Montag, 13. Juni. bis Samstag, 18. Juni. ...

Montag, 13. Juni. Ging zu Figdor, der in seiner Gutmütigkeit sich für verpflichtet hält, mir die letzten Tage meines hiesigen Aufenthaltes noch die Honneurs der Stadt zu machen. Und ich gehe fleißig zu ihm, obschon mir's wahrhaftig lieber wäre, meine Zeit allein zu benützen. Geradeso war's in Paris mit Brant.

Nu also, heute war mein Paß bei der östreichischen Gesandtschaft zu visieren. Wir gingen zusammen hin. An der Krontaverne, im Strand, drängten sich die Leute. Unten im Eingange lag eine Petition zur Unterschrift, oben war ein Meeting. Wir gingen hinauf. Im Saale, von Menschen umringt, waren Hustings, auf denen ein ziemlich übel aussehender Mann schwadronierte. Der Anteil der Zuhörer schien nicht sehr groß, als auf einmal Lärm entsteht. Zudrängen, Geheul, Schreien: throw him out! throw her out! Ich glaubte, ein Taschendieb sei ertappt worden. Es war aber Mistreß Courtenay mit ihrem dreizehn- oder vierzehnjährigen Burschen, den sie für O'Connells Sohn ausgibt. Sie hatte diese Gelegenheit benützen wollen, um ihre Ansprüche geltend zu machen, hatte sprechen wollen und wurde eben jetzt im strengsten Wortverstande hinausgeworfen. Anfangs that sie etwas weinerlich, auf der Straße aber gesellte sie sich ziemlich ruhig zu einigen, die sie da erwarteten, und ging mit ihnen fort, als ob nichts geschehen wäre. Sie und der Bube sehen ziemlich ärmlich aus, letzterer hat rotes Haar, was der gerühmten Ähnlichkeit mit dem schwarzhaarigen O'Connell nicht sehr entspricht.


Darauf besahen wir die Kensington Gardens mit dem Palast der Prinzessin Viktoria. Die Gärten wunderschön, eine schöne Natur mit sorgfältig versteckter Kunst. Der Palast ein wunderliches Gemäuer, ziegelrot, im Geschmack des St. James-Palace. Der freie, grüne, von Baumgruppen begrenzte Platz vor dem Schlosse das reizendst Großartige, was man irgend sehen kann. Es war nahe an sieben Uhr, daher zu spät, zum Essen nach Hause zu gehn. Fuhren im Omnibus. Eine ordentlich aussehende Dame, die behauptet, ihren Geldbeutel verloren zu haben, und der ich daher einen Schilling borge, den Wagen bezahlen zu können. In Coventgarden gespeist, in einem vortrefflichen, aber unsinnig teuern Hotel. Roastbeef, von einer Zartheit wie Lammsfleisch, Moselwein, recht gut, aber für eine halbe Million. Abends ins Coventgardentheater. Eine neue Oper oder, wie es heißt: Operatic romance, The sexton of Cologne. Die Sänger nicht übel, die Musik leidlich, Dekorationen verschwenderisch. Darauf The hunchback, in dem der Verfasser Sheridan Knowles selbst spielte. Er nahm die Rolle lustiger, als bei uns geschieht und überhaupt, wie es scheint, geschehen sollte. Miß Faucits eine vortreffliche Schauspielerin. Manchmal mit etwas Uebertreibung. Aber was für natürliche Vollkommenheit! Ich weiß nichts so Imposantes in Deutschland. Das ist der Ausdruck. Imposant sind die hiesigen besseren Schauspieler. Ich weiß außer der Schröder keinen imposanten Schauspieler in Deutschland. Schöne Figur, schönes Haar, prächtiges Auge, herrliches Organ. Nichts hingeworfen, vernachlässigt, alles gehalten. Die Deutschen streben bis zur Unbedeutenheit, natürlich zu sein; hier wissen sie wenigstens, daß sie eine Kunst ausüben.

Frechheit der Weiber in den Korridors. Uebrigens alle hübsch und prächtig gekleidet. Gegen Mitternacht nach Hause. Dienstag

14. Juni. Ging mit Figdor, einen Platz im Dampfboot zu nehmen, das übermorgen nach Antwerpen abgeht. Nur noch die letzte Kajüte erhalten. Pässe besorgt. Den Entlaßschein in Alien-office. Darauf ins warme Schwimmbad. Recht hübsch, aber halb unreinlich, halb unanständig. Man muß nackt ins Wasser gehn, das, wie natürlich, nicht ohne Spuren der Badenden ist. Darauf nach dem Strand zu Tisch.
Abends in die italienische Oper. Othello. Die Grisi vortrefflich, ihre beste Rolle. Rubini den Othello, lächerlich! Er läßt eben alles fallen, was den Charakter zum Charakter macht. Tamburini, Jago. Winter, Rodrigo. Chöre und Orchester besser als gewöhnlich.

Vormittags sah ich im Vorübergehen bei einem Wirtsgarten zwei Boxer. Es war von vornherein nicht im Ernst gemeint, und doch gaben sie sich Schläge auf Kopf und Brust, daß es weithin tönte. Scheußlich, ich mußte gehen.

Mittwoch, den 15. Ging noch einiges besorgen, dann eingepackt, eingepackt, eingepackt. Der Tag heiß, wie im August, der Schweiß lief mir stromweise vom Leibe. Um sechs Uhr holte mich Figdor ins Hôtel de la Sablonière ab, um mit vier Landsleuten zu speisen. Herr Miesbach, sein Neffe und zwei Ungarn. Artige Leute. Miesbach traktiert mit Champagner.

Nach Tisch ins Strandtheater, das ich noch nicht gesehn. Sehr klein, aber artig. Sehr gute Schauspielerin, deren Namen ich vergessen. Früh mit Figdor nach Hause. Vorher aber noch jeder bei Very drei Gläser Eis gegessen, so unerträglich heiß war es.

Donnerstag, 16, Juni. Tag der Abreise. Wieder gepackt, die Rechnung bezahlt, die die gute Frau Williams doch höher angesetzt, als anfangs ausgemacht war. Uebrigens doch billig. Frühstück. Ein junger Deutscher, der im Hause wohnt, Schultze aus Mecklenburg, will die Reise bis Mainz mitmachen. Ist ein artiger Mensch. Figdor kommt. Ein Wagen wird geholt. Abschied. Mistreß Williams hat Thränen in den Augen. Auch die kleine Bella scheint betrübt. Händedruck, Good by! und in den Wagen. Das Custom-house ist erreicht, die Effekten in ein Boot gebracht, wir rudern zum Dampfschiffe. Figdor begleitet uns an Bord. Das Schiff ist keins der hübschesten, auch keins der schnellsten, wie man sagt. Erst vor 14 Tagen mußte es drei Tage bei Vließingen liegen bleiben, weil die Maschine brach. Es heißt »Der Tourist«. Besehe mir die Kajüte, ein Hundestall, obgleich innen von Mahagoni und Bronze. Das Verdeck voll Reisender, fast ausschließlich Engländer.

Ich fürchtete ein wenig das Meer, denn ich war schon beim Einsteigen ins Schiff so gut als seekrank, wahrscheinlich vom gestrigen Champagner. Ich wußte mir in der Eile nicht besser zu helfen, als ein großes Glas Grog zu trinken, was wirklich half.

Um halb eilf Uhr fahren wir ab, bei regnichtem, aber windstillem Wetter. Machen noch einmal, zum letztenmal, die Wasserstraße von London durch. Schon sind die ostindischen Docks erreicht. Die Häuser werden spärlicher, verlieren sich. Die Themse schwillt zum See an, die Ufer weichen immer weiter zurück, werden unscheinbarer; verschwinden. Wir sind in offener See. Man deckt zum Mittagmahle auf dem Verdeck, in den Kajüten. Ich nehme teil und trinke zur Magenstärkung eine Pint Sherry. Der Tag haspelt sich ab. Kurze Konversationen. Ein artiger Schwede, der deutsch spricht. Ein andrer, nur des Französischen mächtig. Eine englische Familie, die mir wohlgefällt. Der Vater ein Lebemann, zwei erwachsene Sohne wie junge Jagdhunde, und die Mutter noch jetzt schön. Ein paar andere nicht üble Frauenzimmer; Abendthee. Es hat geregnet und wird nun immer kälter und kälter. Ich nehme meinen Mantel, und da außer Regen und Kälte auch schon die Nacht anfängt, die Gegenstände unkenntlich zu machen, gehe in die Kajüte, die mit Matratzen und Schläfern besät ist. Krieche in mein Loch. Fange zwei- bis dreimal an, einzuschlafen, werde aber immer wieder durch Lärm aufgeweckt. Wache zum letztenmal auf und kann nun nicht mehr einschlafen. Die Ausdünstung so vieler Schlafenden war unerträglich. Endlich werden die Kajütenfenster licht. Ich gehe aufs Verdeck, es ist halb vier Uhr, Schultze ist schon da. Die hübschesten Weiber und Mädchen liegen in Betten und Mäntel eingehüllt, kreuz und quer auf dem Deck. Die Zimperlichsten lümmeln herum, wie die Lastträger. Die Temperatur erträglich. Feiner Regen rieselt noch immer. Bald zeigt sich rechts ein Streifen Land. Es ist die belgische Küste, links Walcheren, wir laufen in die Schelde ein. Unzahl von Seehunden, die auf einer Sandbank spielen und sich ins Meer stürzen. Vließingen. Holländische Fregatte. Ein neuer Lotse an Bord gebracht, Frühstück, Erwartung. Endlich ein senkrechter Nebelstreif, der Turm der Kathedrale von Antwerpen. Die Schelde verengt sich zum Fluß. Wir sind in der Stadt. Artiges Benehmen der Zollbeamten. Keine Frage nach einem Passe. Wir beschließen, samt den beiden Schweden, ins Gasthaus St. Antoine zu gehen, von welchem aus ein Aufwärter zum Menschenfang aufs Schiff gesendet worden ist. Wandelte durch die altertümliche Stadt. Nur halb altdeutsch, halb vielleicht spanisch. Gute Zimmer im Gasthof. Sogleich in den Dom. Wunderschön. Der Turm scheint aus der Ferne größer, ist aber von herrlicher Arbeit. Das Aeußere schwunghafter als Notre Dame, das Innere mit fünf fast gleichbreiten Schiffen (und darin Notre Dame nachstehend, wo das Hauptschiff breiter ist), durch Anweißen verdorben. Sonst herrlich. Und was für Gemälde: Rubens' Kreuzabnahme, gewiß das edelste Bild dieses Malers, an die besten Italiener erinnernd. Die Himmelfahrt Mariä, an der die Jungfrau selbst der schwächste Teil. Noch mehrere gute, ja vortreffliche Sachen. Die Kirche selbst durch eine Kuppel merkwürdig, was sonst bei altdeutschen Kirchen nicht der Fall ist. Nach Tisch ins Museum. Ein vortrefflicher Quentin Metsys. Mehrere vortreffliche Sachen. Der bekannte Christus, auf Marias Schoße liegend, von Van Dyk. Ausgezeichnetes von de Voß. Die einbrechende Dunkelheit verbot längere Besichtigung. Ein wenig durch die Stadt. Das schöne Rathaus, durch Abbildungen bekannt. Die Stadt scheint sehr herabgekommen, oder ist es der Abstich von dem lauten, riesenhaften London, was diesen Eindruck macht? In drei Stunden nicht eine Kutsche gesehen. Nach Hause. Thee getrunken, um zehn Uhr zu Bette.

Samstag, 18. Juni. Gut, aber kurz geschlafen. Um halb vier Uhr wach und um halb sechs aufgestanden. Nach langer Zeit wieder einmal zum Frühstück Kaffee genommen, der mir nicht behagt. Freilich ist auch der hiesige Thee nicht der englische.

Hierauf fort in die St. Jakobskirche. Zu sagen, was da für Schätze von Gemälden sich vorfinden, scheint unmöglich: Ein toter Christus von Van Dyk. Rubens: als heiliger Georg mit seinen drei Weibern. Christus und die Ehebrecherin, von Rubens' Lehrmeister, wo, wie mir dünkt, Christus' Charakter besser getroffen ist, als in irgend einer andern Darstellung dieser Art. Eine Innigkeit in Blick und Stellung, die, bei all seiner Größe, Rubens ihm nicht abgelernt hat. Eine Versuchung des heiligen Antonius mit der Chiffre Albrecht Dürers. Vortrefflich, aber, wie mir scheint, nicht in der Manier dieses Malers. Gemalte Fenster, die ihresgleichen in der Welt nicht haben. Die Geschichte von Rudolf von Habsburg und dem Priester, von Albrecht und seiner Gattin Isabella gestiftet. Es ist ein Reichtum zum Erdrücken. Maler, größer als ihr Name, und solche, deren Name größer ist als sie. Antwerpen ist, außer den italienischen Städten, die merkwürdigste in Kunstrücksicht, weil all das weder gekauft, noch gestohlen ist, sondern hier gewachsen.

Darauf in die Citadelle. Die Belagerungsgeschichte im Detail angehört. Wenn Chassé seine Drohung erfüllt und diese Kunstsachen zerstört hätte, man müßte ihn mit den türkischen Helden in Athen in eine Reihe stellen. Darauf in die Franziskanerkirche. Die berühmte Geißelung von Rubens. Eine Kreuztragung von Van Dyk, nicht vollendet, verderbt. Der Kopf des Erlösers unübertrefflich. Am Hochaltar drei Marmorgruppen, darunter eine Jungfrau Maria, die, nicht im Stil, aber in der Lebendigkeit des Ausdrucks, nicht ihresgleichen hat. Nach Tisch auf der Eisenbahn nach Brüssel. Das Land ein Garten. Niemand fragte nach unseren Pässen.

Zu Brüssel im Hôtel de Suède abgestiegen, unsern schwedischen Reisebegleitern zuliebe. Abends noch mit Schultze die Stadt durchstreift. Einige schöne Straßen. Der Park sehr angenehm. Schöner botanischer Garten, einer Privatgesellschaft angehörig. Das Gebäude zweckmäßig und schön. Früh zu Bette.