An Herrn Professor Bonnell in Berlin. - Statt der Vorrede.

Ihnen, mein Theurer, weihe ich diese Blätter, welche aus Vorlesungen des verflossenen Halbjahres entstanden sind, im Andenken an die mit Ihnen verlebten Stunden, in welchen theils unter uns allein, theils mit den zwei Freunden, derer oft bei Niederschreibung dieser Zeilen gedacht ist, römisches Leben, römische Kunst und Wissenschaft in anregendem Scherze und heiterem Ernste besprochen wurde. Indem nun mein Zweck war, die Formen, in welchen sich die Idee der Liebe bei den Römern manifestirte, in ihrem organischen Zusammenhange darzulegen und in ihren einzelnen Momenten zu entwickeln, so blieb mir Literaturgeschichte im gewöhnlichen Sinne des Wortes ferner liegen, wie es denn überhaupt mir nicht um Vollständigkeit, sondern mehr um Ergänzung des Vorhandenen und Darlegen individueller Ansichten zu thun war. Daß ich mit leichter Mühe die Stärke des Büchleins um das Drei- und Vierfache hätte vermehren können, werden Sie und jeder Kundige bald bemerken; doch, denke ich, wird mich kein Tadel treffen, daß ich die Widerlegung jedes abgeschmackten, ungegründeten Einfalles übergangen und überhaupt die philologische Unsitte möglichst vermieden habe, welche Goethe nach Falk’s Mittheilung in so treffendem als derbem Bilde rügte. Eher hat wol das Streben nach Präcision der gerundeten Darstellung geschadet, und die Gedanken mögen hin und wieder scheinbar unzusammenhängend dastehen, indem ich bei Abfassung dieses Aufsatzes eben immer eine vertrautere Bekanntschaft mit dem Gegenstande voraussetzte.

Hier könnten Sie, Verehrter, und vielleicht noch Andere mir entgegnen, daß nichts mehr als das behandelte Thema zu behaglicher Auseinandersetzung einlade. Doch mögte dieß gerade bei der römischen erotischen Litteratur am wenigsten der Fall sein. Denn ist bei den Indiern und Persern glühendste Sinnlichkeit, bei den Arabern ernste Verehrung, bei den Hellenen heiterste Kindlichkeit und unbefangenes Genießen vorherrschend, so ist bei den Römern Streben nach Anerkennung und Schätzung des Ich vor Allem erkennbar, und die dasselbe begleitende Leidenschaftlichkeit erinnert gar zu oft an den wüthenden Gott, dem entronnen zu sein der Weise dankte. Alfieri’s Worte: La pionta uoma nasce più robusta in Italia che in qualunque altra terra, sind in dieser Beziehung völlig wahr; aber eben deshalb fehlt ein beruhigendes, stillendes Element und nirgends fast zeigen sich die Myrtenbüsche und Rosenlauben der Liebe ohne die Cypressenhaine der Trauer. Das Harmlose, Kindlich -Liebliche der erotischen Volkspoesie, verschmolzen in künstlerische Form, kennt außer dem Orient und Hellas, in welchem letztem jeder Zweig der Litteratur vom Eros durchdrungen ist, fast nur unser Vaterland, dessen erotische Litteratur eine ungemein vielseitige, nach allen Richtungen hin anmuthig sich bewegende ist. Aber freilich gilt dieß nur von der Zeit vor Anfang dieses Jahrhunderts; mit ihm traten die Extreme ein der Frechheit in Ueberspringung aller sittlichen Schranken, repräsentirt durch Schlegel’s Lucinde, und das der süßlichen, verhimmelnden Entsagung, als nothwendigen Gegensatzes, welchen noch jetzt „die Blauen“ rüstig uns vorführen, bis endlich beide Richtungen, vermischt mit dem trüben Elemente der Politik, in einander verschmolzen und den Charakter der Zerrissenheit annahmen, welcher in allgemeinster Beziehung wahrhaft großartig von Lord Byron repräsentirt wird.


Doch ehe ich schließe, sei es mir vergönnt, in Bezug auf das S. 37. f. Vorgetragenene die merkwürdige, gerade in unserer zum Symbolischen *) neigenden Zeit interessante Stelle bei Cicero p. Rosc. Am. c. 26. in das Gedächtniß zurückzurufen, welche recht deutlich den dort besprochenen Wendepunkt erkennen läßt. Indem Cicero hier den Grund, warum Vatermord von den Römern auf die bekannte Weise bestraft werde, auf eine symbolische Darlegung des unnatürlichen Frevels zurückführt, so zeigt er sich in dieser in einem Alter von 26 Jahren gehaltenen Rede noch anhängend der sogenannten asiatischen Redegattung, aber wenn er später im Orat. 30, 107. diese mit Beifall aufgenommenen Worte verdammt, so sieht man, wie bei ihm die orientalisch-symbolische Richtung ganz der occi-dentalischen Verstandesrichtung gewichen war. Da galten ihm dergleichen Auslegungen für ineptiae, von welchen er im Brut. §. 315. sagt: nihil habere molestiarum nec ineptiarum Atticorum est.

Darf bei Ihnen und den gleichgesinnten Freunden das Folgende als verklungener Stunden Angedenken auf freundliche Aufnahme mit Gewißheit hoffen, so mag bei den übrigen Lesern wenigstens das Bestreben Anerkennung finden, auf selbstständigem Wege forschend bisher Vereinzeltes zu einem Ganzen zu verbinden, ohne, wie es so oft geschieht, einem Schema zu Liebe die Thatsachen auf ein Prokrustesbett spannen zu wollen.

Greifswald, am 9. Juni 1833.
Der Verfasser.




*) Und also auch zum Romantischen. Denn das Symbolische oder Allegorische ist eine Species des Romantischen, aber nicht mit ihm identisch, wie noch neuerlich Heine meinte, z. Geschichte d. neuern schönen Litter, in Deutschl. S. 22. f. Die Ciceronische Erklärung ist übrigens weit ungezwungener als eine ähnliche von deutschen Strafen bei Pfister Gesch. d. Deutsch. I. S. 449.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Römische Erotik