V. Die Pascher.

Die Zugehörigkeit zum Rheinbunde bedeutete erneut Durchzüge, Einquartierung und Umquartierung, Estafetten, Forderungen von Hafer, Stroh, Fuhren. Kein Zweifel, die Fremden hielten scharfe Mannszucht, die Quartiergelder gingen regelmäßig ein, aber das Recht im eigenen Hause hatte man unter allen Umständen verloren, dort gebot bei seiner Anwesenheit der Fremde, und das ging mit Unterbrechungen bittere Jahre hindurch. Es waren wenige, die nicht unter dem anhaltenden Druck zermürbt und schlaff wurden. Einmal zuckte es durch die gedrückte Volksseele wie ein flüchtig einfallender Lichtstrahl, Schill zog durch das südliche Land und sandte einen Zug bis nach Gadebusch, um Leistungen zum Unterhalt seiner Schar zu erbitten, erhielt auch, was man so bei der Hand hatte, allerdings mit dem ängstlichen Protest gegen Gewalt. Aber was bedeutete schließlich das Ganze? ein neues Morden, jähen Untergang und dann die Bequartierung mit dem dänischen Armeekorps, das auf seinem Rückmarsch von Stralsund nach Ratzeburg sich auf die Stadt legte und mit seinen Heldentaten gegen die Schillsche Bande prahlte.

Und weiter nichts? Kaum waren die Fremden fort, da trafen die Jungen auf der Straße als Franzosen und Schillsche zusammen, aber sie machten jedesmal aus dem anfänglichen Spiel bald bitteren Ernst. Der Rektor hatte ihnen in der Schule von dem Mann erzählt, der lieber ein Ende mit Schrecken als einen Schrecken ohne Ende wollte, der darauf gehofft hatte, daß alte Deutschen, auch die Mecklenburger, zu ihm halten würden, alle waren aber im Joch und im Schrecken geblieben, und jener hatte sein Ende mit Schrecken gefunden. Wenn Trautmann so sprach, dann blitzten seine Angen und den Jungen stieg das Blut in die Wangen. Aber daheim waren Väter und Mütter genug, die dagegen hielten und für die Franzosen gegen den Bandenführer wirkten; dann prügelten sich die Jungen, und die Schillschen siegten, und die Franzosen liefen gar oft mit blutigen Köpfen davon, ganz gegen den Gang der Weltgeschichte.
Der Gerichtsrat beschwerte sich beim Bürgermeister über die einreißende Zuchtlosigkeit und nötigte ihn zum Einschreiten. Der Stadtdiener Seiffert erhielt den Auftrag, das gefährliche Spiel zu verbieten; als das nicht half, da sollte er die Rädelsführer fassen und abstrafen, „das heißt,“ sagte der wackere Koch, „na, Seiffert, er versteht mich.“ Der Stadtdiener packte „allemal“ diesen und jenen, setzte seine grimmigste Miene auf und holte furchtbar aus „allemal“, aber es klatschte nicht wie sonst, die Jungen drängten sich oft geradezu zur Exekution und baten. „Seiffert, mir auch’n paar,“ oder sie setzten gar stolz hinzu. ,,Ich bin ein Schillscher, ich muß mehr haben!“ Seiffert spielte also mit, und das machte die Sache erst recht anziehend.
Matthies war durch manches Gespräch mit Eva zum schärferen Nachdenken gebracht und hatte eine Gelegenheit wahrgenommen, seinem Lehrherrn endlich klar die schwierige Lage darzulegen, in die seine geringen Kenntnisse ihn fortwährend bringen mußten. Schotle hörte ihm gelassen zu und antwortete verschmitzt lächelnd. „Siehst du, Matthies, so wie dir geht es mir, auch ich muß lernen und lernen und kann gar nicht genug davon kriegen, nur fragt sich, was. Und da denke ich, das einzige, worauf wir alle miteinander Tag und Nacht sinnen, ist das, wie wir dem verhaßten Napoleon möglichst viel Schabernack tun können. Begreifst du mich nicht? Da kommt er mit seiner Kontinentalsperre. Was hat er hier im Lande zu befehlen? wir haben ja den Herzog. Napoleon kommandiert, und der Herzog muß gehorchen, aber ich nicht, Matthies. Und wenn du es dir einmal ansehen willst, wie wir dem großmächtigen Kaiser Schnippchen über Schnippchen schlagen, dann kannst du gelegentlich mitkommen. Die Sache hat ihre Gefahren, faßt man uns, dann wandern wir auf die Galeeren. Aber wenn keine Gefahr dabei wäre, pah, dann wäre es auch nichts für einen rechten Mann. Ich nötige dich nicht, in solchen Dingen muß jeder sich frei entscheiden.“ Matthies griff sofort gleichsam mit beiden Händen zu.
Dann kamen die Douaniers, (Zollwächter) ein ganzer Zug wurde auf Gadebusch gelegt. Man munkelte, daß jemand über den aufsässigen Geist der Jugend müßte berichtet haben, andere wollten wissen, daß jemand verraten hätte, daß in der letzten Zeit gerade in dieser Gegend sehr viel gepascht würde. Sie wußten ja alle drum, sie kauften verbotenen Zucker und tranken verbotenen Kaffee und hatten beides billig genug. Aber wer war so dumm oder so tückisch gewesen, das zu verraten? Die Douaniers sagten nichts weiter, als daß Gadebusch ausgezeichnet gelegen wäre, um Warentransporte nach und von Hamburg, Wismar, Lübeck und Schwerin und weiter durch das Land zu überwachen. So lagen sie im Dauerquartier, hatten Geld und ließen Geld springen; ihr Sold konnte das nicht gut machen, woher floß ihnen die Einnahme? man hörte nie, daß sie etwas abfingen, vielleicht, daß die Pascher sie erkauft hatten? Ei was, ein Narr, der darnach fragte.
Jetzt begann ein Leben, das man sich wohl gefallen lassen konnte!


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!