Dresden

Über die Kunstanstalten Dresdens, das japanische Palais, grüne Gewölbe, die Rüstkammer und Bildergalerie lässt sich nur lauter Preisliches sagen und die Leichtigkeit, in letztere Eintritt zu erhalten, zeugt von der liebenswürdigsten Liberalität.

Die Einwohner scheiden sich in streng gesonderte Gruppen: unter den höheren Klassen und den höheren Regierungsbeamten findet sich sehr feine, sehr geschmackvolle Bildung, vornehme, kultivierteste Manier. Sie erkennen, dass sie an Ludwig Tieck am Altmarkt einen bedeutenden Dichter besitzen und wenn sie seine Vorlesungen und ihn selbst nicht besuchen, so geschieht's entweder, weil man das Eine nicht kann ohne das Andere, oder weil sie nicht vier bis fünf Stunden mäuschenstill sitzen mögen, oder weil ihnen die Schriften von diesem Manne das Liebste sind.


Ehe ich zu einer andern Klasse der Bewohner übergehe, noch ein Paar Worte über Ludwig Tieck für diejenigen, die ihn gar nicht kennen. Die Gicht hat ihn ein wenig zusammengeworfen, sonst trägt er noch die klarsten Spuren eines Mannes, der schön gewesen ist. Was den dichtenden Denker vor der blöden Menge immer auszeichnet, das Auge mit seinem Glanze und Drange, das ist ihm in aller Schönheit geblieben. Tieck ist ein sehr überlegener Geist in der Gesellschaft, so lange ihm keine Usurpationsgedanken an die Literaturthrone in den Sinn kommen, er weiß wie ein überlegner Geist bei den groben Schmeicheleien zu schweigen, die ihm der Schwarm mit plumpen, fetten Händen auftischt, er spricht wie ein überlegener Geist, wenn ein literarisches Lebensthema berührt wird. Wie gewöhnlich macht er mehr Wesen von dem, was unwichtig an ihm ist; er spricht mit größerem Nachdruck von seinen Studien, als von seinem Talente. Als er „den Tod des Dichters“ geschrieben hat, da soll er äußerst geseufzt haben über die Masse dessen, was er lesen müsse, ungefähr wie ein Historiker, der eine unbekannte Geschichte schreibt, zu welcher eitel neue Quellen gelesen werden müssen.

Nun, das ist nicht der Rede Wertes und es wird's ihm Niemand übel nehmen; aber die Damen dürfen auch nicht stricken in seinen Vorlesungen, das ist Stoff zu Debatten in Dresden geworden, die heute noch nicht ausgefochten sind: Das ist ein Hauptstoß für den Rest seiner Popularität in Dresden geworden. Überhaupt darf man sich durchaus nicht den Dresdnern anschließen, wenn man sich erlaubt, dies und jenes an Ludwig Tieck auszusetzen. Sie mögen ihn um seiner besseren Eigenschaften willen, und nicht weil er kein Philister ist, ihre Antipathie gärt aus widerwärtigem protestantisch-borniertem Sauerteige. Was die Herren Winkler, Gehe, Böttiger mit ihren Kommittenten an Ludwig Tieck nagend aussetzen, ist dessen Garantie, dass er ein Dichter ist.

Seine Vorlesungen, die er mit großer Lebhaftigkeit, mit Stimmenabwechselung und solchem dramatischem Apparate hält, regen die wichtige Frage an, ob dieser Aufwand dem Vorleser zukomme und ersprießlich sei. Vielleicht sind die Schattierungen diesem Genre der Darstellung am zuträglichsten, welche sehr fein und wenig markiert erscheinen, wie bei Skizzen ein anderes Maß erfordert wird, als bei Gemälden, zu denen alle Hilfsmittel von Farben und dergleichen verwendet werden können.

Die Reisenden erzählen immer mit Staunen und besonders die Berliner sind „wech“ darüber, was die kleine Figur des großen Dichters für vortreffliche Brust und Lunge habe.

Eine andere Partie des Dresdner Publikums, die nichts gemein hat mit der erst erwähnten vornehmen, ist die Partie der Hofräte: sie ignorieren Tieck und vieles Andere. Als die Periode der Briefwechsel in unserer Literatur begann, da drohte eine Emeute unter ihnen auszubrechen, Kuhn, Kind und Genossen erschienen mit echauffierter Menge im Kasino —

Scheen guten Abend, Herr Hofrat —
Ei, scheen guten Abend, Herr Hofrat!
Wie befinden sich der Herr Bruder Hofrat?
Danke gehorschamst, Herr Bruder Hofrath —

Es tritt eine Pause ein.

Den angepriesenen Briefwechsel schon gelesen, Herr Bruder Hofrath, zwischen Schiller und Geethe?

Ach ja, was meinen der Herr Hofrat dazu?
Unter uns gesagt —
Weeß es Gott, Bruder Hofrat, wenn mer alle unsere Briefe hätten drucken —
Hätten drucken lassen wollen, hab ich nicht Recht, hochgeschätzter Herr Bruder —
Die Welt hätte andere Dinge zu heeren gekriegt, als — als —
Sub sigillo, Herr Bruder, als diese Lappalien —

Der Vorhang fällt, die Herren rauchen weiter, und beklagen sich, dass die Solidität aus der Literatur verschwindet.

Daneben ist Dresden reich an feinen alten Räten vom Appellationsgerichte etc., die mit dieser Klasse gar nichts gemein und eine feine literarische Zunge haben, ein stilles, gediegenes Urteil.

Einige deutsche Städte führen wie die Studenten ihre Spitznamen, und sind oft unter diesen bekannter als unter den wirklichen; wer findet sich zum Beispiel noch heraus aus Athen und München, und München und Athen! Sogar das Bier kommt Einem nicht mehr zu Hilfe: auch an der Akropolis winkt der Bock und das perlende Seidel. Athen grassierte sonst besonderes auf Universitäten: da gab es Saal-Athen und Pleiß-Athen und sonstige, Weimar hieß par excellence Ilm-Athen, weil dort die leibhaftige Klassizität sich häuslich niedergelassen hatte.

So nannte die Dichterschule aus dem „linkischen“ Bade Dresden nie anders als Elb-Florenz, und obwohl ich sonst nicht viel Gemeinschaftliches habe mit diesen Sängern des schwarzen Fracks, so hab ich doch Dresden auch immer gern Florenz genannt. Es findet sich wirklich viel Entsprechendes in Verhältnissen und Beziehungen dieser Stadt mit der toskanesichen Capitale.

Die Künste waren lange Zeit par excellence in Dresden zu suchen, wie einst unter den Medicäern in Florenz, der Hof und der Glanz war katholisch und zumeist mit italienischen Prinzessinnen gestickt, welche italienische Sprache, italienische Oper veranlassten; noch heute liegt in der Nähe des ernsthaft grün-grauen Schauspielhauses ein italienisches Dörfchen, wo man Knackwürste frühstückt und leider jetzt aus Grundsatz sächsisch parliert. Paläste mit italienischen Namen, Denkzeichen an des prächtigen August Zeiten, welcher im südlichen Europa namentlich in Spanien so viel Abenteuer erlebt haben soll, finden sich noch vielfach und helfen erinnern an romanische Dinge und Töne.

Der kleine wohlhabende Staat Sachsen bot ebenfalls mancherlei Parallele mit Toskana: im Erzgebirge klöppeln sie Spitzen, in den toskanischen Bergen flechten sie Strohhüte, und so könnte man ein unnützes, tändelndes Spiel weiter ausdehnen — aber besonders die Lage von Dresden hob mir stets ein Bild von Florenz in den Gesichtskreis.

Dresden ist eine der Städte, wo ich gerne ankomme, sie hat mir immer aus der Ferne das meiste Vergnügungen gemacht. Aber man muss aus den schlesischen Grenzwäldern nach Sachsen reisen, um einen entzückenden italienischen Anblick zu finden: das bergige, sonnenfrische Bautzen, die schöne hügelige Straße von dort, links mit den blauen Bergen, welche hinabführt zu dem heitern Bischofswerda, wo so hübsche Mädchen wohnen, und die Studenten im „Engel“ willkommen sind, das Alles stimmt überaus empfänglich. Und nun kommt man auf die waldigen Berge, wo die breite Straße eilig hinabrennt nach dem Elbtale, und zwischen Fichten und Tannen und Landhäusern sieht man weit unten, hinten begrenzt von sanfter Hochebene, eine breite Stadt mit italienischen Türmen, Kirchen und Schlössern, Florenz, die blühende, in weichen gefälligen Farben prangend und lockend.

Auf diesem Wege kamen Napoleons Garden herab, als die Alliierten bereits in die Stadt zu dringen versuchten, und der König von Sachsen sein Dresden verloren glaubte. Der Kaiser kam mit ihnen, erschien unten auf der prachtvollen Brücke, belebte durch seinen Anblick Alles, ließ seinen bärtigen Helden Wein und Speise reichen und führte sie in die Schlacht.

Aber nicht diese Erinnerungen sind's allein, welche so viel Zauber über diese Straße gießen, der Anblick Dresdens von hier aus hat so viel Südliches, Fabelhaftes, dass er mir stets die buntesten Hoffnungen und Illusionen weckt.

Dresden wimmelt stets von Reisenden, es ist eine Winter- und Sommer-Saison, die ihnen Italien vertritt, die Brühl'sche Terrasse an der Elbe, von wo man hinab gen Meißen, hinauf bis in die Vorberge der sächsischen Schweiz sieht, klingt wieder von allerlei Sprachen Europas.

Hatte doch selbst für den so mäßigen Friedrich den Großen dies Dresden die lebhaftesten Reize; er hat hier als Kronprinz seine buntesten und muntersten Tage verlebt, und manche Historiker, die gar nicht drüber hinaus können, dass der große König keine Nachkommen gezeugt hat, bemühen sich mit allerlei Operngeschichten in Dresden die Gründe für diese Erscheinung aufzufinden.

Auch Erinnerungen an die Zeiten der polnischen Krone treten Einem noch in den Namen mancher Paläste und Personen entgegen, Erinnerungen an die sächsischen Ehen mit italienischen Prinzessinnen. Napoleon wohnte zum Beispiele während des Waffenstillstandes in einem solchen italienisch benannten, abgelegenen Palais, dem Marcolinischen. Zwei Wachen schritten auf und ab, rings umher war es still, und innen bewegten sich die stürmischsten Fragen über Welt-Herrschaft.

So vielerlei Anregung bietet Dresden mit feinen hohen steinernen Häusern und so lange man die Leute nicht reden hört von „alleweile“ und von der „scheenen Witterung“ kann man sich in mancherlei bunten Träumen schaukeln.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisenovellen von Heinrich Laube, Teil 6