- 13 - „Ja, Frau Scholte, da müssen Sie ihn selbst fragen, Sie können leicht erfahren, wo er wohnt,“ war die Antwort. ...

„Ja, Frau Scholte, da müssen Sie ihn selbst fragen, Sie können leicht erfahren, wo er wohnt,“ war die Antwort.
„Kann’s ja versuchen, aber es nützt nichts, er kneift mir wieder aus,“ sagte sie und stand bedächtig auf. „Du liebe Zeit, das kleine liebe, hübsche Wesen, nun kriegt es schon wieder Farbe. So eine niedliche Tochter hätte ich eigentlich auch haben müssen, und nun sitze ich stets einsam, das merke ich immer härter, je älter ich werde.
Zu leben habe ich ja, aber das macht es doch nicht allein. Ich will mein Heil bei ihm versuchen, jammern kann ich nachher, wenn ich allein bin.“ Damit ging sie mit wuchtigem Schritt zur Tür hinaus, Eva machte sich heim zu ihren Eltern und wußte nicht, ob sie weinen oder lachen sollte.
Scholte kramte zu Hause in größter Hast alle seine Papiere und, was sonst für ihn Bedeutung hatte, zusammen in einen alten Koffer, der ihn schon auf mancher Reise begleitet hatte, seufzend sah er sich dann um in dem Raum, trat an das Fenster und fuhr entsetzt zurück, denn die große Frau kam dort heran und nickte ihm schon freundlich zu. O Himmel, er hatte ja die Haustür nicht verriegelt. Eiligst schloß er den Koffer ab, schoß dann zur Hintertür hinaus und trabte wieder zum Rathaus.
„Herr Bürgermeister,“ sagte er trübselig, „glauben Sie es mir, ich nahm an, meine Frau sei tot, man hatte es mir ganz gewiß gemeldet. Ich sage nichts gegen sie, sie ist ein herzensgutes Frauenzimmer, wir verstanden uns nur nie. Wie sind Sie hinter die Sache gekommen? Herr Bürgermeister, ich muß ja froh sein, daß es sich so gewendet hat, denn sonst hätte ich mich der Bigamie schuldig gemacht. Ich? ich? Pah -“ Er machte einige lebhafte Bewegungen, „Aber das arme Mädchen! - Herr Bürgermeister, ich beschwöre Sie, sagen Sie ihr, daß ich geglaubt, sie sei tot - ich meine meine Frau, was fasele ich? -Wüßte ich nur, wie Sie mir auf die Sprünge gekommen sind.“
„Warum soll ich das verschweigen? Ihre Frau hat in Anklam etwas von Ihnen erfahren und durch einen dortigen Juden hier bei Nathan sich erkundigen lassen. Der mag es also schon tätiger gewußt haben, aber mir hat er davon erst vor etwa drei Wochen gesagt.“
„Nathan? natürlich, diese Juden hängen wie Kletten aneinander, aber er hat mir gegenüber geschwiegen. O, dieser geriebene Halunke, den muß ich doch - Himmel, da kommt sie schon wieder quer über den Markt, als ob ihr die halbe Stadt gehörte.“
„So lassen Sie sie doch kommen, setzen Sie sich mit ihr in Güte auseinander, kann ich nur raten, Sie sind ja in diesen Jahren ein reicher Mann geworden.“
„In Güte - auseinandersetzen? Sie kennen sie schlecht; hat sie mich erst, so nimmt sie mich einfach unter den Arm und geht mit mir ab, dann setze sich einer mit ihr auseinander. Leben Sie wohl, Herr Bürgermeister.“ Weg war er, und sobald die Bahn frei war, schoß er durch die Straßen zu Nathan.
„Du Schuft, du schlechter Lump,“ sagte er im Hereinfahren, „du hast dem Bürgermeister hinter meinem Rücken von meiner Frau gesagt und mir nicht? und stelltest mich so dar, als ob ich eine unerlaubte zweite Ehe eingehen wollte? Das will ich dir eintränken. Nun schreibe ich sofort nach Schwerin, daß du mit den Franzosen konspirierst, ich habe den Zettel, den du dir aus Wismar geholt hast für den Verrat des Puppenspielers, zwischen Zwirnknäueln gesehen - ha, da liegt ja das Bündel - und da ist der Zettel, den nehme ich mit und schicke ihn ein, daß Sie dich kennen. Und an die Franzosen in Wismar und Hamburg schreibe ich alles, was du gegen sie getrieben hast, und wie du den Gerichtsrat verraten als französischen Spion, und wie du Schiffsladung über Schiffsladung gepascht hast - alles, alles sollen sie wissen, morgen kommt wieder Einquartierung, da sollen sie dich fassen, so gewiß ich auf und davon gehe. Aber dich sollen sie fassen und totschießen oder auf die Galeeren schicken, du bist ja ein nichtswürdiger, doppelzüngiger Halunke. Das sag ich dir heute ganz offen, daß du hinterher nicht schreien kannst, ich wäre so heimlich vorgegangen, wie du es alle Zeit gemacht hast, in der wir zusammen gearbeitet haben.“
Nathan hatte wie ein Hampelmann gezappelt, bald die Hände beschwörend erhoben, bald die Füße emporgezuckt, als ob er auf glühendem Boden stände. Bevor er gegen die herausgesprudelten Worte etwas erwidern konnte, schoß Scholte davon, das hatte ihm gut getan, er konnte vor sich hin lachen.
,,Ich werde doch nicht so ein Schuft sein wie er,“ sagte er im Traben vor sich hin, „meinetwegen laß ihn laufen, bis er einmal gründlich anläuft. Aber wie er sich ängstigte - der hat fürs erste keine ruhige Stunde mehr - hopsa -“ Er trabte gerade hastig um eine Ecke und fuhr gegen seine Frau an. Sie stand felsenfest, er aber prallte zurück wie ein Gummiball und war verschwunden, ehe sie ihre Arme zum Fang hatte ausrecken können.
Eiligst schlüpfte er in sein Haus und verbarrikadierte es, dann packte er und ordnete noch hastig allerlei; als geriebener Geschäftsmann, der schon oft plötzlich zum Umzug gebracht war, hatte er stets alles so in Ordnung, daß er einen Abschluß rasch machen konnte; als die Dämmerung da war, schlich er sich reisefertig, den Koffer auf der Schulter schleppend, hinter dem Wehr herum zu Ollhöft, denn er hatte so heimliche Befürchtung, daß dem wuchtigen Andrängen seiner gewaltigen Frau die Haustür nicht standhalten würde, und daß sie ihn in der Nacht überfallen könnte.
„Mach zu die Tür,“ sagte er, „schließ zu, ich bitte dich um Gottes willen, sei flink. So, ist der Riegel auch fest?“
Ollhöft nahm seinen Säbel, lud umständlich eine Pistole und stellte Ipen als Wächter an der Tür noch besonders auf. „Meinetwegen laß sie kommen,“ sagte er, „ich bin ein alter Mann, aber die Pistole kann ich noch abdrücken, nimm du den Säbel. Wir können sie mit Iven zusammen schon eine Weile uns vom Leibe halten.“
„Nein, nein, nicht schießen, auf eine Frau schießt man doch nicht,“ rief Schotte und wischte sich den Angstschweiß vom Gesicht.
„Eine Frau?“ fragte Ollhöft gedehnt, „ich dachte, die Gendarmen wären hinter dir.“
„Meine Frau! Mann, ich sage dir, meine Frau! Sieh mich nicht so an, ich bin nicht verrückt, obgleich ein anderer in meiner Lage es wohl werden könnte. Aber morgen in aller Frühe muß ich weg, sonst bin ich verloren. Den Koffer schickst du mir nach, kein Mensch außer dir darf wissen, wo ich bin.“
Er erzählte in abgerissenen Sätzen alles, trabte dabei herum, rannte wiederholt einen Stuhl um und suchte so die Ecken und Winkel ab, daß Iven vor dem unheimlichen Wesen, das ihm zweimal auf den Fuß getreten hatte, sich verkroch.
„Nathan!“ sagte Ollhöft, „wieder einmal Nathan! Da soll ihn doch das Donnerwetter -“
„Halt, was ich dir über ihn gesagt, bleibt unter uns, mag ein anderer das Donnerwetter besorgen, hörst du? gib mir die Hand drauf, Alter; ich sagte dir nur alles, damit du wenigstens Bescheid weißt.“
„Nun denn, da hast du die Hand. Dem Schlangenmenschen will ich es aber noch mal eintränken. Was deine Frau anlangt, so meine ich, es würde ihr recht gut bekommen, wenn man sie vierundzwanzig Stunden lang an die Kanone anbinden würde.“
„Du kennst sie nicht, sie nimmt die Kanone und geht damit ab.“ Ollhöft lachte. „Ja, du lachst, ich sage dir, sie hat mich manches Mal, wenn ich so meine Bocksprünge recht nach Herzenslust gemacht hatte, einfach vorgenommen, fest in Laken und Bettücher eingewickelt wie ein Wickelkind, so daß ich nicht eine Hand rühren konnte, und ins Bett gelegt, ich habe dann eine große Kanne voll Fliedertee trinken müssen und sie hat drei Oberbetten auf mich gepackt, bis ich nach zwölf Stunden halbtot geschwitzt war. Sieh du sie nur erst, dann weißt du Bescheid.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!