- 06 - Dieses ganze Vaterland ist jetzt in gemeinsamer Not, dieselbe eiserne Hand fühlt es im Nacken, ...

Dieses ganze Vaterland ist jetzt in gemeinsamer Not, dieselbe eiserne Hand fühlt es im Nacken, dieselben Fremden herrschen in seinen Häusern, alles ist hier und dort aus den Fugen getrieben durch rohe Tyrannei. Und das ist so schwer, daß man sich wundert, daß nicht unser Herz darüber gebrochen ist. Demgegenüber soll gelten, was Blücher gesagt hat zu dem sterbenden Soldaten: Wir wollen uns des Vaterlandes würdig zeigen bis zur letzten Patrone und zum letzten Atemzuge. Der Soldat gab es als heiliges Vermächtnis an dieses edle Mädchen, von dem wir alle lernen können, denn als es noch ein halbes Kind war, hat es im Kugelregen sich des Vaterlandes würdig gezeigt, es hat das Vermächtnis entgegengenommen und treu bewahrt und hat es in dieser heiligen Stunde an uns weitergegeben. Ja, wir nehmen es an, vor allem ihr, ihr jungen Männer, die ihr noch Waffen tragen könnt. Heran jetzt, und zeigt euch des Vaterlandes würdig, mit Blücher voran!
Heran auch, ihr Alten, die ihr nicht Blut und Leben bringen könnt, so gebt denn Hab und Gut. Die große Zeit ist da, und wer sie nicht erkennt, bleibt ein erbärmlicher Mensch sein Leben lang.“
Er hielt inne und wandte sich, um mit Eva die Stufen hinabzusteigen. Da sagte eine ruhige feste Stimme aus dem Haufen: „Ja, ich gehe mit, aber erst will ich mem Mädchen heiraten.“
Es war ein Schustergeselle, ein ganz schlichter Mensch, der so sprach, immer war er im großen Kreise still gewesen, man hatte ihn bei seiner gleichförmigen Weise übersehen. Nun antwortete ihm ein hundertfältiger Ruf, der wie Jubel über endliche Befreiung von schwerem Druck klang. Sein Mädchen hing ihm am Halse, er hatte es fest im Arm und stand sonst wieder da wie immer, in seinem ebenen Gesicht lag aber eine Entschlossenheit, daß jeder sah. Der geht mit und geht nie zurück.
Aus dem Volk drängten zwei Männer sich zu dem Rektor, die beiden Knechte, die die Marodeure im Schnee erstochen hatten, Fritz sah scheu und beklommen drein, Stoffer fragte den tapferen Redner. „Schadt mir das was? kann ich deswegen mit?“ Er hielt die Rechte, die das Messer geführt hatte, hin und sah auf sie und begann un-willkürlich wieder zu reiben, wie er es heimlich unzählige Male getan hatte; der Rektor verstand ihn, denn die blutige Tat war doch nicht verborgen geblieben, faßte sie und schüttelte sie: „Die wird rein im heiligen Krieg.“ Da wandte der Bedrängte sich und sah seinen Gefährten mit glänzenden Augen an, sie fielen sich an die Brust.
„Was wird aus Frau und Kind, wenn ich nicht wiederkomme?“ fragte ein junger stämmiger Tagelöhner heraustretend.
„Die bleiben unser Erbe, und wir werden sie ehren und hegen um deinetwillen,“ sagte der Rektor.
„Nun, dann mag kommen, was will, ich bleibe nicht zurück.“
„Nimm mich mit, Kamerad,“ rief eine laute Stimme vom Hintergrunds „mich ärgert’s, daß andere mir zuvorgekommen sind, ich hätte der erste sein müssen.“ Das war der Vietlübber, der hielt da hoch zu Pferde, und das Tier war weiß von Schaum, so war er geritten, als er erfahren hatte, was in Gadebusch vor sich ging.
Die ganze Masse war in mächtiger Bewegung, immer wieder löste sich einer los, Frauen weinten, aber sie deckten ihre Tränen mit der Schürze, und keine machte den Versuch, die, die sich von ihnen lösten und sich meldeten, zurückzuhalten.
„O Mutter,“ flüsterte Eva, bebend vor Erregung und ihre Augen flammten, „wäre Matthies doch hier. Wir wollten beide mitgehen, er als Reiter und ich als Marketenderin, und nun ist das alles aus.“
„Kind, um Gottes willen, sprich nicht so, alles fängt erst an.“ Frau Gellert war ganz außer sich. Herr Nachbar, ich kann keinen Jungen bringen, nie habe ich das so gefühlt, und mein Mann ist zu alt für einen Feldzug.“
„Sie haben uns dieses Mädchen erzogen,“ sagte Trautmann, „und was das bedeutet, haben Sie heute erlebt.“
„Hörst du, Gellert? sag nichts, Gellert, mehr kann ich nicht aushalten. Wenn ich nur wüßte, was ich - wie ich - Dürten Reimersch - Dürten - komm her und gib mir ‘nen Kuß. So - nun ist alles zwischen uns wieder gut, und wenn ich dir einmal helfen kann, dann komm frei zu mir.“
Die viel Verachtete stand da, ganz mit Blut übergossen. Dann neigte sie sich und wollte den Saum von des Rektors Rock küssen, er aber wehrte ihr und legte ihr freundlich die Hand auf das Haupt. Da war es ihr, als wäre sie unter der Güte dieser beiden Menschen geläutert und von viel Schuld gereinigt.
„Laßt mich durch, ich muß mir Luft machen, sonst geht etwas in mir entzwei!“ rief der Schuster-Altgeselle und drängte sich zum Maurerpolier durch. „Bruder Deutscher!“ Beide lagen sich in den Armen, ihre Anhänger folgten jubelnd ihrem Beispiele.
„Wenn ich mir denke, daß wir uns verprügelt haben, als das Vaterland so litt!“
„Ja, das war so recht eine Schande!“
„Ihr hattet das bessere Teil erwählt, ihr wolltet nichts von den Franzosen wissen!“
„Wir wußten, was wir nicht wollten, aber was wir wollten, wußten wir nicht, da seid ihr uns zuvorgekommen. Sieh einer den Mann da an. Das ist euch eine große Ehre, daß der anfing.“
„Alle fingen an, sobald einer das rechte Wort gab, das war unser Rektor. Potztausend, das war ja gerade so, als wenn er uns die Beichte verhören wollte.“
„Du sollst keine Sklavenketten tragen!“
„Du sollst die Ursachen deines schmählichen Falles nicht immer auf andere abschieben.“
„Du sollst Manneswehr haben und sie gebrauchen lernen.“
„Du sollst an deine gute Sache glauben, wie du an Gott glaubst.“
Von allen Seiten rief man sich die neuen Gebote zu, dann war es, als wenn die Glocken von selbst zu läuten begannen, einer öffnete die Kirchtüre, und der ganze Zug folgte.
Vorne am Altar standen die Freiwilligen, in der Mitte der Schustergeselle und seine Braut, an seiner Seite der Vietlübber, an ihrer Seite Frau Gellert. Die hatte das ganz flink so geordnet und sich vorgedrängt und stand nun da, fest entschlossen, jetzt wieder einmal ihren Willen selbst gegen den Pastor durchzusetzen.
Der war in seinen Talar gefahren, er wußte selbst nicht wie, und als nun sein Blick über die Männer flog, die von ihm die Weihe für ihren ernsten Gang erwarteten, und hinübersah zu den Frauen, die ihre Tücher und Schürzen an den Mund preßten und um das rechte Wort des Trostes stillschweigend baten, und zu den Alten, die vor sich hinschauten, da fiel in ihm alles Bedenken und Zagen, die heilige Glut bemächtigte sich auch seiner und gab ihm Worte, wie er sie sonst nie besessen hatte und später auch nie wiederfand.
„Amen,“ wiederholte Frau Gellert, als er schloß, und da alle noch schwiegen, sagte sie laut und deutlich: „Herr Pastor, diese beiden hier wollen, bevor er auszieht, heiraten. Hochzeit braucht nicht zu sein, aber Trauung muß sein. Hier, Lene, eine Mutter hast du nicht mehr, das will ich sein, deinen Kranz hält unser Herrgott jetzt unsichtbar über dir, und hier hast du meinen Ring. Gellert, gib deinen an den Bräutigam herüber.“
„Der meine wird’s auch tun,“ sagte der Vietlübber, ,,und das soll der erste Dienst sein, den ich meinem Kameraden leiste.“
Der Pastor hatte schon das Formular in der Hand und wußte nicht, woher. Alle Vorschriften fielen hin, alle Bedenken schwanden, er traute getrost, der Konsens mußte sich nachholen lassen.
„Behalte ihn nur,“ sagte Frau Gellert, als sie die junge Frau küßte, und der Vietlübber nickte dasselbe dem jungen Ehemann zu.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!