Achzehntes Capitel. - Gefrorenes. - Wie schade, daß die heißen Tage vorüber sind, vielleicht hätte meine kleine Beschreibung von dem hiesigen künstlichen Winter der Einbildungskraft der deutschen Leser einige Kühlung gegeben, ...

XVIII. Gefrorenes

Wie schade, daß die heißen Tage vorüber sind, vielleicht hätte meine kleine Beschreibung von dem hiesigen künstlichen Winter der Einbildungskraft der deutschen Leser einige Kühlung gegeben, das ihnen erwünscht gewesen wäre. Denn wie man mir aus Deutschland geschrieben, hat es dort diesen Sommer sehr an Eis und Kälte gemangelt. In welchen Zeiten leben wir, was erlebt man nicht alles! Aber den Engländern ist es nicht besser gegangen; auch sie hatten Mangel an Eis. Zwar hatten sie Schiffsladungen davon aus Schottland herbeigeholt; während sie sich aber in den Häfen mit den Zöllnern herumgestritten, ob diese Ware zu verzollen sei oder nicht, war der Gegenstand des Rechtsstreites zu Wasser geworden – ein Umstand, der bei Prozessen nicht selten eintritt. Noch größeres Mißgeschick hatten andere britische Handelsleute erfahren, welche Schiffe auf den Eisfang nach Island ausgeschickt. Zwei der Schiffe gingen mit Mannschaft und Ladung zugrunde. Diese Gefahren hatte der deutsche antipiratische Verein wahrscheinlich vorher berechnet, sonst hätte er sicher bei dem ihm eigenen Unternehmungsgeiste seine, durch den Schrecken der Raubstaaten müßig gewordenen Flotten benützt, dem deutschen Bunde heilsame Abkühlung zu verschaffen! ... Aber ich bin von meinem Wege abgekommen. In Paris hat man Eis in Überfluß, von wo man es herbekommt, mag der Himmel wissen. Das beste Gefrorne findet man bei Tortoni auf dem Boulevard des Italiens. Man hat dort jeden Abend die süße Not, zwischen dreizehn Sorten zu wählen. Ich will sie nennen: Vanille, pistache, café blanc, fraise, groseille, framboise, citron, pèche, ananas, raisin, melon, pain d'Espagne, biscuit glacé à la fraise. Worin besteht das Wesen eines biscuit glacé? Ich habe es nicht herausgebracht, es ist eine Zuckerbäckerscharade. Ein Chemiker müßte ich sein, es nach seinen Bestandteilen, ein Dichter, es würdig, ein Stoiker, es mit Gleichmut zu beschreiben. Anfänglich dachte ich: das wird wohl wieder eine französische Windbeutelei, dieser sogenannte Biscuit glacé wird nichts als gewöhnliches Eis nur mit der Form und Farbe eines Biscuit sein! Ich genoß und schämte mich meiner Übereilung. Es war wirklich Biskuit, aber ein durchfrorner. So mag Ambrosia munden. Aber Ambrosia ist auch nur ein Wort – man komme und schmecke. Was kann ich von genannter Eisart Rühmlicheres erzählen als folgendes? Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, daß eine wunderschöne junge Frau, die eifrig davon gegessen und ihr Glas schneller ausgeleert als ihr väterlicher Gatte das seinige, in dieses mit ihrem Löffel lächelnd Eingriffe getan, so daß der des Entzückens ungewohnte Ehemann sich triumphierend herumgesehen und allen anwesenden jungen Leuten zu verstehen gegeben, sie sollten daraus entnehmen, wie wenig für sie zu hoffen sei – so sehr liebte die junge Frau gefrornen Biskuit. – Diejenigen meiner Leserinnen, die je in Paris und währenddem schön oder jung oder reich gewesen (dem Reichtum verkauft man, der Schönheit bringt man, die Jugend nimmt sich dort alles), die lächelten gewiß voll seliger Erinnerung, da ich von Tortoni und den Boulevards des Italiens gesprochen. In schönen Sommernächten da sitzen ... säuselnde Bäume ... umgaukelnde Bewunderer ... von tausend Lichtern zauberisch umflossen ... eine herrliche Zither tönt herüber ... drollige Savoyarden mit ihren tanzenden Affen betteln um ein Lächeln und einen Kupferpfennig ... und dabei den süßen Schnee herabzuschlürfen, wie das köstlich ist! Ach, es denkt keiner daran, wie teuer sich oft die Natur ihre Schmeicheleien der menschlichen Lüsternheit bezahlen läßt!


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Schilderungen aus Paris.