Von den "Kellern" und ihren Bewohnern

Öffentliche Plätze von Bedeutung hat Lübeck nicht aufzuweisen, haushälterisch hat man den ganzen Raum mit Gebäuden bepflanzt, unter welchen sich sogar hier und da unterirdische Wohnungen befinden, sogenannte „Keller“, die von der ärmeren Volksklasse benutzt werden. Man sollte es nicht für möglich halten, dass hier Menschen ausdauern könnten — fünf bis sechs Fuß unter der Erde, von Feuchtigkeit und Moder umgeben. Und doch hört man nicht über große Sterblichkeit und Krankheiten klagen. Die menschliche Natur kann sich an Vieles gewöhnen; die Keller-Bewohner leben glücklich und in sich zufrieden, sie haben wenig Bedürfnisse und ihr Körper wird durch Brandtwein der im Norden ein Präservativmittel des niedern Volkes gegen Alles ist, gegen die Einflüsse der Feuchtigkeit gesichert. Über ihren Häuptern ist Alles vornehm und salonartig; ihre Mietsherren geben Diners und Soupers, und sie kriechen ärmlich durchs Leben hin, während desselben schon mit einem Fuß im Grabe stehend. In der Tat die Leute infimae plebis in den freien Hansestädten (denn Lübeck hat in dieser Hinsicht vor den beiden Schwestern Nichts voraus) haben wirklich die wahre Packeselnatur; sie wissen dass es Herren und Knechte geben muss und sehnen sich selten nach einem höheren Standpunkt, den ihnen das Schicksal einmal versagt hat. Der Materialismus ist der Wendepunkt ihres Lebens, und sie glauben an die Kümmelflasche so fest, wie an den Senat, an die Kirche, an den Staat. So lange man ihnen nicht jene geistige Quelle entzieht, die ihnen Trost und Stärkung in allem ihren irdischen Trübsal gewährt, so lange wird man nichts von ihnen zu fürchten haben und kann sich auf ihre Treue verlassen. Sie werden noch lange Zeit in den „Kellern“ aushalten —, in den kleinen engen „Gängen“, (geschlossene Häuserreihen mit Eingängen) wenn auch im übrigen Deutschland das Gleichheitsprinzip, in Betreff der äußeren Lebensverhältnisse, schon Wurzel gefasst hat. Es wohnt dem niederen Volke in den freien Hansestädten eine geistige Indolenz und eine Ehrfurcht vor der Standes Verschiedenheit in, die man schwerlich sonst irgendwo antreffen wird, die aber eben die äußere Ordnung in diesen kleinen Republiken feststellt und sie ungefährlich macht, für die große europäische Totenstille, die man auf alle Weise zu erhalten sucht, und die man so fälschlich „Frieden“ benennt. O! es ist in den Lübecker, Bremer und Hamburger „Kellern“ ein Friede, wie im Grabe, und wenn diese Menschengestalten Morgens aus ihrem Dachsbau hervorkriechen und an die Arbeit gehen, es ist ihnen mit Frakturschrift an die Stirn geschrieben: „du sollst dein Brot im Schweiße deines Angesichts verdienen“, und man glaubt es ihnen auf ihr ehrliches Angesicht, dass sie nicht über diese göttliche Bestimmung hinaus können. Brot! Brot! ihr ganzes Streben geht dahin, sich durch das Leben zu arbeiten und den Hunger abzuwehren.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus den Hansa-Städten