Sechste Fortsetzung

Die Syrer fühlen im Allgemeinen eine glühende Liebe zu ihrem schönen Vaterlande und jeder Stamm insonderheit schätzt seine märchenhafte Abkunft hoch und ist stolz auf seine oft eingebildeten Vorfahren, deren Name ihm gleichsam ein erbliches Nationalheiligtum ist. Selbst die Bewohner eines jeden Dorfes lieben ihr heimatliches Tal, ihre väterlichen Hüllen im höchsten Grade, und halten es für eine Ehre, den Namen des Dorfes ihrem Namen beizufügen.

Die syrischen Araber lieben den Ruhm; allein sie kennen die Bedingungen der Ehre nicht. Sie sind kühn, dabei aber umgänglich, höflich und geschmeidig. Der Araber weicht einem Streite aus, kann aber Beleidigungen, selbst unabsichtliche, nie vergeben; er verhöhnt keinen Schwachen, aber keine feindliche Macht erschreckt ihn. Die Drusen, von afrikanischer Abkunft, sind an lobenswürdigen Eigenschaften hinter den übrigen arabischen Stämmen weit zurückgeblieben. Jedes Exzesses fähig, achten sie nicht einmal das Recht der Gastfreundschaft; der Druse kann zwar ein frecher Räuber sein, aber kein braver Soldat, viel weniger ein Mann von ritterlichen Tugenden.


Die Araber Syriens besuchen gern, wie die Türken, öffentliche Orte, wo sie bei Tabak und heißem Kaffee sich gütlich tun. Aber geräuschvolle, lebhafte, einnehmende Gespräche beleben ihre Gesellschaften, welche den langweiligen Zusammenkünften der Türken sehr unähnlich sind; denn in diesen herrscht ein mürrisches Schweigen, das nur von Zeit zu Zeit durch einförmige Erkundigungen nach der Gesundheit und entsprechende Antworten unterbrochen wird. Der Syrer wirkt und schafft, ohne jemals über die Folgen eines übereilten Schrittes nachzudenken. Er geht den Gefahren kühn entgegen, erträgt widrige Schicksale mit Gleichmut, vergisst im Kriege das Bedürfnis nach Erholung, die Qualen des Hungers und Durstes. Allein er versteht es besser, mit Stolz zu dulden als im Glücke mäßig und gegen den überwundenen Feind barmherzig zu sein.

Um von dem Charakter des Morgenlandes ein deutliches Bild zu bekommen, müssen wir alle unsere Vorstellungen umkehren: wo man bei uns anfängt, da endet man dort. Dies gilt eben sowohl von den Schriftzügen als von jedem, selbst dem kleinsten Zuge des öffentlichen und häuslichen Lebens.

Das Erste, was beim Landen an dem Zaubergestade des blütenreichen Ostens unsere staunende Aufmerksamkeit erregte, waren die Friedhöfe. Die Ehrerbietung, welche die Lebenden hier den Verstorbenen beweisen, hat mit unseren europäischen Sitten nichts gemein und verdient in jeder Hinsicht Bewunderung und Nachahmung; sie trübt den ungewohnten Blick wie ein Vorwurf des Gewissens, wie ein unwiderlegliches Zeugnis von der Nichtigkeit einer glänzenden Bildung im Vergleiche mit der Größe und Macht des entfesselten Geistes. Die unüberwindliche Scheu vor Gräbern, welche in den Herzen meiner Landsleute, selbst gebildeter weiblicher Wesen, wohnt, ist einem Syrer ganz unbekannt: bei uns wird ein Verstorbener fast einem schreckenden Gespenste gleich geachtet; hier ist er ein Heiligtum. Man beerdigt die teuren Überreste der Seinigen unter dem besten Baume des zum Hause gehörenden Gartens, oder wenigstens so nahe als möglich den Wohnungen, an einer beliebten Stelle des abendlichen Spazierganges. Daher kann man hier weder in, noch außer der Stadt einen Schritt tun, ohne an den Tod erinnert zu werden.