Den 23. Julius

Also auf diesen Entschluß hin führte uns Herr Albert zum Hause des berühmten Professors Westenriederl), um uns mit ihm bekannt zu machen; er war aber zum Verdrusse für uns eben verreist. Beim Professor und Buchhändler Strobl2) waren wir glücklicher; wir unterredeten uns eine Zeit lang mit ihm und besuchten dann die Hautlice- oder Tapetenfabrik, deren Produkte gewiß dem schönsten Gemälde an die Seite stehen, und wenn vom Kolorite die Rede ist, die Gemälde weit zurücklassen. Ein artiger Franzose, Hr. Cledeville, der sich schon seit acht Jahren in München aufhält und noch nichts Deutsch spricht, hat die Aufsicht darüber und nimmt die Fremden mit einer besondern, nur den Franzofen eigenen Art der Höflichkeit auf. Das Seltenste bei dieser Webekunst ist, daß derjenige, welcher daran arbeitet, nicht sieht, was er arbeitet; er steht zwischen dem Gemälde, das er kopieren will, und dem Webestuhl, woran die Haupt- oder groben Grundfaden des werdenden Stückes angespannt sind, wie eingeschlossen, und hat nur immer die innere falsche Seite des Stückes oder die Rückwand desselben vor sich. Gegenwärtig verarbeitet er Stücke aus der Römer-Geschichte (wenn mich mein Gedächtniß nicht trügt) für die Kaiserzimmer in der Münchener Residenz. Seine Gesellen sind Deutsche, und von den Lehrlingen befinden sich schon einige aus kurfürstliche Kosten auf Reisen.

1) Lorenz v. Westenrieder, Domkapitular zu München, geb. daselbst 1754, † 15. März 1829.


2) Joh. Bapt. Strobl starb im Nov. 1805. Meusel a. a. O. VII, 707; XII, 386.


Herr Albert führte uns dann in ein Gebäude von fünf Stockwerken, das, wenn es ausgemacht ist, einem Palaste, ins Gevierte gebaut, ähnlich sein wird. Es wird unter seiner Direktion aufgeführt, und man ist unschlüssig, ob man die darin angebrachten Kommoditäten, deren wohl keine vergessen wurde, oder seine Dauerhaftigkeit, oder seine einfach majestätische Pracht mehr bewundern soll. Zu welch einem Ende dies Gebäude einst dienen soll, war für uns ein Geheimnis, das er uns nicht enthüllte. Mit alledem kostete es bis dahin sammt dem Ankauf dreier großer benachbarten Häuser nur 70,000 Fl, eine geringe Summe, wenn man betrachtet, wie teuer der Ankauf der Häuser in einer Haupt- und Residenzstadt zu stehen kommen müsse.

Dann führte er uns noch in ein anderes ihm zugehöriges Haus, worin wahrhaft verunglückte Personen, die sich sonst untadelhaft aufgeführt, einen Zufluchtsort haben und auf eine Zeit dem Spotte des Publikums entrissen werden, bis sie durch wohltätiges Zutun einer christlichen Menschenliebe anderswo ehrlich untergebracht werden.

Es sei mir hier erlaubt, etwas zum Ruhme dieses wackern Mannes anzubringen. Er war einst Professor der Chirurgie und Geburtshilfe an der Akademie zu Ingolstadt, ist jetzt einer der angesehensten Ratsherren in München und Inspektor der Bierbrauerei in dasigem Pfleggerichte. Er war einer der Ersten, welche große Strecken öder, moosiger Orte mit unermüdetem Fleiße und großen Kosten urbar machen ließ, daß jetzt dort Früchte gedeihen und dem Wanderer hold entgegen lachen, wo man ehehin nur unnütze, unfruchtbare Wüsteneien sah. Er war der Erste, der Maulbeerbäume pflanzte und dadurch die Seidenwürmer-Zucht einführte; der Erste, welcher eine nach Gesetzen handelnde Bienengesellschaft in seinem Vaterlande aufleben machte, Zeugen genug von seiner Industrie. Er ist (und dies macht ihm als Mensch und Christ mehr Ehre) der Hauptstifter der neu errichteten Armenanstalt, zu deren Wohl er eine ansehnliche Gesellschaft von Guttätern, welche monatliche Abgaben zu diesem Ende entrichten, auferwecket hat. Überdies hat er auch seine Talente und Einsichten in der Mechanik durch Erfindung nützlicher Maschinen für Kranke, Bettlägerige und Hebammen gezeigt. Er besitzt auch ein Geheimnis, das er selbst erfunden, alle Gattungen Getreide, ohne daß man sie nur ein Mal rühren darf, so lange als man will, frisch und von Ungeziefer unangetastet zu erhalten, und ist erbötig, dasselbe nach gemachter Probe für eine anständige Belohnung zu eröffnen. Er ist somit ein Mann, dessen Umgang einem Reisenden wichtiger als das Anschauen aller vorkommenden Seltenheiten sein muß. Er hält in seinem Hause sehr strenge über gute Ordnung, Arbeitsamkeit, Pünktlichkeit, welches in einem so großen Gasthofe sehr notwendig sein muß.

Au der Seite dieses würdigen Mannes gingen wir Nachmittags in das Bitterich-Regelhaus, das von der Familie Bitterich, die es gestiftet, so genannt wird, woselbst die dasigen Klarissinnen die Normalschule geben und dazu in einem dabei gelegenen Zimmer noch andere Mädchen im Nähen, Stricken u. s. w. unterrichten. Herr Hofmann, ein Gelehrter und einer der Hauptlehrer der Normale, führte uns dahin, und da gings nun ans Manöveriren, bis das ganze Normal-Exerzitium fertig war. Eine Art gewisser Gabelruten, woran man verschiedene Endsilben der Worte befestigt, und damit einem Worte im Augenblicke eine andere Gestalt geben kann, trägt bei den Kindern viel zur Fertigkeit im Lesen bei. Eine Art von Setztafeln, woraus die Kinder die in ihre Fächer abgesonderten Buchstaben seilst herausklauben müssen, um die aufgegebenen Worte daraus zu gestalten, lehrt sie praktisch die Buchstaben kennen, echt buchstabieren und, was die Hauptsache ist, orthographisch Schreiben, und erleichtert dem Lehrer seine Mühe um Vieles. Diese Vorteile ließen sich auch sehr leicht bei unserer Normalschule gebrauchen. Die Art, wie Herr Hofmann bei einigen Worten das Buchstabieren einrichten möchte, hat etwas Besonderes, und es ärgert ihn sehr, daß er, seiner Gründe ungeachtet, nicht damit durchdringen kann. Eben, weil seine Art sonderbar ist, so setze ich ein Beispiel davon hieher. Die Neuerung, die er einführen möchte, beträfe nur jene Worte, die aus mehreren zusammengesetzt sind, und darin betrachtet er drei Sachen: das Hauptwort, die Zusammensetzung und die Endung, z. B. Sollte das Wort Menschwerdung also nach seiner Meinung buchstabiert werden: Mensch- werde ung, weil ung, keit, heit, leit u. s. f. untrennbare Endsilben wären, welche nie an ein anderes Wort im Buchstabieren sollten angehängt werden. Er mag Recht haben, ich ziehe meine Feder von diesem grammatikalischen Streite weg, und bemerke, was wir noch weiter sahen.

Wir gingen sämtlich durch die Wilhelminische oder Herzogmaxische Residenz, welche jetzt von der verwitweten Herzogin Charlotte bewohnt wird, auf das Landgut der Herren Gebrüder von Hepp, um den Seidenbau zu sehen. Die Seidenwürmer wurden in unserer Gegenwart in einen kochenden Kessel geworfen, und dann mit unglaublicher Geschwindigkeit abgesponnen, wobei zu bewundern ist, daß die kaum sichtbaren Seidenfaden von einer so mächtigen und geschwinden Bewegung nicht zerreißen. Man war so gütig und verehrte uns ein Dutzend der schönsten dieser Seidenwürmer, und Herr Beda, der sie einstweilen aufbehalten sollte, verlor sie glücklich alle. Der Herr Hofmeister zeigte uns noch die schönen Zimmer dieses Landhauses.

Der letzte Ort, den wir in München besichtigten, war das Landhaus, oder vielmehr der diesem Sommerplaste der verwitweten Herzogin zugehörige Garten, welcher mit Schönen Statuen, Alleen u. s. f. geziert ist. Wir sahen da eine 19 Schuhe hohe Aloe, welche eben zu blühen anfing, eine seltene Erscheinung. Abends besuchten wir den Komödiensaal. Es ward ein ganz neues Stück ausgeführt: Das Verbrechen aus Ehrsucht1). Die Akteure spielten ihre Rollen überhaupt trefflich und das Stück, voll launiger Satire und auch schönen moralischen Anwendungen, ward mit lautem Beifall aufgenommen. Das Ballett eines Matrosenchores mit Nymphen war nett, und die Musik zur Komödie und Ballette, wie man sie von diesem berühmten Orchester erwarten mußte. Hier hatten wir Gelegenheit, den Kurfürsten, den Prinz Wilhelm von Birkenfeld, den Malteser-Großprior der bayerischen Zunge, von Bregenheim, den von Flachsland, den englischen Gesandten, verschiedene Grafen und Minister zu sehen. Nachts um 10 Uhr reisten wir, nachdem wir von unserm braven Wirte Urlaub genommen hatten, durch das Neuhausertor von München weg. Einige Bemerkungen über diesen Ort werde ich noch im nächsten Teile anzuführen mir vorbehalten.

1) Von August Wilhelm Jffland, geb. 1759, † 1814. Das obige Stück das Jfflands literarischen Ruf begründete, war am 9.März 1784 zu Mannheim zum ersten Mal aufgeführt worden.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Süddeutsche Klöster vor hundert Jahren