VII. In Bedrängnis von Freund und Feind.

Eine Meile von Gadebusch nach Osten lag ein Krug, der weit und breit bei dem Gesindel als sichere Zufluchtsstätte bekannt war. Durch die niedrigen Fenster fiel das helle Licht eines Frühlingstages auf die Stubendielen, an denen zweifelhaft blieb, ob der Schmutz von draußen hereingetragen war oder von dem gestreuten Sande stammte, den man lange nicht erneuert hatte. Hinter einem Tisch, aus dem allerlei feuchte Kreise andeuteten, daß schon mancher Gast im Laufe des Tages eingekehrt war, saß ein Mann, der den Kopf schwer auf einen Ellbogen gestützt hatte und mit geröteten Augen stumpfsinnig in ein leeres Schnapsglas starrte.
„Es kommt Gesellschaft,“ sagte der Krüger, der in der Tür lehnte, „setz dich gerade, die ist von feiner Art.“
Der einsame Gast stieß einen verächtlichen Laut aus und begann mit einem Finger aus den Resten der Getränke Figuren über den Tisch zu ziehen. Zur Tür herein kam eine alte zerlumpte Frau mit wirren Haaren um das welke häßliche Gesicht, ihre Hände flogen, die ganze Gestalt schlotterte. „Einen Schnaps, gib mir einen Schnaps,“ sagte sie mit zitternder Stimme. „Erst Geld,“ antwortete der Wirt ruhig. „Ich kann nicht leben, gib mir Schnaps, ich muß sonst die Wände in Verzweiflung angehen.“
„Erst Geld!“
„O Herr, o Herr,“ rief das Weib zum Tische wankend, „erbarmt Euch meiner und gebt mir einen Schnaps, mir ist so zumute, als müßte ich mir die Seele aus dem Leibe schreien.“
Gleichgültig hatte der Gast sie angestiert, jetzt, da sie so demütig winselnd nahte, schärfte sich sein Blick.
„O Herr, guter, lieber Herr, ich bin eine arme, verlassene Frau und habe den ganzen Tag noch nichts genossen, Ihr könnt mir gewiß helfen, erbarmt Euch meiner.“
„Kann ich, will’s aber nicht, du hast mich einmal schmählich betrogen.“
„Ja, ja, lieber Herr, schmählich, ganz schmählich, ich weiß es nicht mehr, aber es ist gewiß wahr, ich will alles sagen, was Ihr wollt, nur gebt mir einen Schnaps.“
Der Gast überlegte etwas, dann suchte er in den Taschen und brachte einen Schilling zum Vorschein. „Gib ihr ‘nen halben Pegel,“ sagte er zum Wirt, „ein Glas tut’s nicht.“
Das Weib trank in Gier und wurde dann ganz verwandelt, das Zittern verlor sich aus den Gliedern, und die Augen wurden hell, es wollte dem Geber die Hand küssen, aber er wies es mit einer theatralischen Gebärde zurück. Wie es ihm ins Gesicht sah, flog ein Schein des Erkennens über die verfallenen Züge. „Signor, macht Eure Güte voll, edler Signor, noch ein Glas.“
„Du bist es also doch, Lewinsch,“ sagte er sich zurechtrückend, „meine Augen haben nichts von ihrer Schärfe verloren, seit wir uns damals sahen. Ein Blick - du warst sofort von mir erkannt, erfaßt, gewogen und zu leicht befunden.“
„Ja, guter Signor, ich bin Lewinsch, die alte, ehrliche, brave Lewinsch, o, noch ein Glas.“
„Wo bist du mit dem geblieben, was du einst meinem väterlichen Herzen entlocktest? Ich muß es heute von deiner Hand fordern.“
„Was? die Dirne? die alberne Heulgans? die Zuckerpuppe, die verzogene Göre? warum davon noch solch Wesen machen?“
„Mein Fleisch und Blut, Frau Lewin,“ rief er und schlug mit der Faust gereizt auf den Tisch. „Ich will wissen, was daraus geworden ist.“
Sie erwachte sichtlich und sah ihn schon lauernd an in dem unbestimmten Gefühl, als ob hier irgend ein Vorteil für sie abfallen könnte.
„Was ich weiß, das weiß ich, aber ich brauche es nicht zu sagen.“
Er stierte sie wütend an, plötzlich fuhr er zu und packte sie an der Kehle, sie schrie gellend, der Wirt stiftete schnell Ruhe mit der Drohung, beide sofort zur Tür hinauszubefördern. Die Alte hustete, dann fluchte und schimpfte sie, und zum Schluß lachte sie. „Du bist ein Narr, ein Schnaps, und du erfährst, warum ich um den Galgenberg bei Gadebusch immer in großem Bogen herumgehe. Wegen der Eva ist es, das will ich schon verraten.“
„Was? wie? Gadebusch? da drüben die Stadt? Eva? - Ja, ja, einen Schnaps, wenn du mir alles sagst.“
„Ich will erst den Schnaps,“ versetzte sie störrisch, „ich mache es gerade so mit dir, wie du einst mit mir.“
Wieder begann er in der Tasche zu suchen, sie bewachte seine Bewegungen und entdeckte, daß er allerlei Münzen durcheinander schob.
„Da hast du meinen letzten Schilling,“ sagte er zum Wirt. Das Weib griff hastig nach dem Glase, als fürchte es, daß der Trank ihm noch zuletzt entgehen könnte.
„Daß ich es vorwegschicke, da drüben bei der Stadt haben zwei Spukteufel sie gefressen.“ Dann trank sie mit höchstem Behagen und erzählte mit eben solchem Behagen genauer, wie sie damals durch Preisgeben des Kindes sich der Gefahr entzogen hatte.
Thoms Ihlenpohl hatte das Gefühl, als ob die ganze Stube sich um ihn drehte, was war das? Soviel hatte er doch noch nicht getrunken, daß er seiner Sinne nicht mehr mächtig war - aber die Entdeckung - er wagte gar nicht alles auszudenken. Natürlich war das abergläubische Gerede des Weibes Unsinn, aber wenn das Kind lebte -Eva mußte nun erwachsen sein, es überlief ihn heiß und kalt. Der verfluchte Handel von damals, der war ihm auf Schritt und Tritt nachgegangen! Er stützte den Kopf wieder schwer in die Hand und stierte in sein leeres Glas genau so wie zuvor; plötzlich gab er sich einen Ruck, es fiel ihm ein, daß man einen Handel auch rückgängig machen könnte. „Ich habe sie dir einst verkauft,“ sagte er.
„Ja, für acht Groschen und zwei Schnäpse,“ ergänzte sie gleichgültig.
„Heute will ich sie zurückkaufen.“ Lewinsch wurde hellhörig, tat aber so, als ob sie mir an ihr leeres Glas dächte. Ihlenpohl zögerte, endlich sagte er: „Ich gebe noch einen, damit ich den Handel von der Seele los werde, es war doch damals ein ganz verfluchtes Geschäft.“
„Und acht droschen,“ warf das Weib hin. „Und einen Groschen,“ schlug er vor.
„Und ich will verdammt sein, wenn ich es unter acht tue,“ kreischte sie ausfahrend. „Du siehst, ich habe ein gutes Gedächtnis; du willst deinen Seelsack nur leicht machen auf meine Kosten.“
Er bestellte ein Glas, hielt es aber vorsichtig zurück. „Wenn du ihn erhältst und acht Groschen dazu, dann ist der ganze Handel aufgehoben? Hand her! - Da hast du alles, und nun geh zum Teufel.“
Sie lachte, holte eine Flasche hervor und reichte sie dem Wirt zum Füllen. „Solch alter Kerl, wenn der es kriegt, dann kommt es gleich toll. Da hab ich noch Prosit bei dem Geschäft gehabt.“ Ihlenpohl saß und starrte auf den Sonnenstrahl, in dem die Ständchen spielten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!