- 13 - „Wer rief um Hilfe?“ „Wo ist er denn?“ fragte Scholte. „Wer? was? wer soll da sein?“ ...

„Wer rief um Hilfe?“ „Wo ist er denn?“ fragte Scholte. „Wer? was? wer soll da sein?“
„Der Mann, der uns eben herausklopfte.“
„Was für ein Mann?“ - „Wozu?“ - „Was hatte er zu klopfen?“
„Er sagte, daß einer gestochen wäre und läge im Rohr auf dem Eise bei der Amtsstraße. Wo bleibt denn der Kerl, er muß uns doch hinbringen.“
„Warte nur, ich komme mit,“ rief ein Neugieriger, der sich das Schaurige nicht entgehen lassen wollte, andere fielen ihm bei, in kurzer Zeit stand ein kleiner Haufe Männer da, aber so viel sie auch suchten und fragten, es zeigte sich der Pocher nicht, der die Nachricht gebracht hatte.
„Ei zum Donner, hat uns denn jemand zum besten gehabt?“ fluchte und schalt Scholte herum. „Ich geh wieder hinein, mein Bett ist noch warm.“
„Aber es könnte doch etwas dran sein,“ warf ein Bürger hin.
„Geht ihr doch und laßt euch auslachen,“ höhnte Scholte. „Komm, Matthies, wir gehen wieder zu Bett.“
„Allein gehn? nein, das ist mir doch ungemütlich,“ sagte der Bürger, „aber wenn jemand noch mit mir geht -“
„Bei der Amtsstraße auf dem Eise?“ fragte ein anderer.
„Ja, im Rohr.“ „Aber das Eis hält ja noch gar nicht.“
„Ja, es hält schon, es hat die letzten Tage heftig gefroren.“ „Dann nur zu.“ „Was hilft es, Matthies, wir müssen schon mit,“ murrte Scholte. „Nimm die Verbandstasche, schließe das Haus ab und komm. Aber ihr sollt sehen, sie lachen uns morgen in der ganzen Stadt aus.“
So ging der Zug ab und fand nach kurzem Suchen den Soldaten, einige hielten ihn für tot, aber Scholte stellte fest, daß noch Leben in ihm war, und ordnete an, daß er behutsam aufgehoben wurde.
„Es ist so, wie ich mir dachte. Da ging am Abend eine Dirne hier herunter, um derentwillen werden sie sich gezankt haben.“ „Wer war’s denn?“ „Konnte sie nicht erkennen, sie hatte sich so vermummt.“
„Unsinn, die Voltigeurs sind alle draußen, ich habe sie wegziehen sehen, dieser war auch dabei.“
„Was ist es denn gewesen? sollten Pascher ihn gefaßt haben?“
„Wie kämen die hierher? die haben ganz andere Wege.“
„Wenn er wieder aufkommt, wird er’s schon wissen, aber wohin mit ihm?“
„Bringt ihn nur einstweilen zu mir,“ sagte Scholte, „das andre findet sich. Matthies, lauf voraus und schüttle die Betten gut auf.“
Matthies verstand ihn, daß er die bisher unberührten Betten so legen sollte, als wäre jemand eben herausgefahren.
Das gab am nächsten Tage Lärm und Unruhe in der Stadt. Die Bürger redeten in den Gasthäusern, die Franzosen fluchten und wetterten und verlangten Haussuchungen. Was geschehen konnte, den Vorfall durch den Meinungsaustausch Hunderter verwirrter zu machen, geschah. Der einzige, der hätte Anhalt geben können, lag lange bewußtlos, und das Wundfieder, das später eintrat, machte ein Befragen unmöglich. Als er wieder zu sich kam, zeigte sich, daß sein Gedächtnis, wohl durch das harte Aufschlagen auf das Eis, zunächst noch getrübt war, er entsann sich des ganzen Vorganges nicht mehr genau.
In der verhängnisvollen Nacht saß der Gerichtsrat Fromm lange und wachte und horchte. Sein Haus lag so, daß die Rückseite dem Garten zugewandt war, der zum See abfiel. In der Stille der Nacht war jedes Geräusch weit zu hören, hatte er doch manchmal über den jenseitigen Wald weg das Rollen der Wagen und Rufen der Fuhrleute und Knallen der Peitschen auf eine halbe Meile Entfernung vernehmen können, denn die Gegend lag höher als Gadebusch. Und nun? Er sprang auf und trat an das Fenster. Dort hinüber würde sich bald ein Lärm erheben, wenn sie aneinander gerieten. - Ha, der Matthies! der sollte seiner gedenken, wenn er in den französischen Gefängnissen verschwanden war oder auf der Galeere die Kugel schleppte. und dann kamen dazu die Untersuchungen. Er rieb sich vergnügt die Hände. Den Färber wollte er fassen, und Gellert konnte nur durch Eva losgelöst werden, oder auch er ging, und sein Geschäft war hin, Eva lag sozusagen auf der Straße. Wer rechtzeitig zuzugreifen verstand, der hatte sie. Und sie war sein wohlverdienter Lohn, wenn - Ja, wenn alles gelang!
Warum rührte sich nichts? Die Stille war unerträglich. Er holte sich eine Flasche seines besten Weines aus dem Keller, gleichsam um sich Gesellschaft zu schaffen, und kicherte, als er in Gedanken mit sich anstieß auf gutes Gelingen. Ei, das schmeckte!
Noch alles still? Wie unheimlich war solches Warten; aber was nützte alles Grübeln, die Sache war gut eingefädelt, mißlingen konnte nichts, und in Hamburg würde man bald wissen, wem man den guten Fang und die Aufdeckung der Umtriebe zu danken hätte, Napoleon erfuhr es. Fromm rieb sich wieder vergnügt die Hände und trank dann. Er stieß das Fenster auf, denn allmählich wurde ihm heiß.
Wie Matthies wohl zappeln würde in den harten Fäusten. Und wenn er sich wehrte - Kolben und Bajonett lagen in geübten Händen. Er kicherte und schnellte dann empor. Da drüben rief es im Walde - nein doch, das war eine Eule mit ihrem dummen Jammern. Man sollte alle diese Bestien ausrotten! Er lief in der Stube auf und ab, auf der Platte im Ofen hatte er sich noch eine prächtige Blutwurst warm gestellt, beinahe hätte er sie vergessen. Er aß mit Behagen und trank dazu und dann - horch - da war ein seltsamer Ruf, lang hallte er herüber - ein Mensch hatte dort gerufen, es war keine Tierstimme. Jetzt ging’s los.
Er hielt den Atem an, alles war wieder still, als ob die Nacht jeden Ton verschlungen hätte in ihrem weiten Schlund - nein, da rief es wieder. O Gott, wie schrecklich! Das war ja wie ein Ruf eines geängstigten Weibes, eines Nachtweibes, das verfolgt wurde oder nur so klagte, um Gutmütige anzulocken. Er hielt sich die Ohren zu und konnte nun gleichsam sein Herz hämmern hören.
Wenn da etwas geschah, das in den Anschlag eingriff, und er hatte alles vergebens geleitet, sich am Ende gar bloßgestellt - wenn der Korporal nicht schwieg - und der Landstreicher - das Volk konnte in seiner Rache schrecklich sein, und in Schwerin würde man ihn nicht mehr mit solchem Vertrauen empfangen und ihn wohl gar - nein, nein, dann glitt ihm das Mädchen aus der Hand, und es war so fein und schön und hatte ihn ganz gefangen. Er wollte es nicht missen da ein Ruf - ein Schuß - nun waren sie aneinander - nun war der Gehaßte verloren! - Wie schnell war alles abgetan. Ihm klapperten die Zähne, er schloß das Fenster und lief fort nach der andern Seite der Wohnung und lehnte den Kopf gegen die Wand.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!