Scharzfeld

Was treibt dich, Epheu, Trümmer zu umweben?
Was bindet dich ans modernde Gestein?
Ach! nimmer hauchest du dein frisches Leben
Der alternden Zerstörung ein.


Schreiber.



Auf einem hohen Vorberge des Harzes, unfern Osterode, liegen die Ruinen von Scharzfeld. Es gehört in die Reihe der Burgen, von deren Ursprung, Erbauung und ersten Besitzern man auch gar nichts weiß, da ihr Alter tief in die Vorzeit zurücktritt, und an keine Erhellung zu denken ist. Erst vom 11ten Jahrhundert an datieren sich die uns bekannten geschichtlichen Schicksale derselben. Sie war damals in den Händen des Kaiserlichen Oberberghauptmanns von der Helden, welcher die Aufsicht über die Bergwerke des ganzen Harzes hatte, und sich von dem Schlosse auch der Ritter von Scharzfeld nannte. Ihm ging es durch folgende Veranlassung verloren: Kaiser Heinrich der Vierte war bekanntlich ein äußerst wollüstiger Mensch, vor dessen Nachstellungen kein Weib sicher war. Als er sich einstens in Goslar aufhielt, lernte er die Frau jenes von der Helden kennen. Ihn gelüstete nach dem schönen Weibe, und um seine Wünsche befriedigen zu können, bediente er sich eines Mittels, das auch von seinen Machfolgern, groß und klein, oft mit dem besten Erfolge, angewendet worden ist. Er trug nämlich dem Manne ein Geschäft auf, das ihn weit von Scharzfeld entfernte. In seiner Abwesenheit jagte Heinrich oft in der Gegend des Schlosses, und wusste es einmal so schlau einzurichten, dass ihn ein Ungewitter überfiel, als er dicht dabei war. Was konnte verzeihlicher sein, als wenn er auf das Schloss zuritt, die schöne, einsam wohnende junge Frau, um Erlaubnis bat, bei ihr das Wetter abwarten zu dürfen, und als der Sturm nicht austoben wollte, es sich, sogar merken ließ, dass er ein Nachtlager gern annehmen werde. Das junge Weibchen konnte diese besondere Gnade nicht wohl ablehnen, und sah sich genötigt, den hohen Gast zu beherbergen. Was nun zwischen ihnen vorfiel, und wie Heinrich seiner Beute nach und nach näher rückte, darüber schweigt der Chronikenschreiber. *) Ich weiß natürlich noch weniger davon, und will daher mit Blumauer ausrufen:

„Was nun die Liebenden in jener Höhle taten,
Das lässt uns Zeiler nur erraten.“

Kurz die Tugend des Weibes musste eingestehen, dass der Kaiser das Prädikat „Unüberwindlichster“ im vollen Umfange des Worts verdiene, und dass unter der Vereinigung günstiger Umstande, einem solchen Mann selten zu widerstehen sei. Sie sank, und Heinrich zog wohlgesättigt am andern Morgen seiner Straße.

*) Zeiler, in der Topograph. Brunsv. p. 183

Bei dieser kaiserlichen Expedition war ein Pfaffe aus dem nahen Kloster Pöhlde Sr. Majestät gar sehr behilflich. Zwar war diese Mitwirkung ganz geheim getrieben; aber der Verräter schläft nicht? hier war es der Burggeist. Lange hatte dieser sein Wesen oder Unwesen auf Scharzfeld getrieben, spukte in der Küche, im Keller, besonders aber auf dem runden Turme, der vor dem Schlosse stand. Man war seiner so gewohnt, da er niemand zwickte, hörte sein Gepolter und Geheul ohne Grausen, da es zu oft kam, und ließ ihn ruhig seinen Unfug treiben. Er gehörte mit Einem Wort zu den Haustieren des Hofstaats, und war ein Inventarienstück der Burg zu nennen.

Dieser Burggeist erhob nach vollbrachter Tat ein ungewöhnlich fürchterliches Geheul, tobte entsetzlich ob dieser Schnndtat in der ganzen Burg herum, und erschütterte sie in ihrer Grundveste. Gefoltert von den heftigsten Gewissensbissen irrte die Gefallene aus einem Winkel in den andern; das Hofgesinde schlug Kreutz auf Kreutz, und erwartete mit klappernden Gliedern nichts Gutes. Doch nicht züchtigen wollte der Burggeist, nur aufbrechen und seinen alten Sitz verlassen. Es war ihm nicht möglich, hier länger zu weilen, wo die Tugend und Unschuld vom Reichsoberhaupte selbst mit Füßen getreten war. Unter krachenden Donnerschlägen fuhr er im runden Turme hinauf, hob die Bedachung desselben ab, und stürzte sie in die Tjefe, schwebte über Scharzfeld, schrie es laut über die ganze Gegend aus, dass der Pfaffe mehr als der Kaiser an dieser Sünde schuldig sei, und verschwand. Seit der Zeit hat kein Dach wieder auf dem Turme fest sitzen wollen, so oft man es auch zu erneuern versuchte, denn der Burggeist kam immer und riss es ab. Der Pfaffe aber ging sein Lebelang verstört umher, und kam nie wieder zu einem heitern Gesichte.

Nach mehrern Tagen kehrte der betrogene Ehemann von der Helden zurück, und fand sein Weib, welche ihn zärtlich liebte, und sich die bittersten Vorwürfe über das Geschehene machte, weinend und betrübt. Er fragte nach der Ursache, und sie gestand ihm Alles. Voll Wut und Zorn eilte er nach Goslar, um sich an dem Kaiser persönlich zu rächen. Heinrich mochte jedoch die Ursache dieses Besuchs ahnen, und fand daher dienlich, ihn nich vor sich zu lassen. Um aber für die Zukunft gegen seine Nachstellungen ganz gesichert zu sein, fügte er noch den menschenfreundlichen Befehl hinzu, ihn auf eine gute Art aus dem Wege zu räumen. Hiervon erhielt Helden jedoch Nachricht. Er verließ Goslar sogleich undd rächte sich nun dadurch, dass er die Bergleute auf dem Harze zum Aufstande reitzte, und mit ihnen die Gegend verließ, wodurch auch die Bergwerke in gänzlichen Verfall gerieten.

Heinrich zog nun die Burg Scharzfeld mit Zubehör ein, und belehnte einen Wittekind von Wolfenbüttel damit. Da dieser 1130 ohne Erben starb, und sie als ein Reichslehn an den Kaiser Lotar zurückfiel, machte Norbert, der damalige Erzbischof von Magdeburg, Ansprüche darauf, indem er behauptete, dass das nahe gelegene Kloster Pöhlde, an welches Scharzfeld schon von Otto I. geschenkt war, von Otto II. an das Erzstift Magdeburg abgetreten worden sei, diesem mithin angehöre. Da die Prätension Grund hatte, so verglich sich Lotar 1130 mit den geistlichen Herrn dahin, dass er für seine Ansprüche das damalige Kloster, das jetzige Dessauische Amt, Alsleben an der Saale, dem Erzstift überließ, und dagegen Scharzfeld behielt, woraus er nun eine Reichsfestung machte.

Im Jahre 1157 erhielt es Heinrich der Löwe vom Kaiser gegen Abtretung der Zäringischen Erbgüter in Schwaben, welche seiner ersten Gemahlin Clementia gehört hatten; er verlor es aber bei seiner Achtserklärung: und nun treten Herren von Scharzfeld auf, die sich Grafen nennen, und sich im Besitz von Scharzfeld befinden, ohne dass man weiß, woher sie stammen. Der erste hieß Siegbode: vielleicht dass ihn Lotar zum Grafen machte.

Seine zwei Enkel, Heinrich und Burchard, teilten sich in zwei Linien, in die Scharzfeld'sche und in die Lauterbergsche; die erstere starb am Anfange des 14ten Jahrhunderts aus, und Scharzfeld fiel an die lauterbergsche Linie, welche sich nun bald von Lutterberg, bald von Scharzfeld nannte. Graf Otto der jüngere vesidierte noch 1311 zu Scharzfeld. Mit seinen drei Söhnen erlosch 1390 auch diese Linie. Ein heftiger Successionsstreit folgte ihrer Beerdigung Der Erzbischof von Mainz, der Bischof von Hildesheim, die Äbtissinnen von Quedlinburg und Gandersheim, alle machten Ansprüche auf diese Grafschaft; allein sie wurde keinem von ihnen zu Teil; der tapfere Ritter von Minnigerode nahm sie für den Herzog Friedrich von Braunschweig in Besitz.

Im zweiten Jahre des 15ten Sekuli mochte es den Herzögen von Braunschweig an Gelde fehlen; sie versetzten daher Scharzfeld und Lutterberg für elftausend Mark Silber (nach jetziger Währung beinahe 150.000 Taler) an den Grafen Heinrich VIII. von Hohenstein. Da ihnen nach Verlauf von fünfzig Jahren die Wiedereinlösung noch immer nicht möglich gewesen war, so überließen sie beide im Jahr 1456 den Grafen von Hohenstein völlig als ein erbliches Lehen.

Nach dem Erlöschen des gräflich hohensteinschen Geschlechts, im Jahre 1593, zogen die Herzöge von Grubenhagen diese Besitzungen; als eröffnetes Lehn wieder ein, und als auch diese 1617 ausstarben, fielen sie an die Herzöge von Celle. Seitdem sind sie bei dem Hause Braunschweig-Lüneburgscher Linte geblieben, bis sie in unsern Tagen zum Königreich Westphalen gezogen wurden.

Scharzfeld wurde in frühern Zeiten immer in gutem Stande erhalten, von den Herzögen oft besucht und auch als Staatsgefängnis benutzt, bis es im siebenjährigen Kriege zerstört wurde. Es rückten nämlich im Jahre 1761, 11.000 Mann Franzosen davor, und forderten es zur Übergabe auf. Bekannt mit der Geschichte des Schlosses, das bis dahin noch alle Belagerungen ausgehalten, niemals, selbst nicht in den zügellosen Fehdezeiten, erstiegen noch erobert worden war, und überzeugt, dass der Felsen, ohne die genaueste Lokaltenntnis, unersteiglich sei, schlug die darin liegende Mannschaft, die aus einer geringen Anzahl churbraunschweigscher Jäger bestand, diese Aufforderung rund ab. Zwar wusste sie wohl, dass sie der Übermacht würde erliegen müssen, allein, dis Ehre des Platzes zu retten, versuchte sie wenigstens das Äußerste.

Die Franzosen, welche nicht die von 1806, und es noch nicht gewohnt waren, binnen vierzehn Tagen, binnen vier Wochen Hauptfestungen zu erobern, schlossen es daher enge ein, um es auszuhungern. Auf dem, dem Schlosse gegenüber liegenden, Berge errichteten sie Batterieen, um es von da aus über das Tal hinüber zu beschießen. Da ihr Geschütz aber nicht so weit reichte, ihre Batterieen auch durch die großen eisernen Kanonen der Besatzung zerstört wurden, so suchten sie auf Schleichwegen Herr davon zu werden. Schurken gab es nun von jeher und überall. Auch hier fand sich einer unter den Einwohnern des nahen Städtchens Lauterberg, der dem Feinde einen Weg von der Seite dieses Ortes her zeigte, auf welchem es ihm gelang, das dabei, gelegene Fort oder die Zitadelle, der Frauenstein genannt, zu überrumpeln, wodurch das Schloss auch bald genötigt war sich zu ergeben.

Um den Coup und sich ins glänzendste Licht zu stellen, berichtete der Chef des feindlichen Corps so, gleich seinem Könige, dass er binnen sieben Tagen Herr einer der wichtigsten Festungen Deutschlands geworden sei. Wie wurde er aber beschämt, als er bei seinem Einzüge fand, dass die Eroberung sehr unbedeutend war. Mehr aus Wut, als aus Kriegspolitik ließ er hierauf Bergleute aus Lauterberg kommen, die das Schloss demolieren mussten, auch den ganzen Felsen durch Bohren und Schießen sprengen sollten, was aber bald unterblieb.

Seit dieser Zeit ist Scharzfeld keiner weiteren Auftmerksamkeit gewürdigt worden. Man hat es seinem Schicksale überlassen, und was noch stehen geblieben war, verfiel nach und nach. Bald möchte es auch ganz aus der Reihe der Dinge verschwinden, da den Bewohnern der umliegenden Gegend nicht gewehrt wird, die brauchbaren Steine zu ihren Bedürfnissen wegzutragen. Darüber möchte jedoch noch ein bedeutender Zeitraum vergehen können, denn der Ruinen sind jetzt (1809) noch viele. Sie liegen, wie ich anfänglich bemerkt habe, auf einem hohen Berge, das eigentliche Schloss aber auf einem an achtzig Fuß hoch über den Berg emporsteigenden Felsen. Dahin konnte man nur vermittelst einer hohen steinernen Treppe, welche noch mit einer Zugbrücke verwahrt wurde, gelangen; und hier steht auch noch ein Teil des runden Turms, dem die erwähnte Spukgeschichte einen Namen gemacht hat. Er war von lauter Quaderstücken erbauet, was man auch noch am Fundament sehen kann.

Die Gegend, welche man von Scharzfeld überblickt, gehört eben nicht unter die reizendsten, sie hat aber doch manchen anziehenden Punkt. Man sieht auf einen großen Teil des Eichsfeldes, des Hohensteinschen und Grubenhagenschen, oder auf Teile des Harzdepartements Westphalens. Links erheben sich Berge aus dem Fürstentum Schwartzburg, und rechts sieht man in einer Entfernung von fünf Meilen die beiden Bergspitzen, worauf die Ruinen der Schlösser, die Gleichen bei Göttingen, liegen, die wie zwei Maulwurfshügel hervorragen. Am Fuße des Berges fließt die Ocker vorüber, und die Landstraße von Osterode nach Nordhausen zieht sich daran hin.

Zum Unterschiede von dem nicht weit davon gelegenen Dorfe Scharzfeld wird es gewöhnlich, aber unrichtig, Scharzfels genannt. Beides, Schloss und Dorf, gehörten vordem zum churbraunschweigschen Amte Neuhof des Fürstentums Grubenhagen, jetzt aber zum Kanton Lauterberg des Distrikts Osterode im Harzdepartement des Königreichs Westphalen.

Auch Schandenburg wird das Schloss in einigen alten Chroniken genannt. Merian leitet diesen Namen von einer Sage her, der zu Folge die Bewohner desselben einstens Nonnen aus dem nahe gelegenen Kloster Pöhlde raubten, auf das Schloss brachten und sie schändeten, worüber der vorhin erwähnte Spukgeist auch einen gewaltigen Lärm erhoben haben soll.

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In dem Teile der Merianschen Topographie, welche das Lüneburgsche und Braunschweigsche enthält, findet man S. 183 eine Abbildung von Scharzfeld, wie es um das Jahr 1650 aussah, wo es sich noch ganz in, gutem und befestigtem Zustande befand. Die jüngste Abbildung ist im Maihefte des Journals für die neuesten Land- und Seereisen. Berlin bei Braunes, 1809, von D. Berger gestochen, zu finden. Die Ruinen sind da ganz in der Nähe dargestellt.

Benutzt habe ich bei Obigem: Geschichte der Graftschaft Hohenstein, von Hoche. — Carls vaterländische Reisen. — Honemanns Altertümer des Harzes; — und eigene Bekanntschaft mit dem Lokale haben mir da geholfen, wo mich jene verließen.