Sechste Fortsetzung

Bei der Wohlhabenheit und dem Reichtum der Juden und bei ihrem unzweifelhaft vorhandenen Streben nach höherer geistiger Bildung, besuchen zahlreiche Juden auch die Universitäten und Hochschulen aller Art, sie verstärken also das Angebot der Kräfte. Darin liegt der erste Grund für unser sogenanntes germanisches Studententum, antisemitisch zu sein. Ein anderer Umstand kommt hinzu, und dieser gilt nicht bloß für dir Universitäten, sondern auch für alle übrigen Zweige der Tätigkeit, für materielle wie geistige. Es ist unleugbar, dass die Juden sich durch große Ausdauer, Zähigkeit und auch Nüchternheit auszeichnen. (Zwischenruf: Oho!) Ja, Genosse Schoenlank, gewiss! (Heiterkeit.) Unsere Handwerker, unsere Händler, unsere Kaufleute glauben vielfach, den Tag nicht gehörig verlebt zu haben, an dem sie nicht einen Frühschoppen von ein paar Stunden machen. Das fällt dem jüdischen Geschäftsmann nicht ein, der bleibt in seinem Geschäft. In Bezug auf den Genuss von Spirituosen kann der Jude sogar vielfach als das Ideal unserer Antialkoholisten gelten. (Heiterkeit.) Als Student studiert auch der jüdische Student, aber der sogenannte germanische Student schlägt den größten Teil seiner Zeit in Kneipen, auf dem Fechtboden oder an anderen Orten, die ich nicht nennen will, tot. (Heiterkeit.) Der Graf Mirbach hat vor einigen Jahren einmal in einem öffentlichen Blatt eine Warnung erlassen. Der große Luxus, den auf den Universitäten die Korpsverbindungen, namentlich die Mitglieder der Bonner „Borussia“, trieben, müsse aufhören. Man ließ sich noch gefallen, wenn der Sohn, ausschließlich der Kosten für den Einjährigen, nicht mehr als 4.500 Mark pro Jahr verbrauche, aber darüber hinaus könnten viele Väter nicht leisten. Die Juden dagegen sind meist fleißig, sie lernen tüchtig und im Examen schlagen sie alsdann häufig ihre germanischen Kommilitonen, die einen großen Teil ihrer Zeit wie angedeutet vergeudet haben. Würden alle Studenten ähnlich arbeiten und studieren, wie es die Juden größtenteils tun, der preußische Kultusminister Dr. Bosse hätte keine Veranlassung gehabt, vor Jahren einen Vortrag über den mangelnden Studieneifer der Studenten, die sich der Jurisprudenz widmeten, und über die geringen juristischen Kenntnisse der Kandidaten der Rechte zu halten. Er wies damals darauf hin, wie gründliche Kenntnisse bei den jungen Juristen immer seltener würden, wie dagegen dieselben vielfach Streber seien, die durch gute Gesinnung zu ersetzen suchten, was ihnen an Wissen und Charakter abgeht. Würde man die Juden, im Widerspruch mit Verfassung und Gesetz, nicht von allen offiziellen Stellungen im Staat, vom Richterstuhl, der Professur, der Verwaltungslaufbahn, ausschließen, unsere studierten Germanen würden ihr blaues Wunder erleben, wie wenig Plätze für sie noch übrig blieben. Es ist also auch hier begreiflich, dass unser germanisches Studententum in der immer größer werdenden Konkurrenz der Juden sehr unangenehme Mitbewerber sieht und deshalb fanatisch dem Antisemitismus huldigt.

Ich habe hiermit die Hauptgründe entwickelt, die nach meiner Auffassung im vollstem Maße dazu beitragen, den Antisemitismus zu der Erscheinung zu machen, die er heute geworden ist.


Aufgefallen ist allgemein, das ungemeine Wachstum, das der Antisemitismus bei den letzten Reichstagswahlen namentlich in Sachsen zeigte. Es fiel auf, dass gerade dort, wo verhältnismäßig wenig Juden sind, der Antisemitismus so starken Boden fand, Aber es kommt bei der heutigen Organisation der Gesellschaft nicht darauf an, ob der Jude persönlich am Platze ist, sondern ob und wie er sich als Konkurrent bemerkbar macht. Als solcher macht er sich aber überall bemerkbar. Als Kaufmann, als Großgewerbetreibender, als Reisender, der den Kleingewerbetreibenden und den kleinen Handelsmann empfindlich schädigt. Dazu kommt, dass wenn irgendwo die Konservativen im allgemeinen sich durch ein besonderes Maß von Charakterlosigkeit und Kriecherei nach oben auszeichnen, dies von den sächsischen Konservativen gesagt werden muss. Dies war ein weiterer Grund zur Unzufriedenheit der Wähler mit ihrer bisherigen Vertretung, der zu den Erfolgen der antisemitischen Agitatoren geführt hat. Einesteils schmeichelten sie den rückständigen Aspirationen und Hoffnungen des kleinen Mittelstandes, anderenteils traten sie mit scheinbar radikalen politischen Forderungen auf und erweckten damit bei dem im Innern demokratisch gesinnten Kleinbürgertum Sympathie. Ob aber der Antisemitismus sich auf die Dauer in Sachsen halten wird, bezweifle ich.

Warum ist heute eine bürgerliche Demokratie, wozu ich die Antisemiten nicht zähle, in Deutschland nicht mehr möglich? Warum tritt sie, auch dort, wo sie bisher eine gewisse Bedeutung hatte, immer mehr zurück? Weil der kleine Handwerker- und Bauernstand mehr und mehr an Bedeutung verliert. Die freie Bauernschaft, die städtische Kommune im Mittelalter waren der Boden für die Demokratie, die ihrer Natur nach kleinbürgerlich ist. Heute ist an Stelle der Demokratie der Liberalismus, der politische Repräsentant der Bourgeoisie, getreten, die infolge ihrer sozialen Macht vielfach Kleinbürger, Bauern und Arbeiter zur Heeresfolge zwingt. Die Elemente, die sich von der Leitung der Bourgeoisie freigemacht, folgen jetzt zum Teil dem Antisemitismus, der ihnen die Befreiung aus ihrer sozialen Not verspricht. Je schwieriger nun der Existenzkampf für die erwähnten Schichten wird, je mehr sie fühlen, dass sie dem Untergang entgegeneilen, um so mehr wird innerhalb dieser Schichten die antisemitistische Bewegung zunehmen. Darüber täuschen wir uns nicht. Wir werden also einstweilen in diesen Kreisen agitatorisch wenig erreichen können. Aber wir kommen an die Reihe, sobald der Antisemitismus abgewirtschaftet hat. Sobald jene Schichten durch bittere Erfahrungen, vor allem durch das Verhalten ihrer antisemitischen Führer im Reichstage erkennen, dass sie auch von jenen getäuscht wurden, kommt die Stunde unserer Ernte. (Zustimmung.) Ist es also hiernach vollkommen erklärlich, das der Antisemitismus abgewirtschaftet hat. Sobald jene Schichten durch bittere Erfahrungen, vor allem durch das Verhalten ihrer antisemitischen Führer im Reichstage erkennen, dass sie auch von jenen getäuscht wurden, kommt die Stunde unserer Ernte. (Zustimmung.) Ist es also hiernach vollkommen erklärlich, dass der Antisemitismus das wurde, was er bei den letzten Wahlen geworden ist, so ist auch sicher, dass er in den nächsten Jahren in einzelnen Gegenden noch wachsen wird; aber er wird in seinem Kampfe um die Herrschaft nötig sein, wider seinen Willen über sein Ziel hinauszugehen. Die Richtigkeit dieser Ansicht hat sich schon bewiesen, nämlich bei der Stellung Ahlwardts gegenüber seinen bäuerlichen und kleinbürgerlichen Wählern. Ahlwardt trat Arm in Arm mit dem Junkertum in den Kampf ein und wurde gewählt. Allmählich aber ist er durch die Stimmung des Hauptteiles seiner Wähler genötigt worden, die Parole auszugeben: Wider Juden und Junker! Sobald aber der Moment gekommen ist, wo es für den Antisemitismus nicht mehr ausreicht, bloß gegen die Juden zu gehen, sondern wo er genötigt wird, gegen das Kapital überhaupt Front zu machen – und dahin kommt er in seinem Kampfe gegen die jüdischen Kapitalisten von selbst; das gilt auch bereits für die hessische Bewegung – ist auch der Augenblick gekommen, in dem unsere Anschauungen auf fruchtbaren Boden fallen können und fallen werden. Wir gewinnen alsdann den Anhang, den wir augenblicklich noch vergebens erstreben. (Zustimmung.)
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Sozialdemokratie und Antisemitismus