Die „loyale“ Lösung. - Der Normalarbeitstag.

Daher verlässt Rodbertus den Gedanken einer radikalen Aufhebung des Grund- und Kapitaleigentums und findet im „Normalarbeitstag“ die zunächst mögliche Versöhnung zwischen den Interessen des Kapitals und der Arbeit. Er will die sozialwirtschaftliche Klasseneinteilung Arbeit, Kapital und Grundbesitz beibehalten und lediglich an der Verteilung des Arbeitsprodukts remedieren. So hält er auch daran fest, daß das Lohnprinzip den Arbeitern gegenüber bewahrt bleiben solle und bekämpft aufs energischste die Lassalle'schen Produktivassoziationen, die aus den Arbeitern Kapitalisten machen wollen. Die heutigen Reformen sollten zugleich einen integrierenden Bestandteil des fernen sozialen Zieles bilden. Die Produktivassoziation liegt nun nach Rodbertus nicht auf dem notwendig zu betretenden Entwickelungswege. „Denn das Kollektiveigentum der Arbeiter an einzelnen Betrieben wäre ein weit übleres Eigentum als das individuelle Grund- und Kapitaleigentum.“ 4) Auf den heutigen sozialen Grundlagen — nämlich auf Basis des Grund- und Kapitaleigentums — „ist die Lösung (wollen sagen die relative Lösung) der sozialen Frage in nichts anderem zu suchen, als in den beiden Wörtchen: Mehr Lohn!“ 5)

4) In der Tat würde die Produktivassoziation die Hauptforderung des Sozialismus, die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, nicht erfüllen ; dieselben würden nur statt einzelnen Personen einzelnen Gruppen angehören. Lassalle hat allerdings, wie Rodbertus mitteilt (Briefe u. soz.-pol. Aufsätze, S. 218), darauf erwidert: „Aber wer sagt Ihnen denn, daß ich will, daß der Produktivassoziation der Fonds zum Betriebe gehören soll!“ (Vergl. auch: „Briefe von Ferdinand Lassalle an Rodbertus“, a. d. lit. Nachlaß B. I, Brief 4 u. 12.)


5) S. Briefe u. soz.-pol. Aufsätze S. 190.

Dieses Mehr an Lohn kann aber auch nicht durch eine Gewinnbeteiligung der Arbeiter an den Einzelunternehmungen angestrebt werden. Dadurch würde die Lohnfrage in eine Schaukel gesetzt. Die Gewinnbeteiligung birgt auch ein Unrecht gegen den tüchtigeren Arbeiter, der das Resultat seiner Mehrleistung mit dem weniger tüchtigen Arbeiter zu teilen hat. Daher kann die sog. „partnership of labour“ am Einzelbetriebe kein Sporn für den Arbeiter sein; dieser muß vielmehr unmittelbar speziell und individuell beim Produkt angebracht werden. 6)

6) Vergl. ebenda S. 195. Der Versuch der Gewinnbeteiligung der Arbeiter ist auch mehrfach gemacht worden („gleitende Lohnskala“), aber, wie Rodbertus richtig voraussah, ohne Erfolg.

Auch treten alle derartigen Versuche, eine Steigerung des Arbeitslohnes herbeizuführen, zu äußerlich an die soziale Frage heran. Es ist ein Experimentieren, das die welthistorische Bedeutung der sozialen Frage, die Begründerin einer neuen, höhern Staatenordnung zu sein, noch nicht zu würdigen vermag.

Rodbertus hat in einem Briefe an R. Meyer eine Definition der sozialen Frage gegeben, von der er selbst meinte, daß sie „alles“ enthält, der man es daher verzeihen darf, wenn sie etwas langatmig ist. Sie lautet: „Welche wirtschaftlichen Einrichtungen sind zu treffen, um die Gesellschaft, vermittelst eines Lohnsystems, das das Grund- und Kapitaleigentum noch einstweilen in seinen Funktionen belässt, auch dessen gegenwärtige Rentenbeträge nicht kürzt, wohl aber schon den arbeitenden Klassen diejenige Steigerung ihres Anteils am Nationaleinkommen zuwendet und sichert, welche die Steigerung der nationalen Produktivität zulässt und dadurch die Gegenwart mit der Zukunft vermittelnd verbindet, auf friedlichem Entwicklungswege, aus unserer, auf Grund- und Kapitaleigentum beruhenden abgelebten Staatenordnung, in die geschichtlich ihr folgende, auf dem Verdienst- oder reinem Einkommenseigentum sich gründende, schon in den meisten sozialen Verhältnissen wie zur Geburt sich regende und rührende, höhere Staatenordnung allmählich einzuführen.“ 7)

7) Ebenda S. 318 f.

Die Brücke, die von der heutigen Ordnung in die höhere der Zukunft führen soll, ist der „Normalarbeitstag“. Mit dessen Einführung sieht Rodbertus „in klarster Perspektive — immer ein Jahrhundert lang — einen Gesellschaftszustand“, in welchem die soziale Frage gelöst ist. 8)

8) Ebenda S. 301.

Es ist nicht der von den Arbeitern geforderte Normalarbeitstag, für den Rodbertus eintritt. Dessen gesetzliche Normierung erscheint ihm als „Eingriff in die persönliche Freiheit“ und bildet außerdem eine Prämie für die Faulheit und Ungeschicklichkeit. Er hat auch nicht das notwendige Element in sich, die soziale Frage zu lösen, denn er vermag nicht das „eherne Lohngesetz“ aus der Welt zu schaffen und daher auch die Gesellschaft nicht vor jenen wirtschaftlichen Erschütterungen zu bewahren, die nicht eine Folge der Geringfügigkeit des Lohns, sondern eine Folge des zurückgehenden Anteils der Arbeiter bei steigender Produktivität sind. 9) Das neue Lohnsystem soll nicht nur die verschiedenen Leistungen verschiedener Arbeiten und Arbeiter verschieden zu berücksichtigen vermögen, sondern soll zugleich die Möglichkeit in sich enthalten, den Anteil des Arbeiters mit steigender Produktivität mitsteigen zu lassen.

9) S. Kapital S. 58.

Der Zeitarbeitstag muß zugleich Werkarbeitstag werden. Da die verschiedenen Arbeiter über ein verschiedenes Maß von Arbeitskraft verfügen, und außerdem die verschiedenen Arbeiten in der gleichen Zeit ein ungleiches Maß intensiver Arbeit erfordern, wird es notwendig, daß der normale Zeitarbeitstag zu einem normalen Werkarbeitstag erhoben wird, d. h. zu einem solchen, „der nicht bloß nach Zeit, sondern noch nach Werk normiert wird“. 10)

10) Rodbertus: Über d. Normalarbeitstag, Zeitschr. F. d. ges. Stsw. Bd. 34 S. 326

Die verschiedene Intensität der Arbeiten erfordert, daß in den verschiedenen Gewerken der Zeitarbeitstag verschieden festgestellt wird. Der Arbeitstag ist ja auch heute schon in den verschiedenen Gewerben nicht immer von gleicher Zeitlänge und wird doch auch da, wo er der Zeit nach kürzer ist, als voller Arbeitstag bezahlt. Der Zeitarbeitstag würde sich also in den verschiedenen Gewerken, je nachdem sie in kürzerer oder längerer Zeit die tägliche Arbeitskraft des Arbeiters verzehren, etwa auf 6, 8, 10 und 12 Zeitstunden stellen. Dann ist noch die Quantität Werk festzustellen, die ein „mittlerer Arbeiter bei mittlerer Geschicklichkeit und mittlerem Fleiß“ während des jedem Gewerk entsprechenden Zeitarbeitstages zu liefern imstande ist. Diese Quantität Werk repräsentierte nun in jedem Gewerk das gleiche normale Arbeitswerk eines normalen Zeitarbeitstages, und die zur Herstellung des normalen Arbeitswerks unter obigen Bedingungen erforderliche Zeit würde den normalen Werkarbeitstag konstituieren.

Mit diesen Unterscheidungen würde dem Prinzip gerechter Verteilung des Arbeitsproduktes, soweit sie die Arbeiter untereinander betrifft, genügt werden können, indem diese nicht mehr nach Arbeitszeit, also für verschiedene Leistungen gleich, sondern nach Arbeitswerk gelohnt werden könnten. Das geschicktere und fleißige Individuum soll sich höher als das ungeschicktere und faulere verwerten. 11)

11) Rodbertus: Kapital S. 144.

Dieses System ist durchaus nicht neu, es wird heute immer mehr im Stücklohn geübt. Das „eherne Lohngesetz“ aber, das in dem sich selbst überladenen Verkehr herrscht, macht das Stücklohnsystem zur neuen Quelle der Ausbeutung der Arbeiter durch das Kapital. Soll diese Wirkung eines an sich gerechten Systems verhindert werden, so ist es notwendig, daß „entweder durch Entscheidung des Staates unter Mitwirkung der Parteien oder durch Vereinbarung der Parteien unter Autorität des Staates u der Lohnsatz für den normalen Werkarbeitstag gesetzlich festgestellt wird, ferner, daß diese Festsetzungen periodisch nach Maßgabe der Steigerung der Produktivität der Arbeit erhöht werden. 12)

12) Ebenda S. 133.

Damit wäre das „Gesetz der fallenden Lohnquote“, in das wir oben bei Rodbertus das „eherne Lohngesetz“ sich verwandeln sahen, aufgehoben, die Lösung der sozialen Frage wäre gefunden.

Jene Festsetzung des Lohnsatzes durch den Staat oder mit Hilfe desselben wäre weder ein Eingriff in die Rechte des Einzelnen, noch auch im besonderen in die der Grund- und Kapitaleigentümer, denn in allen einschneidenden Fragen der menschlichen Lebensgemeinschaft entscheidet heute das Gesetz, und wenn auch nach heutigem positiven Recht Kapitalisten und Grundbesitzern Rente zusteht, so doch nicht deren Steigerungen für alle Zukunft. 13)

13) Vergl. „Die Forderungen der arbeitenden Klassen“ (1837) aus d. lit. Nachl. III S. 217 f.

Über die Mittel und Möglichkeiten zur Durchführung der Lohnregulierung mittels des Normalarbeitstages hat sich Rodbertus nur unvollständig und nicht immer in gleicher Weise geäußert. „Wies gemacht wird?“ äußert er sich noch 1875 gegen Rudolph Meyer auf dessen Frage. — „Verschaffen Sie mir nur einen Posten, auf dem ich berufen bin, die betreffenden Vorschläge detailliert auszuarbeiten, und ich will es überzeugend nachweisen, ,wies gemacht wird'.“ 14) Es leuchtet, auch wenn man von dem die kampflose Zurückgezogenheit liebenden Charakter des Jagetzower Denkers absieht, ein, daß Rodbertus nicht daran denken konnte, seine Ideen in ähnlicher Weise verwirklichen zu wollen, wie es etwa Qwen und Proudhon versucht hatten. Wenn Owen die Ursache des Misslingens seines voreilig in Angriff genommenen, ungenügend durchdachten Planes dem noch nicht gereiftem Verständnis der Gesellschaft für denselben zuschrieb, und der Anarchist Proudhon einräumen mußte, daß ohne die Mitwirkung des Staates die soziale Frage nicht angefasst werden könnte, so hatte Rodbertus die Einsicht, beides von vorne herein zu erkennen. Es war doch schließlich wohl auch die, allerdings nicht zugestandene Unbefriedigtheit mit seinem eigenen Lösungsvorschlag, die ihn resigniert sagen ließ, daß die soziale Frage zwar „objektiv“ längst, aber doch noch nicht „subjektiv“ , d. h. bezüglich ihres Verständnisses reif genug sei; und es stand für ihn andererseits fest, daß es nur die Aufgabe des Staates sein kann, den friedlichen Übergang der überlebten Gesellschaftsordnung in die neue, höhere zu vollziehen.

14) Briefe u. soz.-pol. Aufsätze S. 453.

Wir haben vorhin gesehen, wie der normale Werkarbeitstag aufgefunden wurde. Dieser soll nun weiter zu „Werkzeit“ oder „Normalarbeit“ dadurch erhoben werden, daß die Werkarbeitstage in jedem Gewerk in die gleiche Anzahl von 10 Werkstunden geteilt werden. Nach solcher ausgeglichenen Werkzeit könnte dann, wie Rodbertus meint, der Wert jedes Produkts normiert und auch der Lohn in jedem Gewerk gezahlt werden.

Was nun die Lohnzahlung betrifft, so hält Rodbertus den Gedanken des „Rechts auf den vollen Arbeitsertrag“ für die „reinste Chimäre“. 15) Die Tatsache, daß der Arbeiter nicht seinen vollen Produktwert erhält, ist keine Anomalie, sondern der normale Zustand einer jeden Gesellschaft. 16) Eine Lohnreform hat nur gegen das „Zuwenig“ sich zu wenden, das die heutigen Lohnverhältnisse dem Arbeiter gewähren.

15) Vergl, auch: Z. Erkl. u. Abh. d. Kred.-Not II S. 107 ff; Normalarbeitstag, a. a. O.

16) S. Kapital, S. XVI. Dies betont er besonders gegen Marx. Der Gegensatz resultiert jedoch vor allem aus der verschiedenen Auffassung beider über die Arbeit, die wertschaffend ist, wie im vorigen Kapitel gezeigt.

Zunächst setzt jede Gesellschaft als nationale Arbeitsgemeinschaft den Staat; voraus. Es gehört eben zu den charakteristischen Eigenschaften der Gesellschaft, daß sie öffentliche Bedürfnisse hat. Allerdings kann nur über Art, Inhalt und Grenze der vom Staat zu erfüllenden Aufgaben, nicht aber über die Notwendigkeit der Wirksamkeit des Staates überhaupt ein Zweifel obliegen. Jene öffentlichen Bedürfnisse können im Laufe der Zeiten eine neue Richtung nehmen, z. B. glaubt Rodbertus daran, daß die heutigen Militärbudgets in Zukunft durch ebenso große Erziehungs- und Unterrichtsbudgets ersetzt würden, aber verschwinden können sie niemals, so lange das Individuum in sozialen Beziehungen zur Gesellschaft zu leben genötigt ist.

Ferner ist jede Arbeitsgemeinschaft — die heutige Teilung der Arbeit ist ja auch nichts anderes als eine Gemeinschaft der Arbeit — auf wirtschaftliche Funktionäre angewiesen, welche volkswirtschaftliche Leistungen zu verrichten haben, z. B. in „Erkundung des nationalen Bedürfnisses, in Verwaltung der zur Befriedigung dienenden Produktionsmittel, in Leitung der mit diesen Mitteln produzierenden Arbeitsteilungskreise usw.“ Heute sind diese Funktionen schlecht oder recht dem Grund- und Kapitaleigentum überantwortet, das „gleichsam ein erbliches volkswirtschaftliches Beamtentum dieser Art begründet, dessen Gehalt in Form von Grundrente und Kapitalgewinn gezahlt wird. 17) Rodbertus will, wie man sieht, auch in der heutigen Gesellschaft der Auffassung des germanischen Rechts, daß Besitz ein von der Gesamtheit übertragenes Amt 18) ist, Geltung verschaffen, wobei man sich dann der Einsicht nicht verschließen könne, daß das Interesse der Gesellschaft in den Händen solcher geborenen, erblichen staatswirtschaftlichen Beamten, die „ihre Funktionen zunächst zu ihrem eigenen Vorteil“ ausüben, schlecht aufgehoben sein muß. 19)

17) Norm.-Arb.-Tag: a.a.O. S. 232; z. Beleuchtg. d. soz. Frage T. II, aus d. lit. Nachl. Bd. III S. 43 ff.

18) Vergl. Aug. Oncken: Gesch. d. Nat.-Ök. S. 75.

19) S. Kapital S. 168.

Jedenfalls besteht für Rodbertus kein Zweifel darüber, daß von dem, was der Arbeiter an Normalarbeit leistet, ihm nicht der ganze Arbeitsertrag zukommt, daß er sich vielmehr die Abzüge dafür, was der Staat „kostet“, wie derjenigen Beträge, die die wirtschaftlichen Funktionäre zu beanspruchen haben, gefallen lassen, müsse. „Die Arbeiter bekommen eben weniger Normalarbeit, als sie leisten, gelohnt oder bescheinigt“. 20)

20) „Normalarbeitstag“ a. a. O.

Somit sind Staat, Grund- und Kapitaleigentum und Arbeit heute Anteilberechtigte am Nationalprodukt. Der nach dem heutigen positiven Recht bestehende Anspruch des Grund- und Kapitaleigentums auf Rente (Grundrente und Kapitalgewinn, in denen der Unternehmergewinn mit enthalten ist) soll auch in Zukunft nicht aufgehoben werden. Ferner soll auch der augenblickliche Lohn des Arbeiters nicht erhöht werden, vielmehr soll für beide Anteile, Rente und Lohn in ihrer heutigen Höhe, festgestellt werden, wieviel jeder von ihnen als Quote des Produkts ausmacht. 21)

21) Rodbertus hat diesbezüglich nicht immer sich in gleicher Weise ausgesprochen; eine Folge davon, daß er die heutigen Grundlagen der Gesellschaft nicht antasten zu wollen, immer wieder beteuern zu müssen glaubte, während er doch in Zukunft diese Grundlagen durch andere ersetzt sah. So verlangt er in seinem „Sendschreiben“ an den internationalen Arbeiterkongress in London 1862, ebenso in seinen nachgelassenen Fragmenten, daß der Lohn schon gegenwärtig (nicht in seiner bloßen heutigen Höhe als Quote, sondern) so normiert wird, „daß mit Berücksichtigung der häuslichen Arbeiten der Ehefrau die normalmäßige Leistung dem Arbeiter noch genügende Muße für geistige, sittliche und anderweite materielle Zwecke übrig läßt und der Lohn dabei hinreicht, um einer Arbeiterfamilie von durchschnittlich fünf Mitgliedern eine sorgenfreiere Existenz zu gewähren, als durch den heutigen Durchschnittslohn geschieht“. (S. Fragmente, Aus d. lit Nachl. III S. 280 f.)

Eine solche Maßnahme scheint nun den heutigen Stand der Dinge nicht zu verrücken, vielmehr die Grund- und Kapitaleigentumsinstitution, wenn eine solche Einigung zwischen den beiden Parteien Arbeit und Besitz zustande käme, für alle Zeiten zu konservieren.

Jedoch steht für ihn heute schon die soziale Frage zu einem Teil noch in einer sich auslebenden, zu einem anderen schon in einer neuen Staatenordnung. Aber ein „breiter Zeitenstrom“ fließt dazwischen. Rodbertus schätzte ihn auf 500 Jahre. Wenn aber das Grund- und Kapitaleigentum aus bereits ausgeführten Gründen noch für lange Zeit beibehalten werden muß, darin dürfen die Renten, „der Wachstumstrieb“ desselben nicht angegriffen werden, sonst würde der ganzen Nationalproduktion ein betäubender Schlag versetzt. Sein Lohnsystem läßt, wie er sich in einem landwirtschaftlichen Bilde ausdrückte, „den Baum, bis ihn Gott steuert, wachsen, und zapft ihm jedesmal, wenn er treibt, nur Birkwasser ab, das merkt er dann gar nicht“. 22)

22) Briefe u. soz.-pol. Aufsätze S. 238.

Würde in der „Werkzeit“ oder „Normalarbeit“ das Wertmaß der Produkte gefunden und nach diesem Wertmaß die Anteile der im heutigen Zustand Anteilberechtigten als Quote des Produkts festgesetzt, so würde man, ohne das Grund- und Kapitaleigentum anzutasten, den Arbeitern einen Mehrlohn in der zukünftigen steigenden Produktivität zuweisen, das heißt verhindern, daß dieses Plus, wie bis jetzt, nur dem Grund- und Kapitaleigentum zufließt. Angenommen eine bestimmte nationale Arbeiterbevölkerung liefert heute zehn Millionen Werkstunden Produktwert, und es erhielten davon nach heutigem Recht, die Arbeiter für Lohn drei Millionen, der Staat eine Million, das Grund- und Kapitaleigentum je drei Millionen Werkstunden. Ist nun nach 20 Jahren die Produktivität um das Doppelte gestiegen, so bekommt der Arbeiter nach der heute geltenden Ordnung infolge des ehernen Lohngesetzes doch nur die bisherige Quantität Produkt, d; h. eine geringere Quote des Nationalprodukts; würde aber jene Quote von 3/10, ein für alle Mal festgehalten, dann würden die Arbeiter in solchem Falle das Doppelte der bisherigen Quantität Produkt erhalten. Das Gesetz der fallenden Lohnquote wäre aufgehoben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rodbertus Stellung zur sozialen Frage