- 02 - Nach einer Weile sagte der Wirt, der merkte, daß von den beiden nichts mehr zu haben war: „Wenn ich euch ...

Nach einer Weile sagte der Wirt, der merkte, daß von den beiden nichts mehr zu haben war: „Wenn ich euch einen Rat geben soll, dann haltet euch hier nicht allzu lange auf, die Bädelhusaren sind wieder unterwegs, greifen alle auf, die noch arbeiten können und liefern sie nach Dömitz zum Karren ab, mir war es, als hätte ich es da hinüber verdächtig blitzen sehen.“
„Ich komme mit dir,“ sagte sie und stand unsicher von ihrem Platze auf, Ihlenpohl hob den Stock gegen sie, aber sie beachtete es gar nicht, sondern heftete sich an seine Fersen, vielleicht in der dumpfen Hoffnung, noch etwas mehr Vorteil von ihm zu ziehen. Irgendwo draußen hinter einem Gebüfch abseits vom Wege warf er sich hin, Lewinsch folgte seinem Beispiel und begann sofort ihrer Flasche zuzusprechen.
„Scher dich zum Kuckuck,“ rief er, „was hab ich mit dir zu tun?“
„Luft ist frei, und den Platz hast du nicht gepachtet.“
Er schlug zu und traf die Flasche, so daß sie zersplitterte und der Inhalt sich über das Weib ergoß. Wie eine Furie schnellte sie empor, ihr Gesicht wurde plötzlich ganz dunkelrot, sie sprühte gleichsam Gift und Geifer gegen ihn. „Du - du Bandit, ich stech dich ab, du, das sag ich dir, du Kinderschacherer, Seelenverkäufer! was, du drohst mir noch? magst du das nicht hören? Seelenverkäufer, Seelenverk -“
Sie verstummte plötzlich, das Taschenmesser, das sie noch nicht hatte öffnen können, entfiel ihrer Faust, ihre Hände griffen in die Luft, und mit einem gurgelnden Röcheln schlug sie hin und zuckte mit keinem Gliede mehr.
Das Ganze hatte sich so schnell vollzogen, daß Ihlenpohl sich kaum zur Abwehr in sitzende Stellung erhoben hatte. Nun hockte er da wie im Todesschrecken erstarrt und sah auf den Greuel, der vor ihm lag. Er sprach kein Wort, er rührte keine Hand für das Weib; ganz leise tastete er schließlich umher nach seinen Sachen, richtete sich vorsichtig auf und spähte hinter dem Gebüsch heraus; als er weit und breit niemanden erblicken konnte, schlich er sich scheu immer unter Deckung davon. Erst in angemessener Entfernung wagte er sich wieder auf die Straße und richtete sich auf, indem er das Grauen abzuschütteln versuchte. Mochte das Weib dort liegen und sterben, wenn’s nicht schon tot war, was ging das ihn an? Vielleicht fand man es erst nach Wochen, wenn die Krähen sich darum sammelten, das war so das Schicksal einer Landstreicherin. Er sah zurück, ihm war’s, als ob dort schon eine Krähe schrie, und ihn überlief es kalt. Sollte so auch einmal sein Ende sein? Einige Schritte rannte er, als könnte er dem Grauen entlaufen, als es aber in seinen Schläfen pochte, stand er still und holte schwer Atem. Es hätte anders, ganz anders mit ihm sein können, wenn er damals nicht - Seelenverkäufer, ein gräßliches Wort! Pah, ihn traf es nicht mehr, Eva lebte, ihm war sicher, daß er ihr einige Male begegnet war. Der ganze Handel damals war ihr zum Glück ausgeschlagen, und am Ende konnte er, wenn er sich jetzt ihr offenbarte - -
Bei dem Gedanken war ihm doch recht unheimlich zumute, als ob er einer Auferstandenen begegnen sollte. Zweimal war sie ihm entgegengetreten und immer so, daß er vor ihr gewichen war. So hatte seine Frau in ihren bessern Jahren ausgesehen, gerade so klein und fein und die Augen so blitzend. Nein, begegnen wollte er ihr nie wieder, es würde auch ohnedies besser mit ihm werden, denn er hatte sich ja von dem Drucke freigekauft, und wenn er von dem Glase ließ, aus dem sein Verderben gekommen war - weg mit dem Dämon! Er tastete nach der Flasche, sie war leer, und alsbald zersplitterte sie an einem Stein. Wie oft war das schon geschehen, und immer und immer wieder der Rückfall - zuweilen war es schon über ihn gekommen wie heute über das Weib. Er begann unwillkürlich wieder zu laufen, als könnte er seinem Geschick entrinnen - ha, in welche Gegend war er geraten! Er war ja auf dem Wege nach Gadebusch, drüben tauchte der Kirchturm auf, und er hatte sich doch soeben noch vorgenommen die Stadt zu meiden. Da lag ein Tannengehölz am Wege, wenn er quer hindurch ging, konnte er um Gadebusch weg ziehen. Wie er so überlegend an einem dichten Schlehdornbusch stand, sah er zwei Fraueu daherkommen, die eine schien ihm bekannt. Wieder überkam ihn das beängstigende Gefühl, als ob sich alles um ihn drehe, unwillkürlich bückte er sich und kroch unter Brombeergewirr und Dornen.
Am Busch standen die beiden Frauen still. „Hier habe ich entsetzliche Augenblicke verlebt, Mademoiselle,“ begann die jüngere, „als ich entdeckte, daß das Holz mich nicht vor den Franzosen verbarg.“
„Und ich dort in Vietlübbe, Eva,“ sagte Mademoiselle Clothilde und schilderte lebhaft, wie ihre Landsleute ihr sehr schroff die Binde von den Augen gerissen hätten; als sie die Verwirrung im Herrenhause nicht sofort bemeistern konnte, hatten die ältern Offiziere sie sofort angefahren, die jüngern sie verhöhnt und sie durch ihre übertriebenen Huldigungen lächerlich gemacht, der Oberst hatte sie auf ihre Beschwerde eine verrückte Närrin genannt. Der Lauscher hörte, daß beide nach Vietlübbe gehen wollten, um in Abwesenheit der Herrschaft nach dem Rechten zu sehen und sich nach der Lage zu erkundigen. Der Atem der Älteren ging kurz und rasch, sie lehnte sich gern aus den Arm ihrer Begleiterin.
Da klapperte ein Wagen, das Gesicht des Kutschers leuchtete auf, als er die beiden Frauen erblickte, er war ganz redselig und berichtete, daß er nach Schwerin fahre, um den Herrn und seine Frau abzuholen. Davoust hatte auf die Beschwerde des Herzogs über den Eingriff in seine Rechte und das Zeugnis der eingefangenen Deserteure hin den Gefangenen sofort entlassen. Die beiden beschlossen umzukehren, der Kutscher lud sie zum Mitfahren ein und fuhr lustig mit der Peitsche knallend ab. Hinter ihnen kroch die verkommene Gestalt aus dem Versteck, stand auf dem Wege und stierte ihnen nach, dann wankte sie durch das Holz davon und sah sich noch einige Male nach der Stelle am Schlehdorn um. - Die beiden Frauen stiegen am Färberhause aus, wo Gellerts oben in der Kammer, die einst Matthies bewohnt hatte, ihr Unterkommen gefunden, Eva aber von der Mademoiselle aufgenommen war. Die Französin brauchte jemanden, dem gegenüber sie sich ausklagen konnte, denn die jüngsten Aufregungen und Enttäuschungen hatten sie ganz gebrochen, sie fühlte sich elend und hinfällig und dachte oft an das Sterben. Wenn die blasse Eva so geduldig ihre Klagen anhörte, obgleich sie selbst mit großer Last beschwert war, kam ihr immer wieder der Gedanke, daß dieses kleine Wesen im Grunde ihr Opfer sei, sie war es, die mit Berechnung die Lust am Einzeltanze in ihr geweckt hatte, ihr unseliges Wort, das sie in gekränkter Eitelkeit und in der Absicht, den Triumph der lieblichen Tänzerin zu durchbrechen, ihr zugeworfen hatte, war die Veranlassung gewesen, daß alles so gekommen, o, es war schrecklich, was Mademoiselle zu durchdenken hatte. Und da war es ihre Pflicht, nach Möglichkeit wieder gutzumachen, was sie verschuldet; sie schrieb einen Brief an den inzwischen eingetroffenen Vertreter des Gerichtsrates und bat um dessen Besuch, und dann schickte sie zur bestimmten Stunde ihre kleine Freundin nach oben, um die Zeit des Schulhaltens in des Rektors Stube zum Aufräumen zu benutzen, und machte ihr Testament ganz zu Evas Gunsten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!