Dienstag, den 31. Mai. bis Mittwoch den 8. Juni. ...

Dienstag, den 31. Mai. Die Tochter des Hauses, wo ich wohne, wurde heute vermählt. Großes Frühstück, auf das wir armen Kostgänger aber bis eilf Uhr mit leerem Magen warten mußten. Es ging dabei auf eine Art steif her, wie man selbst in Deutschland keinen Begriff hat. Nebst dem Bräutigam hielten noch drei bis vier Personen kleine Reden, und eine Anzahl Gesundheiten wurden vorschriftmäßig ausgebracht. Hierauf mit ein paar der hier wohnenden Deutschen nach Greenwich, vorher aber eine der größten hiesigen Brauereien besehen. Manche Einzelheiten kaum so groß, als ich sie mir gedacht, das ganze Etablissement aber so riesenhaft, daß es einen schaudert. Beinahe alles durch eine Dampfmaschine verrichtet, die ziemlich unscheinbar, aber unermüdlich ihren Weg geht und das Verschiedenartigste durch denselben Mechanismus verrichtet. Gerstenvorräte, um eine belagerte Stadt zu proviantieren; Kühlapparate, um darauf Schiffbruch leiden zu können; eine Reihe von vielleicht mehr als 100 Fässern, deren kleinstes 1000, das größte 3500 Barrels hält. 160 Arbeitspferde im Stalle. Hierauf auf dem railway nach Deptford, Der ganze Weg in der Luft auf Bogenbrücken fortgeführt. Dreißig oder vierzig Kutschen, aneinander gehängt, erwarten den Dampfwagen, der sie in Bewegung setzen soll. Man steigt ein. Endlich verkündet ein Schnauben das rückkehrende Ungeheuer. Es wird vorgespannt. Nun stampft es und tobt es, die Bewegung erfolgt. Anfangs langsam, dann rascher und rascher, bis das Ganze ungefähr mit der Geschwindigkeit des Vogelfluges dahinstürmt. Die Schnelligkeit bemerkt man übrigens mehr an dem Vorüberfliegen der Gegenstände, als daß man im Wagen sitzend davon irgend affiziert würde. In sechs Minuten kommt man in Deptford an, was doch eine halbe deutsche Meile entfernt sein mag. Von hier nach Greenwich. Herrlicher Park. Schöne Aussicht. Das Invalidenhaus schöner als ein Königsschloß. Die Kapelle mit den Porträten berühmter Admirale und den Schilderungen großer Seegefechte herrlich, herzerhebend. Die Gesellschaft trennt und verfehlt sich durch unrichtige Zusammenbestellung. Ich und einer der Deutschen, Schulze, finden uns allein. Das Dampfboot nach London geht erst nach fünf Uhr. Gehen daher zur Eisenbahn zurück. Warten auch dort und kommen erst um halb sieben Uhr zum Mittagsessen nach Hause.

Abends in die italienische Oper, Gazza ladra. Rubini wie immer, nicht mein Mann. Tamburini vortrefflich. Lablache hat etwas verloren, nebstdem daß der Podesta wohl nie seine Rolle war. Die Grisi, vortreffliche Stimme, große Geläufigkeit, mitunter mißbraucht. Singt gern zu hoch, was auf mich einen gräßlichen Eindruck macht. Einen großen Moment in Spiel und Gesang habe ich bei ihr nicht bemerkt. Das Haus schön, ungeheuer, die vornehmste Gesellschaft, voller Putz. Da sitzend und wartend, höre ich auf einmal neben mir – Wienerisch sprechen. Ich frage: es sind wirklich zwei Wienerinnen, die eine hier an einen Buchdrucker vermählt, die andere eine Mde. Reichmann aus Wien. Ich hatte in der ersten Freude meinen Namen genannt und war recht vergnügt, als die Buchdruckerin nach meiner Wohnung fragte und mir wiederholt anbot, mich mit einem Professor der deutschen Sprache am Kings College bekannt zu machen, der mir u. s. w. Das war gegen meine Absicht, und ich benutzte die Applaudissements am Ende der Oper, um mich unbemerkt aus dem Staube zu machen. Ich hatte mich den ganzen Tag sehr übel befunden. Jetzt war ich von Durst ausgetrocknet. Da ich keines der hiesigen geistigen Getränke vertragen kann und Wasser am Brunnen auch nicht zu schöpfen wußte, so trank ich ein Glas Ginger-Beer, was mich erquickte und mir sehr wohl bekam. Will dieses Zeug zu meinem Getränke machen.


Mittwoch, den 1. Juni. Der letzte Monat meines Urlaubs beginnt. Ging ins Britische Museum, das die ganze Zeit meiner bisherigen Anwesenheit geschlossen war. Nahm mir vor, bloß die Antiken zu besehen und den naturgeschichtlichen Teil dem Zufalle zu überlassen. Vortreffliche Sachen, die man durchlaufen muß, statt bei jeder stundenlang stehen zu bleiben. O, ewige Griechen! Daneben ägyptische Bruttogewicht-Dinge nebst indischen Scheußlichkeiten, die darstellen wollen, was man höchstens denken könnte. Endlich die Elginschen Marmore. London ist eine nicht üble Stadt, der Parthenon mag aber denn doch mehr wert gewesen sein. Alles zerstört, aber überall Spuren einer Schönheit, die man mit keinem Dampfapparat herstellen und mit ihren höchsten Erzeugnissen nicht aufwiegen kann. Die Gruppe der drei Schicksalsgöttinnen, die Theseusbildsäule, die Metopen, die Friesen. Nicht Riesen-, Götterwerke. Was mag das gewesen sein. Die Einbildungskraft erlahmt, nur nachzukonstruieren. Es erlahmten aber auch meine Füße. Ich konnte mich, als es vier Uhr war, kaum mehr regen. Doch wollte ich noch zum Gesandten gehen, um mir Eintritt ins Parlament zu verschaffen, das heute nach unglücklicher, zehntägiger Prorogation wieder beginnt. Unglücklicherweise aber regnet es, und ich muß nach Hause, denn bei meinem Gesundheitszustande durchnäßt werden, wäre nicht rätlich.

Abends Konzert des norwegischen Violinspielers Ole Bull in Kings Theatre. Einige sagen: ein Schüler Paganinis, die meisten: sein gefährlichster Nebenbuhler. Ouvertüre von Mozart aus G-Moll. So schlecht aufgeführt, daß man in den Wiener concerts spirituels zu sein glaubt, mitunter schlechter. Die Gesangsstücke von den ersten italienischen Sängern so unbedeutend, daß man merkt, sie wissen, vor was für einem Publikum sie singen. Ole Bull selbst vortrefflich, was die mechanische Fertigkeit betrifft. Der Körper Paganinis ohne seine Seele. Selbst die Schwierigkeiten weiß er mit dem eigentlich musikalischen Teil nicht so zu verbinden, daß sie zusammen ein Ganzes ausmachten, sie blieben meistens ein Getrenntes. Kunststück zum Bewundern. Moscheles spielte eine Phantasie, d. h. phantasierte zu Hause und spielte dann im Theater. Im Anfang sogar ohne Bestimmtheit und Sicherheit, dann rollte es glatt weg. Thalberg hat mich für die andern Klavierspieler verdorben. Seinen Ton muß man bei Moscheles nicht suchen, selbst in Geläufigkeit, namentlich in den Oktavenpassagen steht er ihm nach. Fand einen Herrn Präger aus Leipzig im Theater, einen liebenswürdigen Mann, der sich nach meinem Namen erkundigte und mich erkannt haben wollte. Schon während des Mittagsessens war ein junger Figdor aus Wien dagewesen, der mich engagierte, mir des andern Tags mehrere merkantilische Merkwürdigkeiten zu zeigen, was ich mit Vergnügen annahm.

Donnerstag, den 2. Ging zu Figdor, wo ich auf dem Comptoir seinen Vater antraf. Gingen zusammen. Besahen erst die Börse, die Winter und Sommer in einem von Säulengängen umgebenen freien Räume abgehalten wird. Dann ins East India House. Viele indische Merkwürdigkeiten. Waffen Tippo Sahebs. Ein Lieblingsspielzeug desselben, vorstellend einen Tiger, der einen Menschen zerreißt, wo denn eine angebrachte Drehorgel das Gebrüll des Tigers und das Geschrei des Menschen nachahmt. Eine konservative Unterhaltung. Meine Begleiter drängten, hätte gern alles genauer besehen. In die Goldsmith Hall. Von einer Pracht, die alle Vorstellung übersteigt. Riesenspiegel aus einem Stücke. Mahagonimöbel, wie aus Eisen gegossen und zugleich wie aus Papier geschnitten. Das Etablissement eines Herrn Morison, mit allen Arten Waren, vom Seidenband bis zum Shawl und feinsten Vigogne-Tuch. Ein Möbelmagazin, durch sechs oder acht Etagen in Schneckengewinde hinauflaufend. Der Eigentümer stieg mit uns selbst hinauf, obschon wir gleich erklärten, daß wir nur zum Besehen da wären. Mußte mit den beiden in ihre Wohnung nach Islington zum Essen. Fängt an zu regnen. Finde die Tochter. Scheinbar ein höchst liebenswürdiges Frauenzimmer. Mittagmahl nach englischer Weise, zwei Gerichte, aber vortrefflich. Guter Portwein. Angenehme Unterhaltung. War höchst liebenswürdig.

Nach Tisch ins Parlament. Mußten zwei Stunden warten, um für unsere halbe Krone in die Fremdengalerie zu kommen. Eine Aeußerung von mir, ich könnte allenfalls den Dichter Bulwer herausrufen lassen, um Einlaß zu erhalten, veranlaßte den Vater Figdor, in diesem Sinne mit dem Konstabel zu sprechen; und siehe da, auf einmal kommt Herr Bulwer auf mich zu, was mir natürlich sehr unangenehm war, da meine Aeußerung nur im Spaß gemeint war. Trug dem gutaussehenden jungen Manne mein Anliegen vor, da nun einmal gesprochen werden mußte. Er schien, wie natürlich, nicht sehr au fait der Namen und Sachen, benahm sich etwas cavalièrement, versicherte, heute sei das Gedränge zu groß, wenn ich aber des andern Tags um fünf Uhr kommen wollte. Redensart. Ich war froh, ihn wieder los zu werden. Das Haus, nur ein provisorisches, macht anfangs einen höchst unbedeutenden Eindruck, der aber bald zum großartigen wird. Ein langer schmaler Saal, mit Stufensitzen zu beiden Seiten. Der Sprecher im Fond. Alles ohne Schmuck, Galerien rings herumlaufend, die zu beiden Seiten für die Mitglieder zum Ausruhen, was sie denn liegend, lümmelnd, mit den Füßen auf der Balustrade höchst unanständig thun. Gegenüber dem Sprecher die Fremdengalerie, so weit entfernt, daß man nur mit Mühe hören und, der Kronleuchter wegen, immer nur eine Seite des Hauses sehen kann. Wir saßen rechts, also im vollen Anblick der ministeriellen Seite. O'Connel ganz schwarz gekleidet, mit kleiner vorstehender Hemdkrause. Ein starker Mann, schwarzes Haar, eine Papierrolle in der Hand, die er während der Rede der Gegenpartei wie eine Klarinette an den Mund hielt. Seine Züge konnte ich nicht ausnehmen. Er saß auf der zweiten Bank. Beinahe vor ihm auf der ersten Shiel. Hager, blond, lebhaft. Wie wir eintraten, hielt eben der Sekretär für Irland, Lord Morpeth, eine Rede. Stark und kräftig, von hear, hear seiner Partei und Oh, Oh, und Ey, Ey, der Gegenpartei unterbrochen. Darauf Sir James Graham. Anfangs abgebrochen, ohne Fluß, darauf fortlaufend, mehr im Sprech- als Rednerton, nur bei den häufigen Unglücksprophezeiungen mit erhobener Stimme. Da waren denn die Groons und Ens viel häufiger, manchmal fünf Minuten lang, als ob sich beide Parteien überbieten wollten. Dauerte wohl zwei Stunden. Endlich stand Shiel auf. Seine Stimme ist wie ein zweischneidiges Schwert, von vornherein unangenehm, er selbst eine Feuerflamme. Die Lebhaftigkeit seiner Bewegungen, die Abwechslungen der Stimme, die Bitterkeit seines Hohns, das Donnern seiner Verwünschungen unbeschreiblich. Daß es meistenteils Variationen oft dagewesener Themate waren, ist wohl natürlich. Auch konnte ich der Entfernung wegen, der Schnelligkeit, besonders von Shiels Redeweise, und meiner geringen Fähigkeit, englisch Gesprochenes zu verstehen, sehr vieles nicht auffassen. Doch machte es großen Eindruck. Mir schien der Strom seiner Rede heute mitunter mehr gemacht als natürlich. Das hinderte doch nicht den Eindruck des Ganzen. Die Engländer mögen nur ruhig sein. Sie kennen die andern Nationen vielleicht nicht genug, um ganz zu wissen, wie allmächtig sie sind. Wenn sie einmal ernsthaft wollen, wird alles vor ihnen zerstäuben, wie selbst Napoleon zerstäubte. Die Welt ist gesichert. Als Shiel ausgeredet hatte, brauchte es keine Auflösung der Sitzung, alles ging auseinander. Ich kam um halb zwei Uhr nach Hause.

Freitag, 3. Juni. Hatte versprochen, um zwölf Uhr zu Figdor zu kommen, einige Dinge in der City zu besehen. Aber es regnete. Ging daher, da gerade ein Einlaßtag war, ins Museum. Durchlief den naturhistorischen Teil, der, außer der Mineralogie mit merkwürdigen Versteinerungen, nichts Besonderes zu sein scheint, und wendete mich wieder zu den Altertümern, d. h, zu den Elgin-Marmoren. Sog mich voll von den Eindrücken des Minerventempels. Diese Metopen, mehr als halb zerstört, und doch die Denkmäler der höchsten Schönheit. Was für Arme und Beine. Diese Priesterinnen, in halbsoldatischem Ausschritt, und doch so weiblich gelehrig vor dem sie belehrenden Priester. Diese Pferdebändiger, dasselbe hundertfach abgestuft. Endlich die Figuren der beiden Frontispize. Das östliche kann man sich beinahe vollkommen in Gedanken zusammensetzen. Die drei Schicksalsgöttinnen möchten wohl, wenn unverstümmelt, das Schönste sein, was im Fach der Gruppe auf uns gekommen. Laokoon ist nur im einzelnen schön, die Knaben haben mir nie gefallen können. Und das alles an einem Tempel. Die erhaltenen Säulenschäfte zeigen das Riesenhafte des Baues. O neue Pfeffer- und Thee-Welt, wie kommst du da zur Vergleichung!

Abends wieder ins Unterhaus. Nach einer Stunde Wartens eingelassen. Es sprach eben Mr. Ward, einer der Minister, wie ich glaube. Ziemlich langweilig. Dann stand ein Konservativer auf, How-Vane oder wie er hieß. Drosch das oft gedroschene Stroh. Ward unterbrochen, verspottet, nahm's übel, berief sich auf das Recht, seine Meinung zu sagen. Plötzliche Bewegung, alles drängt sich, die Zuseher stehen auf. O'Connell fängt an, zu sprechen. Wenn je ein Mensch alle äußern Eigenschaften eines Redners vereinigte, so ist er's. Tüchtige Gestalt, tiefes klingendes Organ, leichte, treffende Bewegungen; im Spott wie im Donner des Ernstes gleich wirksam. Was er sagte, schien nicht viel Neues, wenigstens was ich davon verstand. Auch war der Fluß seiner Rede nicht immer ununterbrochen, nicht so ununterbrochen als bei der Feuerflamme Shiel. Des Lärmens und Beifalls war kein Ende. Er spie Invektiven und Persönlichkeiten, so daß ihn der Sprecher zurecht weisen mußte. Jeden Augenblick unterbrach ihn seine Partei mit Geschrei und Jubel, so daß er fast keinen Satz aussprechen konnte. Die Irländer scheinen vortreffliche Deklamatoren, die Engländer gute Redner, Sprecher möchte ich eher sagen. Aus der Vereinigung beider würde der gute Redner hervorgehen. Am Ende seiner Rede eine ungeheure Bewegung unter den Mitgliedern, deren Ursache ich nicht abnehmen konnte. Vielleicht wollte man schon abstimmen. Da ertönt plötzlich eine klare, ruhige Stimme, es war Sir Robert Peel. Meine Kraft aber war erschöpft. Ich konnte nicht mehr sitzen. Von sieben Uhr bis ein Uhr gedrängt, bestürmt, ohne Haltpunkt, von der Aufmerksamkeit auf die mir nur halb verständliche Sprache aufgerieben. Dazu drängte mein Begleiter, ein Deutscher aus demselben Kosthause, der trotz seiner athletischen Konstitution nicht mehr aushalten konnte und der den notwendigen Hausschlüssel mit sich führte (die vorige Nacht hatte ich eine halbe Stunde mit Klingeln zubringen müssen). Es war gegen ein Uhr. Ich konnte nicht mehr hören, verstehen schon gar nicht. Dazu peinigte mich ein kaum mehr auszuhaltender Durst. Die Zeitungen mußten ja doch den weitern Verfolg erzählen. Ich ging und schlief wie ein Toter bis neun Uhr in den Tag hinein.

Samstag, den 4. Juni. Gar zu gewöhnlicher Tag. Mußte einige Einkäufe machen; wollte Figdor besuchen. Zuerst zur Gesandtschaft. Fand den unfindbaren Legationssekretär wieder nicht. Sprach mit einem der Beamten und trug ihm mein Anliegen wegen des Eintritts in die Pairskammer vor. Hierauf mit Dankel in die City. Kaufte Rasiermesser, die schlecht waren. Zu Figdor, den ich nicht zu Hause antraf. Holte bereits gekaufte East-India-Schnupftücher, die ziemlich häßlich sind, ab, und so war der Vormittag vertrödelt.

Schon während des Mittagsessens fing es zu gießen an. Ich wollte in die italienische Oper, was denn nun nicht möglich war. Hatte vormittags die beiden Nummern des Morning Chronicle gekauft, die die Reden enthielten, die ich mit angehört hatte. Las jetzt bis zum Erblinden das Gehörte nach und fand die Reden, mit Ausnahme der von Lord Morpeth, unbedeutender, als ich mir vorgestellt hatte. Spielte, da es zu regnen nicht aufhörte, ein kasuelles Whist und zu Bette.

Sonntag, 5. Juni. Wer weiß, was für ein schreckliches Ding ein Sonntag in London ist, wird meine Lage begreifen, wenn ich sage, daß es schon am frühen Morgen zu regnen anfing und mit kurzen Unterbrechungen erst am Abende aufhörte. Wollte eine Partie in die Umgegend machen, allenfalls nach Windsor. Das ward alles durch das Wetter zerstört. Wendete den Vormittag an, teils meine Zeitungen zu lesen und mich so in der Sprache zu üben, größtenteils aber die ausgelassenen Tage in meinem Reise-Journal nachzutragen und dieses so gewissermaßen zu vervollständigen. Freilich sind die ersten Eindrücke unter dem Schwall neuer Dinge vergessen; doch ist es besser so, und in der Folge wird, hoffe ich, die Erinnerung an manches Uebergangene mit Hilfe des wenigen Niedergeschriebenen wieder erwachen und mir die Möglichkeit geben, das Bild dieser ungeheuern Stadt für alle kommenden Tage bei mir festzuhalten. Was mich gleich anfangs daran hinderte, Tag für Tag das Erlebte aufzuzeichnen, war das völlig Unbehagliche meiner Lage. Schlecht bewohnt, unzufrieden, kaum im stande, mir Tinte zu verschaffen, durch das abgeschmackte Boarding-Leben, wo das gemeinschaftliche Frühstück den halben Morgen wegnimmt und die Notwendigkeit, den Plan der Stadt zu studieren, um sich auf seine Exkursionen vorzubereiten, die andere Hälfte. Kurz, es war rein unmöglich, und gesteh' ich's nur, meine wenige Bekanntschaft mit der Sprache, die mir allenfalls erlaubte, mich selbst zur Not auszudrücken, mir aber, was die andern sagten, beinahe unverständlich machte, setzte mich so ziemlich in die Lage eines Schiffbrüchigen, der im löchrigen Kahn allein in der Unermeßlichkeit des Weltmeers herumtreibt. Doch hoffe ich, dem Zweck meiner Reise, Wiedergewinnung der eigenen Selbstthätigkeit und der Möglichkeit, mit Menschen beisammen zu sein, durch alle diese Drangsale hier näher gerückt zu sein, als in Paris, wo mir alles entgegen kam und gerade durch die Unzweckmäßigkeit der Berührung mich störte und verwirrte.

Heute also, nachdem ich bis gegen drei Uhr geschrieben, benützte ich vor Tisch eine regenlose halbe Stunde, um ein paar Straßen zu durchlaufen und mir einige körperliche Bewegung zu verschaffen. Mittagsmahl um fünf Uhr, wie hier des Sonntags gewöhnlich, um den Dienstleuten einen längern Nachmittag zu verschaffen. Nach Tisch ein wenig mit einem der hier wohnenden Engländer gelesen, dann wieder ins Freie durch die sonntäglich wenig belebten Straßen. Bei geschlossenen Buden gibt die Stadt mit ihren schwarzen gleichförmigen Häusern einen traurigen Anblick, Durch Oxford-street, Regent's-street, Picadilly in den Hydepark. Achillesstatue zum Andenken Wellingtons und seiner Armee. Die einbrechende Dunkelheit verbot, weiter in den Park einzudringen, der hübsch genug aussieht. Zurück, vom Wege abgewichen, mich in den Straßen von Grosvenor Square verirrt, durch einen artigen jungen Mann wieder in die Oxford-street zurückgebracht. Nach Hause. Sah den jungen Leuten zu, die der Langweile des Sonntags durch Kinderspiele Herr zu werden versuchten, weshalb die Frau und Tochter vom Hause in echt englischer Sonntagsabgötterei sich entfernt hatten. Die Theezeit war längst vorüber. Etwas Käse mit Brot that die nämlichen Dienste. Zu Bette.

Montag, 6. Juni. Wollte zu Figdor gehen, vorher aber meines Passes wegen ins Alien-office. Erhielt meinen Paß ohne Bezahlung einer Taxe, eine Folge der neuen Einrichtungen, zufolge deren das ganze Alien-office mit 1. Juli aufzuhören hat. Sehr würdig dieses freien Landes, nicht mehr die Fremden allein als Knechte zu behandeln. Besah die Westminsterhalle, die mir früher entgangen war. Groß, wüst, aber von ausgezeichneter Arbeit in den Skulpturen der ungeheuern Bogen und Tragsteine. Letztere Jagdgegenstände. Aus der Halle die Eingänge in die verschiedenen Gerichtshöfe. Vice-Chancellors court, court of common pleas, Kingsbench. Ging in jeden derselben und wohnte den Verhandlungen bei. Bewunderungswürdige Ueberlegenheit der Richter in Auseinandersetzung der Fälle und augenblicklicher Zurechtführung der Advokaten. Hierauf nach dem Strand. Die Adelaidengalerie besehen. Vor dem Eingange ein hübsches Mädchen von kaum fünfzehn Jahren, gut gekleidet, so betrunken, daß sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Teilte demungeachtet Ohrfeigen und Riesenpüffe an die Vorübergehenden aus, die sie zum Gegenstande ihrer Neugier machten. Die Galerie höchst merkwürdig. Eine Masse mechanischer Erfindungen und physikalischer Experimente. Auffallende Beweise von der Einerleiheit der magnetischen und elektrischen Kraft. Dampfkanone, die mit sekundenübereilender Schnelligkeit einzelne Kugeln und mit fürchterlichem Geprassel ganze Hagel auf einmal fortschleudert. Verlor einige Stunden im Warten auf die mikroskopischen Darstellungen, da mehr Leute da waren, als das geräumige Zimmer auf einmal fassen konnte. Es war fünf Uhr, als ich herauskam, und ein schnell einfallender Platzregen nötigte mich, mit höchster Eile meine Wohnung zu suchen.

Nach Tisch ins Drurylanetheater. Das Mädchen von Artois, original englische Oper von Balfé. Einzelne hübsche Sachen. Das Ganze langweilig und bunt. Mde. Malibran vortrefflicher als jemals. Eine ihrer Arien, ein schönes Duett. Vor allem aber eine Art Walzer, der das Ganze höchst unschicklich schließt, den sie aber mit einer Virtuosität sang, die alles hinter sich läßt. Dieser leichte Wechsel von hohen und tiefen Tönen in dem schnellsten Zeitmaße, diese völlig ausgebildeten Pralltriller, dieser vollendete Geschmack im Uebergehen zu der wiederkehrenden Anfangsmelodie, dieses Aufjubeln, diese tiefe Empfindung. Die Pasta geht ihr gewiß an Tiefe und Großartigkeit vor, sie aber ist unendlich mannigfaltiger, frei genialer. In den Passagen nach aufwärts ist manchmal ein Anklang von Stoßweisen, überhaupt nicht die vollendete Nettigkeit der Fodor, manchmal ein stumpfer Ton in Verbindung der Höhe mit der Tiefe, der fortgesetzte Triller nicht so bestimmt, so tonreich als bei mancher ihrer großen Nebenbuhlerinnen, aber als Ganzes steht sie gewiß den Besten nicht nach und übertrifft sie alle als Theatersängerin in ausgedehntestem Bereich.

Als ich gegen Mitternacht nach Hause kam, fand ich einen Brief vom Legationsrat, der mir eine Karte zur Pairssitzung für diesen Abend übersendete. Natürlich nicht zu benützen. Sonderbare Gefälligkeit, mehr um eine Bitte abzuthun, als wirklich förderlich zu sein.

Dienstag, 7. Juni. Wollte die Familie Figdor vor ihrer Abreise sehen, ward durch einen Besuch Prägers weit über meine Absicht lange zu Hause gehalten. Nach Wallbrook-street. Fand die Figdors nicht. Trieb mich in der City herum, wo ich Rasiermesser und sonst einiges kaufte, von dem immer wieder losbrechenden Regen aber fortwährend in der Nähe der Börse gehalten wurde, wo doch der bedeckte Gang einigen Schutz darbot. Endlich, um nicht ganz durchnäßt zu werden, zeitlich nach Hause.

Abends trotz Regen ins italienische Theater; L'assedio di Corinto. Ich habe der Grisi bisher unrecht gethan. Das ist eine so vortreffliche Sängerin, als je eine war. Weniger stark leidenschaftlich, aber dafür immer wohltönend. Anfangs dieselbe Neigung zum Zuhochsingen, als da ich sie das erste Mal hörte. Später setzte sich alles zurecht. Ich habe diese Oper oft aufführen gesehen, aber erst heute gehört. Sie hat eine Leichtigkeit und Annehmlichkeit der Stimme wie selten eine Primadonna, die meistens schon halb ausgesungen sind, wenn sie zu den letzten Stufen gelangen. Der Chor schlecht. Von den übrigen liebe ich weder Tamburini besonders, noch Rubini überhaupt. Lablache taugt nicht mehr für den Priester, der ihm immer zu tief lag, besonders aber jetzt, wo seine Stimme sehr in Verfall ist. Aber ihr Zusammenwirken, wie natürlich, vortrefflich. Die Ausstattung viel kleinlicher als in Paris.

Mittwoch, 8. Juni. Frühmorgens kam der junge Figdor zu mir, dessen Angehörige eben abgereist waren und der mich nach dem Kolosseum abholte. Sahen das Panorama von London, das an Großartigkeit und Treue nichts zu wünschen übrig läßt, aber doch etwas gar zu bleich und verwaschen in der Farbe geraten ist. Wie ungeheuer! Aber der Eindruck Wiens vom Kahlenberge ist auch nicht kleiner. In den Straßen selbst merkt man, wie groß London ist. Drauf die Schweizer Hütte, eine Spielerei mit einigen artigen Einzelheiten. Darauf Straßen auf und ab. Corn-exchange, ein ungeheures Gebäude zum Behuf des Getreidehandels. Verabredeten für nächsten Samstag eine Partie nach Windsor. Morgen ist großes Dankfest der Pfarrschulen in St. Paul. Mittags zu Hause.

Abends ging ich in Astleys Theater, um es doch auch gesehen zu haben. Schlechte Spektakelstücke. Reiterkünste besser, als man sie irgend sieht. Eine Miß als Pferdeabrichterin, mit einem herrlichen Pferde voll Gelehrigkeit. Machte darauf im einfachen eleganten Reithabit die Reitschule zum wahren Genusse. Gruppierungen, Menschenpyramiden, von wirklichen oder vorgeblichen Beduinen dargestellt, bis zum Unglaublichen. Besondere Meister in den unmöglichsten Gliederverrenkungen, Seiltänzer ziemlich schlecht. Der eine fiel derb aufs Maul, daß er forthinkte. Ein königlicher Prachteinzug, nur in Paris überboten. Ein Wettrennen von Knaben auf kleinen Ponnies, den großen aufs täuschendste nachgeahmt. Ging endlich, übersatt.