VIII. Genuesen

Eine der merkwürdigsten Erscheinungen in der Weltgeschichte sind die italienischen Republiken des Mittelalters. Die blutigsten Fehden der einzelnen Städte gegen einander, zwischen denen kurze Friedenszeiten nur wie Augenblicke des Atemholens sind, erbitterte, fast ununterbrochene Kämpfe der politischen Parteien oder des Adels und der Gemeine im Innern, grausames Wüten gegen Gegner und in den eignen Familien, Meineid und Wortbruch in der empörendsten Art, unersättliche Geldgier stehen neben Heldenmut, kühnem Unternehmungsgeist zu Wasser und zu Lande, dem wunderbarsten und reichsten Genie in Entwerfung der großartigsten Pläne und Benutzung jedes möglichen Vorteils, der unbezwinglichsten Ausdauer und Standhaftigkeit, dem üppigsten und geschmackvollsten Glanze des Lebens wie unvereinbare Gegensätze und haben sich doch zu dem geeinigt, was wir in der Entwicklung und Blüte jener Städte bewundern müssen.

Im Laufe des 12. Jahrhunderts wendeten sich namentlich Pisa, Venedig und Genua dem Handel mit der Levante zu, Pisa aber gelang es gegen das Ende des Jahrhunderts Venedig und Genua von Konstantinopel und dem Schwarzen Meere zu verdrängen. Es war dies ein Grund mit, dass sich Heinrich Dandolo, der Doge von Venedig, den Kreuzfahrern bei ihrem Unternehmen gegen Konstantinopel anschloss und mit ihnen 1204 das lateinische Kaisertum errichtete. Die ausgedehntesten Handelsrechte für Venedig waren die Folge und dies besetzte nicht nur die ganzen Küstensäume Griechenlands mit Niederlassungen, sondern bemächtigte sich auch des Getreidehandels im schwarzen Meere. 1)


Neid und Eifersucht machte deshalb die Genuesen zu Bundesgenossen der Paläologen, als diese 1261 Konstantinopel eroberten, und sie erhielten hierauf die Vorstadt Galata (d. h. Pera), erst als Wohnsitz, später 1304 als volles Eigentum. 2) Von hier aus richteten sie ihre Blicke nach der Krim und schon 1267 schlossen sie mit dem Großchan von Kiptschak, Mengku-Timur, den Vertrag, wodurch ihnen gestattet wurde, in Kaffa, wie jetzt der kleine Hafenort an der Stelle des alten Theodosia hieß, eine Handelsniederlassung zu gründen, die sich 1280 zur Stadt erweiterte 3) und an Glanz und Pracht immer mehr zunahm, so dass sie in ihrer Blüte über 100.000 Einwohner zählte und noch in den jetzigen Trümmern zeigt, wie stark und wohlangelegt ihre Befestigungen waren. 4)

Diese Kolonien der italienischen Staaten waren alle nicht nur im Charakter der Gründer, sondern auch in der ganzen Verfassung, in den politischen Fehden der Geschlechter Abbilder ihrer Mutterstädte. Ein Konsul mit eigener Gerichtsbarkeit stand an der Spitze Kaffas und seines Gebietes, während ein Podesta in Galata regierte, doch so, dass beide Städte immer unter der Hoheit Genuas selbst blieben 1). Wenn wir uns wundern, wie es den Flotten dieser fernen italienischen Städte gelingen konnte, sich des ganzen griechischen und Schwarzen Meeres zu bemächtigen, so ist die Erklärung in der Erschlaffung und Gleichgültigkeit zu suchen, mit welcher die Griechen selbst mehr und mehr die Mühen und Gefahren der Seefahrt flohen, während die Kumanen, Tataren und Türken in ihrer Kentaurennatur nie Liebe zur See gehabt, nie sich Erfahrung und Gewandtheit auf dem Meer zu erwerben gesucht hatten. Außerdem war es den Völkern, welche die Küsten des Schwarzen Meeres innehatten, bei den fortwährenden Fehden und Händeln, die zwischen ihnen bestanden, erwünscht, den unentbehrlichen Handel durch neutrale Kaufleute und Schiffe betrieben zu sehn. 2) Mit dem eben erst entstandenen Solgat vertrugen sich wohl die Genuesen von Kaffa in der Weise, dass Solgat der Stapelplatz der aus Asien und dem Norden zugeführten Waren, der Platz des Verkehrs für die großen persisch-armenischen Karawanen blieb, während Kaffa den ganzen Handel zur See hatte.

Denselben Charakter, den die Genuesen in Italien zeigten, jenen Verstand, der mit menschlichen Gefühlen nur spielt, um zu gewinnen, dieselbe Menschenverachtung und Grausamkeit, Streitlust und Treulosigkeit, gleichen Hohn und Übermut zeigten sie auch in Kaffa. Auch hier lässt uns Vieles die Worte Dantes 3):

O Genueser, Männer aller Sitte
Entfremdet und bedeckt mit allen Fehlern,
Was seid ihr von der Welt nicht ausgerottet?

nicht zu streng erscheinen. Aber auch hier zeigten sie, wie daheim, den gleichen Muth und die gleiche Ausdauer. Immer weiter breiteten sie ihre Besitzungen auf der Krim aus und eroberten bald nach 1300 Soldaja 1), 1365 Cembalo 2), wie sie den alten Namen verdarben, während sie später den jetzigen Namen Balaklawa aus dem tatarischen Balachai, Fischburg, bildeten. 3) Zwar verloren sie beide Orte auf kurze Zeit, aber 1365 eroberten sie Soldaja 4), 1434 Balaklawa zum zweiten Mal 5) und befestigten dann beide Orte in trefflicher Weise, wie noch die jetzigen Trümmer zur Genüge zeigen. 6) 1377 sicherte ein Vertrag, zwischen Elias, dem Beg von Solgat, im Namen des Großchans einerseits und dem genuesischen Bevollmächtigten Gianone del Bosco, Konsul von Kaffa, im Namen der Republik Genua und Kolonie Kaffa andrerseits abgeschlossen, den Genuesen den Besitz der ganzen Küste von Chazarien, Soldaja mit 18 Ortschaften und Gothia von Cembalo bis Soldaja. Derselbe Vertrag räumte ihnen ein Quartier in Tana, dem h. Azof, gegen 3 Prozent von allen verkauften Waren ein. 7)

Vor politischen Fehden im Innern waren später die genuesischen Besitzungen dadurch gesichert, dass die Parteien in der Heimat sich stillschweigend oder ausdrücklich in den Handel der Levante geteilt hatten; in dem Schwarzen Meere waren alle Niederlassungen seit 1322 in den Händen der Ghibellinen. 3) Aber mit den Venetianern waren die Kämpfe im Orient ebenso ununterbrochen, als in Italien. Zwar wurden die Genuesen wiederholt von den Venetianern in großen Seeschlachten besiegt und Kaffa 1296 von den Venetianern zerstört 1), aber dennoch gelang es der Beharrlichkeit der Genuesen am Ende die Venetianer fast ganz aus dem Schwarzen Meere zu verdrängen; nur in Tana behielten dieselben noch ein Quartier und das Recht eine Niederlage für ihren Handel zu halten. 2) Von hier sollen sie im J. 1347 die Pest, oder, wie man sie damals nannte, den schwarzen Tod, nach Europa gebracht haben 3), dessen Wüten Boccaccio und in neuerer Zeit Manzoni in so erschütternder Weise geschildert haben, und der einen so großen Teil der Bevölkerung im südlichen Europa wegraffte, dass nach Petrarkas Zeugnis die ganze Zeit eine veränderte Gestalt erhielt.

Aber nicht allein in der Krim suchten die Genuesen sich immer weiter auszubreiten, sondern ihr geübter Blick erkannte bald, dass ihnen, um das Schwarze Meer völlig zu beherrschen, zu ihren festen Plätzen in Galata und Kaffa noch eine Faktorei auf der Südküste des Schwarzen Meeres fehle, teils um die kühnen Seeräubereien, welche die türkischen Gewalthaber in Sinope übten 4), zu hindern, teils um den Karawanenweg nach dem Innern von Asien in ihre Gewalt zu bekommen. 5) Zu diesem Zwecke hatten sie schon längst mit den Kaisern von Trapezunt ein freundschaftliches Verhältnis unterhalten. 6) In Daphnus, dem Hafenplatze von Trapezunt, hatten sie eine Warenniederlage, mussten aber von ihren Waren Zoll zahlen. Diesen verlangten sie 1312 in eine bestimmte jährliche Summe verwandeln und Daphnus befestigen zu dürfen. Aber Alexius II. fühlte wohl, dass er auf diese Weise einen großen Teil seiner Einkünfte verlieren und bald nur noch Vasall der Genuesen sein würde. Aus ihrer Drohung wegzuziehen machte er sich nichts, denn er wusste wohl, dass nach ihrem Abzug die Venitianer nur zu gern einziehen würden. Aber als er es abschlug, wollten die Genuesen, wie sie häufig es taten, ihre Bücher mit dem Schwert ins Gleichgewicht bringen. Ohne Zoll zu zahlen, zogen sie mit ihren Waren ab; als die Beamten von Trapezunt sich widersetzten, kam es zum Kampf und, um die Griechen zu verwirren, legten die Genuesen Feuer ein. Indessen der Wind schlug um und trug das Feuer nach ihren eigenen Warenhäusern; der bedeutende Verlust machte sie für den Augenblick bescheiden und sie baten ihren Handel unter den früheren Bedingungen fortsetzen zu dürfen. 1)

Aber schon 1348 benutzten sie die Schwäche des trapezuntischen Kaisers Michael und eroberten erst Kerasunt, schlugen dann die trapezuntische Flotte gänzlich und nur mit großer Schwierigkeit erreichten die Trapezuntier endlich den Frieden unter der Bedingung, dass die Genuesen die Festung Leontokastron und damit den unbeschränkten Besitz des Hafens Daphnus und so des ganzen Verkehrs von Trapezunt erhielten. 2)

Erlauben Sie mir Ihnen hier noch ein recht einleuchtendes Beispiel genuesischer Art und Weise, zugleich aber auch der Verfallenheit und Bodenlosigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse, wie des Völkerverkehrs in damaliger Zeit zu erzählen. 3) Unter andern Genuesen hatte sich auch Megollo Lercari in Trapzunt niedergelassen, von altem Geschlecht und ausgezeichnetem Geiste. Dass ihn Kaiser Alexius III. vor allen auszeichnete, erweckte Neid und Missgunst. Als er einst wieder im kais. Palast Schach spielte, geriet er mit einem Liebling des Kaisers, einem frechen jungen Menschen, in Streit und dieser gab ihm eine Ohrfeige. Alexius war schwach genug dem Genuesen eine Genugtuung zu versagen. Da verließ Lercari die Stadt, um Rache für die erlittene Beschimpfung an dem Kaiser zu nehmen. Zu Genua rüstete er mit Hilfe seiner Freunde zwei Kriegsschiffe aus und plünderte mit diesen die trapezuntischen Küsten, zündete die Orte an, verwüstete die Felder, nahm die Bewohner gefangen und schnitt den Gefangenen Nasen und Ohren ab. Alexius schickte endlich vier Kriegsschiffe gegen ihn aus, aber indem Lercari sich scheinbar zur Flucht wandte, dann plötzlich umkehrte, überwältigte er die einzeln folgenden Schiffe eines nach dem andern und nahm die gesamte Mannschaft gefangen. Die Schiffe versenkte er und verstümmelte die Mannschaft in der angegebenen Weise. Als aber ein Greis mit zwei schönen, blühenden Söhnen herantrat und bat nur diese zu schonen, mit ihm zu machen, was er wolle, entließ Lercari alle drei ungekränkt, und hieß sie nur an Alexius ein Fass mit eingesalzenen Nasen überbringen und demselben sagen, dass nur die Auslieferung des ersten Beleidigers ihn in seiner Rache aufhalten werde. Da lieferte Alexius den jungen Menschen aus, aber Lercari schickte ihn unverletzt zurück, da Männer nicht mit Weibern zu kämpfen pflegten. Ihm, ließ er sagen, sei nun genug getan, nicht aber der Republik; damit auch diese befriedigt werde, müsse der Kaiser versprechen auf eigene Kosten für die genuesischen Kaufleute in Trapezunt ein Haus mit bestimmten Freiheiten und Rechten zu erbauen. Kaiser Alexius tat dies und so war die Macht der Genuesen zu Trapezunt im J. 1380 ebenfalls auf ihrem Höhepunkt angelangt. Auch Amastris und noch mehrere andere Plätze besaßen sie an der Südküste des Schwarzen Meeres. 1)

Aber neue, verderbliche Feinde erhoben sich für die Genuesen in den Osmanen. Schon 1442 verwüstete eine Flotte Murads, des osmanischen Fürsten, erst Trapezunt, dann Kaffa. 2) Zwar erholte sich dies bald wieder und schon 1446 bemächtigte sich von hier aus mit Hilfe einer genuesischen Flotte Joannis IV. des Thrones von Trapezunt. 3) Aber vergebens waren die Anstrengungen der Genuesen gegen die Türken; zwar schickte Genua 1452 eine große Flotte, um Galata gegen sie zu schützen, 4) zwar kämpfte Giovanni Giustiniani 1453 wie ein antiker Held an der Spitze seiner Genuesen neben dem Kaiser Konstantinus XI. Paläologus, aber sie fielen und Konstantinopel mit ihnen, am 29. Mai 1453. 5) Mohamed II. ruhte nicht, sondern bemächtigte sich 1461 der Stadt Amastris und 1462 des Kaiserreichs Trapezunt; 6) 1475 aber eroberte Achmet Pascha, sein Vezier, nach verzweifelter Gegenwehr am 6. Juni Kaffa. Nach noch blutigerem Kampfe fiel Soldaja, zur See und zu Lande belagert, endlich aber durch Hunger bezwungen, in die Hände der Türken. 8) Ebenso nach der tapfersten Verteidigung Mangup. Zahlreiche Gefangene wurden aus allen diesen Orten nach Konstantinopel geschleppt. Aber so sehr auch die Macht und die Blüte der genuesischen Besitzungen durch diese furchtbaren Schläge gebrochen war, so blieb doch Kaffa namentlich immer eine bedeutende Stadt, die einen ziemlich ausgedehnten und vorteilhaften Handel betrieb. Vor der Besetzung durch die Russen hatte es noch 85.000 Einwohner, 9) während man jetzt etwa 5.000 zählt. — Zahlreiche Ruinen erinnern noch jetzt überall an der Südküste, wie reich, zweckmäßig und geschmackvoll die Genuesen zu bauen wussten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus der Geschichte der Krim