Vierzehntes Capitel. - Versailles. - „Diese beiden Paläste rechts und links von so edler Bauart? Wahrlich, die Götter Roms hatten keine schönern Tempel!“ – Das waren die Pferdeställe des Königs....

XIV. Versailles

„Diese beiden Paläste rechts und links von so edler Bauart? Wahrlich, die Götter Roms hatten keine schönern Tempel!“ – Das waren die Pferdeställe des Königs. – „Und dort?“ – Es gehörte den Hunden des Königs. – „Jenes auf der andern Seite?“ – Darin wurden die jungen Hunde gefüttert und erzogen, bis sie ein Jahr alt und diensttauglich geworden. – „Dort drüben, das unermeßliche Gebäude?“ – Es enthielt tausend Zimmer und zweitausend königliche Diener wurden darin ernährt. Mit dem Verkaufe der Schüsseln, die unverzehrt von den Tischen kamen, gewann der Oberbeamte der Küche 150 000 Franken jährlich. – „Links, jenes fürstliche Haus?“ – Es wurde von der Dubarry bewohnt, die, samt ihrer Familie, innerhalb fünf Jahre dem Staate vierhundert Millionen gekostet! – „Das auf der anderen Seite?“ – Das Ballhaus, worin Frankreich die Geduld verlor und die Freiheit fand.


Das königliche Schloß. Schon ist das Gitter, welches den Hof umgibt, unter der gegenwärtigen Regierung neu vergoldet worden. Schon ist man beschäftigt, einen Teil der Zimmer bewohnbar zu machen. Man wird nach und nach weiter rücken. Dem ganzen Palaste den alten Glanz zu geben, würde mehr als zehn Millionen kosten. Auch tritt man leise auf, um der öffentlichen Meinung unbemerkt in den Rücken zu fallen. Aber welch ein Tag der Siegeswonne wird es für die Höflinge sein, an dem sie sich zum ersten Male wieder im Oeil de boeuf versammeln! Wer kennt dieses berüchtigte Vorzimmer nicht, worin die Schmeichler dreier Könige ihre Zunge gewetzt, und die Blutsauger dreier Menschengeschlechter durstig herumgekrochen? Als der erklärende Lakai den Namen des Zimmers nannte, war ein Geflüster der Verwunderung in der ganzen Gesellschaft zu hören, und auf manchem Gesichte sah man ein Lächeln tugendhafter Schadenfreude. Wir gingen mit bestäubten Stiefeln durch die Prachtgemächer Ludwigs XIV. Die Zerstörungswut der ersten Freiheitsmänner konnte den Marmorwänden nichts anhaben und die Deckengemälde von Lebruns Meisterhand nicht erreichen. Daß die großen Künstler so kleine Menschen sind! Sie schmeicheln jeder Macht. Die sogenannten Großtaten Ludwigs XIV. sind auf allen Wänden mit knechtischer Verehrung dargestellt. Der König als Mars, als Apollo, als dieser oder jener Gott, und auf dem unsterblichen Haupte die unvermeidliche Allongeperücke.

Die Wasser sprangen heute, als Vorfest des nahen Ludwigstages. Wohl sechzigtausend Menschen waren von Paris herbeigeströmt, die Tränen ihrer Voreltern fließen zu sehen, die, zu Sturzbächen vereinigt, die Wasserkünste bildeten. Mehr als tausend Millionen hatte Ludwig XIV. allein, ungerechnet was seine Nachfolger getan, auf Schloß und Garten von Versailles gewendet. Auf diesem kleinen Raume wurde das Mark des ganzen Reichs verzehrt. Ein einziges Feuerwerk, bei der Vermählung Ludwigs XVI. im Park abgebrannt, hatte sechs Millionen gekostet. Die Aufführung jeder Oper im Theater des Schlosses kostete an Beleuchtung und anderen Zurüstungen 100 000 Franken ... Und man spricht noch von den dummen Streichen, die das französische Volk während der Flegeljahre seiner Freiheit begangen!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schilderungen aus Paris.