Die sächsische Schweiz

An warmen Sommerabenden ist es sehr hübsch auf der Brühl'schen Terrasse, so bunt, vornehm und heiter, dass man gar nicht in Deutschland zu sein glaubt. Geputzte, schöne Gestalten mit fremden Gesichtern streichen vorüber, man hört allerlei Sprachen, die Terrasse selbst steigt so kühn hoch und steinern vom Flusse aus, und stößt rückwärts überall an den langen Palast — die Illusion des Fremdartigen dauert so lange, bis uns ein Registraturgesicht aufstößt, eins jener unvertilgbaren vaterländischen Gesichter, die Lachen, Ärger und alle heimische Liebe in uns erwecken. Solche alte Busenkrausen, gelbe Stulpstiefeln, weißliche Kasimirhosen, Schnupftabaknasen, weiße Unterhalstücher, silberne Uhrketten sieht man noch häufig in Dresden, und sie erinnern uns daran, dass die Brühl'sche Terrasse in Deutschland liegt, und dass wir Deutschland immer und ewig wie jene alte Geliebte behandeln, die wir erst lieben, wenn wir nicht bei ihr sind.

Auch eine Erinnerung aus der roten Mützenzeit von Halle, aus der Zeit des Zorns und des Enthusiasmus ohne Gedanken begegnete mir dort. Wir sahen einander zweifelhaft an: Entschuldigen Sie, mein Herr — ah, ich wollte mir eben auch erlauben — sind Sie nicht — haben wir nicht zusammen — bist Du wirklich der Bruder Medardus von der Klausstraße?


Es ist ein sehr bedenklich Unternehmen, einen alten Universitätsfreund wieder zu finden. Die Menschen gehen gar zu verschiedene Schritte in Sachen der Kultur, der Empfindung, der Sympathien, und der Jugendfirnis akademischer Zeit, welcher Alles ausgleicht, geht verloren. O, da gibt es oft wüste, fatale Kirchhofsszenen, und die Vergangenheit wird selbst vergiftet — gerade so, wie man sich nur vorsichtig daran machen oder völlig hüten muss, alte Plätze einstiger Poesie aufzusuchen, welche neue anteillose Gesichter entweihen, oder, was noch schlimmer ist, wo die Freunde und Geliebten alt und stumpf geworden sind.

Mein Bruder Medardus hatte sich leidlich frisch erhalten, hatte Jahre lang still zwischen Bergen gelebt, ein liebend Weib gefunden, und hoffte noch von der Welt. Das ist die Hauptsache: wer noch hofft, ist noch jung; seine Augen können noch leuchten, sein Herz kann noch beben; bittet Gott, dass er Euch nicht die Hoffnung überleben lässt, und bildet Euch empfänglich für die kleinsten, putzigsten Hoffnungen.

Im Jahre 27 waren wir auf dieser Terrasse gestanden, den Kopf voll griechischen Testamentes und orientalischer Kirchenväter, das Herz voll Sehnsucht nach himmelblauen Augen, die wir auf der Schule geliebt hatten, voll Sehnsucht nach der stillen, schattigen Pfarrstelle, nach dem Frieden beschränkter aber eigner Häuslichkeit — wie ist das anders geworden, Medardus, moderne Wünsche schweifen über Berge und Länder, und das Idyll des Herzens ist doch nicht zerstört. —

Wir wollen wieder in die sächsische Schweiz ziehen wie damals, und wieder zu Fuß und mit drei kleinen Thalern, und morgen früh.

Ein heißer sonnenbreiter Morgen sah uns stapfen durch den sandigen Weg nach Pillnitz — in jenem Schlosse, wo man den König von Sachsen zu Mittag essen sieht, wurde einst die Koalition gegen das revolutionär aufbäumende Frankreich geschlossen, und eben dort saß später der Erbe jener Revolution mit dem Könige von Sachsen friedlich und freundlich zu Tische — über die Menschen, welche sich töten müssen wegen weit aussehender Pläne —

Ick werde Dich morgen hassen.
Und morgen liebt er sie —
Ich werde Dich morgen lieben.
Und morgen war sie tot —

Dies Stückchen Sachsen ist durchwirkt mit polnischen und französischen Erinnerungen, sie beschäftigten uns; wenn wir sprachen. Unter der polnischen Regierung der Augusti von Sachsen ist mancher Pole zu seinem großen Erstaunen in diese Berge geraten, wo man das Pferd nicht gebrauchen kann; es war doch eine wunderliche Zeit, von der es heißt:

Die Polen tranken alle mit,
Wenn König August zechte —

Und er zechte oft.

Da trank man noch aus Pokalen, nicht aus winzigen, zerbrechlichen Gläsern, man trug Perücken und goldgestickte Kleider und machte großen Staat; die liebe deutsche Muttersprache ward für gemein und unanständig gehalten — ach, Medardus, was soll uns das Alles, lass uns singen!

Und so sind wir durch die sächsische Schweiz gezogen, Liebeslied auf Liebeslied singend, innig, flüchtig, wechselnd wie der schlesische Pietätsvogel, die Schwalbe, Verse haben wir auf kleine Blätter geschrieben und haben sie hinflattern lassen von der Bastei in die grüne Tiefe, durch welche glänzend wie Silber die Elbe zieht. Der Wind, jener schalkhafte nur zuweilen stürmische Buhle der Erde, nahm sie auf seine Flügel, und jedes Mädchen, das sie gefunden hat, war gemeint.

Es sind keine großartigen Verhältnisse aber es ist mannigfacher Reiz in diesem sächsischen Gebirge, blau und violett erheben sich die einzeln abgespaltenen Berge wie Steinschlösser ringsum, deren Beherrscher der dunkle Lilienstein und Königsstein.

Die sächsische Schweiz ist ein Milchschwesterchen des Riesengebirges, der schlimme, gewaltige Bruder hat alle Kraft in sich gesogen, nur die Anmut, die feine Taille und der hüpfende Wuchs ist dem Schwesterlein geblieben. Das Riesengebirge ist der Napoleon der deutschen Berge, die sächsische Schweiz dessen leichte, bewegliche Josephine, welche er mit der Tafelfichte die Hand reicht. Rasch stürmt jener von dort, vom Westen des 18. Jahrhunderts aufwärts, und immer aufwärts, auf dem „hohen Rade,“ dem Konsulate, ruht er einen Augenblick und eilt dann geflügelt auf die Koppenhöhe des Kaisertums.

Dort schließt jach das hohe Gebirg, und fällt in entsetzliche Gründe. Dort verschwindet der Kaiser.

Aber auf der Bastei gibt Josephine ihre heitern Hoffeste, und im Ottowalder- und Amselgrunde sind die süßen Erinnerungsplatze der revolutionären Liebe des Generals Bonaparte. Dort liegen für ewige Zeiten jene unsterblichen Liebesbriefe, welche ein großer Mann vergessen muss, denn die Größe ist einsam und lieblos. —

Auch die weinende Rebe bringt Wein. Josephine blieb immer anmutig; man kann das bei gutem Sonnenscheine noch alle Tage auf der Bastei sehen; nur jenseits des Gebirgs nach Norden hin, wo einst die große Straße nach der polnischen Krone, nach Warschau führte, dorthin darf man sich nicht verirren, da fällt Sachsen zusammen wie ein Eierkuchen, wie ein entkräfteter Glücksritter, welcher des Gehens nicht gewohnt ist, und kläglich, ein Bild des Jammers, kriecht es in die Lausitz hinein. Dort gibt's ein sorgenbleiches Land, eine Halbschwester der Lüneburger Heide.

Wir eilten über Nacht wieder zurück in die Berge, der Morgen umfing uns wie ein goldener Schein zwischen den steilen Wänden, wie die Vögel sangen wir unsere Hymne hinauf, und baten die weißen Sonnenwölkchen, sie mitzunehmen ins Unendliche.

Bei einer Durchsicht in die Felsengründe fanden wir eine seltsame Gruppe: Ein großer Mann saß halb liegend auf dem Moose, stützte sich mit einer Hand, und streckte die geöffnete Fläche der andern in die Luft hinaus, um sich die Sonnenstrahlen vom Auge abzuhalten. Er trug einen dunkelblauen polnischen Rock, neben ihm lag eine rot und weiße Krakusenmütze; sein lichtbraunes Haar legte sich hinten in schwachen Löckchen über den kleinen Kragen des Rockes, und flatterte um die Schläfe im Winde; das Gesicht war von uns abgekehrt. Neben ihm hingestreckt, das Haupt an seine Brust lehnend, mit einem Arme auf seiner Schulter, lag eine volle schöne Frauengestalt, in ein weites dunkelrotes Kleid gehüllt. Auch sie wendete das Gesicht nach der offenen Gegend hin, wir sahen nichts deutlich, als die dunklen flatternden Locken und eine schöne weiße Hand, die auf der Schulter des Mannes ruhte. Neben ihnen spielte ein blonder Knabe; aus einiger Entfernung, dem Anscheine nach aus der Tiefe, klang ein wunderbar tönendes polnisches Lied. Es schien einer jener melancholischen Nationalgesänge zu sein, die aus dem polnischen Süden, der Ukraine, mit ihren meergleichen baumlosen Steppen herstammen. Dort wächst, wie in den Pampas von Amerika, das Gras mannshoch, und von den hindurch fliegenden behenden, polnischen Pferden, die wild schweifen, sieht man kaum die äußersten Spitzen des Grases bewegt. Jene Stille und Verlassenheit hat den Typus zu diesen sehnsüchtigen Mollliedern gegeben, von denen wir eins hörten. Medardus versteht polnisch, aber wegen der Entfernung waren die Worte nicht klar zu unterscheiden.

Wir standen schauend und lauschend still im kühlen Waldesschatten. Der Knabe sah uns zuerst, und sprang zum Vater; dieser und die Frau wendete sich um, und sahen gleichgültig nach uns hin. Welch ein wunderbarer Frauenkopf, welch eine schöne Gruppe! Sie hatte sich nur so viel aus ihrer Lage gekehrt, um uns zu sehen und stützte sich mit der Hand auf die Brust, auf die rote Weste des Mannes. Das Gesicht sah aus, wie ein Band lebendiger Liebeslieder, die man aus Versehen schwarz wie ein Trauergesangbuch eingebunden.

Der Kopf des Mannes war nicht schön, aber tragisch wie der einer männlichen Melpomene; ein schwacher, blonder Bart floss leicht um die schmalen Lippen, auf denen vaterländische Trauer und vaterländische Gebete in zusammengebeugter Stellung zu liegen schienen. Aber seine Gesichtsfarbe hatte auch jenes Luftreine, Luftgesunde, was dem polnischen Volke ein so frisches, morgenfrühes Ansehen gibt. Wie die frischen Früchte, die eben vom Baume kommen, liegt auf dem Antlitze der freie Flaum und Reif — sie leben in halber Barbarei naturgetreuer, sie sind nicht abgegriffen und abgefühlt, wie unsere Goldstücke und Konversationshände.

Die Bekanntschaft war schnell gemacht: wir sagten, dass wir mit ihnen weinen könnten über ihr großes Unglück und drückten einander die Hände. Dem Polen wurden die Augen feucht: „Alles vorbei — vorbei Alles, meine Herren!“ sagte er.

Sentimentalität ist etwas so Schönes, sie ist das Brouillon unserer Herzenspoesie, die zum schönsten Kunstwerke verarbeitet werden kann wie das rohe Metall. Aber sie muss aus gesundem Herzen kommen, wie die Träne aus gesundem Auge, um schön zu, sein. Kranke Augen weinen niemals Reiz.

Man schildert mit einem Pole alle; sie haben keine absondernde Individualität, das ist auch ein Grund ihrer Größe: sie imponieren als ein Mann. Es ist bei allen halb zivilisierten Völkern so: ihre Bedürfnisse, Fehler, Vorzüge sind einfach, ihre Verhältnisse nicht minder. Darum sind sie nur als Masse oder als Repräsentanten der Masse interessant; einzeln aber schnell langweilig, weil die innere Ausgebildetheit und Mannigfaltigkeit fehlt, die bei näherer Bekanntschaft immer neue Seiten entwickelt. Ich begreife darum auch immer nicht, wie sich ein freisinniger Europäer nach der anfänglichen, einseitigen und langweiligen Freiheit Nordamerikas sehnen kann, ich will doch lieber an einer Entrüstung in Wien, als an Langerweile in Washington sterben.

Der Pole war ein Nachzügler, der von Elbing kam, und seine Familie dort erwartet hatte. Sachsen ist ihnen aus den letzten Königserinnerungen noch eine halbe Heimat, die ihn anzog. Man findet in Sachsen noch manche polnische Familien, die sich eingedeutscht haben aus jener Zeit, z. B. die Breza's.

Er ist aus Lithauen und hat Dembinsky's Zug mitgemacht. Ich bevorzuge die Lithauer: sie haben so unendlich viel mehr verloren, denn sie haben es einsam und ohne Ruhm verloren — der Sprung des Curtius auf dem Markte vor allem Volke ist eine kleine Tat, sie wurde augenblicklich mit Millionen goldnen Ruhmes bezahlt, Zuschauer sind die Hälfte jeder Kühnheit; aber der Tod im Verborgenen, den Niemand sieht, als der stumme, teilnahmslose Mond, er ist der große und poetische. Allein hinter den Baume zu sterben, wie das Tier des Waldes verendet“, und dennoch hinter den Baum treten, das ist Größe.

Das Geräusch unserer Tage stört darum so Viele in poetischen Erfindungen, weil sie am Hergebrachten hängen, und die einzelnen Lichtspalten des Geräusches, die poetischen Reize der scheinbaren Kleinigkeiten moderner Welt noch nicht erkennen.

Wir setzten uns zu den Fremden und verrichteten unsre Andacht: wir labten uns an der Luft, den Wolken, den Bergen. Die Natur dringt mit unwiderstehlicher Harmonie auf uns ein, wenn wir Gefühl- und Thronen entgegenbringen, die nicht erste, unnahbare Leidenschaft sind.

Die Lithauer sind die Romantiker, die Polen Klassiker des letzten Kampfes.

Ganz solch ein Typus war unser Lithauer: sanft und reich wie Sammt, nur in dem vaterländischen Interesse felsenhart und einseitig. Kosziusko, der ebenfalls aus Lithauen stammte, war's eben so: ein stiller See ohne Schall und Woge, aber voll süßen, klaren, tiefen Wassers mit allem Strome nach ein und derselben Richtung.

Während wir schweigend saßen — was lässt sich zu politischem Unglück sagen, die kindlichen Hoffnungen mocht' ich nicht zerstören, obwohl ich sie nicht teilte — erhob sich von Neuem jener polnische Gesang, aber etwas näher, so dass die Worte zu verstehen waren. Es war eines jener Lieder, die vor Kurzem so schön verdeutscht worden sind:

Bin ich denn im Wald geboren,
Ward ich auf dem Feld getauft?
Oder waren's solche Paten,
Die kein Glück mir gaben?
Ach, mein Nachbar sät und ackert,
Und das Feld, es grünt bei ihm:
Doch mein Acker, der liegt müßig,
Und wird niemals grünen!
Ach, beim Nachbar gibt's ein Weibchen,
Alte Freunde, altes Brod,
Eine schöne weiße Hütte
Und gereifte Kinder auch:
Dock ich lebe unter Menschen
Einsam wie der Baum im Feld,
Und der Mond ist meine Sonne,
Und die Grille ist mein Freund.

Es ward still; ein Hund bellte leise. Bald erhob sich die Stimme von Neuem, aber gedämpfter, und sang:

Dort im grünen Walde
Da stürzte ein Baum,
Und er schlug im Falle
Tot ein schönes Paar
Beide schlug er tot,
Und tat wohl daran:
Niemand blieb zurück,
Der vergebens liebt.

„Ach, und wir leben Alle noch?“ sagte schmerzhaft des Lithauers Weib, und verbarg ihr Gesicht an der Brust des Mannes. Der Knabe kam herbei, er mochte die Eltern oft weinen sehen, streichelte der Mutter die Wange und legte sein Köpfchen neben ihr Haupt.

Wir fragten den Lithauer, wer noch mit ihm reise. Er erzählte uns, es sei ein junges Mädchen, das er am Wege gefunden, als der letzte Teil des Rybinskischen Corps über die preußische Grenze gegangen sei. Sie habe sich auf die Straße geworfen, um die abziehenden Truppen aufzuhalten, sie habe sich vor die Kanonen gestürzt, und flehentlich gebeten, man möge über sie hinwegfahren — als sie bewusstlos geworden, habe er sie auf einen Wagen gelegt, sie sei sanft und still, aber dem Anscheine nach meistens geistesabwesend.

Wir gingen nach der Seite hin, von wo die Stimme kam, um das Mädchen zu sehen: sie saß auf einem Felsenvorsprunge, und warf Feldblumen und Gräser, die sie im Schoße liegen hatte, in den Abgrund. Ein großer Schäferhund lag neben ihr.

Der Anzug des Mädchens war zerstört: sie trug ein schwarzes Kleid, das auf der linken Schulter herabgezerrt war, ein rotes Tuch hing an einer einzigen Nadel und flatterte bald verhüllend, bald entblößend um die schlanke Schulter; lange, dunkle Scheitellocken hingen ihr über die Wangen, und sie kämmte sie zuweilen mit den Fingern. Das Gesicht schien edel und scharf geschnitten, die Hauptfarbe war von Luft und Sonne ein wenig dunkel überflogen. —,—

Der Lithauer und Medardus gingen, um sie zu holen, denn sie war dem Herabstürzen ausgesetzt.

Als sie bei uns ankamen, war sie weich und sanfte und weinte still vor sich hin; von ihrer Geisteszerrüttung war keine Spur zu sehen. Sie kann nicht schön genannt werden, aber wunderbar anziehend ist dies gebräunte, feine Antlitz. Eine weinende Romantik eilte händeringend in dem großen Auge hin und her, die kleinen, schmalen Lippen zuckten zuweilen wie durstig nach Küssen und Freuden. Der Körper ist auf Kosten des Geistes gediehen, wie wir das nur gar zu oft wahrnehmen, sie ist voll, kräftig, und die Gesundheit schaut trotzig aus jeder Muskel. Verlegen hatte sie ihr Tuch wieder in Ordnung gebracht, als sie auf Medardus Arm gestützt, der Gefahr entgangen war.

Voll Innigkeit ruhte zuweilen ihr Auge auf dem kräftigen Deutschen, welchen ein tief nachdenkliches Gesicht dem Unglücke von vorneherein empfehlen mochte.

Wir strichen noch eine Zeitlang durch die Gegend; Pirna, das wie die Häuschen auf Elefantenrücken aussieht, wenn man's hier aus tiefem Tale sieht, ging langsam vorüber. In einem Dörfchen wollten wir übernachten; jedes Paar erhielt ein kleines Kämmerchen zum Schlafgemache angewiesen: der Lithauer mit Frau und Kind, Hedwiga mit ihrem Hunde, Medardus und ich.

Es war eine warme aber luftige Nacht. Der Wind strich ungeduldig hin und her, als könnte er nicht, oder als wisse er nicht, was er suche, die schweigsamen Berge sahen seinem Treiben vornehm und indifferent zu, und die Wolken spielten Versteckens mit dem Monde.

Wir waren beide müde und schliefen bald. Ein lichter Schein schreckte plötzlich meine Augen auf; es mochte mitten in der Nacht sein. Ich fuhr vom Lager auf, das Haus brannte. Rasch weckte ich Medardus, wir warfen unsere Habseligkeiten zum Fenster hinaus — und Hedwign?! — rief Medardus. Vor dem Hause standen schon Leute, wir sahen die polnische Mutter mit ihrem Knaben schon aus der Türe eilen, hielten auch Hedwiga für geborgen, und sprangen aus dem Fenster, das nur einen mäßigen Stock hoch war, hinunter. — Hedwiga war nicht da; wir erfuhren erst, dass ihre Schlafkammer zwei Stock hoch gelegen sei. Der Lithauer hatte eben auch kaum Zeit gehabt, sich und die Seinen zu retten, das arme Mädchen, das sicherlich nach den heftigen Erschütterungen des Tages fest schlief, wusste vielleicht noch gar nicht, dass es brenne. Medardus stürzte auf das schon um und um lodernde Haus zu, sie zu holen — da flog sie aus der qualmenden Türe, und siel ihm, des Atems beraubt, in die Arme.

Sie erholte sich bald, wir freuten uns der Rettung, und sahen staunend in die hohe Lohe, die jetzt bis an die Giebelspitze das Haus inbrünstig umschlungen hielt. Plötzlich stieß Hedwiga einen durchdringenden Schrei aus, bedeckte ihre Augen mit beiden Händen, wies dann mit verzweiflungsvoller Miene nach dem Hause hinauf, und beschwor uns, ihren Hund zu retten, der zurückgeblieben sei. Hinter einem Fenster des zweiten Stockes sahen wir einen Augenblick den Kopf des treuen Tieres. Es schnitt uns in die Seele, aber Hilfe war nicht möglich — ein Tier kann alle tragische Empfindung hervorrufen, niemals aber eine nur halb entsprechende Tätigkeit, diese lässt der Aristokratismus der Gattung nicht zu, und sie wird höchstens bei Kindern gefunden — die brennenden Balken des hölzernen Hauses stürzten zusammen. In einer Art von Todesangst, gleich als wollte sie uns zu Rettungsversuchen anspornen, erzählte sie in fliegender Schnelligkeit, wie fest sie geschlafen und nichts von dem Brand bemerkt, wie der Hund sie heulend am Arme gezerrt und immer stärker gezerrt habe, bis sie erwacht sei. Bestürzt sei sie vom Lager aufgesprungen, als sie die Lohe gesehen, sei schnell durch die Türe geeilt, habe diese wahrscheinlich in der Hast hinter sich zugeworfen, und so dem armen Tiere die Flucht versperrt. Sie war trostlos, ihren Retter mit solchem Undanke gelohnt zu haben; die Tränen stürzten ihr unaufhaltsam aus den Augen.

Da stürzte krachend das ganze obere Stockwerk ein, schreiend lief das Mädchen in die Nacht hinaus. Es jammerte mich innig des unglücklichen Kindes; sie war ohne Schuhe aus dem Zimmer geflohen, das Haar flog aufgelöst um ihre Schultern.

Medardus wollte ihr heftig nacheilen, sie wehrte ihm heftig und lief immer weiter. Traurig ging der Lithauer mit Weib und Kind ihr nach und sagte: Es liegt der Fluch Gottes auf uns, wie auf den Juden — ist es, lieber Deutscher, eine neue babylonische Gefangenschaft; lieben uns jetzt die Leute noch, weil unser Unglück neu ist, werden wir älter werden und gleichgültiger und schlechter, kommt Eins mit dem Anderen.

Damit ging er, sein Weib sah starr in die Nacht hinein, wo Hedwiga verschwunden war, der Knabe weinte schläfrig.

Wie Äneas, der sein Weib im brennenden Troja verloren, stand Medardus eine Strecke weiter einsam mitten im Wege, der Feuerschein zuckte auf seine verstorbenen Züge. Er reichte dem vorübergehenden Lithauer stumm die Hand und ließ ihn weiter ziehen.

Nach einer langen Pause weckte ich ihn; leise sprach er vor sich hinaus in die Nacht: Es ist doch noch viel zu wenig Liebe in der Welt.

Die Bauerweiber jammerten um den Brand, Wiegen und nackte Kinder lagen im Wege, vorüber strichen wir schon überfüllt mit Weh. Freilich, ein größeres Unglück ist das, keine passende Stelle zu finden für Teilnahme und Bedauern. —

Den polnischen Leuten begegneten wir nicht mehr; als der Morgen dämmerte, sahen wir uns in der Gegend von Pillnitz, mit der Abendsonne nahmen wir Abschied von einander unter Reiseplänen und Hoffnungen für eine lange Zukunft.

Kläglich Geschick, dass so Wenige Gleiches verfolgen können — als ich nach einiger Zeit dem Bruder Medardus schrieb, und ihn aufforderte, mit mir hinaus zu ziehen in die Welt, da musste er antworten:

Ich kann heute nickt kommen,
Denn ich habe ein Weib genommen. —

Still sitzt er hinter abschließenden Bergen im kleinen Häuschen, und sorgt mühsam für das tägliche Brod — die große Welt ist ihm verloren, ein kleiner Kreis sperrt all' seine Gedanken ein, die sächsische Schweiz und der Lithauer mit den Weibern liegt in unerreichbarer blauer Ewigkeit vor seinen trüb gewordenen Augen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisenovellen von Heinrich Laube, Teil 6