- 07 - Aber das Paar behielt die Ringe nicht, es lenkte beim Fortgehen die Schritte wie selbstverständlich ...

Aber das Paar behielt die Ringe nicht, es lenkte beim Fortgehen die Schritte wie selbstverständlich zum Rathause und legte die Gabe auf den Sammeltisch nieder, sie hatten ja beide nichts weiter zu geben, und diese Ringe, die durch so viel Liebe geweiht waren, strahlten eine merkwürdige Kraft aus. Sofort begann das Laufen der Massen, um zu opfern, was als das Wertvollste in Haus und Hof erschien. Bargeld mangelte, aber da kam Ballowsch und trug eine Schürze voll wollener Strümpfe herbei und sagte: „Ich hab sie für meinen Sohn gestrickt, wenn der aus Rußland wiederkäme. Aber er ist nicht wiedergekommen. Nun mag sie ein anderer tragen, wer weiß, er begegnet ihm im Himmel und erzählt es ihm.“ Der Ackerbürger Niemann opferte ein gutes Pferd, weil das noch einen Husaren tragen könnte, und er behielt das schlechtere. Silberne Löffel kamen aus den verborgensten Winkeln ans Licht, man prägte hernach in Schwerin davon 100 Taler N 2/3. Trine Bartels brachte in einem Bündel alles, was einst gemeiner Franzosensinn ihr geschenkt hatte, und es lag in ihren Augen ein heimliches Leuchten, als sie ging. Der Schmied Prange schleppte ein Bündel Piken heran. „Ich hab’s geschmiedet in mancher heimlichen Stunde des Zuwartens,“ sagte er, „da steckt ein gut Teil von mir drin.“ „Ich habe gar nichts,“ bekannte der alte Nitzel, „aber wenn’s Botengänge gilt, die kann ich noch umsonst tun, denn laufen kann ich noch trotz meiner Siebzig gegen manchen Jungen.“ Er wurde gleich angestellt. Trauringe, Hafer, Hypothekenscheine, Meerschaumpfeifen, silberne Dosen, Uhren, Leinwand, Schmuck, Sparbüchsen lagen bald zueinander gesellt, und so häufte es sich unter den Händen des Bürgermeisters an, so daß der Stadtschreiber genug zu schreiben hatte, und noch spät am Abend schlichen sich einzelne, die sich ihrer geringen Gaben schämten, heimlich heran, darunter ein altes Mütterchen mit ihrem Gesangbuch und einem Bündel Kamillenblumen, das sie im Sommer zuvor gesammelt hatte, um bei ihren rheumatischen Anfällen sich Umschläge zu machen. Und der lahme Jürgen brachte einen Sack voll Reisigbesen, zu deren Herstellung er im Winter die Birken in den Stadtforsten heimlich und beharrlich geplündert hatte. Es gab in der großen Masse aber rohe Menschen, die anfangs durch die Weihe des Augenblickes niedergehalten waren und erst allmählich sich wiederfanden, der Branntwein half, diese alle wollten auch ihrerseits zeigen, daß sie gleichwertig wären, und es bedurfte nur des Hinweises darauf, daß eine Französin in Gadebusch wohnte, um sofort einen johlenden Aufzug zu schaffen, der seinem Patriotismus durch Katzenmusik und Fenstereinwerfen Luft machte. Die Bande hatte aber nicht mit dem Nachbar Gellert gerechnet, der nahm das erste beste Krummholz und suhr damit in die Masse und schlug auf Köpfe und Schultern, daß es trachte, ganz gleich, wohin er traf, trieb allein die Trunkenen in die Flucht und reinigte die Straße.
Eva war mit Frau Gellert inzwischen zu Mademoiselle Clothilde geeilt. Die war beim ersten Geschrei fast in Krämpfe verfallen, nun aber kam sie wieder zu sich. Außer sich vor Erregung stand sie in ihrer Stube und stampfte zornig mit den Füßen, warf dem schwindenden Tumult einige verächtliche Worte nach, stürzte zum Schreibschrank, langte sich das schmutzige Buch, das der Franzose ihr gelassen hatte, herunter und drückte es ans Herz und küßte es inbrünstig und brach dann unter Weinkrämpfen zusammen. Am nächsten Tage lag sie zu Bett, und bald stellte sich bei ihr ein bösartiges Fieber ein, wie es schon einzelne in der Stadt heimgesucht hatte - ein Vermächtnis der aus Rußland Heimgelehrten. Da erhielt Eva an der Pflege dieser Schwerkranken eine neue Aufgabe. Aber Mademoiselle, die im Geiste einen Kampf sah, in dem sie den Sieg beiden Teilen wünschte, konnte mit diesem Widerspruch nicht fertig werden, so suchte und fand sie den stillen Ausweg für sich allein, indem sie zuletzt noch die milde Hand der lieben Pflegerin segnete. -
Die junge Mannschaft war bald zum Sammelplatz gezogen, und die Zurückbleibenden harrten in banger Erwartung, sie hätten sich gerne weiter betätigt, zuweilen kam ein blinder Lärm, dann zuckten sie auf und langten nach Heugabeln, Äxten und Rodehacken, aber der Widerruf ließ nicht auf sich warten, und Schwanken und Untätigkeit drohten die Bewegung zu ersticken. Endlich scholl die Kunde von einer großen Schlacht, die die Preußen und Russen bei Großgörschen geschlagen hätten, eine Nachricht jagte die andere, zwei Marschälle wären gefallen, Ney wäre tot, Napoleon mit Mühe entronnen, ein herrlicher Sieg vom König von Preußen erfochten, dem waren zwei Pferde unter dem Leibe erschossen, es waren Scharnhorst und Blücher und der Kronprinz von Preußen verwundet, aber nicht gefährlich. O Wonne, o herrliche Gottestat! Ein Tedeum wurde für ganz Mecklenburg angeordnet, alles lag im Freudentaumel. Und dann kam der Rückschlag, es stand ganz anders, die Schlacht war verloren, die Franzosen waren schon in Berlin und hatten fürchterliches Strafgericht gehalten und die halbe Stadt verbrannt.
Nein, doch nicht, das konnte nicht sein, denn es rückten die Schweden von Rostock her nicht nach Berlin, sondern nach Hamburg vor, die wichtige Elbstädt zu decken, die Vortruppen lagen etliche Tage in Gadebusch und wußten bessere Nachricht, waren auch guten Mutes.
Wieder war dann eine Schlacht geschlagen, zwei Tage hatte man bei Bautzen gekämpft, Napoleon war durch das Gesicht geschossen und lag schwerkrank in Dresden, seine Umgebung war ganz ratlos; nun konnte der Frieden nicht mehr fern sein. Und wieder war das alles falsche Kunde, wieder war eine Schlacht verloren. Immer mehr steigerte sich der Schrecken. Vandamme berannte Hamburg, und die mecklenburgischen Landeskinder unter Tettenborn kämpften dort mutig, aber der Kronprinz von Schweden Bernadotte, der während des ganzen Krieges ein zweideutiges Gaukelspiel trieb, gab die Stadt preis, Tettenborn mußte mit seiner geringen Mannschaft der großen Übermacht weichen, Hamburg fiel, die Mitglieder des Rates wurden verhaftet, Rädelsführer in Massen erschossen, die Bürger geknechtet und wie Sklaven zum Schanzdienst getrieben, die Armen, die sich nicht genügend mit Proviant versehen konnten, ohne Erbarmen aus der Stadt gejagt, um draußen elend zu verkommen. Dann kam gar der Waffenstillstand, und man wußte doch, daß bei allen Unterhandlungen die List Napoleons noch immer die Gegner übertroffen hatte.
Aller bemächtigte sich Mutlosigkeit oder Erbitterung. Nein, nicht aller! Eines Morgens fand man die neuen zehn Gebote auf einem Zettel am Rathaufe angeschlagen. Wer hatte das in dieser unsicheren Zeit noch gewagt? Der Rektor Trautmann hatte das getan, er stand mit dem Hammer in der Hand daneben, die Leute drängten heran und lasen und nickten ihm zu. Er tat aber noch mehr. Da war in deutschen Landen ein Dichter, der flammende Lieber in das Volk warf; wo sie trafen, da zündeten sie und fachten an, daß das Feuer wieder heil aufloderte. Wer hatte in Gadebusch, in dem entlegenen Städtchen von ihm gehört? Der Rektor Trautmann! Der ruhte nicht, bis er hierher oder dorther wieder eins herangebracht, der rief Eva und andere schreibfertige Kräfte, und dann flatterten die Blätter durch die Stadt mit den Versen des herrlichen Mannes, dessen Worte wie Stein so fest, wie glühendes Eisen so flammend, wie ein Quell des Lebens so frisch, wie ein Gotteswort so erschütternd wirkte.

Da las man die bittere Frage:


  Und hörst du nicht und siehst du nicht
  Und willst den Schimpf nichtt fühlen?
  Und lässest den Franzosenwicht,
  Den Affen, mit dir spielen?
  Den Ehrendieb, den Freiheitsdieb?
  Hast du so sehr die Schande lieb?
  Der helle Klang der Schwerter
  War deinen Tätern werter.“
  Da kam der flammende Aufruf:
  Zu den Waffen, zu den Waffen!
  Als Männer hat uns Gott geschaffen l“
  und dazu der trotzige Bescheid:
  Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
  Der wollte keine Knechte.
  Drum gab er Säbel, Schwert und Spieß
  Dem Mann in Seine Rechte.“
  und die treue Mahnung:
  nicht Bayern oder Sachsen mehr,
  Nicht Österreich oder Preußen,
  Einn Land. Ein Volk. Ein Herz. Ein Heer,
  Wir wollen Deutsche heißen!“
  und der Trost:
  Deutsche Freiheit, deutscher Gott,
  Deutscher Glaube ohne Spott,
  Deutsches Herz und deutscher Stahl
  Sind vier Helden allzumal.-

Der Mann kannte kein Zagen und Schwanken, in dem brannte der heilige Zorn über die Schmach und die heilige Liebe zum Vaterlande und die heilige Zuversicht auf Gott. Und so schüttete er das, was er in sich barg, in die Herzen des Volkes aus.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!