Die Jacobi-, die Petri- und Domkirche

Die drei anderen Hauptkirchen, die Jacobi-, die Petri- und Domkirche, stehen der Marienkirche freilich an Majestät und Pracht, wie im Äußeren, so im Innern nach; aber auch sie enthalten manches Wertvolle und Gediegene der Skulptur und Malerei, und funkeln als Rosetten neben dem Diamant von Marien in dem silbergelockten Haar der alten Lubeca, die mir immer wie ein in Stein gehauener Abschnitt der Weltgeschichte vorkommt, oder wie ein mächtiger Mammut, der in allen seinen Teilen erhalten wurde, obwohl der Weltgeist durch jene große, nie rastende Umwälzung der Geschichte, die Karthago stürzte und Rom zum Kinderspott machte, das Leben des Gewaltigen untergrub. Der Wiener Kongress ließ das mächtige Steingerippe in der neuesten Zeit ausgraben aus den Schichten der Welthistorie, und gab ihm den Namen freie Hansestadt, aber das alte kräftige Leben zog nicht wieder ein in die festen Knochen. Vier Magnificenzen und sechzehn Hoch- und Wohlweisheiten, in Verein mit zwölf bürgerlichen Kollegien, blasen dem alten Koloss notdürftiges künstliches Leben ein, und er verdreht die Augen, wie ein abgeschlagenes Haupt, und seine Glieder zucken ängstlich, hier und dorthin; Herr von Schlözer aber, der russische Konsul mit dem Wladimir-Orden vierter Klasse, hält den Kompass in Händen, dessen Nadel gen Norden zeigt, auf den Thron des Hauses Romanow. Man durfte sich in der „Vereinigung“ nur im Stillen über die Schlachten bei Grochow und Ostrolenka freuen, und der russische Konsul durfte es bei Leibe nicht erfahren, dass Börnes Briefe, daselbst aufgelegt waren und gelesen wurden. Es hätte der Dampfschifffahrt Nachteil bringen können, wenn Herr von Schlözer darüber nach Petersburg berichtet hätte.

Der Dom verdankt der Prachtliebe der Bischöfe seine Entstehung. Bischof Gerold von Lübeck und Heinrich der Löwe erbauten ihn im Jahre 1170 und widmeten die Kirche Johannes dem Täufer und dem heiligen Nikolaus. Seine beiden Türme kommen denen der Marienkirche nahe, aber das Gewölbe ist nicht so hehr und majestätisch, wie das der Letzteren, der Dom entbehrt jener jungfräulichen Anmut, welche die Marienkirche kränzt, er erhebt sich stolz-bischöflich, ein Repräsentant der Hierarchie, die in den alten Reichsstädten dem Bürgertum das Gegengewicht zu halten suchte und sich wie Blei, an die Schwingen desselben hing. Die Kirche umschließt eine große Totenpracht in den vielen Begräbnis-Kapellen, und sieht in ihrem Innern bei weitem nicht so freundlich und licht aus, wie die Marienkirche, durch deren geräumige Fenster ringsum der Tag von allen Seiten hereinschaut und ihr jene unzweideutige Helle verleiht, die man sonst so häufig in den Kirchen vermisst, wo meistenteils nur ein Dämmerlicht herrscht. Das Gemälde eines Altarschranks in der Graveraden-Kapelle, die Leidensgeschichte vorstellend, gehört zu den vorzüglichsten Bildern altdeutscher Schule. Der Maler ist unbekannt, denn Lukas von Leyden und Holbein, welchen man es zuschreiben will, wurden erst nach der Verfertigung dieses Bildes, welches die Jahreszahl 1471 auf dem Nahmen trägt, geboren. Die Sarkophage der Kirche, so prächtig und künstlich die meisten derselben sind, erinnern, wenigstens teilweise, an die alte finstere Zeit des Bistums, welches die fromme Einfalt der Menge zu seinen Zwecken benutzte und selbst im Tode dem Glanze nicht entsagen mochte, womit es sich im Leben, auf Kosten der Wahrheit und Humanität, ausstattete. Bischof Albert von Crumedyk verschmähte es sogar nicht, die Hauptkirche seines Sprengels mit dem Bildnis einer Magdalene zu zieren, die im Leben seine Beischläferin gewesen war. Diese frivole Heiligkeit widert Einem an. In der Tat, der Dom hat nicht das religiöse Antlitz der Marienkirche, in welcher so viele fromme, gläubige Patrizier-Augen von den Wandgemälden hernieder schauen. Die metallgegossenen und steingemeißelten Bischöfe sehen so herrisch und hochmütig in die Gegenwart hinein, dass man sich unmöglich mit ihnen befreunden kann. Allenthalben blickt Einem die Bischofsmütze und der Krummstab entgegen, und die frommen Hirten haben so viel listigen Ausdruck in ihren Mienen, dass der verklärte, gen Himmel gerichtete Blick einen parodistischen Anstrich erhält, der die heilige Ehrfurcht vor der christlichen Kirche vernichtet. Der Dom hat — wie gesagt — in seinem Innern ein echt-bischöfliches Ansehen, jenes kalte, herzlose, sarkophagene Gepräge, welches die Hierarchie auszeichnete.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Skizzen aus den Hansa-Städten