer Wasser drückt, und die übrigen sich inzwischen dazu vorbereiten, in ihrer Reihe das Nämliche zu tun, so daß ohne Unterbrechung Wasser in den Sammler fällt. Wir bestiegen einen der nahegelegenen Wassertürme, welcher etwa 200 Schuhe hoch sein mag; er ist ganz von unten bis zum obersten Stockwerke mit lauter Rissen, die zum Wasserwerk gehören, und mit einer unendlichen Menge aller Arten mechanischer Modelle von Wassergebäuden ausgeschmückt. Hier kann man also vorerst die ganze Art der augsburgischen Wasserwerke im Kleinen sehen, dann kommen Modelle von allerlei Gattungen von Mühlen, Stampfen, Walken, Fabriken u. s. f., und besonders zeichnet sich ein Modell aus, worauf ein vollkommenes Salzwerk, oder besser, die Weise, dasselbe zu treiben, vorgestellt wird, ein Werk von einer erstaunlichen Strecke und Machfaltigkeit, und dabei von einer bewunderungswürdigen Leichtigkeit, dasselbe in Gang zu bringen. Die meisten dieser Modelle sind im Großen ausgeführt worden. Nahe am obersten Stockwerke dieses innerlich sehr geräumigen Turmes ist der Wassersammler, ein großes Bassin von Kupfer, unten zur Reinigung des Wassers mit einem Siebe versehen, und von diesem wird das Wasser durch metallene Röhren in alle Gegenden und Brunnen der Stadt geleitet; kostbarer Aufwand, welcher dennoch von den benachbarten Bauern könnte unnütze gemacht werden, wenn sie den Augsburgern die Wasserkanäle, welche aus dem bayerischen Territorium müssen hergeleitet werden, sperren. Dieser Wasserturm hat statt eines Daches ein flaches, etwas abhängiges, mit Kupfer bedecktes Estrich, das mit steinernen Brustwehren versehen ist, so daß man darauf kommod herumspazieren und einen großen Teil der Stadt und der herumliegenden Gegend übersehen kann. Wir gingen durch ein anderes Gebäude, das wieder ganz mit Modelleu von Brücken u. s. f. besetzt ist, herab. Ein Kenner der Wasserbaukunst könnte da wochenweise verweilen, und fände für seine Kunst Nahrung genug, wenn er sie alle betrachten wollte.

Nach einer kurzen Visite im Reichsstift St. Ulrich, von dem ich aus den folgenden Tag das Merkwürdigste liefern werde, begaben wir uns aus das berühmte Rathaus1). Es ist ein herrliches, majestätisches Gebäude, würdig, von einem griechischen Baumeister aufgeführt zu sein. In der Mitte ist es, ohne die Firsten mitzurechnen, sechs Stockwerke oder Fenster hoch. Alle Böden sind mit Marmor gepflastert. Wenn man durch die marmorne Pforte hineinkömmt, so stellt sich ein großer Platz dar mit marmornen dorischen Säulen, deren Fußgestell und Kapitäle aus Erz gegossen sind. Linker Hand ist die Ratsstube. Einige Schilderungen berühmter Maler, z. B. ein jüngstes Gericht, ein Stück von Albrecht Dürer auf Holz, machen da die schönste Verzierung aus. Der Ofen ist mitten in der Ratsstube, aber ein Stockwerk tiefer, und verbreitet die Hitze durch eine vergitterte Öffnung hinauf. Rechter Hand ist der Ort, wo sich das Stadtgericht versammelt. Oberhalb sind auf jeder Seite zwei sogenannte Fürstenzimmer, prächtig, aber nicht geschmackvoll, doch aber auch mit einigen schönen Gemälden geziert. Die Öfen darin sind mit einer außerordentlichen Kunst, mit Statuen, Laubwerken, aber allzu unförmig, nach der damals herrschenden Manier gebaut. Ich weiß nicht mehr, welch eine ungeheuere Summe jedweder davon soll gekostet haben. Die Decken in allen diesen Zimmern sind, sowie auch das Getäfel, von Holz, weder antik, noch modern, auf eine Art, die uns groteske vorfällt. Der goldene Saal ist von einer erstaunlichen Größe und nimmt in der Höhe zwei Stockwerke ein; seine ganze Länge beträgt 110, die Breite 85 und die Höhe 59 Schuhe. Zu seiner Zeit mag er ein Wunder der Schönheit gewesen sein, jetzt aber wird er, seine Kostbarkeit, Größe und einige Schildereien weggerechnet, wegen seiner schwermütigen Auszierung wenig Figur machen. Auf beiden Seiten dieses Saales sind Statuen heidnischer und christlicher Kaiser aufgestellt; auch ist einst hier eine Kaiserwahl gehalten worden. Man machte darin eben in unserer Gegenwart zum nahe bevorstehenden Wahltag der Herren Stadtpfleger Anstalten.

1) Vgl. Sighart, Gesch. d. bild. Künste im Königr. Bayern 688.

Noch am Vormittage machten wir den Herren Gebrüdern und Buchhändlern Beith1) einen Besuch, in der Absicht, ihre berühmte Familienbibliothek zu sehen. Allein weil sie im Diskurse keine Meldung davon machten, und ich sie eben darum nicht bitten wollte und wir noch dazu nicht viele Zeit erübrigen konnten, so blieb es eine leere Visite.

Nachmittags begaben wir uns allererst zum Mechaniker Herrn Höschel, einem Tochtermann des berühmten Brander2), und besahen uns seinen schönen und manchfaltigen Verlag geometrischer, astronomischer und anderer mathematischer und physikalischer Werkzeuge. Über seine Einsichten in dieses Fach kann ich nicht urteilen, weil es das meinige gar nicht ist; dies aber ist gewiß, daß Herr Höschel noch Riesenschritte zu machen hat, wenn er seinem verstorbenen Schwiegervater die Rennbahn ablaufen will.

Jetzt wieder zu St. Ulrich, wo wir dem Herrn Reichsprälaten Philipp aus dem patrizischen Geschlechte von Langenmantel3) unsere Aufwart machten. Um 4 Uhr begleitete uns der P. Kanzleidirektor und ehemaliger öffentlicher Lehrer an der Universität zu Salzburg, P. Wikterp4), ein eben so gelehrter als freundlicher Mann, der uns mit aller Mühe in seinem Stifte behalten wollte, in die Stadtbibliothek bei St. Anna. Der berühmte Herr Rector Mertens5) steht derselben mit vieler Einsicht vor. Er nahm uns mit außerordentlicher Freundlichkeit auf und unterhielt uns etwa zwei Stunden auf eine recht edle Art.

1) Beith, Franz Anton, Buchhändler († 13. März 1796), verfasste ein Verzeichnis Augsburgischer Schriftsteller unter dem Titel Bibliotheca Augustana. 12 Thle. Augsburg 1786-96. — Lorenz Beith, Jesuit ( †. Okt. 1796), lehrte in Ingolstadt und Augsburg und gab zahlreiche theologische Werke heraus. Bailer, 1. c. I. 776.

2) Georg Friedrich Brander, geb. 1713, † 1. April 1783, berühmter Mechaniker. Allg. deutsche Biogr. 3, 240).

3) Geboren 1710, zum Abt erwählt 1753, † 1790. Seine Regierung war für das Kloster nicht von Vorteil. Kalender f. kath. Christen. Sulzbach 1873, S. 109.

4) P. Wikterp Grundner, geb. zu Augsburg 30. Sept. 1744. tat 1765 Profeß, ward 1769 Priester und am 11. März 1790 zum Abt von St. Ulrich erwählt. Er starb den 22. Januar 1795. Er war ein Freund und Gönner der Gelehrten. Lindner, Die Schriftsteller b. Benebict.-Ord. im Königr. Bayern, II. 122.

5) Hieronymus Andreas Mertens, geb. zu Augsburg 1743, ward 1773 Rector, und starb den 17. Januar 1799. Das Verzeichnis seiner Schriften ist sehr umfangreich. Beim Besuche Pius VI. empfing er denselben knieend mit einer lateinischen Anrede.


Der Bibliotheksaal macht durch sein äußerliches Wesen keine Figur; er ist alt und, wie es noch an vielen Städten zu sehen ist, nicht zu diesem Ende erbaut, sondern nur später zu einem Büchersaale umgeschaffen worden. Vor der Stiege ist eine alte römische Aufschrift auf einem Steine zu sehen, welcher einst ein Grabmal gewesen. Die Bibliothek ist mit Portraits meist gelehrter Augsburger geziert. Marx Welser, Pentinger, Höschel, Wolf u. s. f. sind die berühmtesten, unter den Manuskripten sind jene griechischen die sehenswürdigsten, welche der Rat einem griechischen Bischof für 800 Dukaten abgekauft hat. Darunter befinden sich Werke vom h. Chrysostomus, einige griechische Klassiker; besonders merkwürdig ist ein Evangelium mit Noten, mit Unzialbuchstaben, welches Herr Mertens ins 8. Jahrhundert setzt. Von neuern Manuskripten zeichnen sich Welsers, Wolfens, Höschels und Peutingers seine aus. Auch werden da einige schöne Antiken von Erz und anderer Materie aufgehoben, davon noch einige nicht bekannt genug sind. Es gibt welche darunter, die in der Gegend von Augsburg gefunden wurden. Was die Druckdenkmale angeht, so sieht man hier den Cicero „Von den Pflichten“ von Fust auf Pergament gedruckt, 1466; Peter Schoissers Epistolae S. Hieronymi, 1470; ein kleines Büchlein von Aldus Manutius, auch auf Pergament. Unter dem biblischen Fache habe ich endlich einmal nebst vielem Alten die Biblia polyglotta complutensia von 1515, welche jetzt fast nimmer zu sehen ist, anzutreffen das Glück gehabt. Es ist die erste Polyglotte, welche das Licht erblickte, und der berühmte spanische Kardinal Ximenes, aus dessen Zutun sie herauskam, hat sich dadurch ein würdiges Denkmal gestiftet. Sonst ist hier noch eine schöne Sammlung jener Bücher zu sehen, welche in der berühmten Welfer’schen Buchdruckerei „ad insigne pinus“ mit den zierlichsten Lettern herausgegeben wurden, und die man mit Recht den niedlichen Ausgaben der Stephanus, Moretus, Elzevir, Aldus, Plantin, Greif, Raphalengius an die Seite setzen kann. Unsere Bibliothek enthält auch einige der Hauptwerke dieser Sammlung, Die Sammlung der gedruckten Bücher ist sehr zahlreich und auch mit neuen prächtigen Werken versehen. Von diesen nenne ich nur die berühmte Dactyliothek des Herrn Lippert, ein Werk, das in jeder Rücksicht Achtung verdient, und von dem hier eine kleine Beschreibung nicht am unrechten Orte stehen dürfte1). Dies Werk gleicht von außen einem Ungeheuern Foliobande von atlantischer Form, besteht bis jetzt in zwei bis drei Bänden und wird fortgesetzt. Es enthält inwendig in verschiedenen kleinen Schubladen eine Sammlung und Beschreibung aller bis dahin bekannten griechischen und römischen Antiken, Gemmen, Siegelringe u. s. w., sie mögen nun eingegraben oder von erhabener Arbeit, mit oder ohne Aufschrift sein. Die Abbildungen sind nicht in Kupfer gestochen, sondern sie sind den echten Originalen vermittels einer geheimen, nur Herrn Lippert bekannten Komposition nachgearbeitet, in der nämlichen Größe, wie die Originalstücke. Sie gleichen an der Farbe, die nämlich, welche ich sah, einem Onyx; ich weiß aber nicht mehr, ob sich nicht auch noch andere Farben anderer Edelsteine dabei finden. Die Materie ist während der Arbeit weich wie Wachs, und dann verhärtet sie sich zum Steine. Wirklich enthält diese Sammlung etwa 4.000 Stück. Es ist ein Werk, durch welches man auf einmal alle Gemmen der Schönsten bekannten Kabinette sammt ihrer Beschreibung, ihrem Standorte und Bemerkungen darüber um einen kleinen Preis in einem echten Abdruck erhält, und davon allen den Nutzen eines Original-Kabinetts hat, ohne an die Ungeheuern Kosten desselben sich halten zu müssen, indem ordentlicher Weise eine einzige schöne Gemme höher als das ganze Lippert’sche Werk zu stehen käme, und in dieser Rücksicht nenne ich den Preis dieses Hauptwerkes klein.

1) Philipp Daniel Lippert, geboren in Meißen 1702, ward 1764 Professor der Antike an der Akademie der Künste in Dresden, starb daselbst 1785. 1755—1762 veröffentlichte er Dactyliothecae universalis Chilias, dann Milliarium secundum und tertium, in allem 3.000 Abdrücke in einer von ihm erfundenen weißen Masse, die er mit einer sächsischen Talkerde vermischte. Allg. deutsche Biogr. 18, 736.

Nun waren schon fast über zwei Stunden verflossen, und noch war der gefällige Mann erbötig, mehr Zeit auf mein Vergnügen zu verwenden; ich fand es aber unbillig, ihm seine einzigen Erquickungsstunden wegzustehlen, und beurlaubte mich bei ihm auf das rührendste. Ich sage, seine einzigen Erquickungsstunden, denn der Mann ist bei seinem Dienst außerordentlich strapaziert. Täglich muß er acht volle Stunden Schulstaub in sich schlucken; er gibt überdies zwei Nebenstunden für seine jungen Mitbürger im Französischen und Griechischen; das übrige seiner Zeit muß er für den Büchersaal verwenden, für dessen Besorgung ihm der hochedle und wohlweise Magistrat jährlich die herrliche Summe von — 12 Gulden gnädig und großmütig zukommen läßt. Dank also dem braven Bibliothekar, welcher, ob es gleich ihm vielleicht am wenigsten mochte gelegen sein, zwei seiner Ruhestunden meiner Ergötzung schenkte.

Ich ging jetzt, nachdem ich mich auch vom P. Wikterp beurlaubt hatte, in Begleitung zweier Studenten von St. Peterzell, welche uns den ganzen Nachmittag sehr verbindlich zur Aufwart waren, zum Herrn Herzog, dann auf eine kleine Visite zum Ratsherrn und Buchhändler Wolf und endlich zum St. Salvators Ex-Jesuiten-Kollegium, wohin sich meine Reisekameraden schon vorher verfügt hatten. Da lernte ich die Herren Domprediger P. Alois Merz1) und Zeiller und den berühmten und gelehrten Professor Zallinger2) kennen. Die beiden Mangolde3), den Ex-Provinzial und den Rektor, konnte ich nicht sehen, weil sie eben zu Tische waren. Flüchtig besahen wir den Kongregationssaal, einige Stücke des Kollegiumsgebäudes und besuchten noch die heilige Kreuzkirche, woselbst jene berühmte heilige Hostie aufbewahrt wird, die Schon vor 600 Jahren eine blutige Farbe an sich genommen hat. Die Geschichte dieses Ereignisses ist an beiden Seiten des Chores in Gemälden vorgestellt und kann in Büchern nachgeschlagen werden4). Es hängen eine Menge Tafeln aus Sammt mit silbernen halb erhabenen Figuren herum, zum Andenken der hier erhaltenen Guttaten. Weil ich hier just von Votiven rede, so merke ich noch an, daß wir in München in verschiedenen Kirchen deren einige gesehen, die sehr auffallend sind. Sie bestehen glatthin aus einem papiernen Zeddel, worauf oft mit der elendesten Handschrift der Umstand erzählt wird, warum man diesen Votivzeddel ausgehängt; zuweilen steht noch der Name desjenigen darunter, der diesen Zeddel hinschrieb. Die regulierten Chorherren waren so gütig, uns diesen Schatz, ob es gleich sehr spät war, zu zeigen, und wir beteten den darin unter Brodsgestalten verborgenen Heiland mit Ehrfurcht an.

1) P. Alois Merz war geboren den 27. Februar 1727 zu Donsdorf in Schwaben, trat 1744 in das Noviziat der Gesellschaft Jesu und war 20 Jahre hindurch Domprediger in Augsburg, als welcher er sich durch seine polemischen Schriften großen Ruhm erwarb. Er starb den 8. Oktober 1792. Backer, Bibliothèque II, 411. — Braun, Bischöfe von Augsburg IV, 656.

2) Jacob Anton Zallingler, geb. zu Bozen 1735, trat 1753 in die Gesellschaft Jesu, lehrte Philosophie und Theologie und nach Aufhebung des Ordens canonisches Recht in Augsburg. Er starb den 11. (16.) Januar 1813. Backer, Bibliothèque IV, 747. — Braun, Bischöfe von Augsburg IV, 656.

3) Mangold Joseph, geboren 1716 zu Nhelingen in Schwaben, war der letzte Rektor des Kollegiums in Augsburg. Sein Bruder Maximus, geboren 1722, lehrte in Ingolstadt und war der letzte Provinzial der oberdeutschen Provinz vor der Aufhebung des Ordens. Er starb in Augsburg am 23. März 1797. Backer, Bibliothèque III, 480.

4) Vgl. Das wunderbarliche Gut bei hl. Kreuz in Augsburg in St. Benedicts-Stimmen (1879) III, S. 36 ff.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Süddeutsche Klöster vor hundert Jahren