Um den Mälaren herum, Uppland

In der Gegend um den Mälaren herum, Schwedens Kernpunkt, südlich, westlich und nördlich von „Lögarens sjö“ (dem See Lögaren, wie er von alters her hieß), waren die Svear ansässig, die den vornehmsten Opfertempel des ganzen Landes, den Opferplatz von Uppsala innehatten und allmählich die anderen Stämme unterjochten, das Reich einigten und demselben ihren Namen gaben: Svea Rike, Sverige, Schweden-Reich. Der Künstler, welcher die Mälarlandschaft so wiedergegeben hat, dass man, trotzdem er Land und Volk bloß so malte wie sie heutzutage aussehen, ein Gefühl hat, dass wir und die unsrigen seit Jahrlausenden im Mälartal gelebt haben auf den Mälarinseln denselben zackigen Waldrand sich gegen den Himmel der Sommernächte haben abheben, die Birken im Herbst gelb, im Winter haben weiß werden und im Vorfrühling schwarz dastehen sehen, um bald wieder zu grünen, ist Gunnar Hallström. Weiß und hoch, mit edler Haltung und Traumesrauschen in den Kronen, stehen die Birken auf den Hünengräbern von Björkö, wo mitten auf dem blauen Fjord die alte Königsstadt Birka den Franken Ansgar, den Apostel des Nordens, unter ihren wilden Männern und silbergeschmückten Frauen aufnahm. Alles, was Hallström gezeichnet und gemalt hat, erhält einen Duft von Schwedentum, der nicht äußerlich aufgetragen ist, sondern aus der Urquelle des schwedischen Wesens entspringt, so wie es aus dieser Natur hervorgegangen ist, wo unser Volk zuerst sich seiner selbst bewusst wurde, in den Weideplätzen von Sörmland (Södermanland), wo die Mädchen dem Kuckuck in den Frühlingsnächten lauschten und wo man auf der winterlichen Ebene von Uppland über das rote Opferblut auf dem weißen Schnee jauchzte und wildberauscht für guten Ernteertrag Schlachtopfer darbrachte.

Wenn man mit dem Nachtzuge von Süden kommt und einen Sommermorgen auf einer sörmländischen Station aufwacht, schlägt einem ein frischer Hauch aus dem Wald und von dem Granitgrund des Erdbodens entgegen. Man fühlt, dass dies Schweden ist.


Kräftige, blonde Arbeiter sind in gewohnter Stille mit Hacke und Spaten am Geleise beschäftigt, im übrigen ist das Schweigen ungestört. Am See — Seen gibt es hier überall — liegt eine weiße Kirche. Wenn man der Straße folgt, kommt man wieder an einen See, mit einem Herrengut, das in Fruchtbäume eingebettet daliegt. Das Erdreich auf Wiesen und Äckern ist allerdings steiniger Boden, aber der Klee gedeiht und der Roggen steht so dicht, dass man unwillkürlich daran denken muss, dass der Boden an wenigen Stellen in Europa so reichen Ertrag liefert wie in Schweden. Dies haben wir einem in der letzteren Zeit intensiv betriebenen Ackerbau zu danken. Über ein Drittel von allem bebauten Boden in Schweden ist in den letzten 30 bis 40 Jahren zum ersten Male bebaut worden, aber wir haben trotzdem — und eben dies gibt der Natur des mittleren Schweden ihren besonderen Reiz — glücklicherweise viel Boden, der sich überhaupt nicht bebauen lässt, Weidenplätze und hagar (Gehege), wo zwischen den Erlen am Bach die Kühe hervorlugen und wo scheue Pferde in der Freiheit grasen, von den Lockungen der Kleewiesen bloß von Zäunen und Gattern abgehalten. In den siebziger Jahren malte, man kann wohl sagen entdeckte Edvard Bergh die Schönheit dieser Weideplätze (hagar). In den achtziger Jahren beschrieb Strindberg dieses Zwischending von Wiese und Wald, das wir „hage“ nennen, als das im eigentlichen Sinne Schwedische. Der Grund eines „hage“ setzt sich aus Granitfelsen und kurz abgeweidetem Rasen zusammen; oft findet man an den schattigen Stellen weiße Maiglöckchen oder rosenrote Bergerbsen (Orobus), an den sonnigen den blau-und-gelben Wachtelweizen (Melampyrum), der so dicht steht wie eine Kolonne Soldaten. Im Herbst, wo sich die Nebelschwaden zwischen die Birkenstämme dieser Waldplätze hineinziehen, leuchten die feuerroten Fliegenschwämme im feuchten Grase.

Reinhold Norstedt hat auf die eingehendste, feinfühligste Weise gerade diese Natur Sörmlands gemalt, den Bach, der glitzernd die Erlenwurzeln bespült, halbüberschattet von den tiefgrünen, glatten Laubmassen der Erlen, das stolze Schloss Eriksberg, wie es unter den dichtbelaubten Baumgruppen hervorschimmert, die Birkenhaine (S. 26), die bald wild sind, bald mehr einem Park gleichen, wie auf dem großen Gemälde im Dramatischen Theater in Stockholm. Ein milder, melancholischer Ton von Frieden und Glück, etwas von Schüchternheit und Träumerei, das eine Seite unsrer schwedischen Eigenart darstellt, liegt über Norstedts oft kleinen, stets aber an Stimmung reichen Bildern. Die schwedische Landschaft ist im allgemeinen unplastisch. Große Gesichtskreise finden sich an den Seen und großen Flüssen, aber die Höhen sind, wenn man von Norrland absieht, wenig bedeutend. „Lächelnd“, „anmutig“, „einladend“ sind die Worte, die einem vor allem auf die Zunge kommen, besonders wenn von der Landschaftsform des Mälartales die Rede ist. Einer von denen, die den Kern des Schwedischen in dieser Landschaft am besten verstanden haben, ist Prinz Eugen. Ein lyrischer Zug, eine Lust, sowohl das äußere als das innere Dasein in einen Ton abgestimmt zu sehen, gehört zum schwedischen Charakter, und hierin liegt auch die psychologische Erklärung des Hanges, sich zu berauschen, der von alters her im Volkscharakter liegt. Den höchsten Ausdruck dieses schwedischen Zuges finden wir in Bellman, in dessen Dichtungen Rausch und Träumerei, ausgelassene Lebensfreude und tiefe Melancholie vereinigt sind. Das Verlangen, dass die Landschaft sich in einen Ton abstimmt, ist wohl auch die Erklärung dafür, dass bei uns so viele Bilder gemalt werden, deren Gegenstand bei Nacht gesehen ist, vorzugsweise in einer Sommernacht, wo eine bleiche Dämmerung alles Störende überdeckt und alle schreienden Farben herabstimmt. Die Stimmung wird volltönig und einheitlich. Gleichwie die zweiblättrige Orchis (unsere nattviol, „Nachtviole“) in den Wäldern in der Nacht am stärksten duftet, so tun sich manche scheue schwedische Herzen auf und geben ihr Bestes und Innerstes, wenn sie die Landschaft in den fremdartigen und doch zugleich so wohlbekannten Beleuchtung erblicken und sich die Brücke zwischen Wirklichkeit und Traum von selber baut. Prinz Eugen hat in seinem Bild „Sommernacht“ (im Nationalmuseum) und ebenso auf einer Anzahl anderer Bilder, am meisten vielleicht auf dem Gemälde in Thiels Galerie „Nachtwolke“, dem einen ungewöhnlich starken Ausdruck verliehen, was wir anderen Schweden fühlen, wenngleich nicht so stark wie der Maler selbst, von der Seligkeit und Bedeutung des Daseins, wenn gerade eine gewaltige, grauweiße Wolke langsam über die im blassen Lichte der Sommernacht daliegende Landschaft hinsegelt. Die Umgegend Stockholms, oft auch die Gegend um das alte Schloss von Tyresö auf Södertörn herum, hat Prinz Eugen diesmal so voll Leidenschaft, ein anderesmal so träumend wiedergegeben, dass er uns mit neuen Schönheitswerten bereichert hat. Bewunderung einflößend ist seine gewaltige Leinwand „Abendlandschaft auf Tyresö“ in „Norra latinläroverket“ (dem humanistischen Gymnasium im nördlichen Stadtteil) in Stockholm.

Die felsige Natur Upplands, von flachen Strecken lehmigen Bodens unterbrochen, hat vielleicht, abgesehen von der Meeresküste und dem Mälarufer, nicht so viel des Lockenden für den Maler, wenn freilich auch die neue Landschafterschule gezeigt hat, dass sich zuweilen den nichtssagendsten Motiven die größte Schönheit abgewinnen lässt. Der schwedische Künstler, der mehr als irgend ein anderer uns „Schweden sehen“ gelehrt hat, ist auf der Ebene von Uppland geboren, Bruno Liljefors. Er hat gezeigt, dass es vor allem gilt, die Schönheit ans Licht zu ziehen, die überall vorhanden ist. Er liebt jedoch ganz besonders den Wald und das Meer, und er malt sie, man möchte beinahe sagen vom Gesichtspunkt der Tiere aus. Er malt, wie man gesagt hat, eine Entenfamilie wie eine Ente malen würde, wenn sie es könnte. Die Entenmama wirft einen vorsichtigen Blick auf ihre kleinen Daunenböllchen, die zwischen den Rasenhügeln herumrollen oder in der zauberischen Sommernacht auf den Wasserringen im Röhricht zwischen den schwankenden Schilfrohren schnatternd hin und wieder kreuzen. Zum Teil sind es die Waldgegenden von Uppland und Södermanland, zum Teil die småländischen Küstenstriche und in beiden Gegenden vor allem die Tierwelt, die Liljefors am liebsten malt und zeichnet. Nach dem Waldinneren, zur „dumpfen Trauermusik der Föhren“, sehnen sich viele schwedische Herzen, dort hören sie das Echo ihrer eignen und der Kindheitserinnerungen ihres Volkes, dort ist es zugleich frei und geschützt, zugleich still und voll von mancherlei Lauten und Stimmen. Selten ist dieser Zauber des Waldes stärker ausgedrückt worden als in Liljefors' „Jäger auf dem Anstand“ (S. 29). Sein aufmerksamer, beinahe andächtiger Ausdruck macht diesen ländlichen Schützen zu einem Sinnbild dessen, was für uns der Wald bedeutet als Spender geistigen Reichtums. Bei uns gibt es noch Urwald. Der Wald ist noch nicht zahm wie die Haustiere, gerecht wie ein Park. Er hat noch etwas sagenhaftes, ist voll von Geheimnissen und Ungeheuerlichkeiten. Die innersten Geheimnisse offenbaren sich nicht jedem nächsten besten, auch hier gilt es, dass der, welcher versteht und liebt mehr zu sehen und zu hören bekommt als andere. Die kleine, rosenrote, mandelduftende Linnea, die ihren Namen von dem schwedischen König im Reiche der Blumen erhalten hat und die im Moos unter den Kiefern wächst, findet bloß ein aufmerksames Auge, und noch schwieriger ist es, von der Tierwelt etwas zu erblicken, Augenzeuge zu sein bei den Dramen, die sich zwischen den Elgen abspielen, beim Liebesfest der großen Waldvögel zugegen zu sein, wenn sie mit wunderlichen Lauten und erstaunlichen Gebärden die Stunde ihres Liebestaumels erleben, den Höhepunkt ihres Lebens, oder wenn die Raubtiere, schnaubend vor Leidenschaft und Hunger ihre Opfer töten. Wenn wir gewöhnliche Menschen durch den Wald gehen, sehen wir nicht viel. Einige können freilich sagen, ob eine Föhre von der Wurzel aufwärts ihre fünf Kronen wert ist, und bestimmen, wie ein solcher Baum mit möglichst geringem Kubikverlust in lange Bretter zersägt wird, und auch dies ist an sich eine wichtige Sache in unsrem Nutzholz produzierenden Land; wie viele aber stoßen auf einem Waldspaziergang von ein paar Stunden auf Elchspuren? bekommen einen Birkhahn zu sehen? finden einen Fuchsbau oder, wenn ihnen das Glück besonders hold ist, werden Augenzeugen einer Auerhahnbalz? Dies alles aber hat Liljefors selber gesehen, und zwar viele Male. Der Uhu, der mit glühenden Augen zischend und pfauchend auf seinem Felsen im Walde sitzt (Museum zu Göteborg); die verschlagenen Füchse, die sich in den Felsenritzen verstecken, während die bleiche Mondsichel am Himmel glänzt (Thiels Galerie); die wohlgenährte Birkhenne, die faul und selbstgefällig auf ihrer Kiefer hockt und sichtlich nur ungern ihren Platz verlässt um sich mit dem Birkhahn in ein verliebtes Zwiegespräch einzulassen, und mit ihrem unbeholfenen Flug so auf die Erde herabpoltert, dass alle kleinen Vögel auf und davon stieben; die eleganten Stelzenläufer, die sich mit ihrem diskreten, graubraunen Federkleid auf dem Moorboden mit seinem silbernen und braunen Ton so zart abheben; die künstlerische Seite von alledem hat uns Liljefors aufgetan. Ein paar Besuche in Thiels Galerie, wo die größte und auserlesenste Liljefors-Kollektion zu sehen ist, und in den Museen zu Göteborg und Stockholm (Nationalmuseum), wo sich mehrere wertvolle Bilder von dem gleichen Künstler befinden, bieten demjenigen die wertvollste Belehrung, der von dem Tiefsten in der schwedischen Natur etwas wissen will.

Aus dem südlicheren Uppland und besonders von dem Gut Öråker hat Georg Pauli sein Motiv zu dem Freskogemälde „Das Zieren des Maibaums“ genommen. Zur Sonnwendezeit, wenn die Sonne am höchsten steht, wenn der Sommer sich eben ganz entfaltet hat und die Fliederbüsche in Blüte stehen, da ziert man den Maibaum mit Laub und da schlägt selbst dem ärgsten Griesgram die Stunde des Erblühens. Wie an Weihnachten werden die Menschen auch zur Sonnwendezeit ein wenig freundlicher im Verkehr miteinander. Die Temperatur der Liebenswürdigkeit steigt oft um einen oder mehrere Grade und erreicht nicht selten den Siedepunkt, wie man aus den vielen Verlobungsanzeigen dieser Zeit ersieht! Gleichsam als Huldigung, die wir der hellsten Nacht des ganzen Jahres darbringen, besteht der Brauch, dass die Jugend, nachdem sie sich um den Maibaum herum müde getanzt hat, an einem schönen Aussichtspunkt den kommenden Tag abwartet. Eine solche Sonnwendvigilie auf einem Berg bei Skurus und unweit von Stockholm hat Georg Pauli auf einem sehr stimmungsvollen Bild „Sonnwendnacht“ (bei Direktor Erik Frisell, Stockholm) verewigt. Der scharfe Gegensatz zwischen der Härte des Winters und der Milde des Sommers bringt es mit sich, dass wir vielleicht mit größerem Eifer als südlichere Völker uns leidenschaftlich der Natur in die Arme werfen, wenn sie sich in ihrer vollen Schönheit zeigt, und sicher glauben wir nicht ohne Grund, dass unsere Blumen stärker duften, unser Gras dichter wächst, dass der Wald üppiger ist, unsere Beeren einen reicheren Geschmack haben als weiter südwärts. Andererseits gehört die schwedische Landschaft zu einem Typus von Schönheit, der sich einem nicht sofort aufdrängt; wenn uns jedoch gerade das, was zugleich so bescheiden und so stolz ist in der schwedischen Natur, einmal richtig gepackt hat, dann liebt man sie um so inniger. Freilich muss man, um seinem Gefühl Ausdruck zu geben, immer nach dem in manche Sprachen gar nicht übersetzbaren Worte „Stimmung“ greifen. Stimmung, d. h. das, was wir vor allem in unsrer Natur, unsrer lyrischen Dichtung, unsrer Malerei suchen. In der Musik dürfte wohl August Söderman die richtige schwedische Stimmung am klarsten geschildert haben, und zwar in seiner „Bauernhochzeit“, die etwas von sonnigem Sommermorgen in Birkengehegen und mitten unter glitzernden Seen an sich hat. Ein bedeutendes Kunstwerk mit einem Ton von Stahl, der auch schwedisch ist, haben wir in Edvard Rosenbergs „Märzabend“. Dies Bild stellt eine Talsenkung in der Gegend von Stockholm dar. Ein goldrotes Licht liegt noch auf den Höhen und den nackten Birkenwipfeln. Wind und Sonne haben einander geholfen, die Schneewehen zu Wällen umzuformen, die jetzt in der frostigen Abendluft hart gefroren sind und auf denen sich die dunkelblauen Schatten verdichten. Hier tritt trotz Kälte und Härte etwas Frühlingverheißendes hervor. Wer diese Landschaft in der richtigen Weise auffasst, erlebt einen Moment, in dem sich Gegensätze mischen; wie in einem volltönigen Akkord Glück und Schmerz so vereint sein können, dass wir eben dadurch voll und ganz davon erfüllt werden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schweden im Auge des Künstlers
19 Schlittengläut auf dem Hof. Gemälde von Gustav Ankarcrona

19 Schlittengläut auf dem Hof. Gemälde von Gustav Ankarcrona

20 Wikingerzug. Die Kinder des Künstlers. Aquarell von Carl Larsson

20 Wikingerzug. Die Kinder des Künstlers. Aquarell von Carl Larsson

21 Interieur eines Rättviker Bauernhauses. Aquarell von Carl Larsson

21 Interieur eines Rättviker Bauernhauses. Aquarell von Carl Larsson

22 Erdarbeiter. Gemälde von Carl Wilhelmson

22 Erdarbeiter. Gemälde von Carl Wilhelmson

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