VII. Tataren

Im Jahr 1202 hatte Temudschin, Chan der Mongolen an der Westgrenze von China, welche später gewöhnlich mit des Namen eines verwandten, von ihnen besiegten Stammes Tataren genannt werden, den Namen Tschengischan, der Gewaltige, angenommen. Er unternahm es, das Wort, welches er 20 Nächte nach einander im Traume zu hören glaubte: „Die Welt ist dein, geh', nimm sie ein!“ zu erfüllen. Mit wunderbarer Energie und grauenhafter Härte schuf er die vielen Tausende seiner wilden Reiter zum festgeordneten Ganzen, dass sie einem Worte und Winke des Herrschers gehorchten, und eroberte nach Osten das chinesische Reich, nach Westen ganz Vorderasien bis gegen Ägypten, und alle die Steppenländer im Norden des Schwarzen Meeres. Was er begonnen hatte, setzten seine Söhne und Nachfolger fort, ganz Russland, Litauen, Polen, Ungarn verheerten und plünderten sie, 250 Jahre lang waren die Fürsten dieser Länder den Mongolenchanen zinspflichtig und mussten im Lager derselben erscheinen und demütig Geschenkt bringen; bei der geringsten Veranlassung und auch ohne sie überfluteten zahllose Reiterschaaren die unglücklichen Städte und Länder, um durch Mord und Vernichtung den Schrecken ihres Namens zu erhalten. Auch Deutschland bedrohten sie und schon hatten sie am 9. April 1241 auf der Wahlstatt bei Liegnitz in einer furchtbaren Schlacht gesiegt und neun Säcke mit den abgeschnittenen linken Ohren der Christen an den Großchan eingesendet, als sie sich nach Mähren wendeten und von Jarosslaw von Sternberg vor den Mauern von Olmütz, was sie vergeblich zu stürmen gesucht hatten, geschlagen wurden. Paidar oder Peta, ein Enkel Tschengischans, fiel, und, so schließt ein altes böhmisches Heldenlied in der königinhofer Handschrift 1),

Es entsetzen sich die wilden Horden,
Schleudern fort die klafterlangen Spieße;
Wer nur laufen kann, der rennt von dannen,
Dorthin, wo sich früh die Sonne hebet:
Und befreit von Heiden war die Hana.


Die Länder im Nordosten des Schwarzen Meeres hatte Tschengischan seinem ältesten Sohne Dschudschi überlassen, der hier 1222 das Reich der goldenen Horde von Kiptschak gründete. Gleich in demselben Jahre fiel er in die Krim ein, schlug die Kumanen und eroberte Soldaja, ihre Hauptstadt. Sie wurden 1237 vollends aus der Krim vertrieben und flüchteten zu König Bela nach Ungarn, der ihnen die noch jetzt nach ihnen genannten Landschaften Groß- und Klein-Kumanien anwies. In der Krim aber erbaute Batu, der Chan von Kiptschak, 1253 die Stadt Solgat, die zeitig schon nur unter dem Namen Kerman oder Krim, d. h. die Stadt, genannt wird und deren Trümmer noch jetzt unter dem tatarischen Namen Eski-Krim oder dem russischen Staroi-Krim, d. h. alte Stadt, Altenburg, nordwestlich von Theodosia erhalten sind. 1)

Von dieser Stadt hat die taurische Halbinsel bei den Tataren bald nach ihrer Erbauung, allgemein aber erst nach der Vernichtung der Genuesen, die wohl mit Absicht lieber den Namen Chazaria gebrauchten, die Benennung, die jetzt üblich ist, die Krim, erhalten. Konrad Gesner 1555 und Martin Broniovius 1579 erwähnen sie schon als die gewöhnliche und erklären sie in der angegebenen Weise. 2)

Diese Stadt galt damals als eine der schönsten und größten ganz Asiens; ein wohlberittener Mann konnte dieselbe kaum in einem Tage umreiten. Seit Berke, Chan von Kiptschak, 1264 den Islam angenommen hatte, erhoben sich in Solgat glänzende Moscheen, deren Mauern von weißem Marmor und von Porphyr glänzten, christliche Kirchen der mit den Tataren gekommenen Armenier, Synagogen der karaimischen Juden, die den Talmud nicht anerkennen, Schulen und Kollegien, in denen die Wissenschaften des Islam gelehrt wurden. Zugleich nahm Solgat, als Erbin des kumanischen Soldaja, den ganzen reichen Handel desselben an sich, indem ihm die Karawanen aus Persien und Armenien auf einem Wege von drei Monaten alle Schätze und Kostbarkeiten des Orients zuführten und es dagegen dieselben Waren, welche die natürliche Grundlage des Handels dieser Gegenden zu allen Zeiten gebildet hatten, versendete, Getreide, gesalzene Fische, Felle, Pelzwerk und Sklaven. Namentlich bezogen von hier die Sultane von Ägypten die Rekruten ihres Mamelukenchors. 1)

Nach und nach bildeten sich die tatarischen Besitzungen in der Krim zu einem unabhängigen Reiche aus, indem schon der Chan von Kiptschak Mengku-Timur im J. 1266 Solgat und den Hafenort Kassa, der auf der Stelle des alten Theodosia entstanden war, an Orang-Timur abtrat. 2) Diese Begs (Statthalter) von Solgat unterwarfen sich allmählich die ganze Krim und nur mit den Genuesen, die bald nach ihnen festen Fuß in der Halbinsel fassten, zwang sie der eigene Vorteil in immer erneuten Verträgen sich über das Gebiet zu verständigen, welches Beiden zustehen solle. Immer lockerer wurde das Lehensband, welches diese Begs von Solgat den Großchanen der goldenen Horde unterordnete, wenn auch die Verträge mit Genuesen und Venetianern meist noch im Rahmen der Großchane geschlossen wurden, bis endlich Hadschi-Gerai, unter dem die krimsche Horde eine der vier mächtigen Tatarenhorden geworden war, im J. 1455 den Großchan Seid Achmet, besiegte, so die Krim ganz von der goldenen Horde von Kiptschak losriss und sich Chan der Krim nannte. 3)

Sein Sohn Mengli-Gerai erbaute die Residenz Baktschiserai. Zwar wurde er von seinem Bruder Achmet Gerai vertrieben und bei der Eroberung von Kaffa, wohin er sich geflüchtet hatte, durch die Türken 1475 gefangen genommen und nach Konstantinopel geführt, aber Mohamed II. begnadigte ihn und setzte ihn als Herrscher der Krim unter türkischer Oberherrlichkeit ein. Noch einmal vertrieb ihn der letzte Großchan der goldenen Horde, Kutschuk Mohammed; aber Joan Basilowitsch von Russland besiegte die goldene Horde 1480 und so gelang es Mengli-Gerai sich der verlorenen Würde zum zweiten Mal wieder zu bemächtigen. 1)

Unter der Oberhoheit der Türken behielten die Nachkommen Menglis, die ihre Residenz in Baktschi-Serai (d. i. dem Gartenschloss) hatten, die Herrschaft über die Krim, bis endlich die Russen diese in Besitz nahmen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus der Geschichte der Krim