- 12 - Weithin flog der Ruf und erreichte eine Schar Männer, die in langer Reihe auf der Landstraße heranzog. Der Zug ...

Weithin flog der Ruf und erreichte eine Schar Männer, die in langer Reihe auf der Landstraße heranzog. Der Zug stockte sofort und rückte zusammen zur Beratung, beim dritten Rufe wandte er sich scharf vom Wege ab und ging über den gefrorenen Acker gerade auf die Rufende zu, sie sah sie kommen.
O Gott, wenn es Franzosen waren! Hatten sie nicht Tornister und Gewehre? Nein, nein, sie trugen schwere Packen und stützten sich auf lange Stöcke. „Pascholl!“ rief sie noch einmal, gedämpfter klang es zurück: „Pascholl!“
Da stand mit wenigen raschen Sprüngen Matthies neben ihr. Sie mußte von ihm gestützt werden, um nicht umzufallen; bald war sie von den Paschern, unter denen auch Hinnick sich befand, umringt.
„Was ist? was schreist du hier?“ fragte eine wohlbekannte Stimme, Scholte trat heraus, er allein ohne Packen. Mit fliegenden Worten berichtete sie, was sie wußte. Ohne Zögern ein klarer Befehl, der Zug ordnete sich wieder. Im Nu übersah Scholte mit flinkem Geiste das Gelände, lachte vergnügt und sagte dann: „Wir wollten an der Stadt vorbei, jetzt aber gehen wir in der Nacht gerade durch, die Franzosen haben uns ja den Platz geräumt. Sind Sie über das Eis gegangen, kommen wir auch hinüber. Kommen Sie mit mir, Eva, Sie finden den Weg wohl bester zurück als wir, Sie haben übrigens Ihre Sache gut gemacht, das hätte keiner besser treffen können. Nur müßten die Franzosen alle Dummköpfe sein, wenn sie nicht auf das Rufen geachtet hätten und einige Plänkler nach dieser Richtung ausgeschickt. Die sollen erst nach uns suchen. Also nun alle schnell und lautlos, es geht zum Glück bald dauernd bergab, und jenseits der Stadt kann man sich erholen.“ Er nickte ihr freundlich zu und ließ sich unterwegs weiter von ihr unterrichten.
Am Burgsee stand er still und sagte: „Es wird langsam gehen, wir müssen genügenden Abstand nehmen. Jeder kümmert sich um sich allein, wer bleibt, der bleibt. Matthies, gib mir deinen Packen, still, du bist der flinkste und mußt uns den Rücken decken. Wer folgt mir zunächst? Das Eis kann brechen. Trug es das Fräulein, so fragt es sich, ob es einen schweren, beladenen Mann trägt.“
„Ich natürlich,“ sagte Hinnick, „ich bin der schwerste. Komme ich hinüber, so gelingt’s mit allen. Breche ich ein -,“ er zuckte die Achseln - „dann war’s heute zum erstenmal Essig - wohl auch zum letztenmal.“ Scholle nickte und schritt voran, nachdem Eva ihm genau die Richtung auf das dunkel ragende Amtsgebäude angegeben hatte. Sie gingen einzeln in weit ausgezogenem Zuge, Matthies war der letzte, bei ihm blieb Eva und wartete. Alles schien gut zu gehen, ein Pascher nach dem andern trat auf das Eis.
„Mir ist, als hörte ich Schritte,“ flüsterte Eva.
Matthies horchte. „Es ist nur ein Mann, er scheint von rechts her zu laufen. Komm, wir haben von einem nichts zu fürchten.“ Sie gingen auch auf das Eis.
Aber die Schritte kamen schnell näher, man hörte das Laub schon rauschen.
„Halte-là!“ scholl es nach einer Weile vom Ufer her.
Beide liefen schnell vorwärts.
„Halte-là! Je fais feu!“
„Lauf voran,“ flüsterte Matthies, „ich halte mich dicht hinter dir.“
Da fiel der Schuß, die Kugel flog ihr so nahe am Kopfe vorbei, daß sie aufschrie. „Hat er dich getroffen?“
„Nein, nein, ich war nur so erschrocken. Matthies, er kommt hinter uns her, er ist flink.“
Sie liefen hastig, Matthies sah sich mit finsterm Blicke um und murmelte etwas, was Eva nicht verstand, der Verfolger, ein Voltigeur, kam rasch näher.
Nun standen sie schon im Rohr. „Duck dich,“ flüsterte Eva und faßte seinen Arm, „er findet uns nicht.“ Aber Matthies sagte rauh: „Laß los!“ und streifte ihre Hand ab. Sie kannte den Blick, der unter seiner festen Stirn herausfuhr, dagegen gab es keinen Widerspruch, sie sah nur noch, daß in seiner Hand etwas blinkte.
Der Verfolger kam heran und rief: „Rendez-vous, monsieur, ou vous êtes morts.“ Er fällte das Gewehr und drohte den Pascher zu durchbohren, dessen Haltung er vielleicht für Unschlüssigleit hielt. Unwillkürlich hatte Eva in ihrer Erregung einige Rohrhalme gefaßt und abgerissen, nun schlug sie im ersten Antrieb damit nach seinem Gesicht, den Augenblick benutzte Matthies. Mit flinkem Sprung warf er sich auf ihn, der Gewehrlauf ward zur Seite geschlagen; ehe Eva wußte, was geschehen, sagte Matthies nur: „Komm,“ und ging davon. Der Verfolger war schwer auf das Eis rücklings niedergeschlagen und lag ganz still.
„Hast du ihn getötet?“ flüsterte sie.
„Ich weiß es nicht,“ antwortete er hart und atmete kurz und schwer, „er wäre uns gefolgt und hätte die Stadt über den ganzen Zug wachgerufen.“
Am Ufer warteten die Pascher, sie hatten den Vorgang erraten. „Hat er dich erkannt?“ „Weiß ich nicht.“ Weiter wurde zunächst über das Ereignis nicht gesprochen. Eva eilte nach Hause.
Die Pascher durchquerten leise die schlafende Stadt und gingen gerade über den Markt, dann von der Schulstraße aus durch die Wiesen an die Radegast.
Unterwegs befahl der Führer kurz, daß Matthies sich in Scholtes Haus verfüge und warte. Nach einiger Zeit kam auch der Wundarzt ihm nach.
„Sie sind alle hinüber, quer durch das Wasser, keiner hat sie gesehen. Nun mögen sie allein den sichern Weg weiter gehen, wir beide haben noch mit dem Soldaten zu tun. Soll der draußen erfrieren, wenn er nicht tot ist? Ich mag’s nicht auf mich laden, es ist doch auch ‘n Mensch, und er tat seine Pflicht.“
Er gab kurze Weisung, klopfte dann von draußen heftig an den geschlossenen Fensterladen, Matthies fragte von innen, Scholte rief etwas mit verstellter tiefer Stimme, mächtig grölend, schrie dann mit anderer Stimme um Hilfe und trat darauf schnell in sein Haus.
Der Lärm hatte die Nachbarschaft wach gemacht, hier und da fuhren Köpfe aus den Fenstern oder Türen, und ein Fragen hin und her hatte begonnen, als beide hervortraten. Von allen Seiten schwirrten Rufe, auch der Nachtwächter, der irgendwo im Winkel bequem geschlafen hatte, war wach geworden und kam heran.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!