Siebzehntes Capitel. - Gloire. - Die Franzosen könnten mich mit ihrer „Gloire“ in einen Sumpf treiben, bliebe mir zu meiner Rettung sonst keine Zuflucht übrig. ...

XVII. Gloire

Die Franzosen könnten mich mit ihrer „Gloire“ in einen Sumpf treiben, bliebe mir zu meiner Rettung sonst keine Zuflucht übrig. Der deutsche Ruhm ist wenigstens ein Mann, ob er zwar auch nicht viel taugt; die Gloire der Franzosen aber ist eine so widrige, abgeschmackte und unverschämte Kokette, daß sie gar nicht zu ertragen ist. Geht hin und seht den verbannten Marius mit seinem Riesenherzen wehmütig sinnend auf den Trümmern Karthagos – schön und erhaben ist der Anblick! Sieht man aber die Pariser bei den Scherben ihrer Herrlichkeit greinen, möchte man ihnen das Sacktüchelchen aus der Weste ziehen, um ihnen Wange und Nase damit zu säubern. Menschen, die von Morgen bis Abend von Freiheit reden, wissen noch nicht einmal, daß jedes Volk in der Freiheit, die es andern Völkern geraubt, seine eigene verloren und daß Ruhm der Honig an der Wagendeichsel ist, womit Münchhausen den Bären gefangen! Die römische Geschichte wurde von den Franzosen dramatisiert, das Drama ist unter dem Namen: Die Revolution bekannt. Das Gedicht hat glänzende Vorzüge und machte bei der Aufführung großen Eindruck; die besten Schauspieler traten darin auf; Musik, Tanz, Dekorationen und die andern Nebendinge waren auf das Schönste angeordnet – aber es war alles doch nur ein Schauspiel. Was in Napoleon Größeres und Würdigeres gewesen als in Talma, ging für die Erkenntnis der meisten Franzosen verloren. Komödianten sind sie, und Komödianten werden sie noch lange bleiben. Wien, Berlin, Moskau erobert zu haben, gefiel ihnen freilich, weil solche kriegerische Einzüge noch weit prachtvoller waren als die in der Vestalin und im Titus. Jetzt, da der Vorhang gefallen (nicht das Stück, nur ein Akt erst ist geendigt), jammern sie, denn die Zeit wird ihnen lange. Wären es die Feldherrn und Soldaten allein, welche trauerten und klagten, daß man ihnen die ganze Beute ihrer zahllosen Siege wieder abgenommen – ihnen wäre zu verzeihen. Wenn aber Menschen, die nie etwas geführt als die Feder, und auch diese nur, seitdem keine Gefahr dabei ist – denn unter Napoleons Herrschaft waren sie stumm oder gebrauchten nur zum Schmeicheln ihre Zunge – wenn diese verlornen Nationalruhm beweinen, so ist es lächerlich und abgeschmackt. Daß sie wenigstens, was sie sich selbst als Ruhm angerechnet, auch andern Völkern als Ruhm möchten angedeihen lassen! Aber davon sind sie weit entfernt. Rußland, Österreich, Preußen besiegt zu haben, scheint ihnen glorreich; daß aber die Russen, Österreicher und Preußen als Sieger nach Frankreich gekommen, erklären sie für gemein und niedrig, und sie reden davon, als hätten sich die verbündeten Heere bei Nacht und Nebel auf den Zehen nach Paris geschlichen und hätten wie Diebe mit Nachschlüsseln die Tore der Hauptstadt geöffnet. Delavigne, ein junger dramatischer Dichter, der alles Lob verdient und der unter dem Titel: Messéniennes auch ziemlich gute Elegien und Oden herausgegeben, singt:


L'étranger, qui nous trompe, écrase impunément
La justice et la foi sous le glaive étouffées:
Il ternit pour jamais sa splendeur d'un moment,
Il triomphe en barbare et brise nos trophées:
Que cet orgueil est misérable et vain!

Ein anderes Mal reimt er:

Et vous, peuples si fiers du trépas de nos braves,
Vous, les témoins de notre deuil,
Ne croyez pas, dans votre orgueil,
Que, pour être vaincus, les Français soient esclaves.
Gardez-vous d'irriter nos vengeurs à venir;
Peut-être que le ciel, lassé de nous punir,
Seconderait notre courage;
Et qu'un autre Germanicus
Irait demander compte aux Germains d'un autre âge
De la défaite de Varus.

Kaiser Augustus, als er die Hermannsschlacht erfuhr, stieß sich den Kopf an die Wand; Horaz aber war nicht so gemein, um den Schmerz seines Gebieters zu beschwichtigen, in einer Ode auf die Germanen zu schimpfen. Noch häßlicher tritt die Nationaleitelkeit des Dichters da hervor, wo er von der „Verwüstung des Museums“ singt. Daß man den Franzosen die Kunstwerke, die sie ja selbst als Sieger erbeutet, nachdem sich der Sieg gewendet, wieder abgenommen – gibt es etwas Natürlicheres und Billigeres als das? Aber Delavigne findet dieses um so schlechter und spitzbübischer, da die barbarischen Italiener, Deutsche und Engländer Kunst und Kunstwerke nicht zu schätzen wissen. Er sagt:

Muses, penchez vos têtes abbattues:
Du siècle de Léon les chefs-d' oeuvre divins
Sous un ciel sans clarté suivront les froids Germains;
Les vaisseaux d'Albion attendent nos statues.
Des profanateurs inhumains
Vont-ils anéantir tant de veilles savantes?
Porteront-ils le fer sur les toiles vivantes,
Que Raphaël anima de ses mains?

Es ist gar nicht zu zweifeln, daß die Musen die Köpfe hängen ließen, als ihnen Delavignes poetische Klage zu Ohren kam. Das „ciel sans clarté“ und „froids Germains“ ist bemerkenswert. Man frägt sich: wie ist es möglich, daß die Franzosen so wenig von der Geographie Deutschlands gelernt, da sie doch dieses Land fünfundzwanzig Jahre lang durchstrichen? Es scheint, daß man sie in ihren Schulen nur das Deutschland des Tacitus kennen lehrt. Ein Franzose, dem Mozarts Figaro nicht übel gefallen und der, weiß der Himmel durch welchen Zufall, erfuhr, daß dieser Tonkünstler in Wien gelebt, konnte sich nicht satt wundern, daß unter einem so rauhen Himmel so zarte Musik hat gedichtet werden können! Ich erinnere mich, daß ich mit einem jungen Franzosen aus Deutschland nach Frankreich reiste. Es war im Oktober, und das Wetter war rauh.

Eine halbe Stunde vor Kehl fiel ein starker Regen; der junge Mann, der keinen Mantel hatte, fror und rief einmal über das andere aus: quel détestable pays! quel détestable pays! Als wir auf der Kehler Brücke bei der französischen Schildwache angelangt, sprach er jubelnd: ah, me voilà dans ma patrie! knöpfte sich die Weste auf und rieb sich mit derjenigen Bewegung die Hände, mit der man es zu tun pflegt, wenn man im Winter aus dem Freien in ein geheiztes Zimmer tritt.

Delavigne ist so erbost über die Plünderung des Museums, daß er dem Apollo von Belvedere die größten Beleidigungen sagt, weil er sich auch, ohne sich zu wehren, hat fortführen lassen. Er spricht zu ihm:

Dieu du jour, Dieu des vers, ils brisent ton image
C'en est fait: la victoire et la divinité
Ne couronnent plus ton visage
D'une double immortalité.
C'en est fait: loin de toi jette un arc inutile,
Non, tu n'inspiras pas le vieux chantre d'Achille;
Non, tu n'es pas le Dieu qui vengea les neuf soeurs
Des fureurs d'un monstre sauvage,
Toi qui n'as pas un trait pour venger ton outrage
Et terrasser les ravisseurs.

Wenn Apollo reden könnte, hätte er wahrscheinlich folgendes geantwortet: „Was vermag ich armer Schelm? Ihr habt den großen Napoleon gehabt, ihr seid zu Hunderttausenden gewesen, eure Sache war's, mich zu verteidigen. Tröstet euch, so gut ihr könnt, ich gehe nach Italien, und es wird mir auch dort an Bewunderern nicht fehlen. Freilich werde ich so feine Schmeicheleien nicht mehr hören, als ich in Paris vernommen; keiner wird mir sagen, ich wäre la crème de la sculpture; aber ein stiller Seufzer ist mir auch genug. Lebt wohl!“

Mit dieser ihrer Gloire sind sie aber in der jüngsten Zeit gar sehr in die Klemme gekommen. Es versteht sich von selbst, daß ich hier bloß von den Liberalen spreche; denn was die Ultras betrifft, so sind diese guten Leute, in Frankreich wie überall, nur mit ihrem Hauswesen und ihren Familienangelegenheiten beschäftigt, und um Gloire, Patrie, Liberté und andere solche Allotrien bekümmern sie sich gar nicht. Die Pariser Liberalen also hatten, seit dem Sturze Napoleons, jede Anspielung auf den alten französischen Waffenruhm mit Heißhunger aufgefangen. In Büchern, in Zeitungen, in Gedichten, in Bildern, in Schauspielen, auf dem Theater, in allen Winkeln gruben sie nach italienischen, ägyptischen, deutschen, spanischen und russischen Altertümern. Das Herbarium vivum von ihren getrockneten Lorbeern könnten hundert Packpferde nicht schleppen. Die arme Theaterzensur mattete sich ab, daß es zum Erbarmen war. Sie strich und strich; aber wie wäre es möglich, einer so geistreichen und scharfsinnigen Nation, als die französische ist, und die ihren Geist überall in der Tasche mit herumträgt – wie wäre es möglich, ihr alles wegzustreichen? Behielt die Gelegenheit nur ein einziges Haar, wurde sie daran festgehalten. Die französischen Komödien können so wenig als die deutschen der Lieutenants entbehren, und so oft sich auf der Bühne eine Uniform zeigte, brach das Gloirefieber aus, und des Jauchzens war kein Ende. So war es. Jetzt aber kam der spanische Krieg, den die Liberalen nicht haben mochten, und das Blatt wendete sich. Von Gloire wollten sie nichts mehr hören, sie wurden fromm wie die Lämmer und fanden nichts lieblicher, als daß sich jedes Volk redlich im Lande ernähre und sich um fremder Völker Tun und Lassen nicht bekümmere. Es wurde also anbefohlen, ruhmvolle Anspielungen fortan mit Kälte aufzunehmen und sich von jeder Theaterszene, die nach Pulver rieche, mit Abscheu wegzuwenden. Aber das Pariser Parterre läßt sich nicht so schnell unter einen Hut bringen, und in den ersten Tagen der neuen Ordnung klatschten die feurigen Patrioten, wie sie es gewohnt waren, bei jedem großen Worte der großen Nation. War darauf in den liberalen Theaterzeitungen ein schrecklicher Lärm, und sie logen, daß man gar nicht begreift, wo sie die Unverschämtheit alle hergenommen. Sie behaupteten ganz keck: von der Polizei angestellte Leute hätten Kriegsszenen beklatscht, die das Publikum mit Mißbilligung angehört. Die liebe Polizei hingegen, die Oberhofmeisterin der Prinzessin Europa, hat seitdem ihre Rolle gegen die ehemalige der Liberalen vertauscht. Zwar hat sie durch den spanischen Krieg einige neue Ängsten bekommen. So mußte eine Mamsell Mina, die in einem Kotzebueschen Stücke vorkommt, in Caroline umgetauft werden, und in einem anderen Stück wurde das Wort paix, mit welchem man Stille gebot, in chut! verwandelt. Im übrigen aber hat die Zensur jetzt bessere Zeiten und kann sich ausruhen. Von der Gloire, die ihr sonst ein Dorn in den Augen war, ist sie die beste Freundin geworden. Die Pariser Straßen sehen jetzt ganz gloriös aus. Die Boulevards, die Quais, alles behängt mit Bildern, versteckt hinter Büchern, umstellt von Ofenschirmen, die Waffentaten erzählen und abbilden; ruhmvolle Hunde, tapfere Schulbuben; und selbst darauf wird nicht Rücksicht genommen, ob Napoleon oder Bayard der Held der Schlachten war. Ich habe sogar bemerkt, daß kurz vor der Kriegserklärung gegen Spanien vier neue und schöne Reverbèren an den Winkeln der Vendôme-Säule aufgestellt wurden, – da wo sonst keine waren – damit man den Ruhm auch im Dunkeln sehe.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schilderungen aus Paris.