Erstes Capitel. - Einleitung. - Erotische Poesie findet sich bei jedem Volke, welches über die Uranfänge der Consolidation menschlicher Zustände und Verhältnisse herausgekommen ist. ...

Erotische Poesie findet sich bei jedem Volke, welches über die Uranfänge der Consolidation menschlicher Zustände und Verhältnisse herausgekommen ist. In Peru und auf den Südsee - Inseln, bei den Letten und Böhmen, blüht erotische Poesie im Volksliede. Wer kennt nicht die schönen Blüthen der Serbischen Poesie? So höcht anmuthig aber die Volkspoesie grade in ihrem erotischen Theile gemeiniglich ist, so ist hier doch nicht der Ort, sie weitläufiger zu berühren 1), und wir wenden uns sogleich zu der Poesie, welche, sich ihrer selbst durch Reflexion bewußt, Inhalt und Form mit einander verbindend, künstlerische genannt wird. Wie nun alle wahrhafte Poesie nicht moralisirend, wohl aber sittlich sein soll, so hat auch die erotische Poesie es mit derjenigen Liebe zu thun, welche weder rein geistig, noch rein sinnlich ist, sondern mit derjenigen, welche, an und für sich sinnlich, vom Geistigen so durchdrungen ist, daß das sinnliche Dasein erst Bedeutung hat im Geistigen. Es kann aber eben so wenig, als eine rein sinnliche Liebe, eine rein geistige Gegenstand der Poesie sein, und mit Unrecht würde man dieser Behauptung mehrere Gedichte des Mittelalters und Nachahmungen derselben entgegenstellen, da in diesen, streng genommen, keine rein geistige Liebe herrscht, sondern nur eine durch Religion aufs höchste verklärte Sinnlichkeit. Und wie Poesie auf der einen Seite ein sinnliches Element nicht entbehren kann, so ist andrerseits ihr das Gebiet der moralischen und bürgerlichen Pflicht ein fremdes. Daher ist eheliche Liebe ohne zutretende andere bedeutende Momente so wenig ein poetischer Gegenstand 2), als Bürger’s braver Mann, welcher trotz allem Orgelton und Glockenklang prosaisch bleibt. Damit ist jedoch keinesweges gesagt, als hebe erotische Poesie schlechthin Moral und bürgerliche Gesetze auf, welches Beginnen im Gegentheil den Zauber der Poesie zerstört und einen widerwärtigen Eindruck macht, wie uns Goethe’s Stella und Schiller’s Don Carlos zeigt, sondern nur, daß die Poesie zwar auf demselben Boden der Sittlichkeit wurzelt, auf welchen sich Moral und Gesetz stützen, aber auch eben so sehr über die letzteren erhaben ist, als Gnade und Liebe. Dieß ist auch der Grund, warum ein weiblicher Fehltritt in der Poesie oft nicht allein nicht verletzt, sondern auch rührt und Mitleiden erweckt, während derselbe, von einem Manne begangen, selten dieselbe Wirkung, meist die entgegengesetzte, hat 3). Auch darf endlich nicht die nur relative Gültigkeit vieler Moralgesetzc unbeachtet bleiben, eine Folge des mächtigen Einflusses geoethnographischer Verhältnisse, deren Wichtigkeit auf Sitten-Cultur noch immer zu gering angeschlagen wird, besonders seitdem es Mode geworden, die Geschichte der Wissenschaften und Künste nach dem Wechsel der Religionen einzutheilen, ohne zu bedenken, daß, abgesehen von dem wechselseitigen Einfluß, welchen Religion und Wissenschaft auf einander ausüben, jene äußern Local- und National-Verhältnisse eine so entschiedene Gewalt selbst über die Religion ausüben, daß diese nach jenen sich modificiren muß.

Um von China, wo die Schönschreibekunst der Dichtkunst gleich geachtet wird, nicht zu reden, so hat die indische vormuhainedaniscbe erotische Poesie, so weit sie bekannt ist, einen Reichthum, welcher mehr intensiver als extensiver Natur ist. Neben einem tiefen, doch etwas steifen, Gefühle zeigt sich eine Sinnlichkeit glühendster Art, welche uns selbst widerlich werden könnte, würde sie nicht durch eine gewisse Stille und ein Verhalten der Gluth gemildert, welche der Natur des Landes analog ist 4). Daher ist auch im Indischen eine gewisse Eintönigkeit und Einförmigkeit, wie in der Poesie des ganzen Orients, nur mit dem Unterschiede, daß die indische Poesie, an ein Pflanzenleben erinnernd, nicht sowohl in der Form es ist, als in dem durchgängigen Charakter der Passivität und dem aus derselben hervorgehenden Zarten, Schmachtenden, Inbrünstigen.


Wenden wir uns von des Ganges Ufern weiter hinauf, so begegnet uns vor allen Dingen das mit dem größten Rechte schir haschirim genannte Hohelied, über welches nach Herder, Umbreit, Goethe u. A. etwas zu sagen thörigt erscheinen möchte. Wie es treuer Abdruck rein nationaler Gesinnungen ist, so ward es auch Nationallied, welchem, indem man das Wort Liebe in seiner mystischen Bedeutung als die Sehnsucht nach der Idee nach dem Abfalle von derselben auffaßte, ein theokratisches Volk nothwendig den Gedanken einer Vereinigung mit Gott unterlegen mußte.

Einen unermeßlichen Reichthum an erotischer Poesie bietet uns Persien und Arabien dar, einen Reichthum, an welchem das träge türkische Volk noch heute zehrt. Doch stehen die persischen Dichter an Vielseitigkeit den arabischen weit vor, eine Eigenschaft, welche unstreitig in dem innerlich und äußerlich bewegteren Leben des persischen Volkes ihren Grund hat. Dieselbe Eigenschaft macht auch, daß die persischen erotischen Dichter uns im Ganzen weit mehr zusagen, als die arabischen. Nisami, der romantisch-erotische Dichter, Hafis, die Blüthe der lyrischen Dichter, erotisch-bacchantische Begeisterung athmend und dem strengeren Perser selbst anstößig, Dschami, der liebliche Sänger Jussuph’s und Suleika’s, Saadi, wegen seiner erotischen Lieder das Salzfaß der Dichter genannt, und andere haben uns den Zauberkreis orientalischer Liebe geöffnet und ihre tausendfältigen Blüthen entfaltet 5). Beschränkter ist der Kreis der arabischen erotischen Dichtung, aber ausgezeichnet durch die eigenthümliche Entfaltung einer ernsten, düstern Galanterie. Möchte sich auch nicht Reiske’s Meinung 6) bestätigen, daß galant von dem arabischen Challah, Feierkleid, herzuleiten sei, so hat doch die arabische Poesie ganz jene Galanterie des Mittelalters, nur dem Charakter und der Religion des Volkes gemäß einförmiger und düsterer. Jedes Gedicht der Araber, der Inhalt sei welcher er wolle, beginnt mit einer Anrufung der Geliebten, ihr zu dienen ist sein Höchstes, nicht sie zu genießen; wer da liebt und sich enthält, heißt es im Hadiß, wird selig. Blinkt in den persischen Gedichten neben Liebe munter der Wein von Schiras, so ist bei den Söhnen der Wüste das Kameel, welches zur Geliebten führt, auch der unveränderlich mitbesungene Gegenstand 7). Fünf und achtzig Wörter für unser Liebe bietet der arabische Sprachschatz dar; aber fast alle bezeichnen nur Nuancen des Schmerzes, und wird ein Liebender beschrieben, so wird er in der Regel als die unglückseligste Creatur bezeichnet. Es ist mit einem Worte ein ascetisches Element, welches der arabischen erotischen Poesie beigemischt ist. Recht auffallend wird der Unterschied persischer und arabischer Dichtkunst in den Mährchen der Tausend und Einen Nacht, in welchen die üppigen bunten Erzählungen persischen, die trockenen ernsten arabischen Ursprungs sind 8). Auch an extensivem Gehalte steht die arabische Poesie unter der persischen; unter den Moallakats ist ein erotisches Lied, und selbst Montenebbi ist nicht so tief in das Volk eingedrungen, als Hafis, dessen Lieder noch jetzt von den Lippen der persischen Maultiertreiber ertönen.

Indem wir nun zu dem Occidcnt überzugehen im Begriff stehen, drängt sich uns die Frage auf: worin liegt der wesentliche Unterscheidungspunkt zwischen der orientalischen und occidentalischen erotischen Poesie? Indem wir dabei auf das aufmerksam machen, was Rosenkranz a. a. O. über die Differenz beider Poesieen im Allgemeinen bemerkt hat, stellen sich uns besonders zwei Momente dar, von welchen das eine seinen Grund in der despotischen Verfassung des Orients, das andere in der größeren Abhängigkeit, des Orientalen von der Natur hat. Charakteristisch ist nämlich erstens die Ehrfurcht gegen die Geliebte, die beständige Furcht, sie zu verlieren, und die überwiegende Neigung, sich in Zukunft oder Vergangenheit zu versenken, selten verbunden mit einem Genuß der unmittelbaren Gegenwart. Es liegt allerdings die Sehnsucht, also das Negiren der Gegenwart, in dem Begriffe der Liebe selbst, als dem Streben nach Ergänzung seines Ichs zu organischer Einheit; aber nur despotische Verfassung, welche alle Gegenwart unsicher macht, konnte den orientalischen Dichter so bilden, wie wir ihn finden. „Mir will immer Durst nur frommen nach dem Durst“ sagt ein persischer Dichter und spricht damit einen Grundton der orientalischen Dichtkunst aus, obgleich die Perser weit mehr noch, als die Araber, ein Gefühl der Gegenwart an den Tag legen. Bedeutender noch ist zweitens ihre Abhängigkeit von der Natur, welche den mannigfaltigsten Eintluß auf ihre erotische Poesie ausübte. Abgesehen von der Blumensprache, welche ganz eigentlich hierher gehört, bekommt unsere Dichtungsart durch dieselbe eine gewisse Einförmigkeit. Das Gesicht wird durchweg mit dem Monde verglichen, die Augen sind Narcissen, die Stirnlocken Hyacinthen, die Lippen Rubinen. Diese Vergleiche erheben sich höchstens zu Gegensätzen; ist z. B. das Gesicht der Tag, so wird es beschattet von der Nacht der Locken. Freilich weicht die indische Poesie wesentlich davon ab, doch auch ihrem Still- und Pflanzenleben fehlt keinesweges jene eigenthümliche Einförmigkeit, der wir noch zum Theil im Homer begegnen. So ist bei den Persern die Nachtigall das stehende Bild des Liebenden, welche um die Rose (die Geliebte) so lange herum fliegt, bis sie, vom Geruche betäubt, herunterfällt. Eine ähnliche Rolle spielt Kameel und Perle bei den Arabern. Auch das so häufige Hervorheben des Geruchs der Geliebten deutet auf jene Abhängigkeit. Dabei ist nicht zu verkennen, daß der Orientale einen uns oft in Erstaunen versetzenden, höchst sinnreichen Gebrauch von den sich ihm darbietenden, noch so unbedeutend erscheinenden Naturgegenständen in Vergleichen und Schlüssen zu machen versteht, wie Goethe auch im Divan angedeutet und mit einem Beispiele belegt hat. Damit hängt nun drittens das Didaktische und Phantastische ab, von denen das erstere mehr in der arabischen, das letztere in der persischen Poesie sich findet, wenn z. B. erzählt wird, wie an jedem Haare der Geliebten tausend Herzen gehangen hätten und wohin auch das Verlieben in Unbekannte gehört, s. Athen. XIII. p. 575, A. Wie nun aber jene Abhängigkeit von der Natur in dem Mangel des Selbstbewußtseins des Geistes ihren Ursprung at, so erscheint die Geliebte auch nicht als ein geistig-körperliches Wesen, sondern mehr als Naturproduct, als Statue. Alles an ihr wird mit gleichem Gefühle beschrieben, Locke und Fuß, Auge und Arm, so wie man eben einen Gegenstand, nicht eine geistige Individualität betrachtet. Jene Parmenideische Auflösung des Räthsels der Sphinx findet auch hier ihre Anwendung, indem der Grieche anfing, das Auge vor den übrigen Theilen des Körpers hervorzuheben und in ihm zu lesen. Aristoteles Worte bei Athen. XIII. p. 564. geben uns den richtigen Standpunkt an: ... Die ????? ist den Griechen die wahre Weiblichkeit und Jungfräulichkeit, wie dieß deutlich ausgesprochen in dem schönen Gebete des Hippolyhis an die Artemis, Eur. Hipp. 72 — 86, und sie tritt als selbstbewußte freie Sittlichkeit hier auf, während die Weiblichkeit des Orients eine unbewußte, auf Natur und Sitte sich gründende ist, welche ein kräftiges Hervortreten der Individualität verhindert. So war statt der einförmigen Natur-Anschauung eine reiche geistige Welt gewonnen, und Kleinasien war vermöge seiner Lage dazu bestimmt, auch hierin Vermittler zwischen Orient und Occident zu werden 9). Wir lassen die Notiz des Athenäos XIII. p. 600, e. bei Seite, daß Alkman von Sardes zuerst erotische Lieder gedichtet, denn dieß heißt doch immer nur, er sei der erste uns bekannte Erotiker, und wenden uns lieber zu Homer, in welchem wir zuerst bestimmt geschiedene weibliche Individualitäten erblicken. Boteinah, Suleika, Leila u. s. w. sind nur stehende Repräsentantinnen einer bestimmten Gattung der Liebe, etwa wie in einer gewissen Periode der deutschen Litteratur Minister, Präsidenten, Kammerjunker und Hofräthe ihrem Range nach größere oder kleinere Bösewichte stereotypischer Art repräsentirten; aber wie ganz anders tritt die bestimmt gezeichnete Individualität einer Andromache, Penelope, Helena, Nausikaa hervor 10)! Zu verkennen ist auch in ihnen nicht eine gewisse Analogie des Orients, welche sich in den ionischen Stämmen nie ganz verlor, in den dorischen sich aber vollkommen abstreifte, wie das deren Dichterinnen beweisen. Weder von den Alkmanischen Liedern, noch so vielen andern, zur Flöte gesungenen, Liedern (s. Athen. XIV. 618, c.) haben wir etwas übrig, und höchlich ist der Verlust der ... des Klearch von Soloi, Schülers von Aristoteles, zu bedauern, welche, wenigstens drei Bücher füllend, so weit wir aus Athenäus ersehen können, von ungemein reichhaltigem Inhalte waren. So wie noch jetzt die neugriechische Poesie ungemein reich an erotischen Volksliedern ist, so waren auch wohl jene verlorenen Lieder mehr Producte des natürlichen Gefühls, als der Vereinigung von Natur und Kunst. Zur Kunstpoesie erhöh sich das erotische Gedicht bei den Ioniern erst mit der Elegie, analog der mehr untergeordneten Stellung des weiblichen Geschlechts, bei den Dorern in der sapphischen Strophe, entsprechend dem kräftigeren Auftreten und tieferen Eingreifen der Dorierinnen. Als einfacher Liederdichter steht unübertroffen Anakreon da, und nur unser Utz und Logau mögen sich in einigen Liedern mit ihm messen können; der Geist der Frivolität, welcher in Berenger’s Liedern athmet, war von Anakreon weit entfernt. Ungeachtet die Alten in eine wahrhafte Begeisterung ausbrechen, so oft sie der Sappho gedenken, so hat dennoch der Sieg des Ionismus über den Dorismus gemacht, daß von ihr nur wenige, fast durchweg fragmentarische Gedichte übrig, und die ihrer Mitschwestern in Apollo ganz verloren sind. Tiefe der Empfindung, welche sich mehr intensiv als extensiv zeigt, Kraft des Gefühls und heiße Gluth sprechen sich allenthalben aus, und dem Inhalte entspricht die Form der Gedichte. Der größern Milde und Weichheit des weiblichen Charakters gemäß, nähert sich die Sapphische Strophe mehr dem elegischen, die Alcäische dagegen mehr dem Jambischen Rhythmus. Die Ionier hatten mehr Einbildungskraft, die Dorer mehr tiefes Gefühl, und erstere entfaltete sich ganz folgerecht im Hexameter, welchem, als mit dem Üebergange aus dem heroischen in das politische Leben sich die Lyrik entwickelte, der Pentameter als erster Schritt dazu folgte, und somit war das elegische Distichon da 11). Wäre es auch sonst nicht historisch erwiesen, daß Ionien das Vaterland der Elegie sei, so zeigt es die Sache an sich unwidersprechlich. Der Orient ist seinem ganzen Wesen nach episch-plastisch, dieß Element drückt der Hexameter aus; zu der breiten Anschauung tritt die Reflexion und zwar eine klagende, den Charakter der Schwermuth tragende; sie repräsentirt der Pentameter. Die Anschauungs- und Reflexionsweise ist aber eben vollkommen ionisch, d. h. Orient und Occident vermittelnd. Wer erkennt nicht den elegischen Ton, der durch Herodotos Geschichte durchzieht, wer ihn nicht in den Tragikern? Daß aber Elegie etwas Klagendes bezeichne, das zu leugnen heißt der Tradition aller Grammatiker und Dichter Hohn sprechen. ...

Der Ionier bildete sich zur Reflexion bewußtlos den Pentameter, dessen Klagendes, abgesehen von der geringern Länge, in dem tiefen Einschnitte und dem sanften Falle seines Rhythmus liegt. Daß er dieß bewußtlos that, zeigt eben, wie tief es in seiner Natur lag, jene unerbittliche Notwendigkeit des Alterns und des Scheidens von der süßen, freundlichen Gewohnheit des Daseins und Wirkens allen Reflexionen zu Grunde zu legen, und was vermöge der theokrati-schen Richtung des Volkes in den Psalmen und im Buche Hiob ernst und streng ausgesprochen wird, dasselbe offenbarte er in resignirterem, aber desto trostloserem Schmerze. Schon Homer giebt Belege zu dieser Ansicht. So dichtete man Kriegs- und andere Lieder im elegischen Versmaaße, bis Simonides durch threnodische Elegieen sich so berühmt machte, daß die Alexandriner das Klagende in diesem Metrum vorzüglich hervorhoben, während die Attiker sich streng an die äußere epigrammatische Form hielten. Jenen folgte Horatius, indem er sagt: querimonia, Klagendes, sei Element, man habe aber auch den Gegensatz (voti sententia compos) in die Klage eingeschlossen, Alles, mit einem Worte, habe einen klagenden Charakter, diesen aber Aristoteles. So löst sich Alles auf, und es darf uns weder befremden, was jene Beiden angeben, noch wenn wir lesen, wie Simonides Sieges -Elegieen auf die Schlacht von Artemision (Schol. ad Ar. Vesp. 1402. Priscian. p. 1328.), der Mimnermos auf die der Smyrnäer gegen die Lyder (Pausan. 9, 29.), und Propertius auf die Schlacht bei Actium (4, 6.) gedichtet, noch wenn Thukydides (l, 132.) die Aufschrift des Pausanias auf die Weihgeschenke nach Delphi ... nennt 13). Der Vater der erotischen Elegie, also der, welcher zuerst ionisches erotisches Nationallied dichtete, ist Mimnermos, laut des berühmten Distichons von Hermesianax.

Ruhnken zu dieser Stelle und Wieland zu Horatius Briefen 1. p. 126. nehmen diese Worte, als werde gesagt, Mimnermos sei Erfinder der Elegie, und entschuldigen deshalb, was an einem Alexandriner am wenigsten zu verzeihen ist; Franke p. 9., Mohnike Gr. Litteraturg. I. p. 203. u. Bach z., Hennesianax p. 137. nehmen an, er sei Erfinder der sanften Elegie. Eine genauere Interpretation lehrt aber, daß der Sinn ist: Mimnermos wandte das elegische Versmaaß zuerst auf erotische Gegenstände an 14). Er war nach Angabe Strabo’s XIV. p. 940. ... und diese auch bei andern bemerkte Verbindung der Flöte mit elegischer Dichtkunst zeigt ebenfalls die Analogie, welche zwischen beiden herrschte, an. Wie aber Mimnermos Vater der erotischen Elegie ist, so führte er zugleich die Sitte ein, ganze Bücher Gedichte mit dem Namen der Geliebten zu benennen, indem er unstreitig damit andeuten wollte, wie Alles in ihr und durch sie gedacht und empfunden sei 15). Ich schweige hier von der völlig grundlosen Sage, Mimnermos habe die Nanno als Greis geliebt, eine Sage, aus Mißverstehen der Hermesianacteischen Verse entstanden, welche Wieland gelegenen Stoff zu Scherzen gab. Es widersprach aber durchaus dem in der Brust der Griechen und jedes gebildeten Menschen wohnenden Schönheitsgefühle, die unzeitige Liebe eines Greises poetisch darstellen zu wollen, und nur ein Maximian konnte sie anders als ironisch schildern. Das Weitere aber über Mimnermos und seine Nachfolger sehe man bei Weber a. a. O., hier genüge ein kurzer Umriß. Derjenige, welcher zuerst sich nicht begnügte, eigene Empfindungen und unmittelbare Anschauung zu schildern, sondern diesen eine Folie ...(Seite 13) ... von Sappho gelebt, und sie konnten ihre Phantasie nur darein versetzen, indem sie die Schleusen ihrer mächtigen Gelehrsamkeit aufzogen und sich in den Beispielen der Vorzeit gleichsam berauschten. Sie zehrten an der Vorwelt, wie unsere romantisch-katholischen Dichter vor dreißig Jahren mit aller Gewalt die Empfindungen des Mittelalters heraufbeschworen, und mitunter zwar recht leidliche Copieen zu Tage förderten, aber eben nur „ein Bild des Bildes“ und nicht das Bild zu liefern vermochten. Aber Preis dem ewig jugendlichen Geiste von Hellas, dessen frische Sinnlichkeit, dessen keckes Genießen der augenblicklichsten Gegenwart selbst in die Büchersäle Alexandria’s drang und die Phantasie der Antiquarier erwärmte und begeisterte. Wäre nicht auch hier der hohe Schönheitssinn und Geschmack der Griechen thätig gewesen, so, glaube ich, möchten jene alexandrinischen Elegieen einen hin und wieder sehr starken Anstrich von lächerlicher Pedanterie gehabt haben. Und worin liegt der Zauber, welchen die Hermesianakteischen und Phanokleischen Fragmente auf uns ausüben? Doch wahrlich nicht in der Darstellung subjectiver Empfindung, wie sie an Mimnermos entzückt, sondern in der amnuthig künstlichen Zusammenfassung und Gruppirung erotischer Sagen, welche mit dem unverwüstlichen Liebreize griechischer Worte erzählt werden.

Verlassen wir aber diesen objectiven Gesichtspunkt, und nehmen an, dieser gewaltige Apparat sei blos heran geschleppt, um der subjectiven Empfindung des Dichters als Folie zu dienen, so ist der Schritt nicht vom Erhabenen, sondern vom Anmuthigen zum Lächerlichen geschehen. Dagegen war das Idyll nicht ein künstliches, sondern natürliches Product der alexandrinischen Zeit, und wie die Adoniazusen ein treues Gemälde damals gegenwärtiger Zustände sind, gewissermaßen ein alexandrinisches Tableau, so, meine ich, übertrifft die Theokriteische Idylle, ... in ihrer Art an subjectiver Wahrheit alle Elegieen der Zeit 17). Es unterscheidet sich aber das erotische alexandrinische Idyll dadurch vom morgenländischen (namentlich sind die meisten erotischen Liebeslieder Idylle, eben wegen jener überwiegenden Natur-Anschauung), daß das erstere ein Element des Satirischen und Ironischen besitzt, welches, letzterem fehlend seinen Grund in der Individualität der Siciliner hat. Wie aber einestheils die europäisch-griechische Elegie, der mangelnden Productivität wegen und durch ihre Form gleichsam darauf hingewiesen, in das Epigramm überging, so verlor sich andererseits die alexandrinische Elegie in den Schmutz des Sotadischen Verses, welcher seinen Namen trägt vom Ionier Sotades Maronita, genannt ... , und lebend unter Ptolemäos Philadelphos, s. Athen. XIV. p. 620. F. u. 621. Seine Verse, welche sprichwörtlich für Zoten von den Lateinern erwähnt werden, fallen in den Beginn jener Zeit, in welcher man keinen Unterschied zwischen rein sinnlicher und sinnlicher, von einem geistigen Elemente getragener Poesie zu machen wußte, eine Zeit, welche, wie die verschiedene Beurtheilung eines Fischart, Rabelais, Aristophaues und der Entgegengesetzten, welche zu nennen hier nicht ziemend scheint, zur Genüge beweist, auch uns nicht fremd ist. Ein Gleichgesinnter, Aeschrion - und die Elephantis, zum Theil auch Euphorion, zeichneten sich auf die nämliche Art aus, und endeten so die erotische Poesie, welche auf der einen Seite sich wiederum erhob als Satyre gegen das weibliche Geschlecht, namentlich im Milesischen Mährchen, andererseits im Roman einen neuen, wenn gleich nicht bedeutenden, Aufschwung nahm. Davon im letzten Capitel.




1) Ich verweise hier nur auf Herder’s Volkslieder und Gerhard’s Serbische Lieder. Erstere geben den reichlichsten Stoff zu interessanten Vergleichungen des Charakters der verschiedenen Völker.

2) Natürlich in erotischer Hinsicht; denn wer will Ovid’s Philemon und Baucis ein poetisches Stillleben absprechen?

3) Ich erinnere an die herrliche altfranzösische Romanze: Die Dame von Coucy und an Eduard und Ottilie in den Wahlverwandtschaften.

4) Da eine nähere Charakterisirung der indischen erotischen Poesie weder in meinem Zwecke, noch in meinen Kräften liegt, so verweise ich hier auf Rosenkranz Gesch. d. Poesie, B. I. Erotische Lieder von ausgezeichneter episch-plastischer Schönheit gab Fr. Rückert, Berliner Musenalmanach 1831.

5) Außer Jonos, Goethe, Hammer’s Schriften s. Rosenkranz a. a. O., welcher einige interessante Auszüge aus Dschami giebt. Mit den bloßen Worten Bulbul und Gasele, wie wol mancher Dichterling unserer Zeit glaubt, ist es nicht, gethan.

6) Schriften d. Leipz. Ges. d. fr. Künste. B. 3. S. 3 sq., vergl. mit Eschenburg bei v. Ramdohr Venus Urania 3, 2 S. 48.

7) Man vergl. außer Jones und La Grange’s Chrestomathie Arab. einen höchst lehrreichen Aufsatz von Kosegarten: Ueber die religiöse Liebe der Muhamedaner, im Greifswald. Akadem. Archiv, B. 1. St. 2 u. 3.

8) S. A. W. v. Schlegel Berlin. Taschenkalender 1829. — Wie noch jetzt bei den Arabern jene oben envähnte Galanterie zu finden ist, lehren Burckhard’ s Reisen.

9) Hierher gehört auch die dichte Verhüllung der Orientalinn im Gegensatz gegen die größere Freiheit des Occidents. Herod. l, 10.

10) Ueber die Griechischen Frauen im Allgemeinen genüge die Verweisung auf Fr. v. Schlegel und Jakobs Verm. Schr. Ueber die Helena insbesondere hat Loers einen lesenswerthen Aufsatz geliefert in den Schriften der Königsb. Deutschen Gesellschaft, in welchem er trefflich auseinandersetzt, wie unendlich zart dieser Character von Homer gehalten sei und wie man ihn erst später zu einer Kotzebueschen Eulalia verunstaltet habe. Namentlich, glaube ich, ist dieß durch Euripides geschehen, dessen modernes Wesen vieles Antike verkannte. Man vergleiche auch die bedeutungsvolle Sage von Stesichorus. — Ich kenne nur aus Anzeigen die Verunglimpfungen, welche Fr. v. Schiller in seinem Briefwechsel mit W. v. Humboldt sich gegen die griechischen und namentlich homerischen Frauen erlaubt hat, und kann sie daher weiter nicht beurtheilen. So viel scheint mir aber gewiß, daß Homer mit Recht seinen Frauen eine mehr passive, als Active Würde gebe, und daß eine Nansikaa ... nicht modern prüde, sondern wahrhaft jungfräulich erscheint. Sollen wir den Mangel der Idealität in das Waschen der Königstochter setzen, so fehlt es freilich unserer Zeit in keinem Stande an Idealen. Das Einzige, worin die Griechinnen nachstehen könnten, ist das, worin überhaupt das Alterthum der neuern Zeit nachsteht, der Mangel einer geistigen Religion.

11) So höchst dürftig die Ueberbleibsel der echt-griechischen Elegie sind, so reichhaltig ist die neuere Litteratur darüber. Außer Andern s. Abbé Souchay in den Mem, de l’Acad. des inscript. T. VII.; Fr. v. Schlegel in s. Schriften; A. W. v. Schlegel im Athenäum und nachher in s. Venn. Schriften; K. L. Schneider über d. eleg. Gedicht der Hellenen in d. Studien v. Dauh und Kreuzer, B. VI.; V. Franke vor seinem Callinus, Altona u. Leipzig 1816; N. Bach in der Allgem. Schulzeitung, Novemb. 1829; Weber, vor den Elegischen Dichtern der Hellenen, übersetzt u. erläutert, Frankf. a. M. 1826. Indem ich noch bemerke, daß Keiner ganz befriedigt, so will ich damit in voller Anerkennung von Franke’s Gelehrsamkeit und Weher’s schöner, gefälliger Darstellung nur sagen, daß Niemand die anscheinenden Widersprüche der allen Angaben klar gefaßt und gelöst zu haben scheint.

13) Das Wesen der Elegie lehrt deutlich die Vita Aeschyli, wo erzählt wird, Aeschylos sei von Simonides in der threnodischen Elegie besiegt: ... , was aber dem Aeschylos fehlte. Aehnlichcs wird von Pindar erzählt.

17) Wie sich das erotische Lied sehr bald in den Hirtengedichten (wohl zu unterscheiden vom Idyll) entwickelt habe, setzt Scalinger naiv auseinander A. P, 1. c. i.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Römische Erotik