- 14 - Entsetzlich war das Schweigen solcher Nacht, die Todesstille auf den Straßen. Und er allein mußte wachen ...

Entsetzlich war das Schweigen solcher Nacht, die Todesstille auf den Straßen. Und er allein mußte wachen und warten. Er konnte kaum noch stehen und mochte sich doch nicht setzen oder legen, denn warum wurde es nicht an den Toren laut? Warum schleppten sie nicht die Abgefaßten herbei? Wenn sie entkommen wären! Nein -da rührte sich etwas, da klopfte etwas, da liefen die Leute auf der Straße, endlich!
Jemand kam vorbeigetrabt, den fragte man, und der rief zurück: „Da ist einer erstochen, ein Franzose, sie haben Scholte mit Matthies herausgeklopft, daß die nach ihm sehen sollen.“ ,,Wo sind sie denn?“ ,,Eben zum See heruntergegangen.“ Weg war er.
Ächzend war Fromm zusammengebrochen, die beiden waren gar nicht draußen. - Er verbrachte eine Nacht in Todesängsten und war am nächsten Tage ganz grün im Gesicht, als er auf das Gericht gehen mußte. Die Leute sagten bei sich, daß er die Färbung noch nicht ganz los wäre.
Das erste, was er nach seiner Rückkehr tat, war, daß er den Landstreicher, der betrunken irgendwo im Kinkel gefunden war, davonjagte, ohne daß er ihm einen Pfennig von der versprochenen Belohnung gönnte, und ihm androhen ließ, daß er zur Zwangsarbeit verschickt würde, wenn er sich wieder auf Gadebuscher Gebiet sehen lassen würde.
Jedesmal, wenn er in den nächsten Wochen Matthies begegnete, musste er wegsehen, jedesmal, wenn er ihn die Richtung nach dem Gellertschen Hause einschlagen sah, gab es ihm einen Stich durch das Herz. Er wußte ja nichts davon, daß Eva längere Zeit gekränkelt und daß Frau Gellert dem Lehrling die Besuche in ihrem Hause gänzlich untersagt hatte.
Matthies hätte am Tage nach der abenteuerlichen Fahrt gern gewußt, ob es Eva gelungen war, unerkannt ihr Zimmer zu finden, er versuchte also Fühlung mit ihr zu gewinnen, gab die gewohnten Zeichen, flötete, räusperte sich hinter dem Zaun, klopfte an die Bretter in bestimmten Zwischenräumen, es nützte nichts, sie erschien nicht. Er wurde er unruhig und legte sich auf die Lauer, ob er Gellert etwa beim Verlassen des Hauses abfangen könnte, aber der kam nicht. Endlich hielt er es nicht länger aus, ging einige Male unschlüssig draußen auf und ab und schickte sich dann an einzutreten, da winkte ihm Gellert von der Haustür aus.
„Komm nur herein, Matthies,“ sagte er, ,,ich soll dich gerade holen.“ Leise setzte er hinzu: ,,Mach dich auf ein nasses Jahr gefaßt, das Haus brennt hinten und vorn. Das ist auch wieder mal wie mit Haufen gekommen.“ Er faßte den Drücker zur Stubentür, die ausnahmsweise geschlossen war. „Beiß die Zähne zusammen und halte die Zunge steif, ich steh dir bei.“ Drinnen saß Eva blaß in der Ecke, Frau Klementia stand mit schiefer Haube mitten in der Stube und begann sofort den Angriff.
„Hör mal, mein lieber Muschekant, ich hab dich infetieren lassen, um dir zu sagen, daß dein Flöten und deine Singnale hier nichts mehr nützen werden.“
„Mutter, er kann ja gar keinen Ton singen,“ versuchte Gellert lachend zu mildern.
„Und hätte er den Barretohn oder den besten Baß, so danke ich doch für solchen Basselisken, der mir mein Kind mit seinen Blicken anlockt, daß es nicht anders kann, als ihm durch Nacht und Wind wer weiß wohin nachzulaufen. Mach zukünftig deine Avangtouren allein.“
„Mutter, der Junge ist noch in der Gärung, da muß man ihm schon etwas zugute halten.“
„Gellert, ich sage, du bist schuld daran, du hast an ihm einen Narren gefressen.“
„Kucknck,“ rief Gellert scherzhaft.
Aber Frau Klememia ließ sich nicht beirren, die Haube flog auf die andere Seite. „Gellert, willst du mich ärgern? Der junge Mann braucht keinen Sekundanten. Junger Mann, ich rede nicht gern pardistangs, darum ließ ich dich kommen, ich weiß alles, denn ich habe bis in die Nacht auf Eva gewartet. Steh nicht da und versuche nicht, deine Blicke zu langzieren, sie sollen nicht mehr ankommen, ich werde sie konfissieren. Junger Mann, ich sage es hier mit allem Aweck, du sollst eine Zeitlang Karrentäne halten, werde erstmal geschickt ini Ampetieren und Bandagieren, Blessierte gibt es von selbst genug, du brauchst keine zu machen, komprennierst du mich? und nun kannst du gehen. Gellert, du bringst ihn hinaus, und ich bleibe hier, daß wir uns zwischen beiden aufbauen. Eva, ich befehle dir, daß du sitzen bleibst.“
Gellert zuckte die Achseln und begleitete Matthies hinaus, wie ein Gefangenwärter den Häftling abführt. Draußen sagte er zu ihm: „Nicht wahr, das zieht hin? Laß es nur nicht zu tief gehen, Junge, und halte deine Zähne gut, das Nußjahr wird schon kommen.“
Matthies ging ganz zerschlagen von dannen, er wußte, daß Eva schwere Tage haben würde, und er konnte Frau Gellert nicht unrecht geben, die Gefahren, denen Eva sich ausgesetzt hatte, waren fürchterlich gewesen.
Da war aber noch einer, der in tausend Ängsten schwebte, das war der Schutzjude Nathan. Der Matthies war ein grausamer Mensch, der Matthies hatte gestochen! Der Wundarzt hatte das Ereignis ihm nicht verschweigen dürfen, um ihn auf alle Fälle gefaßt zu machen. Der Matthies mußte fort, verschwinden, sonst brachte er sie alle noch ins Verderben. Es nützte nichts, daß Scholte ihn mit dem Hinweis auf den guten Verlauf der Angelegenheit zu beruhigen strebte, er hatte allen Mut verloren. Der Matthies blieb ein fürchterlicher Mensch, der Matthies hatte ihm ein Ferkel am Schabbes ins Haus geworfen, der Matthies mußte weg; dabei blieb er. Die Sache wurde Scholte verdrießlich. Es handelte sich vor allem darum, dem Denunzianten auf die Spur zu kommen, von dem nun wiederholt Anzeigen über die Pascher erfolgt waren; Scholte hätte nicht der schlaue Menschenkenner sein müssen, wenn er nicht seinen Verdacht schon länger in bestimmte Richtung gelenkt hätte, aber er wünschte Sicherheit dafür, um keinen Fehlgriff zu machen, Nathan sollte sie ihm verschaffen. Aber Nathan ersah auch seinen Vorteil und stellte seine Bedingung, und die lautete: „Der Matthies hat gestochen, der Matthies muß fort.“
Dazu entdeckte Scholte, daß der allmählich genesende Voltigeur seinen Lehrling oft mit so eigentümlich forschenden Blicken ansah, wenn dieser sich um seine Pflege mit unermüdeter Sorgfalt und mit zarter Hand bemühte. Hatte der Franzose den Gegner erkannt und in seiner Erinnerung allmählich wiedergefunden, so konnte alles doch noch böse werden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!