- 03 - Und die erste Gerichtsperson in der Stadt, der Gerichtsrat Fromm, der doch sonst seine Spürkraft gern bewies, ...

Und die erste Gerichtsperson in der Stadt, der Gerichtsrat Fromm, der doch sonst seine Spürkraft gern bewies, auch bei Sachen, die ihn nichts angingen? Die Pascherei sollte ihn von Rechts wegen gar nicht kümmern, seitdem die Franzosen die Sache selbst in die Hand genommen hatten, aber als er so auf der Fahrt nach Schwerin war - er fuhr öfter dahin, um zu hören, wie der Wind bei der Regierung wehte, und sich darnach einzustellen - machte er sich doch allerlei Gedanken darüber. Die Douaniers ließen sich natürlich bestechen und zwar recht hoch - ja, aber das konnte doch wohl ein anderer auch? Geld war stets zu gebrauchen. Man mußte nur erst etwas festen Stand und rechten Köder haben, um die Angel auszuwerfen und sicher zu sein, daß der Fisch anbeißen mußte. Man munkelte so etwas von Gellerts Beteiligung? und der Färber hatte auch seinen Schuppen hergegeben? Konnte man in Hamburg bei den französischen Behörden in rechte Gunst kommen, wer weiß, wozu das gut war, angefangen hatte man ja schon ganz gut. Vielleicht war auch noch eine andere Gunst zu erlangen. Da war das schön erblühte Mädchen, das schon als Findelkind so etwas Besonderes und Anlockendes hatte und das an seinen Eltern mit solcher Liebe hing, es war der Mühe wert, ein wenig hinter Gellerts Umtriebe zu kommen, und dann? – und dann?
Er hatte es gar nicht gemerkt, wie rasch der Weg dahingegangen war, nun schreckte ihn beim Schweriner Torhaus der Ruf des Wärters auf. „Steuerbares, he, he?“ Fromm grüßte höflich. „Ach so, das sind Sie, Herr Gerichtsrat, entschnldigen Sie, Sie passieren.“ Der Wagen fuhr weiter, auf dem Hofe der Ausspannung stieg Fromm ab und ging seine Wege. Ganz gelassen hob der Fuhrmann die Decken von dem Sitz, den sein Fahrgast eingenommen hatte, und schleppte dann einen schweren Sack Kaffee in den Stall. „Alles richtig,“ sagte der Wirt und bezahlte. „Wer hat denn den guten Gedanken gehabt? Kaper Scholte oder der Jude?“
„Das war Matthies,“ sagte der Fuhrmann, „ein Donnersbengel! Was der alles an den Tag gibt! Nun hat er sich das mit dem Brunnen ausgedacht, um den gelben Streuzucker loszuwerden.“
„Was denn? sie wollen doch den guten Zucker nicht in den Brunnen schütten?“
„Nein, sie graben einen Brunnen bei dem Schuppen, und da kommt viel gelber Sand von unten herauf, der muß weggeschafft werden. Weißt du’s noch nicht? Bist du aber dumm! Da holen sich die Leute ihren Schubkarren voll Sand, jetzt der, dann der he, he? merkst du nun? Es sieht eins aus wie das andere, und höchstens streut man ‘ne Schicht Sand drüber, der ist leicht abgekratzt, und wenn auch nicht, Sand scheuert den Magen rein.“ Da lachte der Wirt, daß alle Pferde den Kopf hoch warfen, und der Fuhrmann lachte auch. Geradeso lachten in Gadebusch die Leute, wenn sie ihre Karre süßen Sandes glücklich eingebracht hatten.
„Heute morgen war der Sitz härter,“ sagte Fromm bei der Heimfahrt, „wie kommt das?“
„Ich hab ‘ne Decke mehr darauf gelegt,“ antwortete der Fuhrmann und ließ seine Peitsche gleichgültig über den Pferderücken hin- und herschweben und wiegte schläfrig den Kopf dazu. Fromm konnte nicht schlafen, er mußte seine Gedanken weiterspinnen. Alle Behörden in Schwerin hatten sich unsicher gefühlt. Mit einem Federstrich hatte Napoleon die Freiheit der Hansestädte zunichte gemacht. Hamburg, von Karl dem Großen gegründet, soll nicht tätiger des angestammten Glückes entbehren, seinem größeren Nachfolger anzugehören.“ So war es zu Frankreich geschlagen. Alle die Douaniers im Lande Mecklenburg kamen gewiß schon als Vorboten, gleichsam Kundschafter, vielleicht fiel dem großen Kaiser bald ein, daß in Mecklenburg Obotriten einst dem großen Karl recht eng verbündet gewesen waren und gleichsam untertan, aus einer Geschichtsfälschung machte sich der Mann nichts, solche Kleinigkeiten belasteten nicht sein Gewissen, denn er hatte keins, er trieb immer nur vorwärts, und niemals tat er einen Schritt dauernd zurück. Hatte er Mecklenburg an den Herzog gegeben, weil er um Rußlands Gunst buhlte, so hatte er nicht vergessen, daß er es doch einmal besessen hatte. Ganz gewiß waren alle im Lande bald Franzosen - darauf mußte ein verständiger Mann wie Fromm sich einrichten, einsetzen konnte der bei dem Paschen. Hielt er die Fäden in seiner Hand, so konnte er sie nach Belieben hier oder dort anziehen, an die Hamburger Regierung sie anknüpfen oder an die Gadebuscher Bürger, an Gellert - und dadurch an Eva. Nur Matthies war ihm im Wege, aber der stand und fiel natürlich mit den Paschern. Er war, als er in Gadebusch ankam, mit seinem Plan fertig.
Am nächsten Tage erschien er bei Trautmann, glatt und lächelnd, gemütlich Hände schüttelnd und Hände reibend. Da ging es ,mein lieber Herr Rektor? und ,mein alter Freund?, dabei immer von einer Stube in die andere: nach dem Hofe zu lag das Fenster, von dem man aus die Nachbargrundstücke gucken konnte und über den Färberplatz nach dem Schuppen zu, vor dem der gelbe Sandhaufen schimmerte neben dem Brunnenschacht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!