- 07 - „Ja so,“ rief der Wagenlenker,“das hätte ich voraussehen müssen, das erträgt kein Pferd. Ich danke Ihnen, ...

„Ja so,“ rief der Wagenlenker,“das hätte ich voraussehen müssen, das erträgt kein Pferd. Ich danke Ihnen, Freund, warten Sie einen Augenblick, da haben Sie etwas für Ihre Mühe.“
„Der Herr fährt nach der Stadt dort drüben?“ fragte der Führer und rückte dankend an seiner schmierigen Mütze, nahm aber das Geld nicht.
„Ja, ich bin Wundarzt, komme von einem armen Kranken, den Marodeure vor sechs Jahren zunicht geschlagen haben, er lebt noch immer und kann nicht sterben.“
Der Bärenführer sah ihn fest an und sagte bedächtig: „Könnte man sie doch alte im Wasser ersäufen.“
„Ja,“ rief Scholte, „die Stricke und Steine dazu wollte ich umsonst liefern.“ Die beiden gaben sich die Hand und schienen sich plötzlich gut miteinander zu stehen.
„He, he, mein Herr, wenn Sie wüßten, was ich weiß!“ Der Halbtrunkene war auch herangekommen. „Das ist etwas für einen Feinschmecker, deliziös, magnifique, une demoiselle mignonne, charmante, gracieuse, und sie sucht einen Gönner, un protecteur, was geben Sie mir?“
Hier erhielt er einen Faustschlag gerade zwischen die Augen, der ihn glatt auf den Bodell hinstreckte. „Ein ganz gemeiner Kuppler,“ sagte der Führer.
„War das wohl ein wenig zu viel?“ fragte Scholte, denn er sah, daß der andere regungslos liegen blieb.
„Um kein Quentchen, darin kenne ich ihn. Wollen Sie mir einen Rat geben?“
Er erzählte ihm das Erlebnis. Scholte war gleich bereit, die Hand zur Errettung der Verfolgten zu bieten, dergleichen Unternehmungen reizten seinen abenteuerlichen Sinn, rasch stieg er ab, band das noch immer unruhig tretende Pferd an eine Weide, so daß es das Kamel nicht sehen konnte, und ging mit an den Wagen. Der Bär wurde weggeführt, und auf einen Zuruf sah Eva ängstlich und scheu durch die Tür, gleich darauf stieß sie einen frohen Ruf aus und sprang hervor.
„Das glaub ich wohl, Fräulein Eva,“ sagte Scholte überrascht, „das ist ein Bissen, nach dem jeder Franzose schnappt, aber wir wollen ihnen den doch verleiden. Kommen Sie mit zu meinem Wagen, Fräulein Eva, und lassen Sie mich machen, o - ohne Furcht! Wir kennen uns ja von einer Fahrt her, bei der Sie alle Männer be-schämten. Heute kann ich am Ende etwas abtragen, aber in Schuld bleibe ich doch, das versichere ich im Ernst, Fräulein Eva.“
Er nötigte sie auf den Wagen zu steigen und hüllte sie ganz und gar in Pferdedecken ein, nur das Gesicht blieb frei, so mußte sie sich hinter dem Sitze niederlegen.
„Sie spielen eine Kranke, die ich zur Stadt bringe, und da müssen wir die Sache recht augenscheinlich machen. Halten Sie einen Augenblick still, ich salbe Hhr Gesichtchen ein, haben Sie keine Sorge, es geht wieder mit Seife ab -so - so - Fräulein Eva - und nun ganz still gelegen, und wenn man visitiert, dann blasen Sie die Backen ein wenig auf, so - das ist recht - so kennt Sie niemand.“
Er hatte eine rötlich braune Salbe in der Hand und rieb hier und da das Gesicht ein, so daß es aussah, als wäre es von Pusteln bedeckt, dann warf er ein Tuch darüber.
„Der liegt ja noch immer still da, ich muß wohl meines Amtes walten, obgleich ihm am Ende auch ein Strick um den Hals mit einem Stein daran gehörte und dann da hinein.“
Der Betrunkene stöhnte, als ihn die Hand anrührte. „Eva? Eva? - Wer ruft da? - he?“
Er fuhr auf und starrte wild um sich. „Eva? - mich friert’s auf einmal.“
„Geben Sie ihm noch einen Schnaps, das will er wohl nur,“ sagte Scholte.
„Schnaps? ich will keinen Schnaps mehr, der Schnaps ist ein Teufel, und sie hat mir gedroht.“
„Phantasiert er?“ fragte der Führer, „das wäre eine nette Bescherung. In die Stadt lassen sie ihn nicht, da hat der Gerichtsrat Fromm ihn anscheinend dauernd ansgewiesen.“
„Er hat mich ausgewiesen,“ wimmerte der Betrunkene, „ich habe ihm gesagt von den Paschern, und er hat alles aus mir herausgezogen und mich dann weggejagt wie einen Hund. Da lieg ich. Was will Eva? nein, ich will keinen Schnaps mehr trinken mich schaudert es vor der Toten.“
Rasch war Scholte, der sich schon abgewandt hatte, herumgefahren. „Du hast ihm gesagt von den Paschern?“ fragte er, „was hast du ihm gesagt?“
„Sie wollten über Mühlen Eichsen an der Stadt vorbei, und ich hab’s erhorcht in der Scheune und hab’s ihm gesagt, und er hat mich weggejagt wie einen Hund, dagegen komme ich nicht auf.“ Er legte sich weinend wieder nieder.
Scholte hatte den Fremden flüchtig in Gadebusch gesehen, nun erriet er den Zusammenhang blitzschnell, zischte grimmig zwischen den Zähnen und stieg nachdenkend auf den Wagensitz. ,,Krank ist er nicht, allein das heulende Elend hat ihn gefaßt,“ sagte er.
„Pah, mag er denn hier liegen bleiben, bis er wieder zu sich kommt, ich mache mich davon, hier ist es mir doch zu lebendig.“
Scholte schüttelte ihm dankend die Hand und sagte: „Sehen wir uns einmal wieder, dann kennen wir uns und kennen uns auch nicht, je nachdem, viel Glück auf Ihren Weg,“ und fuhr davon. Kaum war er in die Nähe der Scheunen gekommen, da schossen aus einem Versteck die Reiter vor, einer packte die Zügel, ein anderer fragte nach der Ladung.
,,Une pauvre malade,“ sagte Scholte gelassen, ,,prenez garde, messieurs – la petite vérole.“
Der Frager hob das Tuch, warf es aber sofort mit Schaudern wieder zurück. Den Anblick kannte er, im Lazarett war mancher seiner Kameraden an den Pocken gestorben. Scholte fuhr weiter und lud Eva vorsichtig bei den Eltern ab. -
Am nächsten Morgen saßen die Gellertschen Eheleute im Laden und rüsteten alles zu einem flinken Verkauf. Am Tage vorher war tüchtig aufgeräumt, die Abziehenden hatten noch Vorrat für den Marsch eingekauft, alles bar bezahlt, die feste Zucht eines umsichtigen Kommandeurs hatte sich überall bemerkbar gemacht, und der Schlachter konnte darüber wohl zufrieden sein.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!