- 09 - Eva hoffte, seine Gedanken durch den neuen Einfall für eine Zeitlang zu fesseln und gab ihm ...

Eva hoffte, seine Gedanken durch den neuen Einfall für eine Zeitlang zu fesseln und gab ihm eine Summe für das Nötigste. Ihlenpohl ging aufgeblasen davon, ließ sich eine Kokarde an den Hut nähen, die dreimal so groß war als die üblichen des Landsturms, kaufte sich einen schweren Reitersäbel, den wegen des Nachschleppens keiner bisher hatte tragen mögen, gürtete sich eine rote Schärpe um, trank dazwischen tüchtig, um sich rechte Würde und vollen Glanz geben zu können, und stolzierte so in gezierter Haltung und doch recht unsicher und noch mehr hochmutsvoll dem Schall der Trompete zu, die eben wieder von einem Weidenstumpf herunterklang. Der Landsturm rückte heran, vom langen Üben schon reichlich müde und verdrossen, Gellert beabsichtigte, seine Schar zum Mittag nach Hause zu führen.
Ihlenpohl stellte sich ohne ein Wort zu sagen neben den Hauptmann, musterte überlegen die Antretenden, ließ den Eindruck seiner Person voll auf alle wirken und bemühte sich still zu stehen, was ihm aber nicht gelang. Da trat ein Unteroffizier aus der Reihe, faßte seine Kokarde, riß sie ab und stampfte sie verächtlich unter die Füße, ein zweiter trieb ihm mit einem Schlag den Hut tief über das Gesicht, ein dritter schnitt ihm den Riemen seines Säbels durch, und da ihm dabei die Waffe zwischen die Beine kam, so fiel er, ein vierter zog die rostige Klinge und prügelte auf ihn ein, im Nu wurde er so von den Fäusten der erbitterten Männer, die ihre heilige Sache durch ihn geschändet sahen, zerbläut, daß er sich erst lange nachher besinnen konnte, nachdem der Hauptmann die Kompagnie geordnet und nach Hause zurückgeführt hatte.
Daheim entlud sich ein arges Unwetter über Eva, das erste solcher Art, das sie überhaupt von den Pflegeeltern auszuhalten hatte. Sonst war sie von Gellert gegen die erregten Worte seiner Frau stets in Schutz genommen, noch hatte er ihr nie ein böses Wort gesagt, nun aber warf er zornig seinen Hauptmannshut, den er sich von der Schützenzunft geliehen hatte, auf den Tisch.
„Die ganze Kompagnie ist von dem Lumpen entehrt, und daran bist du schuld.“
„Woher hat er das Geld zu seiner Maskerade? Du hast es ihm gegeben, und ich habe gesagt, das solle und dürfe nicht sein.“
„Hast du ihn wieder einmal aufgesucht? was, hier in der Küche war er? Und ich habe ihm gedroht, ich wollte ihm alle Knochen entzweischlagen, wenn er über diese Schwelle käme.“
„Seine Knochen wird er schon fühlen,“ - ein bitter-höhnisches Lachen - „aber du? willst du denn keine Räsong annehmen? willst du den verkommenen Menschen nicht endlich appandonnieren? Antworte doch! ist so etwas menschenmöglich, da sitzt sie und sieht mich stumm an.“
„Ei was, stumm oder nicht stumm, ich will das Geziehe mit dem Kerl nicht mehr haben. Er hat das Heiligste, was unser Volk besitzt, entweiht, verhöhnt, frech verspottet, hier kann er nicht länger in der Stadt bleiben, fort soll der Kerl, so wahr ich Hauptmann bin.“
„Eben erst hat man mit Mühe und Not die bösen Mäuler verstummen gemacht, nun soll es wieder gegen dich losgehen? Das will ich nicht noch einmal suffrieren, was ich das letzte Jahr durchgemacht habe, du mußt von dem deshonnierten Manne los, wir wollen uns nicht mit in den Schmutz hineinziehen lassen.“
So fuhr es auf Eva ein, die kaum begreifen konnte, um was es sich handelte. Nur daß wieder etwas Entehrendes von ihrem Vater geschehen und daß er diesmal schwer dafür gestraft war, das verstand sie. Und als die Eltern sich zur Stube wandten, vielleicht weil sie den stummen Blicken der Tochter gegenüber allmählich sich entwaffnet fühlten, ging Eva ins Nebenhaus, um den Vater auf seiner Kammer zu erwarten.
Der kam auch in zerrissenem Rock, durch den Staub geschleppt und zerschlagen, aber durchaus nicht gestillt. Wie ein Tobsüchtiger wütete er über die Schmach, die ihm angetan, er wollte mit seiner Beschwerde an die Behörden in Schwerin gehen, die ganze Kompagnie müßte als ehrlos aufgelöst werden, Genugtuung wollte er haben. Er hörte nicht auf Evas Bitten, wechselte den Rock, um sofort aufs Rathaus zu gehen und seine Beschwerde zu Protokoll zu geben, stolz und aufgeblasen ging er zur Tür hinaus, den einen Fuß schleppte er nach, und den einen Arm konnte er nur mit Schmerzen heben. An Prügel war er vielleicht auf seinen Wanderungen hinreichend gewöhnt worden.
Eva saß wartend in der Kammer. Noch war sie ganz betäubt von dem Erlebten, so hatte sie die Eltern niemals gesehen, sie hatte es überhaupt für unmöglich gehalten, daß sie jemals so zu ihr reden könnten. Ihren Vater sollte sie verlassen, sollte ihn verstoßen? Immer hatte sie an ihm gearbeitet und für ihn gesorgt und hatte gerade in letzter Zeit geglaubt, an Einfluß zum Guten gewonnen zu haben, hatte der Erhebung der Zeit vertraut, er war nachgiebiger geworden - o Gott - sie fuhr erschrocken zusammen, als hätte ihr jemand einen Schlag versetzt - der Mann hatte das vielleicht nur getan, um ihr Vertrauen und dadurch ihr Erbe zu gewinnen. Sie rang die Hände und fand keinen Ausweg aus der neuen bittern Not.
Der Nachmittag verging, die Dämmerung kam, sie hatte sich noch nicht vom Platze gerührt. Dann stolperten Schritte die Treppe heraus, statt des Vaters trat lächelnd ein fremder, frecher, zudringlicher Mann ein, der sofort versuchte, sie zu umarmen. Eva flüchtete sich hinter den Tisch und erklärte, daß sie zum Fenster hinaus die ganze Straße um Hilfe anrufen würde.
,,Ei, warum so närrisch sein und sich zieren?“ fragte er mit rohem Ton. „Ihr Vater hat mich selbst hergebracht und muß Sie doch kennen.“
Aber die reinen Züge waren so voll Jammers, daß der Fremde wie an seinen Platz gebannt war und sie ganz überrascht ansah, er sagte kein Wort mehr, bald wandelte sich sein Blick und wurde verlegen, dann geradezu bestürzt, still wandte er sich ab und ging hinaus. Draußen empfing ihn Ihlenpohl, er wollte seinen Augen einen schelmischen Ausdruck geben und sah ganz greulich in seinem Zustande dabei aus.
„Sie sind ein ganz erbärmlicher Schuft,“ sagte der Fremde, schob ihn hart gegen die Wand und ging davon.
Ihlenpohl starrte ihm nach und besann sich erst langsam darauf, was das alles bedeutete. Allmählich wandelte sich sein Gesichtsausdruck, er nahm etwas roh Tierisches an in Enttäuschung und Wut, dann richtete sich der Trunkene schwerfällig von der Wand auf und öffnete die Tür.
Eva wollte an ihm vorbeigehen, er fuhr auf sie zu, packte sie an den Haaren und riß sie zurück. „Ei - du - du - du,“ kreischte er, weil seine Stimme sich in dem Rasen überschlug, „ich meinte es so gut, die Taschen hatte er voll Geld und versprach mir eine Handvoll. Du Dirne, du machst mich zum Narren, zum erbärmlichen Schuft? Soll ich denn heute mich von allen unterkriegen lassen? Da sollst du dich irren - da sollst du dich irren - du - dich irren!“ Er begleitete die letzten Worte noch mit so wuchtigen Hieben, daß das Mädchen, das so lange geschwiegen, mit Wehruf zusammenbrach. Ihn schmerzten seine Glieber, er warf sich keuchend und schnaubend auf einen Stuhl in der Nähe der Tür und drohte mit der Faust noch zu ihr hin und suchte mit den Augen offenbar nach einem Gegenstand, den er nach ihr schleudern konnte.
Eva erhob sich mühsam und wankte, indem sie sich schwer auf den Tisch stützte, zu dem Fenster, ohne zu wissen, warum, vielleicht nur im unbewußten Triebe der Selbsterhaltung, Hilfe herbeirufen zu können, denn der Rasende sah so scheußlich aus, daß man ihm einen mörderischen Anfall zutrauen konnte.
„Die Franzosen kommen heran, du, man sagt, sie kommen wieder, und dann will ich ihnen mitteilen, wer du bist, das will ich ganz gewiß, will ich ganz gewiß, ganz gewiß.“ Er schüttelte wieder die Faust und beugte sich vor, um den Eindruck dieser Drohung zu sehen. Der letzte scheidende Sonnenstrahl fiel auf das blasse Gesicht. Und wie er das so ins Auge faßte, verlor er plötzlich die Haltung und mußte sich auf dem Stuhl zurücklehnen und sich anklammern, sonst wäre er gefallen.
„Was ist das!“ murmelte ei nach einer Weile scheu und deckte die Hand über die Augen. „Was ist das? da ist sie wieder - ich werde sie nicht los.“
Als er es wagte, zu dem Fenster hinzusehen, war Eva verschwunden. Sie taumelte halb betäubt die Treppe hinunter, be-sann sich aber auf ihr jämmerlich zerzaustes Aussehen, kehrte um und ging aus Trautmanns Zimmer. Der war nicht zu Hause, darum ordnete sie zunächst ihr Haar und Gewand, daß niemand von dem Entsetzlichen, was geschehen war, etwas ahnen sollte, ihre Knie zitterten, sie mußte sich setzen, alles um sie her schien sich zu drehen. Sie faßte ihren Kopf mit beiden Händen, laut auf hätte sie in ihrem Schmerz schreien mögen und durfte doch nicht, es sollte ja niemand davon wissen. Eins nur war ihr klar, fort mußte sie und wollte sie aus dieser furchtbaren Lage. Der verkommene Mann da drüben ging nicht und ließ sie nicht los, ihre Pflegeeltern aber wollten nichts von ihr wissen, wenn sie ihn nicht verstieß, und er war und blieb ihr Vater. Fort mußte sie, sonst ging sie zugrunde. Fort mußte sie, Matthies zu suchen, den einzigen, der sie halten und retten konnte, mit ihm, wie sie einst verabredet hatten, in den Krieg, und das Weitere mochte Gott wissen.
Sie zog ein Blatt Papier, das auf dem Tisch lag, heran, ein Gedicht stand daraus, aber die Rückseite war frei, darauf schrieb sie mit zitternder Hand und unter immer erneutem Ansetzen, der alte väterliche Freund möchte die Verwaltung ihres Vermögens in die Hand nehmen, einen Teil nach Ermessen für die Ausrüstung seiner Kampfmassen verwenden, alles übrige an ihre Pflegeeltern geben, damit diese sich wieder einrichten und ihr Geschäft in alter Weise hoch bringen könnten. Sie wollte gehen Matthies zu suchen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!