Reisebemerkungen über Syrien und Palästina in den Jahren 1844—1847.

Aus: Archiv für wissenschaftliche Kunde von Russland, Band 10
Autor: Herausgegeben A. Erman, Erscheinungsjahr: 1852

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Landeskunde, Sitten und Bräuche, Wirtschaft, Landschaft, Natur, Umwelt, Völker, Vegetation, Bewohner, Arabien, Araber, Syrien, Syrer, Libanon, Damaskus, Tripoli, Beirut, Christen, Heiligtum, Bildung, Kultur, Morgenland, Türken, Muselmänner, Gastfreundschaft, Ehre, Unwissenheit,
Am Frühmorgen des 14. April 1814 warf unsere Kriegsbrigg „Nearch" vor Beirut, einige hundert Klafter vom Gestade, Anker. Vom Bord eines Schiffes ist die Ansicht dieser Stadt bei vollkommen heiterem Wetter entzückend schön: ihre Umgebungen sind ein lebendiges, großartiges Gemälde. Nachdem wir neun Tage und Nächte eine grenzenlose Wasserwüste durchsegelt, erblickten wir mit unaussprechlichem Entzücken den belebten Landungsplatz einer Handelsstadt ihre allen Festungsmauern und Türme, die weißen Landhäuschen, die sich wie eine Inselwelt über das wogende Grün der Gärten erhoben. Gleichzeitig fesselte der schneeige Rücken des Libanon unsere Blicke; ehrfurchtsvoll betrachteten wir die furchtbare Schönheit dieses ewigen Riesen, mit den Eiskronen auf seinen hundert Häuptern. Die leuchtende Sonne des Ostens stieg hinter diesen Gipfeln empor und durchglühte, wie ein kühner Gedanke, die endlose Bläue des Himmels.

Das Boot ward herabgelassen, wir stiegen ans Ufer und beklagten dass wir auf der gastfreien Brigg nicht länger verweilen konnten. Kaum hatten wir einen Schritt auf dem festen Lande getan, als die Hälfte des Zaubers schon gewichen war: das Vorgestade ist seicht und mit großen scharfen Steinen übersäet, so dass ein schlichter Fischerkahn nicht ohne Gefahr am Ufer anlegen kann; auch muss man dieses über Trümmer einer zerstörten Treppe, die vielleicht einst ein schöner Kai gewesen, ersteigen. Indem wir durch einige krumme und dumpfige Gassen gingen, wich der Zauber vollständig. Wir eilten zur Stadt hinaus, um in den Gärten die uns aus der Ferne entzückt Italien, geistig und körperlich auszuruhen; aber vergebens suchten wir am Lande, was uns vom Meer aus erschienen war. Die Gartenhäuschen, so verführerisch aus der Ferne, glichen in der Nähe eher großen Bienenkörben oder Steinhaufen, die zufällig an einer Stelle sich angesammelt, als Werken von Menschenhand. Die Gärten, ohne Wege, mit gepflügtem Grunde, haben keine andere Bepflanzung als Maulbeerbäume, die nicht den geringsten Schatten geben, da ihre Besitzer beim Einsammeln der Blätter (für die Seidenraupen) zugleich auch die Äste abschlagen; aber die freigebige Natur des Ostens bekleidet den nackten Stamm in zwei bis drei Monaten wieder mit Ästen und frischem Grün.

In der Stadt gibt es auch keine schönen Gebäude; übrigens raubten uns die Missgestaltetheit und Unbequemlichkeit der Wohnungen nicht die Freude an dem Gemälde der Natur: man braucht nur vor Sonnenuntergang aus der offenen Galerie oder dem Saal ohne Plafond, der gewöhnlich die Mitte des Hauses einnimmt, auf dessen flaches steinernes Dach zu steigen. Da erblickst du eine Menge kleiner Gärten und Blumenbeete, selbst innerhalb der Stadtmauern. Gehst du aber durch die Straßen, so wird dir nichts davon sichtbar; sie verbergen sich wie östliche Schönheiten hinter der weißen Verhüllung steinerner Mauern. Die Gärten jenseits der Stadtmauer reichen auf riesigen Stufen vom Meere bis zum Libanon; im Norden aber dehnt sich das mittelländische Meer als eine wallende blaue Ebene aus.

Die Bewohner von Beirut begnügen sich zu ihrem Zeitvertreibe nicht mit den flachen Dächern und unbedeckten Galerien ihrer Häuser; für den lebhaften feurigen Charakter eines Arabers würde das häusliche schläfrige Dasein des Türken unerträglich sein. Gewöhnlich sind die Männer hier vom frühen Morgen bis an den späten Abend nicht zu Hause: meist besuchen sie Kaffeehäuser, wo einheimische Künstler bei Tage Konzerte geben oder den römischen Gladiatoren nachahmen; kommt der Abend, so erscheint ein Märchenerzähler mit seinem dicken Buche. Die Lesung dauert zwei Stunden, bis der Muessin auf dem Minarett das zweite Abendgebet absingt.

Der angenehmste Vergnügungsort für Fußgänger, Rast-Beirut, liegt im Westen der Stadt; man kommt auf einem engen Pfade zwischen Garten und Rissen des steilen Ufers dahin. Viele Trümmer, zuweilen ganze Granitsäulen, starke Gewölbe und Haufen von Steinen, die ihre regelmäßig viereckige Form bewahrt haben, Alles über einen großen Raum ausgestreut, zeugen an diesem Orte noch von der Größe des alten Berytos.

Gleich jenseits des Stadttors ist ein ziemlich großer und runder Platz, in dessen Mitte ein mächtiger Baum seine Äste in Form eines ungeheuren Zolles weit aussendet: am Fuße desselben findet man bei heißeren Wetter jeden Tag unbeschäftigte Leute, teils Reiche, die aus der dumpfigen Stadt gekommen sind, um reine, balsamische Luft einzuatmen, teils Arme, die im erfrischenden Schatten von ihrer harten Arbeit sich erholen und auf eine Minute ihr Leid vergessen wollen. Wenn die Hitze nachlässt, kommt die arabische Jugend in Schaaren zu Spiel und Fröhlichkeit. Alsdann seht ihr an verschiedenen Stellen Muselmänner von ehrwürdigem Äußeren, die, kleine Teppiche auf der Wiese ausbreitend, ihr Abendgebet verrichten, während Andere, als Vorbereitung zu dieser Zeremonie, Gesicht, Hände und Füße in dem klaren Wasser eines unversiegbaren Brunnens abwaschen. An dem der Stadt gegenüberliegenden Ende des Platzes ist ein kleiner moslimischer Totenacker, meist von Weibern besucht, die sich hier, ohne Unterschied des Bekenntnis, Alle auf gleiche Art kleiden: Alle sind vom Kopfe bis zu den Füßen in eine Art weite weiße Mäntel gehüllt, so dass man sie zuweilen für Marmorstatuen über den Gräbern halten könnte. Vor den Gesichtern hängen ganz schwarze Tücher, gesprenkelt mit weißen arabischen Buchstaben, die gewöhnlich ohne alle Bedeutung zusammenstehen. Zu jeder Tageszeit sieht, man auch arabische Weiber müßig auf Stufen des steilen Ufers am Meere bei einander sitzen. Wovon mögen sie so unaufhörlich zusammen plaudern? Sind etwa Moden das Thema, wie bei uns? Aber von den Erzvätern, bis auf unsere Zeit hat sich hier in Sitte und Kleidertracht sehr wenig verändert. Oder tauschen sie ihre Gefühle über die Schönheiten der vaterländischen Natur gegen einander aus? Dafür sind sie wohl schwerlich sentimental genug. Oder geben ihnen die Eifersucht ihrer Männer, ihre eignen und ihrer Kinder Unpässlichkeiten, Skandal und Liebesintrige so reichhaltigen Stoff zur Unterhaltung? Dies ist noch das wahrscheinlichste.

An der rechten Seile der Stadt bewahrt die Küste in weiter Ausdehnung deutlichere Spuren des ehemaligen blühenden Zustandes eines der vornehmsten östlichen Handelsplätze im Altertum. In derselben Richtung kommt man nach einstündigem Ritte an den Nahr-ul-Beirut (Fluss von B.) und wieder zwei Stunden weiter zum Nahr-ul-Kelb (Hundefluss). Noch diesseits vom ersteren liegt ein griechischer Kirchhof in einem prächtigen natürlichen Garten aus Pomeranzen und Oliven; ebendaselbst ist eine, halb in den Felsen gehauene Kirche des heiligen Demetrius; an beiden Seilen des Flusses bis zum Libanon erstrecken sich wieder Gärten und Talgründe, mit zauberischen Hainen von Jasmin, Ölbäumen und anderen üppigen Gewächsen des Ostens.

Die Ufer dieser beiden Flüsschen werden trotz ihrer Üppigkeit und mannigfachen Schönheit selten besucht, weil die Wege dahin so schlecht sind. Viele Europäer verleben die heißen Sommermonate auf Landhäusern im Gebirge.

Das Klima Syriens, dieser reizenden Nachbarin des „gelobten Landes", ist im Ganzen angenehm und gesund, allein es hat keine Spannkraft welche das Atmen erleichterte und die allzurasche Entwicklung der Lebenskräfte milderte: eine Entwicklung, welche, die vorzeitige Ausbildung des Körpers fördernd, ihn eben so schnell altern lässt und Kraft und Schönheit wieder zerstört. Einen 25jährigen jungen Mann schauest du hier 35 bis 40 Jahr alt, und ein Weib von 25bis 30 Jahren scheint dir 40 bis 50 zu zählen. Bei Kindern reifen Körper und Geist so rasch, dass man auf den bloßen Anblick hin ihr Alter nicht einmal annähernd bestimmen kann.

Die Leute heiraten sehr früh, besonders die Juden, zunächst die Mohammedaner; die Christen noch am spätesten. Nichtselten kommt es vor, dass ein 13 oder 15jähriger Knabe ein Mädchen von 9 bis 11 Jahren heiratet.

Im Innern und in den Gebirgsdistrikten ist der Boden weit fruchtbarer als in denen am Meere; besonders sind die Umgebungen von Beirut und Tripoli durch Reichtum und Qualität ihrer Erzeugnisse nicht ausgezeichnet. Die Gartengewächse sind einförmig; die Blumen selten und dürftig. Dagegen können die Umgebungen von Kaifa und Saida mit den ergiebigen Ebenen von Antiochien und Damaskus wetteifern. Die Bergketten Libanus und Antilibanus sind reich an Erzeugnissen des Gewächs- und Tierreichs. Man darf also Syrien und sein Klima nicht nach der Unfruchtbarkeit einiger Gegenden am Meere beurteilen, wo der Boden bald steinig, bald sandig, bald mit Salz geschwängert, und außerdem durch nichts gegen den Einfluss der glühenden Sonne, der verheerenden Winde und schädlichen Ausdünstungen des Meeres geschützt ist, welche, auf Menschen und Tiere verderblich wirkend, auch dem Pflanzenleben nicht wohltun. Je weiter man im Innern vordringt, wo die hohe Lage des Bodens, der Reichtum an süßem Wasser und die schirmenden Berge die Wirkung der Hitze, der Feuchtigkeit und Winde mäßigen, desto sichtbarer wird das glücklichere Klima an der fortschreitenden Entwicklung des Pflanzenreichs. So ist Damaskus, trotz seiner Entfernung von dem, durch eine Doppelreihe Berge verdeckten Meere, wegen der wohltätigen Milde seines Klimas berühmt. Überhaupt kann Syrien, mit Einschluss Palästinas, ein Garten der Erde heißen; hier wachsen aus mannigfachen Samen üppige Blumen, und gedeihen eben so verschiedenartige als seltene Früchte.

Für die beste Jahreszeit gelten die Monate April und Mai; später wächst die Hitze und wird im Juli, August und September unerträglich: diese Jahreszeit ist ungesund, besonders den Fremden. Zuweilen wird die Luft von Mai bis November durch keinen Tropfen Regen erfrischt; zuweilen häufen sich die Wolken und verhüllen die Sonne Tage lang. Wohl tut auch der Westwind, da er vom Meere her weht.

Im Sommer sind die Nächte die angenehmste Zeit; es ist wonnig, nach einem langen, ermüdend schwülen Tag ihre Kühle zu genießen und den tiefblauen, wolkenlosen Himmel, den silbernen Mond zu schauen, in mondlosen Nächten aber das leuchtende Gold der Sterne, die hier ungewöhnlich hell flimmern. Aber die Nacht des Südens ist eine verräterische Schöne; lasst euch nicht von ihren bezaubernden Schmeicheleien in einen Simsonschlaf einlullen! wie Dalila stiehlt sie uns die Locken unserer Kraft; ihre verhängnisvolle Scheere sind die feuchten Dünste aus Erde und Meer, eben so der nur momentane, aber mächtige, bis auf die Knochen dringende Abend-Tau. Der heiße Sommer dauert in Syrien bis um die Mitte Oktobers; alsdann beginnen die Regengüsse, welche im November und Dezember fast ununterbrochen fallen, von furchtbaren Stürmen auf Meer und Land begleitet. Gleichzeilig fällt im Gebirge viel Schnee, den die Bergbewohner im Sommer nach Beirut verführen und daselbst als ein herrliches Labsal teuer verkaufen. Im Januar soll das Wetter ebenso, wie im Oktober sein; diese beiden Monate werden nach dem April und Mai für die angenehmsten gehalten. Im Februar und März gibt es wieder Regen, Stürme und Gewitter. Den ganzen Sommer über hat man indessen die ewigen Eisfelder des Libanon vor Augen und kann also wenigstens ferne Kühle sehen, während die nahe Hitze lästig fällt.

Constantin XIII. letzter byzantinischer Kaiser

Constantin XIII. letzter byzantinischer Kaiser

Pilger

Pilger

Handwerker auf dem Bazar

Handwerker auf dem Bazar

Im Harem

Im Harem

002. Goldenes Horn mit Suleimanije von der neuen Brücke aus.

002. Goldenes Horn mit Suleimanije von der neuen Brücke aus.

004. Leanderturm, Altes Serai (rechts), Aja Sophia und Achmedmoschee (Mitte) und Seemauern

004. Leanderturm, Altes Serai (rechts), Aja Sophia und Achmedmoschee (Mitte) und Seemauern

009. Sockel des Theodosiusobellisken mit Darstellung der Wettkämpfe

009. Sockel des Theodosiusobellisken mit Darstellung der Wettkämpfe

024. Beirut

024. Beirut

025. Damascus

025. Damascus

013. Jerusalem (Kirche der Tempelritter)

013. Jerusalem (Kirche der Tempelritter)

000 Syrien, Blick auf Damaskus

000 Syrien, Blick auf Damaskus

001 Saida-Sidon from the North

001 Saida-Sidon from the North

002 Nordafrika, Fischerboote am Strand

002 Nordafrika, Fischerboote am Strand

019 Terrace covered with Vines

019 Terrace covered with Vines

034 Syrian Gentlemen of Various Sects

034 Syrian Gentlemen of Various Sects

036 Syrian Ladies

036 Syrian Ladies

028 Barber-Shop - Auctioneer

028 Barber-Shop - Auctioneer

016 Beirut, Mount Lebanon

016 Beirut, Mount Lebanon

018 House-Tops, showing Roofs and Battlements

018 House-Tops, showing Roofs and Battlements

009 Druse Princesses from Mount Lebanon

009 Druse Princesses from Mount Lebanon