- 08 - Da kam Dugesch, die die bewegte Zeit benutzte, Neuigkeiten herumzutragen und dabei allerlei Gaben einzuheimsen. ...

Da kam Dugesch, die die bewegte Zeit benutzte, Neuigkeiten herumzutragen und dabei allerlei Gaben einzuheimsen. Diesmal verriet schon ihr Handschlagen in der Tür, daß sie Wichtiges zu erzählen hatte, sie überflog dabei mit zwinkernden Blicken den Ladentisch und stellte fest, daß allerlei Abfall genügend vorhanden war.
„O Gott, o Gott, o Gott,“ begann sie, „wer hätte das gedacht. So vornehme Leute kann es also auch treffen, ja, ja, was soll unsereins dann klagen? Gottes Wege sind wunderlich, die einen stürzt er, und gerade dadurch hilft er den anderen.“ Sie schwenkte ihre Tasche in großer Aufregung, Frau Gellert wußte das zu deuten, sie nahm eine Handvoll Kieinfleisch, stopfte es ohne weiteres hinein und sagte: „Nun?“ „Da ist es bös hergegangen in Vietlübbe, o Jesus ja, und die gute gnädige Frau, lieber Heiland, die arme gnädige Frau.“ Dugesch war gar nicht gewillt, ihre Vorteile so bald aus der Hand zu geben, etwas Knochenbeilage zur Suppe mußte noch herbei.
„Aber jetzt,“ rief Frau Gellert mit Nachdruck und behielt die Tasche in der Hand, entschlossen sie wieder zu leeren, wenn die Kunde nicht wertvoll war.
„Da sind drei Soldaten desertiert, so auf gestern abend, in Vietlübbe, meine ich, und der Oberst hat den Herrn beschuldigt, daß er es begünstigt hätte, und der Herr hat ihn und alle anwesenden Offiziere gefordert, ja, ja, zehn Stück auf einmal, aber der Oberst hat ihn arretieren lassen, und sie werden ihn wohl irgendwo totschießen.“
„So schnell geht’s denn doch nicht,“ sagte Gellert, ,,erst kommt die Untersuchung und das Gericht, und ich lege meine Hand ins Feuer, daß der Herr sich mit den fremden Soldaten nicht befaßt hat.“
„Und die arme Frau?“ fragte Frau Gellert und legte noch ein Stück Knochenfleisch bei.
„Ja, denken Sie nur, die hat sich nicht mehr sicher gefühlt und hat ihre Kinder heimlich bei einer Tagelöhnerfrau untergebracht und ist dann nach Schwerin gereist, um den Herzog um Hilfe anzusuchen, und die Mädchen haben alles stehen und liegen lassen und sind davongegangen.“
„Wo war denn die Mademmselle Duvendier, daß die Kinder der Tagelöhnerfrau übergeben wurden?“
„Ja, denken Sie nur, die haben die jungen Franzosen alle so genarrt und spöttisch behandelt, daß sie zuletzt ganz krauk geworden ist und sich hingelegt hat. Johann hatte sie noch gar nicht heute morgen gesehen.“
„Johann?“ fragte Gellert, „ist der hier?“
„Das sagte ich doch schon, oder sagte ich es nicht? Den haben sie ja wohl gestern irgendwo die Kreuz und Quere mit Säbeln über den Kopf gehauen, der war hier, um sich bei Scholte flicken zu lassen, er meinte, seine Mütze hätte drei Löcher, aber sein Kopf nurr zwei.“
„Lieber Herrgott, nun sag mir nur das eine, warum du auf die Bande nicht Pech und Schwefel regnen läßt. Schlimmer kann es in Sodom und Gomorra nicht gewesen sein.“ So sagte Frau Gellert und wischte sich die Tränen aus den Angen.
„Ach ja, in solcher Zeit lernt man beten,“ seufzte Dugesch, wischte sich auch die Augen und schielte nach dem Fleisch, aber bald setzte sie hinzu: „Ich muß nun gehen.“ Sie merkte, daß nichts mehr zu hoffen war und gedachte, ihre Neuigkeit noch bei Bäcker und Krämer anzubringen. Gleich nach ihr erschien eine andere Fran und wollte in Eile einkaufen, die erzählte, daß Seiffert auf dem Markte ausgerufen hätte, daß neue Einquartierung käme, über hundert Mann und zehn Offiziere, das wäre so Hals über Kopf gekommen, sie könnten jeden Augenblick aus Vietlübbe eintreffen. „Herr Jesus,“ schrie sie auf in der Tür, „da kann man sie hören, sie sind ja schon in der Mühlenstraße. Wie komme ich nur nach Hause, ich muß sie erst auseinandergehen lassen, da ist ja kein Frauenzimmer auf der Straße sicher.“
„Na, na,“ meinte Gellert, und es zuckte ein Lächeln über sein Gesicht, denn die Frau war in den Jahren, daß ihr schon viel Zähne fehlten und das Kinn bedenkliche Neigung zeigte nach vorne zu wachsen.
Da schalt sie: „Der Mann kann bei so etwas noch lachen, ich glaube, der lacht noch, wenn er den Tod mal auf der Zunge sitzen sieht.“
„Das wäre wirklich etwas zum Lachen,“ meinte Gellert, „da müßte ich ja noch schielen lernen, um mir in den Mund zu gucken.“
Draußen wurde es lebendig, Leute liefen, Mädchen kreischten, Soldaten marschierten unter der Führung von Jungen in ihre Quartiere.
Einer trat bei Gellert ein. „.Donnez-moi de la saucisse,“ verlangte er kurz und stellte sein Gewehr in die Ecke, um das Geforderte unbehindert wegstauen zu können.
Frau Gellert übersah ihre Vorräte und nahm eine dicke Blutwurst vom Haken. „Zwei Schilling,“ sagte sie kurz.
„Nix boudin,“ rief er und fegte mit einem Handstrich das hübsche rundliche Stück auf die Erde, „boudin blanc, madame!“ Er machte auch keine Miene seinen Beutel zu ziehen, sondern deutete frech wie ein Herrscher auf die Vorräte und wollte sich endlich selbst bedienen.
Frau Gellert hatte sich gebückt und die Wurst wieder aufgehoben und vor ihn gelegt, da spie er verächtlich darauf. Im nächsten Augenblick fühlte er ihre kräftige Hand im Nacken, seine Nase wurde auf die geschändete Wurst gestoßen, so daß sein Tschako weit wegrollte, sein Haar bot noch bequemere Handhabe für den nachdrücklichen Griff. „Mangez, monsieur, s’il vous plaît,“ sagte sie. Er zog nach Leibeskräften, aber die Hand der Schlachterfrau ließ nicht locker, und wieder wurde die Nase mit gefährlichem Ruck niedergedrückt; er griff nach links und rechts, aber noch flinker stieß Frau Gellert das Schlachterbeil fort und bemächtigte sich eines blanken Messers, auf das der im festen Griff Gefangene unbehaglich zur Seite schielte.
„Mangez, monsieur!“ Sie stieß das Messer mit dem Griff hart auf, der Soldat war klein und behende, und die Frau war ihm sichtlich überlegen, so bequemte er sich und biß in die Wurst.
,,Payez!“ Wütend zog er den Beutel und legte ein Geldstück auf den Tisch, dann wurde er losgelassen. Als er sein Gewehr gefaßt hatte, fuhr er wieder herum, aber gelassen hielt Frau Gellert ihm die kleine Münze, die sie herauszugeben hatte, mit der Wurst hin, er schüttelte nur die Faust und sprang zur Tür hinaus, unmittelbar hinter ihm flogen Geld und Wurst auf die Straße. Gellert hatte dem ganzen Borgang mit schallendem Lachen zugesehen, die Käuferin, die angstvoll in eine Ecke gewichen war, rief ihm vergebens zu, er solle doch seiner Frau beistehen. „Die wird mit ihm schon allein fertig,“ jubelte er geradezu. „Prächtig, Mutter, prächtig! das tut einem wieder gut, sonst war es ja auch rein zum einfrieren in diesen Tagen. Da, Mutter, wirf ihm auch seinen Tschako hinaus, sonst kommt er zurück und holt ihn.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!