IX. Das Schicksal der Krim

Obgleich die Schmach und das Entsetzen, die über 250 Jahre Tatarenhorden über Russland, Litauen und Polen gebracht hatten, seit dem Siege Joans des Furchtbaren über Kutschuk Mohammed, den letzten Chan der goldenen Horde, im J. 1480 ihr Ende erreicht hatten, so dauerte doch keineswegs das friedliche Verhältnis, in welchem Mengli-Gerai zu Russland gestanden hatte, fort. Angeborne Raublust und Befehle der türkischen Oberherren veranlassten nur allzuhäufig die Chane von Baktschiserai im Frühjahr, wenn die Rosse in den Steppen mutig und stark geworden waren, mit 150 — 200.000 Reitern Einfälle in den nach Norden benachbarten Ländern zu machen und sengend und plündernd unendlichen Schaden anzurichten, so wenig diese wilden Züge zu dem Leben der Tataren in der Krim selbst passten.

Denn hier trieben sie mit dem größten Fleiße Ackerbau, hielten ihre Gärten in der schönsten Blüte, befleißigten sich mit dem größten Glück der Obstzucht und trieben in ihren Städten mit Erfolg Handwerke; namentlich waren die Arbeiten der Messerschmiede von Baktschiserai und Karaffubazar gesucht. Peyssonel gibt 1755 an, dass man damals jährlich über 400.000 Messer mit festen Klingen, die bis zu 2/3 ihrer Länge in Maroquinscheiden staken, dort gefertigt habe.


Die fortdauernde Unsicherheit ihres Gebietes, die stete Gefahr, die ihnen von den Tataren der Krim aus drohte, ließ die russischen Fürsten immer auf Pläne zur Bekämpfung und Unterdrückung derselben denken. Aber erst unter Anna 1736 gelang es dem Feldmarschall Grafen Müunich 1) am 20. Mai die Linien von Perekop zu stürmen, d. h. den zwölf bis fünfzehn Klaftern tiefen Graben, der 1 1/2 Meilen lang vom schwarzen nach dem faulen Meere in einem nach der Krim einbiegenden Winkel läuft und damals mit sieben Türmen besetzt war. In der Spitze des Winkels ist das Tor, welches den Eingang zur Krim bildet. Hierauf eroberte Münnich noch Kozloff (d. j. Eupatoria), Baktschiserai und Akmétschet (d. j. Sympheropol), aber Mangel an Wasser und Futter für die Pferde nötigte ihn schon Ende August wieder zurückzugehen. Und schon hatten die durch das Klima hervorgerufenen Krankheiten gegen 30.000 Mann des Heeres aufgerieben.

Noch einmal unternahm in dem Kriege, welchen die Türkei 1768 gegen Russland begann, der tapfere Chan der Tataren Krim Gerai mit 100.000 Mann einen Zug nach Neuserbien und kehrte mit reicher Beute beladen zurück. 2)

Aber 1771 rückte Fürst Dolgoruki in die Krim ein und eroberte den 25. Juni Perekop, dann rasch nach einander Kozloff, Baktschiserai, Karaffubazar, Kaffa und Kertsch. Ein neuer Chan Schahin Gerai ward durch eine den Russen sich anschließende Partei der Tataren erwählt und 48 Abgeordnete gingen nach Petersburg, um der Kaiserin Katharina II. den Eid der Treue zu leisten. Zwar wurden später durch den Frieden von Kutschuk Kainardsche 1774 die Tataren der Krim, in Bessarabien und am Kuban für frei und unabhängig von den Russen und Türken erklärt, aber schon 1778 setzte ein russisches Heer einen neuen Chan ein und, nachdem dieser 1781 gegen eine Pension zu resignieren bewogen worden war, wurde die Krim durch Potemkin den 8. April 1783 trotz des hartnäckigen Widerstandes der Tataren dem russischen Reiche einverleibt und am 8. Januar 1784 bestätigte die hohe Pforte diese Besitznahme.

Bald nach derselben zog Bewunderung für die außerordentliche Schönheit 1) und das südlich-milde Klima viele der vornehmsten und reichsten russischen Großen nach der Südküste der Krim und bewog sie sich hier niederzulassen. Vom Baidartal bis Aluschta zeigt sich auf dem schmalen Ufersaum eine ganze Reihe von prächtigen Schlössern und kunstvollen Garten- und Parkanlagen. 1) Namentlich wurde der Weinbau mit außerordentlichem, vielleicht übertriebenem Eifer gepflegt und Dubois gibt an, dass man im J. 1834, 7.000.000 Weinstöcke zählte, deren größter Teil sich hier an der Südküste, ein kleiner in der Umgegend von Sebastopol und den westlichen Tälern des Belbeg und der Alma fand. 3) Aber der Wein hat nicht die alten Produkte der Krim verdrängt, sondern Getreide in der nordöstlichen Steppe, und eine unendliche Fülle des edelsten Obstes, namentlich von Äpfeln, Pflaumen, Nüssen und Haselnüssen, bilden neben großen Herden von Schafen, Rindern, Pferden, Büffeln und Kamelen den Reichtum der Tatarendörfer. 4) Für den Acker bau haben diese wesentlich von den Deutschen gelernt, die 1804 und 1805 in zwölf zerstreuten Dörfern in der östlichen Hälfte der Krim angesiedelt wurden. 5) Hier auf der Ostseite erheben sich Kertsch, auf der Stätte des alten Pantikapäum, und Theodosia, wie die Stadt an der Stelle des genuesischen Kaffa wieder genannt worden ist, nach und nach von Neuem durch Handel, der dieselben Waren wie vor mehr als 2000 Jahren vertreibt, Getreide, Felle, gesalzene Fische, Kaviar, Äpfel und Nüsse, Wein und Salz. Leider aber war bei der ersten Besetzung durch die Russen diese ganze östliche Küste mit ihren schönen Tatarengärten und ihren Waldungen durch die Soldaten arg verwüstet, Kaffa selbst fast ganz zerstört worden. Im Westen der Insel erhob sich Sympheropol als Sitz der Regierung mit seinen breiten russischen Straßen und großen Plätzen an der Stelle des alten Akmetschet (d. h. weiße Moschee), wo früher der Kalga, d. h. Stellvertreter des Chans, residiert hatte, erhob sich die gewaltige Festung Sebastopol, die Herrscherin des Schwarzen Meeres, nicht weit von den Ruinen des alten Cherson.

Wenn nun auch von der langen Reihe von Stämmen und Völkern, die im Laufe von mehr als zwei Jahrtausenden auf kürzere oder längere Zeit in der Krim Wohnsitze gehabt haben, viele spurlos verschwunden sind, so ist doch das Gemisch von Nationalitäten, wie es sich etwa an einem Freitagsmarkt in Sympherópol, 1) oder am 15. August bei der christlichen Feier und tatarischen Messe in Baktschiserai 2) zusammenfindet, groß genug. Da schreiten ernst und schweigend Tataren einher aus Karaffubazar und Baktschiserai, den ihnen ganz überlassenen Städten, oder aus zerstreuten Dörfern; ihre Gesichtszüge verraten fast nichts mehr von mongolischem Ursprung, sondern beweisen, dass hier griechische, gotische, genuesische und tatarische Bevölkerung in langem Zusammenleben zu neuen Bildungen verschmolz. Ein Nogaitatar, der aus der östlichen Steppe etwa Getreide herbeibringt, dient nur mit seinen echt mongolischen Zügen dazu den Kontrast umso schärfer hervortreten zu lassen. Diese Nogaitataren hatte Chan Mengli Gerai im Anfang des 16. Jahrh. von der Wolga herbeigezogen, um die nordöstlichen verödeten Steppen wieder zu bevölkern. 1) Unter den Tataren bewegen sich dann russische Beamte und Soldaten. Hier und da zeigt sich ein Bulgare, der aus Eski-Krim an der Südküste bei Theodosia oder Kipschaf bei Ssudak, den beiden Dörfern, wo sie wohnen, herbeigekommen ist; auch wohl ein einzelner Arnaute von den durch die Kaiserin Katharina aus Griechenland nach Balaklawa versetzten Albanesen. Durch ihre Schönheit und reiche Kleidung zeichnen sich die Griechen, besonders die Griechinnen, ans, die in den zwanziger Jahren aus Kleinasien, meist aus Sinope, herüberkamen und in den Bergen zwischen Sympherópol und Baktschiserai ein Dorf gegründet haben. 2) Zerlumpte Zigeuner, Armenier mit ihren regelmäßigen und schönen Zügen erscheinen neben Bauern aus den deutschen Dörfern. Es sind dies meist Würtemberger, Elsässer und Schweizer, jetzt etwa 4.000 Seelen zusammen. Befinden wir uns aber in Baktschiserai, so kommen zu allen diesen verschiedenen Stämmen noch karaimische Juden aus dem benachbarten Felsennest, was sie selbst Kirkor, die Andern Tschufutkale, d. h. Judenstadt, nennen. 3) Und welches werden die weiteren Geschicke der Krim sein? Welchen Einfluss wird die Entscheidung des furchtbaren Kampfes, in welchem sich die Völker dreier Weltteile bei Sebastópol gegenüberstehen, auf die Machtgestaltung ganz Europas ausüben?


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus der Geschichte der Krim