Donnerstag, 9. bis Sonntag, 12. Juni. ...

Donnerstag, 9. Früh morgens mit Figdor und einem andern deutschen Kaufmanne in die St. Paulskirche, die mit endlosen Stufen zum Kinderfest hergerichtet war. Rings unter der ungeheuern Kuppel um das, was man bei uns Presbyterium nennt, die emporsteigenden Sitze, deren ich sechzehn übereinander zählte. Raum für achttausend Kinder. In der Mitte ein Predigtstuhl, im Fond die Orgel. Die Versammlung im ganzen bis vierzehntausend Menschen. Die Zuseher waren bald versammelt, unabsehbar, außer der Peterskirche in Rom nichts damit vergleichbar. Nach und nach stellten sich die Kinder ein. Nach den Pfarren in verschiedenen Farben gekleidet. Die Knaben höchst barock, die Mädchen, obwohl im Kostüme alter Weiber, doch durch die außerordentliche Reinlichkeit ihrer Hauben, Schürzen und Halskrägen nach Pilgerschnitt, sämtlich glänzend weiß, ein wohlthuender Anblick. Blau, grün, rot in allen Schattierungen, schwarz, braun, grau, die Mädchen von unten hinansteigend, die Knaben von oben herab. Als alle achttausend beisammen waren, gab es einen Anblick, dessen gleichen in der Welt nicht ist. Gegen die Orgel zu ein Fächer von lauter Mädchen, schneeweiß, von dunkeln Knaben eingesäumt, wahrhaftig wie eine Engelsglorie. Die andern saßen horizontal geteilt. Die weißen Mädchen bildeten die Schneeregion des Menschengebirges, nur fiel sie umgekehrt nach unten. Hie und da war die gleiche Linie durch einen Hauben- und Schürzenzwickel nach oben malerisch unterbrochen. Langweilige Gebete, von Chören unterbrochen, die die achttausend Kinder sangen, wie ein Donnerwetter, im Sopranschlüssel gesetzt. Die ziemlich schweren Sachen gingen besser, als ich gedacht hatte. Der protestantische Erzbischof über ganz Irland ( all Ireland, Gott verdamm ihn!) hielt eine Predigt, die er selbst verstanden haben mag. Der hundertdreizehnte Psalm recht gut komponiert. Ein Alleluja von Händel, das den Kindern denn doch zu bunt war. Endlich nach dritthalb Stunden ein nicht unwillkommenes Ende. Wir, die wir schon um zehn Uhr da waren, hatten eigentlich fünf Stunden ausgehalten.

Ging mit Figdor ins London-Kaffeehaus, wo er mich traktierte. Vortreffliche englische Küche. Salm, für einen Kaiser zu gut. Roastbeef über alle Vorstellung. Johannisbeertorte für einen großbritannischen Gaumen. Grüne Erbsen, in Wasser abgekocht. Grüner Salat, roh zu essen, was wir bleiben ließen. Stilskäse, dem nichts gleichkommt. Das Couvert vier Schillinge. Dazu Ale, Hochheimer und zum Schluß etwas Sherry. Hernach in den Zigarrendiwan, wo für einen Schilling die Person eine Zigarre und eine Tasse schlechten Kaffee erhält. Zeitungen in Ueberfluß. Sah und las seit beinahe drei Monaten zum erstenmale wieder die Allgemeine Zeitung. Unter anderm, der Kaiser von Oestreich habe den Erzherzog Ludwig zum Mitglied des Staatsministeriums ernannt, ihn, der so lange die obersten Geschäfte halb selbständig leitete. Ist das eine Erhöhung oder Erniedrigung?


Ging darauf in die italienische Oper. Marino Falieri von Donizetti. Hübsche Sachen. Die Grisi gefiel mir nicht. Tamburini hat offenbar seine Stimme verloren. Lablache der Beste, ohne sonderlich zu sein. Die Chöre ein Skandal. Mit mir in derselben Loge ein recht artiger Engländer, der recht leidlich französisch sprach und die Musik zu goutieren schien. Zwei seltene Eigenschaften in diesem Lande.

Ich komme um Mitternacht nach Hause und finde, daß die jungen Leute sich eine kleine Abend- oder Morgenunterhaltung machen, wobei sie einen Höllenlärm verbringen. Ich will noch ein wenig schreiben, vielleicht kriegen sie's mittlerweile satt.

Die Ordnung war bewundernswürdig in der Paulskirche, nur störte, was aber nicht anders sein konnte, das Kommandomäßige gewisser Handlungen. So bedeckten bei manchen Stellen der Gebete die Kinder auf ein Tempo sich die Augen mit Händen und Schürzen, was ein wenig heuchlerisch aussah, high-church-mäßig. Die Prinzessin Viktoria war da mit ihrer Mutter und dem Herzog von Oranien. Sie saß anfangs zu unterst, mitten unter den Kindern. Da nun aber die Leute auf die Bänke stiegen, um sie zu sehen, trotz der Stewards, die unermüdlich die Obenstehenden mit ihren Stäben berührten und zur Anständigkeit aufforderten, verließ sie ihren Platz und setzte sich in den Chor. Da kehrten sich denn die dort sitzenden Mädchen mit dem Gesichte nach ihr und machten in einem Tempo ihr unablässige Verneigungen, so daß das Ganze aussah wie ein wallendes Meer. Mitten unter den Gebeten fiel es auf einmal ein paar Schulbuben ein, ihr ein lautes Hurra (Hurräh) zu bringen, in das das ganze Kinderheer einstimmte, zum offenbaren Mißvergnügen des Erzbischofs von Armagh (eines hochtoristischen Lords Beresford); auch scheinen die Kleinen einen Wink zur Unterlassung bekommen zu haben, denn es blieb bei diesem einmaligen Ruf, was sonst nicht in der hiesigen Sitte ist.

Die jungen Leute lärmen noch immer fort. Mein Licht ist zu Ende, ich will mich daher zu Bette legen, vielleicht nimmt es doch bald ein Ende.

Freitag, den 10. Es war ein förmlicher Ball im Hause, was ich nicht wußte, da ich des Mittags auswärts gegessen hatte. Man tobte bis zum hellen Morgen, so daß ich kein Auge zuthun konnte.

Beim Frühstück erfahre ich, daß der Legationssekretär gestern noch einmal dagewesen ist. Das scheint denn doch mehr als leere Höflichkeit. Will versuchen, ihn heute zu sprechen.

Mir thut leid, daß ich Raumers Werk über England vor meiner Abreise nicht lesen konnte oder vielmehr nur in den letzten beschäftigten zwei Tagen durchblättern. Will es zu Hause nachholen. Hier gefällt er den Radikalen sehr, die Tories schimpfen über ihn. Auch in der Allgemeinen Zeitung, die ich gestern las, wird er heftig angegriffen. Auf deutsche Weise, d. h. ungeschickt. Der Mensch hat viele gute Eigenschaften, und nur eine üble, die aber bei einem historischen Schriftsteller alle andern zerstört. Er ist kein Mann. Wer aber das nicht schon bei der Geschichte der Hohenstaufen sah, dem ist nicht zu helfen. Manchmal erinnert er sich des Johannes Müller, dann dringt er auf Tugend, Religiosität, und was weiß ich. Dann fällt ihm wieder ein, daß er ein Freund Tiecks ist, und nun gerät er in einen Tieckischen moralischen Indifferentismus, den Tieck Goethen nachgeahmt hat und er Tiecken. Manchmal thut er liberal, um nicht hinter Rotteck an Popularität zu stehen, dann will er's doch mit der preußischen Regierung nicht verderben und modifiziert seine Ansichten, daß nichts übrig bleibt, als was allenfalls im märkischen Sande auch aufkeimen könnte. In Deutschland merkt man aber derlei spät, weil die gesunde Stimme des Publikums für nichts gilt, sondern Lob und Tadel von einigen miserablen Tagblattschreibern ausgeht. Mir ist der Mann immer widerlich gewesen. Eine Art Hormayr, mit mehr Fleiß und weniger Persönlichkeit, übrigens von leidlicherem Charakter.

Beschloß, einen Versuch zu machen, mit meiner Karte vom verflossenen Montag heute in die Pairskammer zu gehen. Vorher zum Gesandtschaftssekretär Humelauer, den ich auch diesmal zu Hause fand. Offenbar ein gescheiter Mensch, doch vielleicht davon zu sehr überzeugt. Seine Augen sind es, durch die das östreichische Kabinett die hiesigen Dinge ansieht. Ich las den östreichischen Beobachter in seinen Worten. In Bezug auf die Lügenhaftigkeit der Whigs und Tories ist er meiner Meinung. Keine der beiden Parteien getraut sich, zu sagen, was sie will. Daher sind ihre Reden so leer, und sie machen sich wechselseitig so leicht lächerlich, weil nämlich ihre vernünftige Absicht nie ausgesprochen wird. Die Radikalen hält er für die einzigen Vernünftigen und Talentvollen. Eine Revolution im demokratischen Sinne, mit Staatsbankerutt u. s. w., scheint ihm unvermeidlich. Was ich nicht glaube und nur dann möglich würde, wenn die gemäßigten Tories noch länger sich von den Whigs entfernt halten und diese dadurch zwingen, ihre Majorität bei den Radikalen zu suchen. Aber auch dann wird's nicht geschehen. Eher kommen die Tories wieder ans Ruder. Der Geist der Masse ist offenbar monarchisch.

Ich kam um halb drei Uhr ins Oberhaus und suchte als ein Fremder, der London demnächst verlassen muß und der durch Unwohlsein gehindert wurde, von seiner Karte zu gehöriger Zeit Gebrauch zu machen, Einlaß. Ward auf halb fünf Uhr beschieden, da der door-keeper nicht zugegen war. Ging unterdes in den Court of common pleas, wo eben eine schlüpfrige Materie verhandelt wurde. Eine verheiratete Frau, die sich bei Gelegenheit einer Landpartie auf einem Seitenfußsteige brauchen ließ. Es war merkwürdig, mit welcher Ernsthaftigkeit die Richter die unanständigsten Zeugenaussagen herablasen und niemand lachte oder zischelte. Der Advokat sprach ausgezeichnet. Ging, eh es zu einem Abschluß kam. Ward in die Pairskammer glücklich eingelassen. Der Saal klein, hochrot ausgeschlagen. Im Fond der Thron, ein zwölf Schritt davor der Wollsack des Lordkanzlers. Die Bischöfe, obwohl in der Opposition, doch auf der rechten ministeriellen Seite sitzend. Es waren kaum ein halb Dutzend Mitglieder da, die unterdessen sich in kurzen Wechselreden übten. Nach und nach füllte sich das Haus. Einer der ersten Lord Wellington. Er sieht entschlossen und doch geistlos aus, was er auch ist. Die Rede war von Bestechungen bei den Wahlen, mit offenbarer Hinsicht auf einen bestimmten Fall. Wellington sprach, kurz und stockend. Ein paar Ministerielle, der eine fließend, der andere nicht übel. Alle Reden kurz. Ein Oppositionslord sehr gut. Bittschriften wurden eingebracht. Ein ministerieller Graf Shrewsburn scheint ein ausgezeichneter junger Mann. Ein Bischof sprach gegen die Minister. Lord Melbourne, der nicht gut aussieht und fast schmutzig gekleidet war, weißen Hut auf dem Kopfe, einen Knittel in der Hand, antwortete kräftig, im Gefühl der Ueberlegenheit. Lyndhurst stand auf; allgemeine Aufmerksamkeit. Ihm antwortete Melbourne heftig, drohend, beleidigend. Lyndhurst wies die Vorwürfe nicht auf die höflichste Art von sich. Es entstand eine Pause. Ich ging, da es nahe an sieben Uhr war und ich noch nicht gegessen hatte. Speiste im Strand, recht gut. Ich hatte mich mit Figdor zusammenbestellt, bei einer deutschen Familie Thee zu nehmen. Als ich nach Hause kam, war er da gewesen, aber schon wieder fortgegangen. Fand einen Zettel von ihm, wodurch die Partie nach Windsor auf morgen vier Uhr nachmittags festgesetzt ward.

Blieb zu Hause und brachte den Abend zu, wie es eben gehen wollte.

Samstag, 11. Hatte verschiedenes vor, beschloß aber zu Figdor zu gehen, um das Nähere wegen der Partie nach Windsor zu erfahren. Fand ihn dort mit ein paar preußischen Windbeuteln, die ihn um Geld prellen wollten, die er aber herzhaft ablaufen ließ. Endlich kam auch Götvös, ein armer Teufel von Ungar, der nach Nordamerika auswandern will. Gingen endlich zu unserm dritten Reisegefährten, der aber drohenden Wetters halber nicht mit wollte. Uns fing auch an die Lust zu vergehen, da der Himmel jeden Augenblick Regen drohte und ein kalter Westwind jede Annehmlichkeit hinwegnahm. Ich wäre gern in die Gerichtshöfe gegangen, der Sprache wegen; wollte aber Figdor nicht beleidigen, der sich meinetwegen von allen Geschäften freigemacht hatte, und so gingen wir in der Stadt herum, besahen eine Society of arts, in dem schlechte Maschinenmodelle standen und nicht viel bessere Bilder hingen. Hunger-ford-Market, einiges Beiläufige. Gingen ins Hôtel de la Sablonière essen. Abends nach Haymarket ins Theater, wo man School for Scandal gab. Das Spiel teilweise sehr gut. Miß Tree als Lady Teazle ausgezeichnet. Miß E. Philipps fiel mir wegen ihres echt englischen Wesens in Sprache und Benehmen nicht unangenehm auf. Vandehoff als Joseph Surface gut, manchmal etwas gesucht. Gut Vining als Charles, nur gibt er die Weigerung, des Onkels Bild zu verkaufen, gleich von vornherein zu ernsthaft. Mrs. Glover als Klatscherin sehr brav. Mr. Webster, Sir Peter Teazle, hat die üble Gewohnheit, aus Streben nach Mimik fortwährend die häßlichsten Gesichter zu schneiden, was einen unerträglichen Eindruck macht und die Mimik doch nicht ersetzt. Sonst viel Gutes. Im ganzen war die Darstellung doch nicht à la hauteur des Stückes. Man merkte das Theater vom zweiten Rang.

In Verys Kaffeehaus, Regent's-street, noch ein Glas Eis genommen und die Abendzeitungen gelesen. Große Aufregung unter den Leuten. Man glaubt, es müsse zu einem Bruche mit dem Oberhause kommen. Die Tories sind vorige Nacht in einer Minorität von 86 geblieben, und doch scheint nicht, daß sie nachgeben wollen. Schein trügt oft.

Sonntag, den 12. Fuhr mit Figdor um zehn Uhr nach Windsor. War, des Sonntags wegen, nicht im stande, eine Tasse Thee in London zu bekommen, und mußte daher nüchtern die 27 englischen Meilen machen. Die Gegend dahin weniger schön, als nach der übertriebenen Beschreibung eins glauben sollte. Wir saßen outside, und es fing an zu regnen, hörte aber zum Glück bald auf. Doch schien der Tag gefährlich bleiben zu wollen. Windsor-Castle macht bei Vormittagbeleuchtung keinen besonderen Eindruck. Die gotische Bauart, verbunden mit dem abgeputzten, neuen Ansehen, hat etwas Disharmonierendes, Spielwerkartiges. Auch da die Gegend ohne Berge, ja (den Hügel, auf dem das Schloß liegt, abgerechnet), selbst ohne Anhöhen ist, macht die gerade Beleuchtung von oben einen kahlen Eindruck. Nahmen in der Eile ein unentbehrliches Frühstück und gingen in den Park, nachdem wir für sechs Uhr Platz zur Rückkehr bestellt hatten und das Schloß, als den nächsten Gegenstand, für die letzte Stunde vor der Abfahrt aufsparten. Der Park ist schön, doch wüßte ich nicht, worin das Besondere läge, vornehmlich für einen, der aus Oestreichs schönen Gegenden kömmt und nicht aus dem Berliner Tiergarten. Die kolossale Statue Georgs des Dritten. Hatten so viel von den Virginia Waters reden gehört, daß wir sehr lüstern nach ihnen waren. Der Park war ganz menschenleer. Gingen kreuz und quer durch zwei Stunden, bis wir endlich das Wunderwerk erreichten, das so unbedeutend ist, als etwas in der Welt. Ein artiges Stück Wasser, leidlich von Baumgruppen umgeben. Ein paar Segelschiffe darauf. Soll ein chinesischer Tempel da sein, in den man aber nicht hinein darf, wenigstens nicht am bigotten Sonntage. Hatten uns in unserer (nicht meiner) Hartnäckigkeit so übergangen, daß wir erst gegen halb sechs Uhr nach Windsor zurückkamen. Wollten das Schloß nachholen. Der eingeschlagene Weg ward uns, als nur für die königliche Familie bestimmt, verwehrt. Mußten einen andern einschlagen, verloren den letzten Rest der Zeit und konnten, da ohnedies das Innere des Schlosses am Sonntag nicht zu sehen war, kaum einen schnellen Ueberblick des Gebäudes und der Aussicht von der Terrasse gewinnen. Letzterer ist bei Abendbeleuchtung wirklich bezaubernd. Die längeren Schatten geben Mannigfaltigkeit, das rote Licht mischt den schönen Rasen mit Gold. Ohnehin ist die Umsicht weit, durch nichts als die natürliche Entfernung beschränkt. Die Massen des Schlosses lösen sich voneinander ab. Es verliert das Kartenhausmäßige und zeigt sich schön. Die Terrasse selbst wunderhübsch mit Blumen und Statuen. Heute war Musik da, viel Spaziergänger. Die Luft so weich, rein und angenehm, als irgendwo in der Welt. Ein bezaubernder Ort.

Mußten einsitzen und zur Stadt zurück, da nach sechs Uhr keine stage-coach mehr fährt. Im Wagen zwei Wiener. Schnelle Bekanntschaft. Aßen mit ihnen um zehn Uhr nachts zu Mittag im Hôtel de la Sablonière, wo sie wohnen. Figdor macht sich unliebenswürdig. Die Fremden gefallen ihm nicht, und er weder ihnen noch mir. Der Verlust eines Schnupftuches ihn ärgerlicher gemacht, als billig. Vor elf Uhr trennen wir uns. Der Spaß hat einen Sovereign gekostet, was er wahrlich nicht wert ist.