- 11 - Die Kälte aber minderte sich nicht, sondern wuchs. Schon im November hatten die Männer sich Ohrenklappen umbinden ...

Die Kälte aber minderte sich nicht, sondern wuchs. Schon im November hatten die Männer sich Ohrenklappen umbinden müssen; wenn zwei auf der Straße beisammenstanden und über das Wetter sprachen, dann dauerte es nicht lange, daß der eine auf seinem Platze stampfte, während der andere seine Arme um den Leib schlug, um sich zu wärmen. Bald waren die Wege verschneit, man fand Vagabunden erfroren, denen laut Landesverbotes die Gastwirte und Krüger die Herberge versagt hatten, weil sie sich durch keinen Nachtzettel ausweisen konnten; die Post arbeitete sich mit Mühe durch, und die Bürger schimpften, so oft die Anordnung kam, daß sie ausziehen mußten, völlig verwehte Wege aufzuschaufeln oder einen Wagen, der stecken geblieben war, zu befreien.
Ollhöft aber freute sich. Ollhöft sah jeden Morgen aus dem Tor auf die hohe Pappel, und dann zog ein grimmiges Lächeln über die verwitterten Züge. Die Krähen waren fort, das heißt, die fremden, zugezogenen, die Saatkrähen, die die Franzosen gebracht hatten. Anfangs hatte er ganze Schwärme beobachtet, die dem scharfen Winde entgegen nach Osten gezogen, dann waren schreiend und hastend nur noch vereinzelte Nachzügler gekommn, Schließlich waren alle fort. Wohin? ja, Ollhöft lachte wieder grimmig vor sich hin, er wußte es, daß solchem Winter kein Heer in hellem Haufen gewachsen war, dagegen half nur die warme Garnison; und die in Rußland für die Hunderttansende finden? das hatte man ja längst ge-hört, daß die Rassen erbitterte Feinde waren, daß sie die eigenen Dörfer angezündet hatten, um den Franzosen keine Herberge zu gönnen.
In der Stadt kämpfte man den schweren Kampf mit der sich stets steigernden Not weiter. Gegen den Frost konnte man sich noch helfen mit dem Holz aus den städtischen Waldungen, wer es nicht bezahlen konnte, stahl es, und der Bürgermeister hatte unter der Hand dem Stadtförster Anweisung gegeben, ein Auge, auch wohl beide zuzudrücken, wenn ein Armer wieder mit einem Schlitten voll ihm begegnete, aber dem Hunger zu wehren hatte er keine Macht mehr. Er mußte Gellert erklären, daß die Vorschüsse, die er ihm in Erwartung der künftigen Entschädigung aus Landesmitteln gegeben, aufhören müßten, da die städtischen Kassen ganz geleert und von Schwerin gar keine Gelder mehr zu haben wären. Es blieb nichts anderes übrig, als den Garten zu verkaufen, an dem Gellerts Herz hing, weil jeder einzelne Baum von ihm gepflanzt war und jeder Busch irgend eine Erinnerung an Evas Kindheit für die Eltern barg. Es war auch sehr hart, so vom Vermögen leben zu müssen, aber es galt geradezu dem Hunger zu wehren. Für die Ärmsten, die nichts mehr zu verkaufen hatten, schickte gelegentlich der Vietlübber Herr durch seinen Kutscher, den man gar nicht mehr anders, als mit Eiszapfen am Bart in der Stadt kannte, einen Sack mit Korn oder einen Korb mit Eingeschlachtetem oder einige Säcke Backpflaumen und -äpfel. Das half dann ein gutes Stück vorwärts, bis eben die neue Not begann.
Eva sah und erlebte das alles mit bewegtem Herzen, aber sie bemerkte es auch, daß neben dieser allgemeinen Not wieder eine besondere Not für sie heraufzog. Scholte bewies sich als unermüdlicher Freund, er beriet Gellerts, er tat ihnen Vorschüsse, er sorgte für einen guten Abschluß beim Gartenverkauf, er machte sich an den Säufer und holte ihn aus den Wirtshäusern und brachte ihn nach Hause, er fing ihn oft auf der Straße schon ab, denn Scholte war ja immer unterwegs, und hielt ihm unter vier Augen eindringliche Strafreden, erinnerte ihn, wie er ihn verkommen im Lande gesehen, wie er sich glücklich preisen müßte, daß er einen warmen Ofen hätte, wie seine Tochter immermehr sich um ihn grämte und ordentlich jämmerlich aussähe, und so erreichte er es denn, daß Ihlenpohl einige Tage zu Hause aushielt. Und einst, als er so etwa sechsmal bei Gellerts eingelaufen und gleich wieder abgelaufen, weil er Eva anwesend fand, benutzte er endlich das siebente Mal, als sie zu Ihlenpohl gegangen, daß er in stürzender Hast bei den Eltern seine Bewerbung um die Hand Evas anbrachte. Matthies? ja, ja, Matthies, das läge ihm schwer genug auf, er wüßte ja alles, es wäre ein prächtiger Mensch, und Eva hätte ihn lieb - hier trocknete er sich sein Gesicht, weil ihm der Schweiß ausbrach - aber die Franzosen wären oben auf, Matthies wäre so gut wie tot, wenn er in deren Hände fiele, wiederkommen könnte er nicht - also - ja - hm - warum sollte das Mädchen so jämmerlich verfallen in aller Not? Ihlenpohl? pah, er machte sich nichts daraus, den übernähme er mit, den wollte er schon festlegen. Gellerts? das brauchte er nicht erst zu sagen, ein so alter Freund er wäre - gesicherte Verhältnisse, Vermögen, Geschäst - nein, nein, kaufen wollte er das Mädchen nicht, Gott sollte ihn bewahren, nur nicht nötigen, überrumpeln, das wäre scheußlich. Bedenkzeit, ja, ja, seinetwegen auch längere, er könnte warten. Und wenn Eva schließlich nein sagte, - er wollte es gleich schriftlich geben - schon jetzt gleich - vorher, ehe sie gesprochen, daß alles, was er Gellerts geliehen, unkündbar seinerseits wäre. - Wenn sie nein sagte - Scholte trabte in der Stube hin und her und strich so etwas an der vielgefalteten Stirn, sprudelte noch hastig allerlei von Ausrücken und Weiterziehen und war zur Tür hinaus. Da saßen die beiden Eltern und sahen sich an, und endlich begann Frau Gellert recht herzhaft zu weinen.
„Er ist ein gutherziger Mann,“ sagte Gellert beklommen.
„Ja, das ist es ja gerade. Wenn’s anders wäre, dann wollten wir schon damit fertig werden. Aber du sollst es sehen, das Mädchen tut es um unsertwillen, denn sie weiß, wie jämmerlich es uns geht.“ Und sie schluchzte hinter ihrer Schürze.
„Mutting, das kann ich nicht aushalten,“ sagte Gellert und rückte heran und faßte sie fest um. „Halt auf, Mutting, oder ich fang auch an. Sie soll ihn ja auch gar nicht nehmen.“ Er versuchte sie zu küssen, und das wollte ihm wegen der Schürze nur schwer gelingen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!