Fünfzehntes Capitel. - Die Estaminets. - Erst nachdem ich schon mehrere Wochen in Paris gewesen, entdeckte ich eine der Freistätten, wo das sittenverbrecherische Rauchen Schutz findet gegen Spott und Gewalt. ...

XV. Die Estaminets

Das Wörterbuch der französischen Akademie sagt: „Estaminet ist ein Ort, wo man sich versammelt, um zu trinken und zu rauchen.“ Dürre Worte! Saftlose Worte! Ihr müßt einen Deutschen fragen, was ihm in Paris ein Estaminet ist, ihr müßt ein deutsches Herz aufschlagen; darin findet ihr die bessere Erklärung, welche folgt.


Sie rauchen nicht, die schmucken Pariser – sie sind aber auch darnach! Ist es uns nicht möglich, wie die alten Griechen, Anmut mit Kraft, wie der Münster zu Straßburg, Feinheit mit Größe zu verbinden, zugleich hell und tief zu sein, wie – wie – ja, wie wer? wie was? Ich habe noch nichts gesehen, das zugleich hell und tief war, als der Brunnen der Festung Königstein in Sachsen, da man einen angezündeten Kronleuchter hinabließ, uns Neugierigen das Wasser unten zu zeigen! Muß man ein Bengel oder ein Weib sein, ein Deutscher oder ein Franzose? Wo ist die goldene Mitte, wo ist das schöne Rheintal, in dem Ernst und Scherz als treue Brüder wohnen? Die zierlichen Franzosen rauchen nicht, denn Rauchen ist ein romantisches Vergnügen, eine Ossianslust, und die Franzosen lieben den Nebel nicht, dieses Salz der schönen Natur; sie mögen keinen grauen, sie mögen nur blauen Dunst. Der Deutsche raucht, denn er hat ein volles Herz und leere Stunden; der Franzose hat, weil kein volles Herz, auch keine leere Stunden, und darum raucht er nicht. Der Deutsche raucht, denn er liebt zu schwärmen im gedankenlosen Denken; der Franzose aber denkt nur Gedanken, und fragt seinen wandernden Kopf, wie ein Paßaussteller: Wohin? Über welche Orte? Auf wie lange? In welchen Geschäften? Ach, ich werde es nie vergessen, wie es mir erging, als ich, von Deutschland kommend, im Gasthause einer französischen Grenzstadt den kleinen Rest holländischen Tabaks, den ich kühn und listig durch die Cerberusschar der Zöllner geführt, aufzurauchen unternahm! Nun gedenke man der alten Erfahrung, daß jedes Volk an der Grenze seines Landes den stärksten Patriotismus hat – den schönsten hat es in der Mitte. Ich war an deutscher Grenze, und darum gröber und rauchsüchtiger als je. Die Wirtin des Gasthauses – oder war es die Tochter der Wirtin, sie zählte kaum zwanzig Jahre – fühlte sich auf französischer Grenze und hatte gegen Tabak den feinsten Pariser Abscheu. Sie war schön wie eine junge Rose und hatte zärtliche Taubenaugen. Ich steckte die Röhre in den Mund, und die Taube – die Grazien mögen mir das rauhe Wort vergeben – die Taube fuhr wie ein Kettenhund auf mich los. Vor Entsetzen ließ ich die Pfeife fallen, die Tabaksasche entflog dem Kopfe. „Monsieur!“ gurrte die Taube, und der Schmerz erstickte ihre Stimme, sie konnte nichts weiter sprechen. Der Stall, die Küche, die ganze Hausdienerschaft wurde herbeigeschrien; sie kamen mit Schaufeln, mit Besen, mit Tüchern, mit Sand, mit Wassereimern; es wurde gekehrt, gerieben, gewaschen; die unglückliche Wirtin kniete zur Erde nieder, um zu sehen, ob der Schandfleck an dem Boden ausgelöscht sei. Dann wurden alle Fenster geöffnet und tausend Winde herbeigefleht. Ich aber war voll abergläubiger Furcht, weil am Rubikon des höflichen Landes mein Pferd gestolpert.

Erst nachdem ich schon mehrere Wochen in Paris gewesen, entdeckte ich eine der Freistätten, wo das sittenverbrecherische Rauchen Schutz findet gegen Spott und Gewalt. Einen solchen Ort nennt man eben Estaminet. Ich stieg hinauf – ach, wie ward mein Herz erquickt! Ich sah Rauch, ich sah Deutschland wieder. Da war nicht die schwüle Stille, die man in andern Kaffeehäusern findet; da wurde geschwatzt, geschrien, da knallten die Stöpsel der Bierflaschen, da schlugen die Billardkugeln, da klapperten die Domino- und Damensteine. Da sieht man nicht die augenkränkenden Taschenausgaben von Stereotypen-Physiognomien, die man in Paris unter allen Dächern, auf allen Straßen findet; da gibt es leserliche Foliogesichter, tüchtiges Volk, ehrliche Leute, aufrichtiges Lumpengesindel, Zahnärzte, Spieler, Kaufleute, Kreolen, Amerikaner, Holländer und jüdische Lieferanten, die aus Deutschland gekommen, in Spanien Thron und Altar retten zu helfen, nämlich Ochsen zu führen übernommen, bis hinab zur Säule des Herkules. Die Kellerjungen – o die glücklichen Südländer, sie sind unreinlich und natürlich wie ihre Natur! – die Kellerjungen räumten die Pfeifenköpfe mit denselben Korkziehern aus, mit welchen sie die Flaschen öffneten, und es war keiner, den das verdroß. Doch glaube man ja nicht, daß alles nordisch und deutsch gewesen; durch den Schleier der Rauchwolken entdeckte man französische Zierlichkeit genug; der Essig deutscher Romantik war mit dem Öle französischer Klassizität im gehörigen Maße vermischt. Es waren glänzende Zimmer mit seidenen Vorhängen, mit Standuhren, mit Vasen; ein schönes Mädchen am Zahltisch; die ausgestellten holländischen Pfeifen waren in Fascesbündeln malerisch geordnet; die Zigarren mit ihren Strohspitzen ragten als Amorpfeile aus einem goldgefärbten Köcher hervor; und hohe Spiegel ringsumher an den Wänden, denn diese kann der Franzose nicht missen und er zahlt gern doppelt für sich und für sein Bild im Spiegel, das mit ihm ißt und trinkt. Aber welch ein Dampf! Mir kam Schillers Romanze: Der Handschuh, in den Sinn, welche anfängt:

In seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz –

Würfe eine schnippische Pariserin – dachte ich – ihren Handschuh in ein Estaminet, in den dicksten Rauch, und spräche zu ihrem Anbeter: „Herr Ritter! Ist euere Liebe so heiß, so holt mir den Handschuh!“ – wahrlich, das duftende Ritterchen würde sagen: „Den Dank, Dame, begehr' ich nicht!“ ließ den Handschuh liegen und verließe sie zur selben Stunde. Sicher, die Pariserinnen wissen nichts von der grauen Pest, die in manchen Häusern des Palais Royal wütet; ihr liberaler Zorn fände Nahrung und spräche: „Hier, da ist ein Cordon sani-taire zu ziehen; was kümmert uns das weit entfernte Barcelona!“

Lichtenberg sagt, er habe noch kein Genie rauchen sehen. Es wäre schlimm, wenn er recht hätte! Nicht bloß für mich, der ich den Tabak liebe, sondern auch für die sechs Herren dort am Tische, die Deutsch sprechen und alle rauchen. Ich will die Sache untersuchen. Ich trat an den vaterländischen Tisch – „Landsleute!“ rief ich und machte vergnügte Augen. Fünfe von den Sechsen sahen mich verdutzt an – sie waren Kaufleute ohne Zweifel, die haben kein Vaterland. Der sechste aber, ein junger Arzt, wie ich später er fuhr, rückte mir freundlich einen Stuhl herbei. Ich warf meine Zigarre mit gespieltem Zorn auf die Erde. – „Nein, das schlechte französische Zeug rauche ein anderer, ich vermag es nicht!“ Auf dem Tische gewahrte ich ein Päckchen Tabak, mit lieblich-schauerlichen holländischen Worten darauf. Wie ward mir der Mund so lüstern! Ich streckte meine Hand darnach aus. „Myn Heer!“ sagte der Eigentümer und wälzte seine Hand über die meinige: die Hand war saftig und schwer und machte dem holländischen Schlachtvieh Ehre. Der Hartherzige bot mir nichts an von seinem Überfluß, und gequetscht und leer zogen sich meine Finger zurück. Die fünf Handelsherren gingen fort, ich blieb mit dem Arzt allein. Er war ein gemütlicher, verständiger Mensch; wir sprachen über allerlei. „Sehen Sie,“ sagte er mir lächelnd, „der dicke Herr, der dort an der Ecke saß, war ein Nordamerikaner; den hat die Freiheit nicht sehr hold gemacht; er sprach immer von Kaffee und Buenos-Aires-Häuten, und gähnte, als ich mit Wärme von Manuel redete.“

– „Freund,“ erwiderte ich, „tun Sie diesem Manne und tun Sie der Freiheit nicht unrecht. Sie gleicht der Gesundheit; die erworbene ist schön, aber die angeborne ist gut. Die Freiheit, für die man kämpft, ist eine Geliebte, um die man sich bewirbt; die Freiheit, die man hat, ist eine Gattin, die uns unbestritten bleibt. Glauben Sie, daß ein braver Mann sein Weib nicht liebt, weil sein Herz still und friedlich ist? Laßt sie ihm untreu scheinen, wie wird seine Brust pochen; laßt sie krank werden, und wäre es tief im Winter der Ehe, Ihr werdet sehen, daß der Greis noch Liebestränen hat und dem geretteten alten Mütterchen weinend um den Hals fällt wie in den schönen Tagen der heißen Bewerbung! Laßt den fetten Amerikaner einen an seine Freiheit tasten, und Ihr werdet sehen, wie er die Feder wegwirft und nach dem Schwerte greift, wie ein katalonischer Jüngling! Das Paradies selbst ist ja nur des Glückes Gewohnheit ...“ „Also wäre die Hölle des Unglücks Gewohnheit?“ – sprach der Arzt. „Aber diesen höllischen Tabak, ich rauche ihn schon anderthalb Jahre, und ich habe mich noch nicht daran gewöhnt.“ – „O, still davon“, erwiderte ich, „denke ich daran, dreht sich mir das Herz um und um. Schönes Frankreich, glückliches Land! Wie ist dein Himmel so blau, wie ist deine Erde so reich, wie ist deine Luft so milde! Wie wohlschmeckend ist dein Brot, wie saftig dein Fleisch, wie feurig sind deine Weine! Deine Mandeln, deine Nüsse, deine Feigen, deine Orangen, wie sind sie so süß! Und alles, was der Mensch erfindet und verfertigt, die Stoffe, die Kunstwerke, die Geschmeide, wie schön, wie vollkommen, wie lockend und befriedigend ist alles! Und alles mit geringem Auf- wände zu genießen, und auch dem Halbbegabten nahe gestellt! ... Nur ein Naturerzeignis gibt es, was Menschenkunst verdirbt, teuer und ungenießbar macht, und dieses eine unter allen Erzeugnissen, das verdorben, teuer und ungenießbar ist, wird von der Regierung gepflanzt, verfertigt und verkauft – es ist der Tabak!“ – „Bedenken Sie aber,“ erwiderte der Arzt, „daß die französische Regierung jährlich sechzig Millionen am Tabak gewinnt und daß diese Einkünfte zum Besten des Landes verwendet werden.“ – „Nein, so ist es nicht ganz. Das rohe Einkommen vom Tabak beträgt sechzig Millionen, der reine Gewinn etwa vierzig. Aber schon oft haben die Tabaksbauer, Tabaksfabrikanten und Händler der Regierung einen größern Gewinn angeboten, wenn sie den Verkehr des Tabaks freigäbe. Sie hat sich aber dessen immer geweigert, denn zwanzig Millionen wendet sie von den Tabaksgefällen jährlich an die Unterhändler und Verwaltungsbeamten, und wenn das aufhört, würde sich die Zahl ihrer Anhänger vermindern, das sitzende Heer schwächer werden. O die Stiefkönige!“

Der Arzt warf mir einen bedenklichen Blick zu. Ein Schleicher hatte sich an unsern Tisch gedrängt, und seinen Ohren konnte das letzte Wort nicht entgangen sein. „Seien Sie unbesorgt, rief ich lachend, und wenn er auch Deutsch verstünde und ein Angeber wäre, der Polizeikommissär, dem er berichtet, verstellt kein Deutsch und wie will er Stiefkönige übersetzen?'' – „Er kann das nennen: Les Rois beau 'paternels'. – „O, dann hat es keine Gefahr. Die französische Polizei, obzwar kosmopolitisch wie jede, ist doch vor allem französisch, sogar vor ihrer Pflicht. Über etwas Lächerliches muß sie lachen, und das entwaffnet ihren Zorn. Höchstens kann mir geschehen, daß ich auf ein Gutachten der französischen Akademie wegen meiner linguistischen Umtriebe in Charenton eingesperrt werde ... Ach ja, Charenton! Sie sind ein Arzt und gewiß sind Sie schon dort gewesen. Sagen Sie mir, wie sind die französischen Wahnsinnigen? Die klugen Franzosen gleichen sich alle; ist das mit den Verrückten auch so? Sind sie klassische Narren nach den Regeln des guten Geschmacks, oder sind sie romantischtoll, wie wir Deutsche? Ich bin sehr begierig, mich darüber zu unterrichten.“ – Übermorgen Vormittag um zehn Uhr können Sie mich in Charenton finden; wenn Sie sich umsehen wollen, werde ich Ihnen alles zeigen.“ – „Es bleibt dabei; auf Wiedersehen in Charenton!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schilderungen aus Paris.