Rodbertus Stellung zur sozialen Frage

Autor: Nacht, z. Oscar, Erscheinungsjahr: 1907
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Rodbertus, Johann Karl (1805-1875) deutscher Ökonom, gilt als Begründer des Staatssozialismus.
Vorwort.

Rodbertus ist von dem Unglück verschont geblieben, zu den am häufigsten genannten Namen zu gehören. Dafür sind seine Ideen Gemeingut der besten Geister geworden, lebendig weiter wirkend, und sind vor dem Geschick bewahrt worden, hinter dem bloßen Namen zu einem leblosen Dogma zu erstarren. Denn nicht so sehr in dem, was ein Denker Fertiges gibt, als vielmehr in dem, was er anregt, liegt die Bedeutung seiner Leistung.

Anregend hat in hohem Maße Rodbertus sowohl auf die Theorie wie auf die Praxis der Volkswirtschaft gewirkt.

Es ist heute, wo die Theorie des vierten Standes ihre schroffe Unversöhnlichkeit mit dem Bestehenden aufzugeben, ohne auf ihre Ziele zu verzichten, immer mehr sich entschließt, von nicht geringem Interesse, den Standpunkt desjenigen Denkers zur sozialen Frage wieder ins Auge zu fassen, der diese schon zu einem frühen Zeitpunkte in dem heute zum Siege sich durchringenden Sinne aus einem Verhängnis in eine Aufgabe verwandelte.

Diese Frage nach allen Seiten erschöpfend zu behandeln, würde offenbar mehr als den Rahmen der vorliegenden kleinen Schrift erfordern. Ich beschränkte mich hier darauf, in einem ersten Kapitel Rodbertus' Ansicht über Ursache und Wesen der sozialen Frage zu behandeln, in einem zweiten seine Werttheorie einer Würdigung und Kritik zu unterziehen und in einem dritten seine Vorschläge zur Lösung der sozialen Frage zu untersuchen. Die Behandlung dieser Probleme bei Rodbertus interessierten mich vornehmlich insofern, als sie auf seine Stellungnahme zum Sozialismus und Individualismus hinweist Ich kam zu dem Ergebnis, daß es ebenso unzutreffend ist, Rodbertus als Antiindividualisten zu bezeichnen, wie es einseitig ist, Sozialismus und Antiindividualismus mit einander zu identifizieren.