- 13 - Seine Gedanken verwirrten sich unter solcher Qual. O wäre er doch damals gestorben ...

Seine Gedanken verwirrten sich unter solcher Qual. O wäre er doch damals gestorben - auf dem Sandhaufen - und Eva - und sein Vater - „Pascholi, pascholl!“ schrie er laut, dann verlor er wieder die Besinnung.
Der Morgen graute, als er erwachte. Hinter sich hörte er ein fürchterliches Schnarchen und Röcheln unter langsamen Atemzügen. Das war wohl Jochen, der da verblutete, könnte er den doch von seinem Leiden befreieil. Ächzend richtete er sich auf, entdeckte, daß er sich gegen etwas anlehnen konnte, und sah um sich.
Nein, Jochen lag nicht da, nur eins von den Müller Pferden kämpfte seinen letzten Kampf. Während seine Hand nach einer festen Stütze tastete, fühlte er seine Pfeife, die bei seinem Sturze aus der Tasche gefallen war, sie war unversehrt, und mit Freude barg er sie an sicherm Platze warum? Er hoffte doch noch etwas vom Leben.
Ein hungernder Hund schlich zwischen den herum liegenden Trümmerstücken und suchte Nahrung, hielt an und zerknirschte etwas gierig mit den Zähnen; was mochte das sein? ein Schauer überlief Matthies. Doch nein, der Hund war gewiß gutartig, denn eine Ziege, die wohl irgendwo zwischen den Trümmern eingesperrt war, meckerte jämmerlich, sofort antwortete der Hund mit kurzem Bellen, so sprachen die beiden miteinander und trösteten sich gleich sam gegenseitig. Die Laute des Lebens riefen aber wieder andere wach. „Wasser!“ Sofort nahmen mehrere Stimmen das Wort auf, gellend, heiser, verzweifelnd, flehentlich bittend, wütend und drohend scholl es von allen Seiten: „Wasser, Wasser, Wasser!“
Ein Brunnen war da, aber kein gesunder Mann zum Schöpfen, Matthies starrte lechzend hinüber. Da sah er einen Soldaten, dessen Gesicht mit Blut überströmt war, der lehnte an einem zerschmetterten Wagen und knackte Walnüsse. Fortwährend hörte man das einförmige Geräusch, er sprach nicht und schrie nicht, knackte nur und stierte sonst stumpfsinnig auf die Umgebung. Die Deichsel des Wagens ragte hoch in die Luft, oben darauf saß eine Taube, putzte ihr Gesieder und gurrte. Zuweilen erhob sie sich, ihr Flügelschlag klatschte beim muntern Fluge, und wieder kehrte sie zu ihrem Platz zurück und putzte sich.
Von der Einfriedigung des Gehöftes stand nur noch der Torbogen, wie ein Galgen anzusehen, darauf hockte träge eine Krähe, sie stieß zuweilen einen widerlichen satten Schrei aus, der jedesmal Matthies durch Mark und Bein ging, er mußte horchen, wenn er auch nicht wollte, ob sie noch nicht wieder schrie, und es durchschauerte ihn der Gedanke, woher sie satt wäre, und was sie tun würde, wenn er erst hier verlassen und jämmerlich gestorben. Da jagten seine Gedanken wieder in die Ferne, zu dem ehrenhaften Ollhöft und dessen Saatkrähen - der stand jetzt am Tor, um es aufzuschließen - daheim in der Stadt, in der sein Vater wohnte, den er ohne Nachricht gelassen, wo und was er wäre - und die Nachbarsleute, die energische Frau Gellert und ihr lustiger Mann und Eva. Sollte er es ihr nie sagen können, wie bitter er bereut hätte? Seine Augen brannten in erwachendem Fieber. „Pascholl, pascholl!“ er schrie es wiederum laut und flehend und fiel zur Seite.
Nach einer Weile weckte ihn ein Schnauben, und als er die Augen aufhob, sah er Jochens Kopf, der sich zu ihm geneigt hatte, Hinnick stand daneben. Es war Matthies, als sei das ganz selbstverständlich, er fühlte sich dadurch gar nicht sonderlich bewegt. „Da bist du ja,“ flüsterte er, „gib den Leuten dort Wasser, ich kann warten.“
Hinnick suchte und fand ein Seil und einen Eimer und half unermüdlich: als er endlich Matthies reichen durfte, sagte er nur: „Wir haben die Kerls verprügelt und zwölf Kanonen gefaßt und noch ‘n Haufen Pferde. Von den Franzosen sind kaum zwei zusammen geblieben, die Schlacht ist gewonnen.“
Da verlor Matthies wieder die Besinnung, diesmal in übermächtiger Freude. Hinnick untersuchte ihn, schiente das Bein ganz fest und verband die Schulter, dann hub er ihn mit starkem Arm auf das Pferd, stieg hinter ihm auf und führte ihn von dannen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!