- 10 - Der Zettel blieb auf dem Tische liegen, sie schlich die Treppe hinab und gewann nun, da ihr Entschluß ...

Der Zettel blieb auf dem Tische liegen, sie schlich die Treppe hinab und gewann nun, da ihr Entschluß fest stand, draußen ihre Haltung wieder. Um durch die Hoftür unbemerkt auf ihr Zimmer zu kommen und die nötige Kleidung sich zu holen, bog sie in die Tüsche ein da begegnete ihr Frau Scholte. „Ei, mein Kleining, wie sehen Sie aus? Ist Ihnen etwas Schlimmes geschehen?“ fragte die große Frau, beugte sich teilnehmend vor und klopfte sanft den Rücken des Mädchens, dem schoß ein neuer Gedanke durch den Sinn. „Liebe Frau Scholte,“ sagte Eva, „ich muß eine Summe Geldes haben, fragen Sie mich nicht, wozu, ich wage es nicht auszusprechen. Nur sagen Sie mir, ob Sie sie mir leihen können.“
,,Hm, hm,“ brummte Frau Scholte, „doch nicht für den versoffenen Alten?“ Eva schüttelte den Kopf.
„Na, ist gut. Jetzt gleich? ja! und viel? he? So ‘n fünfzig Taler? Die hab ich wohl gerade liegen, morgen könnten’s mehr sein, ich will nämlich fort, ich muß etwas zu tun haben, wo hier alles sich rührt.“
,,Morgen ist es zu spät,“ sagte Eva. „Ich muß nach mehr bitten. Möchten Sie morgen zu dem Rektor Trautmann gehen und sich da melden wegen der Rückzahlung? Er verwaltet mein Vermögen.“
„Kommen Sie mit mir, Kleining, das wird sich alles finden.“ Frau Scholte sah es Eva an, daß man ihr nicht viel Redens zumuten konnte, sie faßte den Arm des Mädchens und leitete es in ihr Haus. - Das Gellertsche Ehepaar saß am Abend und wartete auf Eva, aber sie erschien nicht und da warteten beide die halbe Nacht und gingen endlich seufzend zu Bett, in der Annahme, daß sie in Mademoiselles Wohnung, die ja noch voll eingerichtet war, übernachten würde. Der nächste Morgen kam, Eva stellte sich nicht ein. Das war fast beängstigend, aber sie hatten das Kind beide so heftig angefahren, da würde es verschüchtert sein. Nachgehen und nachgeben? Nein, nein, es mußte die Sache mit dem verkommenen Menschen jetzt endlich einmal ganz abgetan werden, sein lästerliches Benehmen hatte seinen Aufenthalt in Gadebusch unmöglich gemacht. Also ging der Haupt-mann wieder an seine Pflicht, und der Strickstrumpf folgte in der stillen Annahme, daß Eva erwägen würde, daß die Eltern zu Mittag versorgt werden müßten, und dann würde ihre Gewissenhaftigkeit ihr schon den rechten Platz zeigen.
Draußen am Fuße des Galgenberges ging es bald heiß her, es galt, Hinterhalte an der Landstraße zu finden und auszunutzen, und das Gelände war schwierig zu beherrschen. Während der Hauptmann sich einmal eine Pause gönnte und den Schweiß abwischte, sah er einen Reiter daherkommen, der ihm bekannt schien. Hei, das war ja der Vietlübber Herr. Was hatte der hier zu tun? und trug den rechten Arm in der Binde und ritt gegen seine Gewohnheit ganz langsam? Von allen Seiten kam der Landsturm ungerufen herbei, sie hatten ihn alle erkannt und begrüßten ihn mit frohem Zuruf, er dankte still und sah sehr blaß aus.
„Macht euch nur nach Hause, Kameraden,“ sagte er, „legt die Waffen beiseite und versteckt sie gut, hier ist zunächst alles vorbei. Ich komme von Vellahn, Davoust ist mit seiner ganzen Armee im Anrücken und hat gestern dort Wallmoden mit seiner kleinen Schar zurückgedrängt, ich habe einen Denkzettel davongetragen. Halten kann er sich hier nicht, weil der Schwede ihn im Stich läßt, morgen ist Davoust schon bestimmt in Schwerin, und übermorgen können die Franzosen dann hier sein.“
„Oho!“ sagte Gellert, „und wir?“ Er stand da und hielt seine Waffe fest gepackt.
„Ein Widerstand wäre Unsinn, gegen eine Division regulärer Truppen kann der ganze Mecklenburger Landsturm nichts ausrichten. Lebt wohl, Kameraden, ich muß nach Hause reiten, die Kugel ist hier oben durch und durch gegangen, und mit meinem Dienst ist es einstweilen vorbei.“
Man sah es ihm an, daß er sich kaum zu Pferde halten konnte, ein achtungsvolles Schweigen gab ihm das Geleit.
Die Stadt war bald in höchster Aufregung, Frauen liefen händeringend über die Straße, Männer waren dabei zu packen und zu verbergen, alle fürchteten von dem übermächtigen Feinde die schwerste Rache. Der kleine Kreis, der Eva mit seiner Liebe umgeben hatte, trug daneben noch seine besondere Sorge, denn der Zettel, den Trautmann gefunden, und die Auskunft, die Frau Scholte gegeben hatte, ließen keinen Zweifel über den verzweifelten Entschluß des Mädchens. Endlich wurde der Rektor abgeschickt, um den Versuch zu machen, aus Ihlenpohl, den man als schuldig sofort in Verdacht hatte, Näheres zu erfragen.
Der hatte seinen Rausch ausgeschlafen und saß gedrückt und still für sich. War er sich über seine eigene erbärmliche Handlung gar nicht klar, oder wollte er sein Gewissen mit Prahlereien von väterlicher Fürsorge und kräftiger Erziehung belügen? Es wurde dem Rektor nicht schwer, das Wesentlichste aus ihm herauszuholen, und er sah mit wahrhaftem Grauen in diesen Abgrund von Verworfenheit, sein Herz bebte unter dem Jammer, der auf das einsame Kind eingestürmt war.
„Mann, Mann, was haben Sie getan?“ brach er heraus. „Ein Seelenverkäufer sind Sie! So haben Sie das Kind einst verkauft, nun wollten Sie die Erwachsene verderben, und zum Schluß haben Sie das junge Mädchen dahingebracht, daß es allein durch das aufgeregte Land irrt, durch das sich nicht ein einzelner Mann wagt. Alle Heiligtümer haben Sie geschändet. Haben Sie überhaupt noch einen Platz in der Welt, wohin Sie Ihre Zuflucht nehmen können? Ich sage Ihnen, der Blick Evas wird Sie anklagend verfolgen bis in Ihre letzte Stunde. Und wenn Sie dann verlassen draußen im Winkel verkommen, dann denken Sie an das, was Sie an Ihrer Tochter getan haben.“
Als er gegangen war, saß Ihlenpohl noch lange betäubt da. Der Mann, der immer so nachsichtig und die Güte selbst gegen ihn gewesen war, hatte in seinem Zorn etwas Fürchterliches, die Blitze seiner Augen flammten noch immer auf den Verkommenen nieder, als wäre er anwesend. Dann tastete Ihlenpohl unsicher nach der Flasche, und er trank. Wütend schlug er auf den Tisch. „Her soll sie wieder! her soll sie wieder!“
Wieder trank er. „Was wollte der - der Alte - hm - sagen? - Blick? Was wollte er damit - sagen? - he? - Wer sieht mich da an? - Pah, es ist nichts.“ Er trank immer hastiger. „Der Blick? - Was wird er? -“ Er sah sich scheu um. „Dafür wirst du - was meint sie?“ Er trank und stand auf. „Ich will fort - ich will - ganz fort - ganz fort - den Blick halt ich nicht aus.“
Als er über die Straße taumelte, da hörten die Leute, daß er vor sich hinsprach: „Seelenverkäufer - dafür wirst du - dafür wirst du.“ Und die letzten sahen, daß er zur Radegast hinunterging und glaubten, er wollte sich irgendwo vor den Franzosen verstecken. Keiner hatte Zeit und Neigung, sich mit ihm zu befassen. Durch Krähen aufmerksam gemacht fand lange hernach erst ein Fischer irgendwo seine Leiche im Wasser hinter dem Schilf treiben und erhielt den Auftrag, sie am Ufer in dem Wiesengrunde einzuscharren.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!