- 02 - Die Douaniers hatten viel Langeweile und verlangten nach Billards, nahmen aber in deren Ermangelung ...

Die Douaniers hatten viel Langeweile und verlangten nach Billards, nahmen aber in deren Ermangelung auch mit Kegelbahnen vorlieb und spielten Karten, am liebsten verbotene Spiele; da manche Bürger sich mit ihnen in solchen Liebhabereien begegneten, so saßen die Wirtshäuser Tag und Nacht voll lärmender, leidenschaftlich am Spiel beteiligter Menschen, alle Augenblicke gab es Zusammenstöße, dann prügelte man sich in den Wirtshäusern, und wenn Bäcker Oldenburg die Streitenden an die Luft setzte, wurde der Hader auf der Straße ausgetragen, hernach zogen Franzosen und Bürger wieder in die Gaststube und spielten weiter. Die Douaniers fluchten und schimpften, wenn Uhren und silberbeschlagene Tabakspfeifen, die sie auf ihrer bisherigen Laufbahn gesammelt hatten, draufgingen, aber sie spielten weiter, der Krämer Fitz hatte allmählich sich eine ganze Sammlung von Raritäten zugelegt. Einzelne Mädchen gingen in Seide daher und trugen hochmütig ihre Ehrlosigkeit zur Schau, es gab Frauen, die ihre Anpassungsfähigkeit beneideten, aber die meisten empfanden Ekel vor diesem Treiben und boten ihren Einfluß auf, ihre Männer zurückzuhalten, Frau Gellert fand dazu das kräftige Wort. Als der Rektor einst die Straße entlang kam, hörte er, wie sie vor ihrer Tür hinter einem Frauenzimmer schalt, dessen Kops stolz in den Nacken gelegt war und doch bedenklich wackelte. „Was? will mir noch mit ihrem morgenhatnichtssen Verhältnis drohen? sie soll ihn mir nur bringen, ihren Du – ahn - ihr oder Du - mit - ihr, ist mir ganz gleich, ich will ihm schon meine Ansicht in die Visasche schreiben.“
,,Nun, nun,“ sagte Trautmann lächelnd, „das scheint heute ein heißer Tag zu werden, Frau Nachbarin, bei Ihnen heißt es jetzt wohl: toujours avec ardeur et sur la place.“
„Jawohl toujours platzen und das mit’n avec,“ sagte sie. „Kein Pfund Fleisch soll die Kalöhr haben, nicht einmal für’n Dreiling Knochen. Ich will mich nicht mit solchem Mensch melangschieren, das seille Klotten wer weiß womit bezahlt hat und seinen Rittikül darum lang hängen läßt. Ja, guck dich nur um, man sieht schon, wie du deine Malpropertee durch den Rinnstein ziehst.“ Sie schlug die Tür zu, und der Rektor stieg seine Treppe hinauf. Oben fand er Matthies seiner wartend.
„Das war endlich einmal eine rechte Erfrischung,“ sagte er lächelnd, „Gott gebe überall den Deutschen solche Frauen, die ihren Weckruf erheben. Spuckten da nicht wie auf Kommando die Weiber aus den Haustüren hinter dem Mensch her? Mit dem Douanier wird unsere Nachbarin schon fertig - wenn er kommt.“
„Der kommt nicht,“ sagte Matthies, „der ist auf Kommando über Land geschickt, denn mit dem Paschen ist es angeblich schlimmer geworden, die Mahnungen von Hamburg jagen sich, und es gilt doch endlich einmal einen Fang zu machen, um zu beweisen, daß man auf dem Platze ist.“
„Wolltest du mir das erzählen?“ fragte Trautmann, indem er es sich in seinem Schlafrock bequem machte.
„Nein,“ versetzte Matthies etwas verlegen, „ich wollte nur sehen, Vater, wie es dir geht.“
„Mir geht es recht gut und recht schlecht, je nachdem man nach Leib oder Herz fragt. Was ich sagen wollte - dein Meister ist auch wohl wieder unterwegs?“
„Schon seit ein paar Tagen,“ war die Antwort, „alle Augenblicke sitze ich fest. Diesmal hat er mit dem Juden zusammen eine große Kornlieferung für Hamburg im Auftrage der Behörden dort übernommen.“
„Wieder mit dem Juden zusammen?“ Trautmann ging einigemale die Stube auf und ab. „Du bist alt genug, Matthies, um selbst für dich zu entscheiden, was recht und was unrecht ist.“
„Wer weiß das ganz sicher in dieser Zeit?“ sragte Matthies ausweichend.
„Unsere Nachbarin weiß es,“ sagte Trautmann.
„Ihr Mann auch?“ fragte Matthies und sah seinen Vater von der Seite an.
„Hm, hm, für die Männer mag das schwerer sein, für die tatlustigen erst recht. Denn indem sie das augenblickliche Werk zu scharf ansehen, verlieren sie wohl oft ihre Übersicht, ihren Blick in die Weite, möchte ich sagen. - Nun also, Matthies?“
„Ich helfe meinem Meister, so gilt ich kann,“ sagte der wieder etwas unbestimmt und sah aus dem Fenster.
„So gut du kannst? Ja, noch kannst du gut.“ Der Rektor betonte fast jedes einzelne Wort.
„Da läuft Fitz wieder einmal mit einem blutigen Kopfe,“ sagte Matthies eilig, „der will zu uns, ich muß laufen, ihn zu bepflastern.“
„So geh und denke an das, was ich sagte.“ Trautmann gab ihm die Hand und sah ihm kopfschüttelnd nach. „Der Junge macht mir jetzt wirkliche Sorge,“ seufzte er, „aber in die Zwanziger ist er hinein, nun muß er seinen Weg allein finden. Gott im Himmel, es ist wirklich Zeit, daß ein Donnerwetter losbricht, um die Luft rein zu machen, wir sitzen hier alle in Finsternis und tappen unsicher umher.“
Allein Kaper Scholte war nicht in Unsicherheit, der ritt und fuhr im Lande herum, bepflasterte angeblich und schiente und kaufte Korn auf und ließ es in hohen Fuhren durch Gadebusch befördern, war vergnügt gegen alte Welt, flink heran und flink weg, sein Auge hatte dann alles erfaßt, was für ihn bemerkenswert war. Gegen Abend kamen meistens die Kornwagen an, den Donaniers und Torwärtern gegenüber sich durch den Schein der Hamburger Behörde ausweisend und ungehemmt einziehend, in der Nacht blieben sie in dem Schuppen auf dem Gellertschen Grundstück, und am nächsten Morgen zogen sie weiter nach Hamburg. Bald erwies sich der Schuppen zu klein, Scholle pachtete von dem Färber, der des Rektors Hauswirt war, den benachbarten Schuppen dazu. Das Geschäft ging offenbar recht gut, der Verkehr war lebhaft genug, und am Herbstmarkt wurde er noch gesteigert. Da kamen die Bauern aus weiter Umgegend und Schuster und Bäcker und Tuchmacher und wer weiß was noch an zweifelhaften und unzweifelhaften Existenzen. Manchen mußte es an Korn fehlen, das anscheinend durch Scholte sehr gründlich aufgekauft war, sie erhandelten sich aus dem Schuppen, ehe sie abfuhren, ganze und halbe Säcke, die fremden Handwerker schütteten den Inhalt heimlich in ihren Buden unten in ihre Schusterkisten, Bauern benutzten die Säcke als Sitz, und so ging in kleineren und größeren Teilen manches Korn von dannen. Daheim schmunzelten die Ehefrauen, und am nächsten Morgen tranken sie den langentbehrten Kaffee, und am Mittag war der Pfannkuchen endlich einmal wieder mit Zucker bestreut.
Scholte hatte Pascherware eingeführt und Korn abgefahren, er war in Listen unermüdlich, und was er nicht wußte, erfand sein Geschäftsteilhaber. Der Wundarzt brachte bei seinen Krankenbesuchen auf seinem Wagen sogar selbst Ware in die Häuser, jeder wußte es in der ganzen Gegend, nur die Douaniers seltsamerweise nicht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!