- 11 - „Holla,“ sagte Ollhöft, „das sieht ja aus als Flucht vor dem Feinde. Vor wem retirierst du denn hier ins Lager?“ ...

„Holla,“ sagte Ollhöft, „das sieht ja aus als Flucht vor dem Feinde. Vor wem retirierst du denn hier ins Lager?“
Eva sah sich hastig um, und da niemand weiter anwesend war, erzählte sie in fliegender Eile, was sie erfahren hatte und was sie vermutete.
Der Alte setzte sich, dampfte mächtig eine Weile und sann. Dann sagte er: „Dem fremden Kerl mit den Tanzbeinen habe ich keinen Augenblick getraut, und wenn er mit dem Gerichtsrat Fromm zusammenhängt, wie es nach dem Briefe scheint, dann haben die beiden irgend eine Teufelei ausgeheckt. Matthies und Scholte sind fort, sagst du? Natürlich geht es diese Nacht wieder los, und ich hatte dir doch richtig die Marschroute gegeben. Der Korporal ist auch fort! - Kreuzbomben, Eva das bedeutet etwas!“ Er stampfte in der Stube herum und stieß so hart mit dem Stock auf, daß der Hund sich beiseite drückte. „Das bedeutet, daß die Franzosen Fühlung mit ihnen genommen haben. Kind, Kind, warum hast du ihm nicht das Signal zur Retraite gegeben?“
„Ich hab’s getan, aber er wollte nicht hören.“
„Natürlich nicht, und nun läuft er in den Hinterhalt, und - und - zum Donner, - ich mag’s nicht ausdenken. - Was wird nun?“
Er stand eine Weile grübelnd. Dann sagte er: „Ich will Patrouille gehen, denn wir müssen zunächst wissen, ob die Franzosen wirklich unterwegs sind. Wart hier auf mich. Wenn es klopft, sag nur, daß der Torwärter gleich erscheinen wird, man soll sich gedulden.“
Er ging fort, so schnell es seine alten Glieder machen konnten, und Eva blieb mit fliegenden Gedanken und quälender Angst allein. Als er zurückkam, war er ganz niedergeschlagen und ging still wieder auf und ab.
„Es ist richtig, die Douaniers sind durch das Steintor auf die Wismarsche Landstraße, und die Voltigeurs haben sich am Mühlentor nach dem Vietlübber Wege genauer erkundigt, den sie in der Nacht wohl nicht sicher zu finden glauben, es ist kein Mann in der Wachstube geblieben. Das heißt einen Überfall rüsten. Natürlich erfolgt der Anmarsch der Pascher irgendwo da von Eichsen her, überall stoßen die auf eine besetzte Straße. Merken sie von dem einen Hinterhalt etwas und biegen ab, um die andere Straße zu gewinnen, so werden sie von zwei Seiten gefaßt und gegen unsern Burgsee getrieben. Da fängt man sie dann wie in einem Sack. - Halt! Was soll werden?“
„Ich will hinaus, ich will sie warnen, mag es gehen, wie es will,“ sagte Eva.
„Es geht nicht, wie es will, sondern wie es soll. Hier oder dort triffst du auf feindliche Posten und wirst aufgehoben und bist auch verloren.“
„Das gilt mir gleich,“ sagte Eva, „ich will schreien, daß das Feld widerhalt.“
„Narrheit, Narrheit! Das sollten sie nicht hindern? Ja, wenn der Burgsee schon trüge, daß du das Eis passieren könntest - der Mond geht gerade auf.“
„Ich will’s versuchen, ob er trägt.“
Der Alte rieb sich die Stirn, wandte sich ab, stampfte seinen Stock auf und sagte kurz und hart: „Den Donner auch, daß mir mein Fuß das Eislaufen verbietet! Sollt ich bleiben, pah - und sollt ich hinüberkommen, ich würde mich morgen vom Posten melden und betteln gehn, aber heute nacht tät ich gegen meine Pflicht um des Jungen willen.“ Als er sich umwandte, war das Zimmer leer.
Eva gelangte unbemerkt ins Elternhaus, sie schützte bei der Mutter schlechtes Befinden vor und erklärte, früh zur Ruhe gehen zu wollen, aber sie holte sich aus ihrer Stube nur eine wärmere Umhüllung und glitt dann lautlos wieder hinaus. Richtig war es, der Mond schien ziemlich hell. Auf dem Markte begegneten ihr Leute, aber sie hatte sich so eingehüllt, daß man sie nicht kannte. Männer riefen ihr nach: „Du, er ist nicht zu Hause, die sind alle unterwegs.“ Sie errötete unter ihrem Tuch und eilte nur um so rascher. Schnell die Amtsstraße entlang und über die hartgefrorenen Wiesen den Fußpfad nieder zum See.
Die schmale Stelle, wo der See sich zusammenzog, um sich nach beiden Seiten dann wieder auszubuchten, fand sie schnell, da standen alle harte Seggen und Binsen steif und braun, und zwischen ihnen brach der Fuß bei jedem Schritt durch, daß die Schollen prasselten und klangen, das fürchtete sie nicht, das war Bolleis, draußen konnte es schon besser sein. Der Fischer hatte das Rohr noch nicht geschnitten, der Mann eilte sonst damit, weil er nicht wußte, ob der See nicht bald wieder auftauen würde, aber bis jetzt traute er offenbar dem Eise noch nicht. Die gelbbraunen Halme raschelten unheimlich mit den harten scharfen Blättern, die dem Mädchen hoch über den Kopf gingen, sie glitt hindurch und stand am Rande, wo die Tiefe begann. Drüben auf der weiten Fläche links glitzerte es im Mondschein sehr lebhaft, immer beweglich, da hielten die Wasservögel mit Rudern und Schwimmen eine Stelle offen, sie hörte die Enten quaken und deren Füße unermüdlich plätschern, das machte nichts, deshalb konnte vor ihr das blanke Eis doch tragen. Vorsichtig prüfte sie in der Tat, es hielt. Weiterhin krachte es wohl hier und dort unter ihren Füßen, das tat so scharf gefrorenes Eis ganz leicht, es sprang auch wohl eine dünne Spalte von ihr auf und lief über den See, es schreckte nur den unerfahrenen Eisläufer, sie war’s von manchem Winter her gewohnt, und wenn andere bestürzt geflohen waren, hatte sie hinter ihnen drein gelacht und war doppelt hoch gesprungen. Sie nahm wiederholt raschen Anlauf und glitt weite Strecken über das Eis hin, und dann war sie drüben. Vor ihr lagen die Buchen, die mußte sie durchqueren, so überlegte sie rasch, dann eine kurze Strecke am Ackerland hin, über den Feldweg hinüber, wieder in den Wald und hernach auf freiem Felde immer vorsichtig gleich weit von beiden Hauptstraßen entfernt, bis - Gott mochte wissen, bis wie weit.
Das Laub raschelte unter ihrem Fuß, aus der Ferne her rief ein Kauz seinen schaurigen Schrei, der der einsamen Waldgängerin Schauer durch die Glieder jagte, dann strich etwas mit weichem Gefieder lautlos an ihr vorbei. Auf der jungen Roggensaat äste ein Rehbock, der schreckte in grämlichem Ton und setzte in langen Sprüngen dem Walde zu, hoch oben aus der Luft kam ein Kläffen und Klagen und Sausen, da waren wilde Gänse, die weites offenes Wasser suchten.
Nun trat sie auf das Feld, sie hatte glücklich den Fußpfad getroffen, der da hinüberführte quer auf Vietlübbe zu, Gott sei gedankt, den war sie oft gegangen, und sie kannte an ihm jeden Strauch und größeren Stein. Als sie am Wasserloch vorbeikam, fuhr sie zusammen, Krähen hatten dort in der großen Pappel ihren Horst, die strichen schreiend heraus. Wenn die den Lauernden ein Zeichen geben würden, daß sie aufpassen sollten? Eva begann zu laufen, durchquerte eine Niederung und sprang drüben zu der Höhe.
Da mußte sie anhalten. Folgte sie dem Pfade weiter, geriet sie rechts zu nahe an den Fahrweg nach Vietlübbe, das ging nicht an, von links glaubte sie die Bäume an der Wismarschen Landstraße dunkel umrissen zu entdecken, nach jeder Seite hin konnte es nicht viel über tausend Schritte sein, hier mußte sie bleiben und warten. Deutlich scholl der Schlag der Turmuhr zu ihr herüber, sie zählte elf.
Während sie so horchte und spähte, vermeinte sie drüben wiederholt sich etwas bewegen zu sehen, sie preßte die Hand auf das klopfende Herz - nein, es waren Schatten, die fest lagen. Was sollte sie tun? Namen rufen? Das ging nicht an, sie konnte etwas verraten; auf eine der Straßen durfte sie sich nicht wagen, denn die Erwarteten konnten aus der anderen ziehen. Da - da kam es her - eins - zwei - drei - ein ganzer Haufen, so weit hinüber schienen die Leute klein, doch nein, es waren wohl nur Hasen oder Rehe.
Geschehen mußte etwas, was allein den Kommenden verständlich war, sie legte die Hände an den Mund und rief hinüber: „Pascholl!“ Und rief es nach einer Weile noch einmal und wartete und rief es zum dritten Male.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!