Sechzehntes Capitel. - Das Ludwigsfest. - Am Tage vor dem Feste freie Schauspiele, die um ein Uhr Nachmittag anfingen. Schon um sechs Uhr morgens war die große Oper umlagert: ...

XVI. Das Ludwigsfest

Am Tage vor dem Feste freie Schauspiele, die um ein Uhr Nachmittag anfingen. Schon um sechs Uhr morgens war die große Oper umlagert: mehr Beine als Strümpfe harrten des Eintritts. Wer keine starken Rippen und Ellenbogen hatte, durfte sich nicht in das Gedränge wagen. Abends war ein Teil des Tuileriengartens beleuchtet, die Musikbanden verschiedener Regimenter spielten hier und dort. Auf dem Balkon des Schlosses gaben die vereinigten Sänger der verschiedenen Opern ein herrliches Konzert, hundertstimmige Lieder zum Lobe des Königs schlossen mit einem vive le roi. Schade, daß ein Echo fehlte! Am Eingange des Gartens wunderkleine papierne Fähnchen mit der Inschrift vive le roi, vive le duc de Bordeaux für einen Sous zum Kaufe angeboten. Aber die liberalen Gassenbuben verstanden den Wink nicht. Nur zwei Bürgerweiber sah ich mit solchen Fähnchen in der Hand, sie als Fächer gebrauchend; die Luft war heiß. Am folgenden Tage, am eigentlichen des Festes, verschiedene Wachtparaden im Schlosse der Tuilerien. Auch die Kriegszöglinge von St. Cyr wurden gemustert. Der kleine Herzog von Bordeaux, auf den Armen seiner Wärterinnen, lächelte den alten und jungen Kriegern freundlich zu, streckte seine Händchen aus und rief, als die Musik aufgehört: encore, encore! Nachmittags Einweihung der Reiterstatue Ludwigs XIV. auf dem place des victoires. Schon früher stand eine auf dieser Stelle länger als hundert Jahre, sie wurde in der Revolution umgeworfen, und jetzt mußten sie die Narren auf ihre eigenen Kosten wieder aufrichten lassen. Der König in römischer Tracht, auf dem Kopfe die Allongeperücke von Lorbeeren umkränzt, sitzt auf einem wilden Pferde, das schnaubt und sich bäumt ... „Mais Louis le grand n'est pas effrayé“ – sagte die Quotidienne. Wirklich zeigt er auch ein ruhiges und selbstgefälliges Gesicht, das zu sagen scheint: Seht, ich fürchte mich nicht. Franconi könnte sich kein schmeichelhafteres Denkmal wünschen. Man hatte dem Künstler vorgeworfen, er habe die Beine des Königs zu fein und zu elegant gemacht. Genannte Quotidienne verteidigt das und bemerkt: il est reconnu que Louis XIV avait une jambe très remarquable. Nach Vollendung dieser Feierlichkeit ging es in die Elyseischen Felder. Dort wurden die Herzen des Volks mit Wein aufgewärmt und Würste und Brote ihnen an die Köpfe geworfen. Sie balgten sich darum, weniger aus Heißhunger, wie mir schien, als aus Mutwillen. Unter hunderttausend Menschen begegnete ich nur drei Betrunkenen, und auch diese stammelten nicht einmal den schuldigen Dank für die Bewirtung. Ich könnte manches erzählen, denn kein Polizeispion in ganz Paris hat an diesem Tage mehr herumgehorcht als ich; aber das gehört nicht hierher. Abends wurde ein Feuerwerk abgebrannt, über das man sich in französischer, englischer und deutscher Sprache lustig gemacht; denn es war gar zu winzig. Und so endigte das Ludwigsfest ... Mehrere öffentliche Blätter erzählten den andern Morgen Wunderdinge von der allgemeinen Begeisterung des Pariser Volks. Der Himmel weiß, wo sie alle die schönen Lügen hergenommen!


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schilderungen aus Paris.