Zwölftes Capitel. - Der Garten der Tuilerien. - Es ist noch gar nicht lange (erst fünf Minuten), daß ich die Ursache entdeckt, warum ich in Paris stärker, häufiger und lieber philosophiere, als ich in Deutschland getan...

XII. Der Garten der Tuilerien

Es ist noch gar nicht lange (erst fünf Minuten), daß ich die Ursache entdeckt, warum ich in Paris stärker, häufiger und lieber philosophiere, als ich in Deutschland getan. Es ist damit so arg geworden, daß ich, um in die Tuilerien zu kommen, den Weg über die Kritik der reinen Vernunft nehme, welches der kürzeste Weg nicht ist, sondern der längste. Ich tue es bloß aus einer hypo-chondrischen Ängstlichkeit für die Gesundheit meines Geistes, die mich in Paris befallen. Eine bekannte diätetische Klugheitsregel schreibt vor, man solle sich im nüchternen Zustande keinem ansteckenden Kranken nähern, sondern vorher etwas genießen; auch wird in diesem Falle angeraten, sich den Mund mit Weinessig auszuspülen. Das Philosophieren ist mein Weinessig, der mich gegen die mancherlei Seelenkrankheiten schützt, von denen man in Paris angesteckt werden kann. Man kann dort fangen: Habsucht, Unduldsamkeit, Gottlosigkeit, feinen Geschmack und des verstorbenen Ritters von Zimmermann Personal-und Nationalstolz. Diesen Übeln ist man ausgesetzt, sobald man öffentliche Orte besucht; ja das Zuhausebleiben bewahrt nicht immer vor Ansteckung, denn die emsigen Zeitungen gehen mit Fiebern hausieren. Besucht man aber gar Salons und die Gesellschaften darin, so kann man noch gefährlichere Übel erwischen. Man wird da Liberaler, Ultra, Bauchredner, Mouchard, Corbonaro, Mitarbeiter oder Stoff des Reveil oder des Miroir. Darum rate ich jedem Deutschen, in Paris ohne Philosophie nicht auszugehen, und so oft er Gesellschaften besucht, zuvor einige: Unser Vaterland still herzubeten. Ich kann die Deutschen versichern, daß sie nichts verloren, seitdem ich in Frankreich bin, vielmehr sehr gewonnen. Ich liebe sie jetzt, und mit der wahrsten, reinsten, uneigennützigsten Liebe – denn was könnten sie einem gewinnsüchtigen Geiste in Kunst, in Wissenschaft und im Leben mehr anbieten als die Franzosen? Aber sie haben und gewähren etwas, was den Franzosen mangelt: die Freiheit im Denken und im Fühlen. Die Zerstörung der Bastille hat in Frankreich nur die Zungen freigemacht, die Herzen und Geister sind noch eingesperrt wie früher. Wer aber diese meine Wahl nicht billigt, wer nicht gleich mir eine freie Wüste, und wäre sie von Löwen, Hyänen und Schlangen bevölkert, vorzieht einem geschlossenen Paradiese, und wäre es voll Goldäpfel und würde von Cherubim bewacht – den tadle ich nicht, aber ich beweine ihn.


Aus jener heilsamen Neigung zu philosophieren sind nicht bloß die bisherigen Betrachtungen geflossen, die gar nicht zur Sache gehören, sondern entspringt auch folgende Bemerkung, die nicht weniger überflüssig ist. Mit so großer Mühe lernt und lehrt der Mensch so vieles und mancherlei zu keinem andern Zweck, als um sich und andern tausend Freuden zu verderben! Die Wissenschaft gleicht einer Chaussee, die ein schmales und langes Gefängnis ist, das man nicht verlassen darf, und rechts und links liegen die schönsten Felder und Blumenwiesen. Jede Kunstregel ist eine Kette, jedes Buch ein Tor – auch im andern Sinne des Worts – das sich hinter den Eingetretenen zuschlägt. Glücklich, die nichts wissen und nichts lesen! Wäre mir Hirschfelds Theorie der schönen Gartenkunst bekannt, würde mir der Tuileriengarten wahrscheinlich abgeschmackt erscheinen; jetzt aber gefällt er mir, und ich werde ihn sehr loben. Er ist zweckmäßig eingerichtet, und die Zweckmäßigkeit zur Schönheitsregel zu erheben ist so bequem und wirtschaftlich, daß sie gewiß in vielen Kompendien der Ästhetik als solche aufgestellt sein wird. Engländern, die das Reisen lieben und also auch gern das Bild des Geliebten vor Augen haben, ist ein Garten ein Miniatureuropa, in dessen Zügen sie einen kleinen Schaffhauser Wasserfall, ein kleines Chamounytal, einen kleinen Golf von Neapel mit Wohlgefallen erblicken. Auch viele andere ziehen englische Gärten vor: Verliebte, Deutsche, Philosophen, glückliche, unglückliche Menschen. Wäre aber der Garten der Tuilerien nicht, wie er ist, im besten französischen Geschmack, sondern im englischen, so wäre das sehr schlimm. Einen Trunkenbold, der täglich eine Flasche Rum trank, heilte sein Arzt – denn endlich hat man die Trunkenheit aus der Moral in die Medizin übergewiesen, und hoffentlich wird man auf diesem gutem Wege fortschreiten, bis man dahin gelangt, die Robespierresleiden nicht in der Geschichte, sondern in Hufelands Journal der praktischen Heilkunde zu beschreiben – der kluge Arzt heilte ihn auf folgende Weise. Er ließ ihn täglich so viel Siegellack in die Flasche tröpfeln, als erforderlich ist, ein Petschaft abzudrücken. Auf diese Weise ward die Flasche täglich etwas weniges voller an Siegellack und leerer an Rum, und der Trunkenbold kam allmählich zu Verstand und ohne Aufsehen zu erregen. War in diesem Fall der Abgewöhnung von geistigem Getränk solche Vorsicht nötig, wie viel nötiger wäre sie im Fall der Angewöhnung eines geistigen Genusses, und ein Sprung hierin wäre ebenso gefährlich, als der Tuileriengarten, wenn er englisch wäre. Das Herz eines echten Parisers würde krank werden durch Erkältung oder durch Erhitzung, wenn er aus dem Kunstkabinett des Palais Royal schon nach wenigen tausend Schritten in das naturgeschichtliche eines englischen Gartens träte – wenn sein Ohr, ohne Zwischensaiten, plötzlich vom Schlangengezisch des Rouletts zum Gemurmel eines Springquells, von den giftigen Locktönen einer Königin der Nacht zu den unschuldigen Liedern der Nachtigallen überspränge – wenn sich sein Auge vom Pharaotische zu einem Boulingreen wendete – wenn sein Gefühl aus der breiten Sonnenfläche, worauf die, gleich Grenadieren des großen Kurfürsten, nebeneinander gesteiften und gedrechselten Bäume stehen, plötzlich in das schattige Gewimmel eines frischen Wäldchens träte. So aber bleibt er gesund, denn er tritt aus dem Palais Royal nur in einen Jardin Royal. Ich will den letztern beschreiben, wie ich ihn an einem der ersten Frühlingstage gesehen.

Der Frühling kündigte sich im Garten nicht durch Blütenstaub an, sondern durch irdischen. Die Bäume hatten die Augen noch geschlossen, denn als Städter stehen sie später auf wie Landbäume. Verrückte Engländer fahren vorbei in großen Reisewagen; das Kammermädchen im seidenen Spencer inwendig, die Herrschaft unter bäuerlichem Strohhut auf dem Bocke. Sobald der Frühling kommt, verlassen die Engländer Paris, um nach der Schweiz, nach Italien oder nach England zu reisen. Ihnen ist die Reisekasse eine Spar-und Amortisationskasse. Wenn in Deutschland ein unzahlfähiger Schuldner die Flucht nimmt, um sich vor seinen Gläubigern zu retten, flüchtet ein Engländer, um seine Gläubiger zu befriedigen. Eine Guinee ist schon in deutschen Gulden nicht aufzutreiben, in französischen Franken noch weniger. Es ist, als würde außer dem Metallwerte auch noch die Façon daran bezahlt, wie an einem Goldringe. Das reiche, glückliche Volk! Ein armer Teufel von Dichter in London, der nicht Geld genug hat, im November sein Steinkohlenfeuer zu bezahlen, schifft nach Frankreich, wärmt sich dort an der Sonne und trinkt wohlfeiler feurigen Wein als in seiner Heimat kaltes Bier. Geht es dem Schelme gar zu arg, ist er noch enger beschränkt, dann muß er freilich nach Neapel wandern, dort für einen halben Paol sein Abendmahl halten, und dabei die Sonne untergehen sehen im blauen Meere! ... Ich folge dem englischen Reisewagen mit den Augen nach, die ganze Rivolistraße hinauf, bis an das Garde-Meuble, wo er umbiegt. Auf diesem Palast spielt der Telegraph. Spielen? Ach ja, er spielt wie eine Schlange in der Sonne. Fürchterlich, fürchterlich! Die langarmige Tyrannei! Neulich reiste ein englischer Schriftsteller von Paris nach London. Er war schon drei Tage fort, stand in Calais am Bord des Schiffes; die Segel wurden geruckt – da schoß ihm von Paris der Telegraph wie ein Blitz nach. Er wurde festgehalten und mußte, wegen Verdachts aufrührerischen Briefwechsels, vier Wochen im Kerker schmachten. Er ward unschuldig befunden. Ich habe mir vorgenommen, den Moniteur durchzulesen, von 1789 bis jetzt, und ein Beispiel aufzusuchen, daß je durch den Telegraphen eilende Wohltat zugesendet, daß je Tränen durch diesen Sturmwind getrocknet, daß er je dem Verurteilten rasche Begnadigung zugesprochen. Und finde ich nur ein einziges Beispiel solcher Art, dann will ich mich mit dem Telegraphen aussöhnen. Doch ich vergesse-werden nicht neunmal jeden Monat die gezogenen Lottonummern von dem Telegraphen durch ganz Frankreich gesendet, welche Trost bringen: der weinenden Mutter unter hungrigen Kindern den Trost – sie werde glücklicher sein in der nächsten Ziehung!

An jedem der Gittertore desTuileriengartens stehen zwei Schildwachen, ein Schweizer und ein Franzose, die sich wechselseitig bewachen und an Treue miteinander wetteifern. Es machte mir das größte Vergnügen, zwischen beiden stehend, mein weißes Taschentuch herauszuziehen und wehen zu lassen und so mit Hilfe des blauen Franzosen und des roten Schweizers ein aufrührerisches Farbentrio öffentlich zu spielen, ohne daß mir ein königlicher Prokurator etwas darum anhaben konnte. Diese armen Schildwachen sind sehr geplagt. Gewiß hatten sie in den Schlachten von Marengo und Austerlitz ihre Flinten nicht so viel hantiert, als sie es hier tun. Sie müssen nämlich vor jedem, der ein Ordensband trägt, das Gewehr präsentieren. Das endet nicht. Es ist erquickend, zu sehen, wie viele Verdienste in die Tuilerien eintreten und wie sich der abgetriebene Bandwurm immer wieder erneuert. Ich ließ es mir angelegen sein, eine Viertelstunde lang alle die zu zählen, die Ordensbänder trugen. Ich zählte zehnmalhundert Vorübergehende, und unter jedem Hundert waren neunzehn bis zweiundzwanzig Bebänderte, also jeder fünfte Mann war ein Wohltäter seines Vaterlandes! Und dazu rechne man noch die vielen, die ich im Gedränge übersehen oder die bescheiden ihren Ruhm unter dem Rocke trugen. Dann zählte ich aber auch die vielen jungen, noch blühenden Männer, auf welche der Schlachtentot schlecht gezielt und die nur einen Arm oder ein Bein verloren. Wofür haben sie gekämpft? Ich erstaunte, daß der Mensch so ein Lamm sei und daß die Menge der Verstümmelten sich nicht auch fragt: Wofür haben wir gestritten? – und nicht öfter, als es geschieht, den Kopf an das verlorne Bein setzen.

Unter den Bäumen stehen eine unzählige Menge Strohstühle nebeneinander gereiht; es sind Lehnstühle, kaum sitzt man darauf, kommt eine Frau, die Lehnspflicht einzufordern. Man zahlt zwei Sous; ist man aber ein junger Mensch vom feinsten Ton, begeht man eine Felonie, sagt keck, man habe schon gezahlt, legt zu den zwei ersparten Sous noch fünf Franken, und frühstückt gut. Schriftsteller, die statistische Notizen sammeln, müssen es sich merken, daß man in Paris zum Sitzen an öffentlichen Orten zwei Stühle gebraucht (sie können den Strohbedarf und den Ackerbau darnach berechnen); nämlich einen zum Sitzen und den andern die Füße darauf zu stellen. Man erkennt Ausländer, die erst in Paris angekommen, leicht daran, daß sie mit herabhängenden Füßen sitzen. Auch unterscheiden sich durch die Art des Sitzens die Ehemänner von den Anbetern ihrer Weiber. Erstere sitzen neben den Frauen, und haben, wie diese, ihre Füße auf dem Fußstuhle gestellt. Die Anbeter hingegen sitzen vor den Angebeteten, ihnen zu Füßen auf dem Fußstuhle, unterhalten sich mit ihnen französisch (in linguistischer und sittlicher Bedeutung des Wortes), und wenden der Allee und der Welt darin den Rücken zu. Frauenzimmer, deren Herz Ferien hat, bereiten sich, wie brave Studenten, auf das kommende Sommer- oder Wintersemester gehörig vor, indem sie die vorübergehenden Herren fleißig ansehen, und sich die wichtigsten Paragraphen notieren. Dies ist eine löbliche Sitte: denn die Schamhaftigkeit wird durch nichts mehr gestärkt, als durch ihre Verletzung, nämlich durch Abhärtung derselben. Man braucht im Garten der Tuilerien gar nicht eitel zu sein, sondern nur fremd, um sich vorzuschmeicheln, man habe die schönsten Eroberungen gemacht in der Weiberwelt ... Eine bürgerliche Frau geht vorbei und fordert Kupfergeld ein; sie trägt etwas versteckt und achtsam unter ihrer weißen Schürze. Bettelt sie für einen Säugling, den sie mütterlich gegen Wind und Sonne schützt? Nein sie trägt unter ihrer Schürze eine Art Gebackenes, das so leicht ist, wie gebackene Luft. Es heißt: Plaisirs des Dames. Das muß schnell und verhüllt herumgetragen werden, damit es nicht kalt werde. „Des plaisirs, mes Dames! Des plaisirs!“ ruft sie im Fluge, und wie im Traume schwebt sie vorüber.

Wie der Tuileriengarten für die Mikropolitiker, für die Glücksritter und Glücksfußgänger ein Marktplatz ist, auf dem sie kaufen und verkaufen, so ist er für die Makropolitiker ein schöner Paradeplatz, auf dem sie exerzieren und exerzieren sehen. Sechs Zeitungsbuden liefern patriotischen Herzen täglich das nötige Brennholz. Ihr tretet heran, nehmt, ohne ein Wort zu sprechen, ein beliebiges Blatt, geht lesend spazieren, so lange es euch gefällt, bringt dann das Blatt zurück und bezahlt einen Sous dafür. Waret ihr drei bis viermal an der nämlichen Bude, verwundert ihr euch, noch immer denselben wohlgekleideten Mann da zu finden, der schon vor zwei Stunden, im Lesen vertieft, dort gestanden. Er ist ein Lauerer, der sich an der Quelle der Überraschung lagert und daraus jeden Tag frisch die Meinung der Zeitungsleser schöpft; denn wenige Franzosen können mit dem Munde schweigen; mit den Blicken aber, mit den Mienen, Händen und Füßen, das vermag keiner. Auf diese Weise wird in allen Pariser Straßen der öffentliche Geist zusammengekehrt, und nachdem die Besen schönen wie häßlichen Auswurf, Blumen wie welke Krautstengel, zu Kot zerstampft, wird der Unrat in die Kloake der Polizeipräfektur geworfen, die ihn gehörig abführt.

Der Garten wird auf beiden Seiten, seiner Länge nach, von zwei gemauerten Terrassen begrenzt. Die eine, längs der Seine, gewährt eine herrliche Aussicht auf den Strom, auf die Brücken und den Palast der Volksdeputierten, der, nach dem Schlage, der ihn neulich getroffen, auf der linken Seite gelähmt ist. Die andere Terrasse führt die Straße Rivoli entlang und heißt die Terrasse des feuillants, weil bis zur Revolution das Kloster der Feuillants da gestanden. In diesem Kloster hatte die Nationalversammlung ihre Sitzungen. Zu jener Zeit, vor der Hinrichtung des Königs, beliebte es dem Volksmutwillen, jene Terrasse mit einer dreifarbigen Schnur von dem übrigen Garten abzustecken, und er nannte sie le pays national, zum Unterschiede des pays de Coblence. Wehe dem Bürger, der im pays de Coblence spazieren ging, er wurde für einen Aristokraten angesehen und mißhandelt. Ein junger Mann, dem diese geographische Einteilung noch unbekannt war, stieg in das Coblenzer Land hinab. Zusammenlauf, wütendes Geschrei, Verderben drohende Gebärden. Da merkte der Unwissende, was er begangen, kehrte zurück, zog seine Schuhe aus und wischte den Staub von den Sohlen. Jubel, Beifallklatschen, und der Jüngling wurde im Triumphe fortgeführt. Am Fuße dieser Terrasse, da wo sie sich senkend in Gestalt eines Hufeisens ausgeht, innerhalb des Kreisschnittes, liegt ein Platz, mit Stühlen und Bänken versehen, den nennt man: La petite Provence, weil die Mittagssonne, deren Strahlen sich frei und ungehindert an der Mauer brechen, dort eine Wärme verbreitet, die in Wintertagen in jene südliche Provinz Frankreichs versetzt. Da ist der tägliche Sammelplatz vieler hundert Kinder mit ihren Müttern oder Wärterinnen. Man denkt gern nicht daran, daß dort auch viele Frauen mit Adoptivkindern sitzen und die empfindsame Mutterliebe spielen, um Adoptivväter anzulocken – man vergißt das gern, um, des Pariser Kunstlebens voll und satt, sich in der reinen Kinderwelt zu erfrischen. Aber auch diese Erquickung ist matt. Zu verderben war die Kindernatur nicht, aber sie auch steckt in einem verzierten Etui, und man muß sie herausziehen. Da haben sie ein Spiel, la corde genannt. An einem Stricke sind an beiden Enden hölzerne Handhaben befestigt, daran faßt man ihn, schlägt ihn unter die Füße durch und springt so darüber. Es hieße die Romantik zu weit treiben, wenn man tadeln wollte, daß diese Stricke keine rohen Natur- und Galgenstricke sind, sondern feine Schüre, wie sie sich ein türkischer Strangulat von Stande nur wünschen mag. Aber das folgende ist ärgerlich. Nämlich außer jenen kleinen Schnüren zu Selbstsprüngen haben sie auch lange Gesellschaftsstricke, die an beiden Enden von zwei kleinen festgehalten werden und worüber alle anwesenden Springdilettanten mit größerer oder kleiner Fertigkeit springen, sowohl vorwärts als rückwärts. Da bildet sich nun ein Zuschauerkreis von Erwachsenen, und man sieht dann sechsjährige Mädchen in der Koketterie debütieren und den Beifall der Umstehenden, als spielten sie bei Franconi, mit anmutigem Lächeln fordern und einziehen.

Jetzt sinkt hinter den elyseischen Feldern die Sonne unter, auch hier herrlich! Denn die Königin der Erde geht in ruhiger Majestät vorüber, unbekümmert, was sie mit ihren Blicken begegne, Paradiese, Schlachtfelder oder den Spielwarenmarkt von Paris – sie lächelt nicht minder, sie zürnt nicht mehr. Es wird getrommelt, und die große Wache des Gartens tritt heraus. Sie laden scharf, mit Geräusch und Gepränge, damit es jeder erfahre, daß der wachende Mond am Thronhimmel die nächtlichen Schritte der Räuber beleuchte. Dann sondern sich etwa zwanzig Mann ab und stellen sich zehn Schritte auseinander, eine Linie durch die ganze Breite des Gartens ziehend. Darauf schreiten sie mit kleinen und langsamen Schritten vor, das Volk vor sich hertreibend. Zurück darf keiner, und so wird in wenigen Minuten der Garten ausgekehrt. Dann werden die Tore geschlossen, und Todesstille herrscht um den Palast. Wehe dem Betrunkenen, dem Unachtsamen oder Unwissenden, der in der Nähe der Tuilerien während der Nacht der fernzurufenden Schildwache nicht gleich antwortet. Dieses Versäumen hat erst vor wenigen Tagen einem Jüngling das Leben gekostet; die Kugel traf ihn ins Herz. O die unselige Herrschaft, die, einer exotischen Pflanze gleich, in fremden Schiffen hergebracht, von Hofwärme ausgebrütet, von der Gießkanne lohnsüchtiger Gärtner begossen, vor jeder Wolke, vor jedem Lüftchen zitternd, ein ängstliches Treibhausleben führt! Wie besser ist die andere, die, gleich einer deutschen Eiche, in der Liebe des Volks wurzelt, von der Sonne geboren, vom Himmel selbst befruchtet, die der naschenden Axt freundlich wehrt und dem Sturme mit Macht widersteht!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schilderungen aus Paris.