- 08 - Und endlich kamen die Verordnungen zur Errichtung von Landwehr und Landsturm, die gaben ...

Und endlich kamen die Verordnungen zur Errichtung von Landwehr und Landsturm, die gaben allem Streben eine bestimmte Aufgabe. Die Alten wollten Trautmann als Hauptmann haben, aber der wies darauf hin, daß eine Kraft an der Spitze stehen müßte, die im entscheidenden Augenblicke nicht versagte, und so wählte man Gellert. Hinter dem standen zwei heimliche Adjutanten für Strategie und Taktik. Ollhöft, der früher über jede Volksbewaffnung gelacht hatte und das Heil nur von der Linie erwartet, war durch Spanien und Tirol und deren Anfstände bekehrt und stampfte nun Abend für Abend, wenn er sein Tor geschlossen hatte, zu dem neuen Hauptmann, um ihn im Kleinkrieg zu unterweisen. Der Landsturm mit den älteren Leuten hatte nach seiner Ansicht noch tüchtige Muskeln und Knochen, aber keinen langen Atem und keine ausreichenden Waffen. Die Gewehre der Schützenzunft, soviel man davon gerettet hatte, waren der Landwehr überwiesen, der Landsturm mußte mit Piken sich behelfen, er paßte also nur für den nahen Hinterhalt, um rasch an den Gegner im Handgemenge zu kommen, am besten an einem Tage, an dem es lange geregnet hatte, daß die feindlichen Gewehre nicht losgingen.
Frau Gellert marschierte Tag für Tag zur Übung mit hinaus, stand mit einem Strickstrumpf daneben, beäugte sehr genau alle Bewegungen und gab dann ihr Urteil ab, das bald gefürchteter war, als das des Hauptmanns. Von allen Gadebuschern waren diese beiden Adjutanten die beharrlichsten und eifrigsten. Trautmann stand im Gliede, lang und dünn und ganz gerade, als müßte er mit seinem Pike wetteifern in Haltung, und wenn das Kommando rechtsum kam, dann drehte er sich links, sein Vormann schimpfte, daß er ihm auf die Hacken träte und verlangte, der Rektor solle die Nase nicht immer gen Himmel recken, sondern auf seine Füße sehen. Der Tagelöhner Beutin wollte seine kurze Pfeise durchaus im Gliede nicht missen, denn er hatte sich so an sie gewöhnt, daß sie morgens sein erster und abends sein letzter Griff war. Aber Gellert war unerbittlich, und so gab er sie mürrisch an einen Außenstehenden, damit der sie ihm in Brand halte für die Pausen.
„Sie sehen ja so melioriert im Gesicht aus,“ mußte Frau Gellert bald fragen. „Ist Ihnen nicht gut?“
„Weiß der Teufel, was für Zeugs der in seiner Pfeife hat,“ lautete die Antwort, er bohrte nach und zog Seegrasfäden heraus, denn Beutin rauchte schon lange aus einer alten Matratze, vergnügt über die unerschöpfliche Fundgrube.
Am meisten Verwirrung kam, wenn der Hauptmann seine Truppen hinter Verhauen, Dungwagen, Gräben und Gebüschen versteckt hatte und zum Sammeln blasen ließ, er tat es gern, denn sein Trompeter, der alte Stadtmusikus, blies prachtvoll: daun rannte der eine Teil tapfer davon, weil er ein Rückzugssignal zu hören glaubte, der zweite stürmte so eiligst herbei, daß der Trompeter schon zweimal über den Haufen gerannt war und darum zukünftig nur blasen wollte, nachdem er einen Baum oder einen sicheren Zufluchtsort gefunden hatte; der dritte Teil blieb liegen und meinte, daß man sich nicht zum Narren halten lassen dürfte, erst würde man umständlich dahingestellt und, kaum daß man sich einen bequemen Platz gesucht, sollte man schon wieder fort.
Der Hauptmann, dem die abendlichen Kritiken sehr lästig wurden, verlegte seinen Übungsplatz allmählich weiter ins Freie, jenseits des Sees, gar auf ein Dorf, wie Ollhöft geraten, zur Übung im Straßenkampf, aber der Strickstrumpf folgte ganz unfehlbar den feinsten Schlichen und lernte seinerseits durch allerlei Knoten und Schleifen das Gedächtnis der Frau Hauptmann stärken, und endlich hatten alle nur noch den einen Wunsch, recht bald an den Feind zu kommen, um dort vor den scharfen Blicken und Worten geborgen zu sein.
Inmitten dieses bewegten Spieles übersahen die beiden Eheleute diejenige ganz, die bisher immer im Mittelpunkte ihrer Gedanken gestanden hatte.
Eva war lange durch die Pflege der Mademoiselle so in Anspruch genommen gewesen, daß ihre Eltern sich an ihre Abwesenheit gewöhnt hatten. Nun war Clothilde begraben, Eva war ihre Erbin und hatte den Haushalt Gellerts wieder übernommen, ihre Gedanken freilich waren anderswo. Weithin über das Land eilten sie, dorthin wo Matthies war, und Matthies war ohne Frage dort, wo der Krieg am wildesten tobte. Das hatten die beiden ja einst genügend unter sich ausgemacht, sie müßten dabei sein, wenn das Losschlagen begönne. O wie dieses kleine tapfere Herz sich sehnte nach Tätigkeit bei der starken Volksbewegung, nach Arbeit für das große Ganze. Und es mußte nun hier in der Küche seinen traurigen Schlag tun beim Schaben und Schälen und Scheuern. Zuweilen eilte sie zu Ollhöft und sah zu, wie er seinen Ärger gegen die Saatkrähen ausließ, denn die waren wieder da und ließen sich nicht vertreiben, trotzdem er sich die Erlaubnis ausgewirkt hatte, vor dem Tore nach ihnen zu schießen. Dann stand Eva und sah zu, wie der Alte sein Gewehr handhabte und es stets sauber hielt, auch rang sie ihm das Zugeständnis ab, es laden zu dürfen, und regierte bald zu seinem Erstaunen den eisernen Ladestock so flink und sicher wie ein gedienter Soldat. Nur abdrücken sollte sie nicht, weil er fürchtete, daß der Stoß ihre seine Schulter aus dem Gelenk treiben würde. Wenn sie doch auch in den Kampf hineingehen dürfte - an der Seite von Matthies - nein, das würde er nicht leiden - hinter der stürmenden Schar her, die Verwundeten zu verbinden, die Sterbenden zu trösten, die Durstigen zu laben und dann am Abend am Wachtfeuer ängstlich nach Matthies gesucht, da war er - so grübelte sie, wenn sie wieder in der Küche saß. Ach, er wollte ja nichts von ihr wissen, noch immer hielt er sein Herz fest zu, denn wenn einmal eine kurze Nachricht von ihm eingelaufen war, so war ihrer nicht darin gedacht - kein liebes Wort, kein Gruß - -Sollte das der Inhalt und Erfolg ihres jungen Lebens sein, in dem sie immer, immer hatte kämpfen und sich wehren müssen, daß sie in diesem entscheidenden Kampfe unterlag? Nein, sie mußte noch einmal fort in die Fremde, Matthies zu suchen und ihm zu sagen, daß sie seiner wert wäre, sonst käme er nie wieder. Sie schrie in Schrecken auf, denn es klopfte ihr jemand auf die Schulter.
„Ja, siehst du wohl,“ sagte Ihlenpohl, „ich habe meinen leichten Schritt noch bewahrt. Eben bog ich rasch um die Ecke, der Herr Bürgermeister mir entgegen, ich in prachtvollem Sprung schnelle seitwärts über den Rinnstein, eine großartige Volte in der Luft, kaum den Boden mit der Fußspitze berührt, elastisch zurück, und ich stehe hinter ihm. Er sieht mir bewundernd nach. Du glaubst es nicht? Sieh, da ist der Rinnstein, du bist der Bürgermeister -“
„Vater!“ sagte Eva, und weiter sagte sie nichts, der Ton der Stimme aber traf ihn wie schon so oft.
„Pah, vorbei, versunkene Zeiten! Nun aber soll es anders werden, nun soll alles neu werden, nun will ich nicht mehr Tanzschritte machen, jetzt tönt mir eine mahnende Stimme im Busen, daß das Vaterland mich nicht länger entbehren kann. Du siehst mich so an? Ja, du sollst noch etwas Besonderes an mir erleben, du wirst sehen, wie ich an der Spitze von allen, mit Jubel begrüßt, einziehe, und ich werde dich dann grüßen - so - siehst du, in solcher Haltung, eine königliche Handbewegung -“
„Was hast du vor?“ fragte Eva ängstlich.
„Was hast du vor? O pfui, schäme dich, Aschenpuddel. Ist das etwas für die reichste Erbin der Stadt? Gib mir Geld, ich will dir Seide kaufen dich zu kleiden. Gib mir Geld, ich will mir ein Pferd kaufen, zu reiten versteht hier keiner wie ich, und wenn ich so hinausgeritten komme auf das Feld, eine Schärpe um, die Hand leicht auf den Schenkel gesetzt -“
„Ich sagte dir doch, daß das Erbe nicht so groß ist, und ich habe noch nichts erhalten als das wenige, das die Verstorbene im Hause hielt.“
„Und du sitzest hier und bist still zu dem allen? Und merkst es nicht, wie man dich hinhalten und deine Harmlosigkeit ausbeuten und dich um dein Kapital bringen will? Gleich gehst du -“
„Schrei nicht so, Vater, dem Bürgermeister gebührt unser aller Vertrauen.“
„Ja der, ja der! Gib mir Geld, und ich verschaffe dir dein Kapital im Handumdrehen, morgen schon. Gib mir Geld, der Bürgermeister ist alt und -“
„Ich will nichts gegen ihn hören, Vater.“
„Ich sage ja nichts. Gib mir Geld, ich will mir ein Pferd kaufen, die wirren Haufen hier organisieren, ich, der ich oft mit einem Sprung in einen zerfahrenen Haufen der Balletteusen sofort Ordnung gebracht habe. Gib mir Geld, ich muß mich rüsten zum heiligen Krieg, und sobald du dein Kapital hast, ziehen wir hier fort. Ei, was sag ich vom Krieg, zum Teufel damit, ich will nichts vom Krieg, aber die Dehors muß man wahren, nun du reich geworden bist. Würdig reich sein ist schwer. Gib mir Geld, ich muß mich doch in die Reihen stellen.“
„Tu es nicht, Vater,“ rief Eva besorgt, denn sie sah, daß er wieder ziemlich viel getrunken hatte, „man möchte es nicht gut aufnehmen.“
„Was? mich nicht aufnehmen? Sieh mich an, ist einer so gerade gewachsen in der Masse? Hat jemand so wohlgeformte Beine? und diese Arme, jede Bewegung voll Sicherheit - mich nicht aufnehmen! Gib mir Geld, hörst du? Ich will ja auch nur so tun, wie sie alle tun, nur so zum Schein, versprech ich dir. Gefahren mitzumachen bin ich nicht da. Wirst du mir bald Geld geben? Soll ich betteln vor meiner Tochter? Heraus damit, oder ich schlage dir hier alle Töpfe entzwei, und du sollst den Krieg im Frieden kennen lernen. Ich muß mir Waffen laufen und mich rüsten, wie die andern.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!