Kirchenfeier und geistliches Festmahl. Der Glaube.

Heute ist Vergebungsfest in der Kirche. Vom frühen Morgen an Glockenläuten und Herbeiströmen von Bauern aus meilenweitem Umkreise. Vor der Kirche von Królewice hatten die Verkäufer in Eile kleine Buden und Baracken errichtet, wo alle möglichen kirchlichen Gegenstände feilgeboten werden, Heiligenbilder, Rosenkränze, kreuzförmige Schmucksachen und etwas Spielzeug für die kleinen Kinder, die die Mütter mitnahmen, alles so unbeschreiblich, unsäglich ärmlich, dass kaum in allen Buden ein Gegenstand von mehr als zehn Pfennigen Wert war. Niederschlagend wirkte der Anblick der Heiligenbilder, die unter dem Schutzdache eines großen alten Schuppens zum Verkauf ausgehängt waren. Öldrucke nach den allerschlechtesten und abgeschmacktesten Gemälden, nach Schmierereien, die in ihren Darstellungen der süßlichen Marien und pomadisierten Heilande fast blasphemisch wirkten. Und sah man genauer auf diese Fabrikarbeit, so bemerkte man verwundert auf vielen nicht nur das Zeichen Paris, sondern auf den meisten das Zeichen New-York.

Die unverdrossenen Yankees sitzen als brave Protestanten jenseits des Weltmeeres und verdienen Geld durch die Fabrikation hunderttausender von Heiligenbildern für die Katholiken im alten Europa. Ist es wunderlich, dass die Bilder schrecklich sind? Selbst ein Öldruck nach dem widerlichsten Carlo Dolci würde darunter wohltuend wirken.


Die Kirche ist übervoll, die Türen sind weit geöffnet und eine große Kolonne von Männern und Frauen steht zusammengedrängt vor dem Eingange, um von der Predigt aufzuschnappen, was sie vermag. Aber auf dem Kirchenplatze steht, sitzt und kniet noch eine ganze kleine Bevölkerung, andächtig mit entblößtem Haupte. Ringsumher liegen Bettler hingestreckt, ihrer achtzehn sind in einem überdachten Wagen gekommen, abscheuliche Krüppel mit entblößtem Arm oder umwickeltem Bein, die ganze Schar der Gichtbrüchigen, an denen der Menschensohn vor alten Zeiten seine Wunder verrichtete. Gegen die Kirchenmauer hat der Maurermeister, der jetzt gerade eine Ausbesserung der Kirche vornimmt, zum Beweise seines frommen Gemütes, eine Kapelle mit großem Holzkruzifix errichtet, die ein wahres Ungetüm von Geschmacklosigkeit ist.

Jeder Kunst- und Schönheitssinn ist in dem niederen Volke erloschen. Wie lebhaft war früher der Schönheitssinn bei ihm entwickelt, wie schön und kleidsam war die Nationaltracht, die von den Russen nun aufs strengste verboten ist. Wie schön sind jetzt noch die galizischen Bauern in ihren weißen rotbesetzten Röcken und mit den großen Filzhüten gekleidet. Hier trägt der Bauer nun die schrecklichste Mütze und einen Anzug ohne Schnitt und Charakter, während die Frauen und Mädchen, denen man die kleidsamen und schönen Nationalkostüme genommen hat, sich mit Vorliebe in schreiendes Gelb und grelles Grün drapieren.

Sie gingen umher, besahen sich die ausgestellten Gegenstände und feilschten; kauften sich auch hier und dort etwas Backwerk und etwas von dem trotz des Verbotes ausgebotenen Obste. Die Anziehung der verbotenen Frucht ist ja hier wie anderwärts nicht die schwächste. Vom Gute war indessen eine Bude errichtet worden, wo gratis Flaschen mit gekochtem Wasser verabreicht wurden, das man durch einen Zusatz von Pfefferminzsaft oder Branntwein wohlschmeckend gemacht hatte; man wollte das gefährliche Wassertrinken verhindern, und die Bauern ließen es sich wider Erwarten schmecken.

Unsere Damen hatten trotz der Wärme und der schrecklichen Luft schon mehrere Stunden in ihren Kirchenstühlen ausgehalten. Wir Männer gingen erst zu allerletzt hinein, um „die große Messe“ zu hören. Die Kirche bot, vom Altare aus besehen, einen äußerst bunten Anblick dar. Nächst dem die Messe lesenden Dekan saßen die vornehmen Damen, einzelne mit ihren Männern, von den umliegenden Gütern; sie waren festlich gekleidet, aber ihre Andacht erschien nicht groß. Dann folgten die Bauern, Männer, Frauen und Kinder, Kopf an Kopf, so viel die Kirche fassen konnte; in dem künstlichen Lichte von Lampen und Kerzen, das sich mit dem Tageslichte vermischte, drängten sich weiße, gelbe, hellrote Kopftücher und dazwischen braune Männergesichter mit dickem, langem Schnurrbart, alle auf den Knien, bald erhoben sie sich, dann senkten sie wieder die Köpfe, um auf die Knie zu sinken, neigten sich wie Ähren auf dem Felde vor einem Windhauche. Über ihnen brauste der Kirchengesang, eines der ältesten polnischen Sprachdenkmäler; die einfachen Textworte und die Melodie aus dem Ende des zehnten Jahrhunderts: Heiliger Gott! Mächtiger Gott! Befreie uns von der Pest, von Hungersnot und von Krieg, Gott, der du die Macht bist!

Das Lied stammt aus der Zeit, als Polen zum ersten Male von der Pest heimgesucht wurde, und es hat jetzt neue Aktualität erhalten.

Die Predigt war nicht übel, prägte ein, dass es nicht auf Andachtsübungen und Kirchenbesuch ankäme, sondern auf die Lebensführung und die Handlungsweise; dagegen war der Priester, der die Messe hielt, mit seinem stumpfen Blick, den dicken Backen und seinem Fett grotesk, und seine lateinische Aussprache klang sehr bäuerisch. Schneidend geschmacklos waren alle Kunsterzeugnisse in der Kirche, die Wandmalereien, die Bilder auf den vielen Kirchenfahnen, die über der Gemeinde wehten; aber schön war die lebende Dekoration der Kirche mit Blumen und Grün um die Pfeiler und großen, blühenden Oleandern in Blumentöpfen vor dem Altare.

Unser eigener kleiner Priester brauchte weder zu predigen noch die Messe zu lesen. Er war Wirt und zumeist erfüllt von dem großen Mittagessen für vierzig Personen, das er nach dem Gottesdienste geben sollte. Er kniete mit den anderen vor dem Altare, aber ich las seine Gedanken. Er spricht nie über seinen Glauben, aber aus seinem Sprechen ersieht man, dass er ungefähr wie wir anderen denkt. So geht es immer mit den Priestern, die einige Jahre in Born studiert haben Der dortige Aufenthalt ist für die Kultur fördernder als für den Glauben. Dieser ist am heißesten bei den Bedauernswerten, die unmittelbar von den polnischen Seminarien die Predigtkanzel betreten. Die armen Priester hatten übrigens einen harten Tag. Nicht weniger als 400 Bauern meldeten sich zur Beichte und nur 13 Priester konnten die Beichte entgegennehmen. Sie sanken vor Müdigkeit um. Zum Glück trösteten sie sich später.

Man kann sich keinen schärferen Kontrast vorstellen, als das Verhältnis der russischen und der polnischen Bauern zur Religion und ihren Verkündern. So orthodox der russische Bauer auch ist, immer ist der Pope für ihn, wie überhaupt für jeden Russen, ein sehr untergeordnetes, halb komisches, halb verachtetes Wesen. Ihm zu begegnen ist von schlechter Vorbedeutung. Der Pope unterscheidet sich in der Bildung nicht sehr von dem Bauer, da er aber mehr Geld hat, ist er in der Lage, sich öfters betrinken zu können, und sein Leben und Wirken auf dem Lande besteht in Wirklichkeit darin, dass ein Rausch den anderen ablöst. Der polnische Bauer hat dagegen Ehrfurcht vor seinem Priester. Ja, die Autorität des katholischen Priesters ist das einzige, was sich durch alle Zeiten in Polen unbedingt, unbestritten erhalten hat. Der Priester hat die Macht, den Sinn der Bauern nach seinem Willen zu lenken. Das zeigt sich jedesmal nach Abhaltung der Beichte. Nicht selten, wenn ein Diebstahl begangen ist, kommt der Priester und bringt das Gestohlene zurück. Der Bauer bringt es nicht selbst, aber in seiner Angst gibt er es dem Priester zur weiteren Besorgung an den Besitzer.

Die Religiosität des russischen Bauern schließt eine gewisse Juristerei nicht aus, und in seinem Verhältnis zu den Heiligen liegt eine bedeutende Schlauheit. — Ein russischer Bauer war mit Pferd und Wagen auf Eis geraten, das dem Bersten nahe war, und in seiner Not gelobte er St. Nikolaj den Wert des Pferdes, falls er mit seinem Fuhrwerk lebend das Land erreichen würde. Das geschah, und all sein Sinnen ging nun darauf aus, wie er sich aus der Sache ziehen könne, ohne dem Heiligen das gegebene Wort zu brechen. Das Pferd war mehr als hundert Rubel wert und diesen Verlust wollte er ungern tragen. Endlich fand er einen Ausweg. Er ging mit seinem Pferde zum Markt, fand auch einen Käufer. Was verlangst du fürs Pferd? frug dieser. — 5 Rubel, war die Antwort. — 5 Rubel, du scherzest wohl, aber das gebe ich natürlich. — Gut, sagte der Bauer, aber ich habe beschlossen, es nicht ohne diese Henne zu verkaufen, die ich auf dem Rücken trage. — Und was kostet sie? — 95 Rubel. — Sie einigten sich, und der Heilige erhielt seine 5 Rubel. — Der polnische Bauer steht zu seinen Heiligen in einem naiveren Verhältnisse. Er hat nicht das Feuer der italienischen Bauern, noch ihren Fanatismus im Anrufen, aber er liegt im Gebet versunken vor den Bildern. Das konnte man gestern deutlich sehen.

Nach dem Gottesdienste fand bei unserem jungen Priester das große Mittagessen statt für alle die anderen Priester und Gutsbesitzer und Honoratioren der Gegend. Es waren, wie gesagt, vierzig Personen. Da unser Priester nur 150 Rubel jährliches Gehalt hat und mit allen Sporteln es nicht auf mehr als 6 — 700 Rubel bringt, kann er selbst nicht solche Mittagessen geben. Aber es ist auch Sitte, dass man ihm vom Gute alles schickt, Essen und Trinken, Tischgedecke, Schüsseln, Teller und Gläser. Die Sache war gestern besonders schwierig, weil das Kirchenfest auf einen Freitag fiel und folglich kein Fleisch gegessen werden durfte. Unsere Wirtin ließ in Warschau vier, fünf verschiedene Arten von Fisch kaufen, zwei bis drei Sorten Schaltiere, und schon am vorhergehenden Tage war auf dem Gute alles in Wirksamkeit. Unser Koch, der seine Kunst in Paris studiert hat und der außerdem Bäcker und Konditor ist, übertraf sich selbst. Die Lachse und Hechte mächtigen Umfanges lagen auf schweren Schüsseln, der Wein wurde in Fässern aus dem Keller gerollt, und vom frühen Morgen an gingen in beständiger Prozession alle Bedienstete des Gutes hin und zurück, trugen Schüsseln und Körbe mit allerlei Herrlichkeiten die tausend Schritte hin, die uns vom Pfarrhofe trennen.

Da saßen nun die dreizehn Priester und die übrigen feinen Leute, bald in zwei geräumigen Stuben untergebracht, und feierten den Fasttag. In der Predigt war gesagt worden, dass die wahre Religion nicht finster und verdrießlich, sondern stets fröhlich sei; und über dieses Wort hielten die braven Geistlichen manche muntere Tischrede. Doch das muss man ihnen lassen, sie aßen mehr als sie sprachen, und tranken mehr als sie aßen. Bordeaux und Burgunder und weißer Ungarwein verschwanden mit solcher Geschwindigkeit hinter den geistlichen Westen, dass alle Augenblicke ein Eilbote nach dem Gutshofe abgeschickt wurde mit einem Zettel, worauf bald dieses, bald jenes aus dem Keller requiriert wurde. Sie tranken reichlich wie gute Polen, und doch sagte niemand ein Wort zu viel; denn die jüngeren Priester wollten sich in der Nähe ihrer Vorgesetzten keine Blöße geben, und diese vergaßen nicht, sich in Respekt zu halten. Aber meinen Freund Franciszek am Tischende diesem geistlichen Mittagessen präsidieren zu sehen und als Festgeber gepriesen zu hören, als Patron der Kirche, als größten religiösen Wohltäter der Gegend, — was kann nicht alles aus einem Weltkinde werden, wenn es wohlhabend, geistreich und verschwenderisch ist.

Wahrscheinlich waren verschiedene der Priester nicht gläubiger als er. Die begabteren unter ihnen hatten alle die römische Schule durchgemacht. Aber die niedere Volksklasse erschüttert in ihrem Glauben keine Erfahrung. Das vernunftwidrigste, grausamste Ereignis erhöht nur noch ihren Glauben an die Vorsorge der Vorsehung. Man höre nur die folgende polnische Volkssage, die Sienkiewicz meisterhaft in seinen Novellen behandelt hat.

Ein Bauernknabe ging eines Tages an einem hohlen Baum vorüber und bemerkte, dass jemand im Baume war. Er trat näher und sah, dass der Tod fest schlafend darin saß. Schnell schlug er einen großen Pfropfen in das Loch, und als der Tod erwachte, war er gefangen. Von nun an herrschte Jubel in dem Dorfe. Es gab keine Tote mehr, keine Begräbnisse; niemand trauerte. Aber die Freude war nicht von langer Dauer. Denn da niemand starb, war alles bald überfüllt, und die Erde gab nicht genug Nahrung für so viele. Man war also genötigt, den Pfropfen wieder aus dem Baume zu ziehen. Der Tod wurde frei, eilte sofort zu Christus und bat um Geheiß, wen er zuerst mähen solle. Christus nannte einen Namen. Es war eine Mutter von fünf Kindern, und als der Tod zu ihr kam, erschreckte sie sehr, mehr der kleinen Kinder als ihrer selbst willen. Sie warf sich auf die Knie, flehte den Tod an und sagte: „Du siehst selbst, dass es eine Grausamkeit ist, mich fortzunehmen. Was soll denn aus meinen fünf Kleinen werden, denen ich täglich die Nahrung schaffe, wenn ich fort bin und nicht mehr für sie sorgen kann. Sie werden jämmerlich umkommen. Ich bitte dich, kehr' wieder um!" — Da eilte der Tod, trotz des erhaltenen Gebotes, wiederum zu Christus und legte ihm die Sache vor und frug um Befehl. Christus gab zuerst dem Tod zwei kräftige Ohrfeigen für seinen Ungehorsam hier verspürt man die Erfahrung des Bauern und sagte dann: „Fliege über den Ozean, tauche unter, wo er am tiefsten ist, und bringe mir den kleinen weißen Stein, den du dort findest." Der Tod tauchte unter, fand den Stein und brachte ihn. — Christus sagte: „Knacke ihn mit deinen Zähnen." — Es war hart für die fleischlosen Kinnbacken des Todes, aber er wurde geknackt und in seinem Innern lag ein kleiner lebender Wurm(!). Da sagte Christus: „Nun siehst du, ich wusste, dass in dem kleinen Steine, der auf dem Meeresgrunde verborgen lag, sich ein Wurm befand, sollte ich, der das weiß, nicht bedacht haben, wie es den fünf Kindern ergehen würde, die durch mein Gebot mutterlos werden. Vorwärts! und töte sofort die Mutter!"

Ein solcher Glaube ist für das Volk erforderlich, damit es in einem Lande und unter einem Regiment, wo man das Eingreifen der Vorsehung gerade nicht mit besonderer Deutlichkeit verspürt, hinsichtlich der Pläne der Vorsehung nicht unsicher werde.